Elternsein & Geburt
Möchtest du mit meinem Kind spielen?
Alexa über Urlaube mit Einzelkind und den ständigen Wunsch, Spielkameradinnen zu finden – aus Sorge, es könnte sich einsam fühlen. Und: zur eigenen Entspannung.
von Alexa von Heyden - 01.07.2024
Diese Audiodatei gibt es auch als Download.
Urlaub mit kleinen Kindern am Strand ist weniger Urlaub, eher wie zwei Wochen große Pause am Meer. Familien sind am Strand auf jeden Fall beschäftigt. Ich als Einzelkindmama noch mehr, obwohl ich nur ein Kind habe. Klingt erst mal unlogisch. „Ein Kind ist kein Kind“, sagt man und auch Meghan Markle hat bei einem ihrer Auftritte in der Ellen DeGeneres Show verkündet: „Ein Kind ist ein Hobby. Zwei Kinder ist Elternschaft.“
Von wegen, sage ich. Denn ich muss mein Kind nicht nur mit Sonnenschutz eincremen, einen neuen Kescher kaufen und aufpassen, dass es beim Schwimmen nicht untergeht. Nebenbei caste ich aus dem Augenwinkel nonstop nach möglichen Spielgefährtinnen. Während ich die Sonnenmilch auf den kleinen Beinen verteile, scannt mein Blick den Strand nach gleichaltrigen Mädchen, im Notfall Jungs, ab. Am besten sprechen sie Deutsch, tauchen gerne und haben sympathische Eltern, mit denen ich mich schnell connecten kann. Vielleicht geht man mal zusammen abends essen.

„Das wäre der Ferienjackpot: eine neue Freundin.“ -

Der Fakt, dass irgendwo ein gleichaltriges Kind im Meer planscht, ist für mich an einem Strandtag so wichtig wie ein Sonnenschirm, kaltes Wasser und Wechselschlüpper. Meine Tochter ist ein Einzelkind. Nicht gewollt. Das Schicksal hat es für uns so entschieden und mittlerweile habe ich Frieden damit geschlossen, dass ich kein zweites Kind auf die Welt gebracht habe. Ich bin jetzt 46 Jahre alt und mit beiden Eierstöcken am Ende meiner Prämenopause. Meine reproduktive Phase ist vorbei und wenn ich sehe, wie eine frisch gebackene Mama mit Schweißperlen auf der Stirn bei dm die vollgeschissenen Windeln ihres Säuglings wechselt, dann möchte ich nicht mit ihr tauschen.
Die Frage nach einem Geschwisterchen für „meine Große“ bekomme ich trotzdem immer noch gestellt. Auch meine Tochter verhandelt mit mir. Sie fragt, warum sie keine Schwester oder keinen Bruder hat, obwohl ich ihr den Grund mehrfach erklärt habe. Dann möchte sie wenigstens eine Katze oder einen Hund haben, fordert sie, damit sie nicht mehr dauernd alleine sei. In solchen Momenten wird mein Herz schwer.
Das schlechte Gewissen nagt an mir, dabei sind wir als Ein-Kind-Familie gar nicht so exotisch. Laut Statistischem Bundesamt wächst inzwischen jedes vierte Kind in Deutschland in einem Haushalt ohne Geschwister auf.
Trotzdem habe ich Komplexe, denn das Ideal der Zwei-Kind-Familie ist in unserer Gesellschaft fest zementiert. Auf Instagram gerne auch vier Kinder. Früher wollte ich dieses Gefühl kompensieren, indem ich versuchte, meiner Tochter wöchentlich mehrere Playdates aus der Kita und dem Freundeskreis zu besorgen. Ich wollte sie so wie Kinder mit Geschwistern sozialisieren, um jeden Verdacht eines egoistischen, verwöhnten und altklugen Einzelkindes vorbeugend zu entkräften.
Rückblickend könnte man sagen: Ich war nervig. Ständig schrieb ich anderen Müttern SMS und fragte nach möglichen Treffen oder machte neue Vorschläge. Selten fragte mich eine der anderen Frauen zurück. Manche meldeten sich gar nicht und schauten schnell weg, wenn ich ihnen entgegenkam.
Ich verstand den Grund nicht und war persönlich enttäuscht, wenn ich hörte, dass andere Kinder zusammen im Kino waren oder meine Tochter nicht zu einem Geburtstag eingeladen wurde, obwohl wir die Eltern gut kennen. Mein armes Mädchen, dachte ich immer und entriss ihm die Schaufel, wenn es auf dem Spielplatz nicht mit einem anderen Kind teilen wollte, und verschenkte die Hälfte ihrer Dinkelbrezeln an andere kleine Klebehände.
Inzwischen ist meine Tochter in der Schule und viele Probleme aus der Kita-Zeit haben sich verwachsen. Sie hat Freundinnen in ihrer Klasse und ein paar darüber hinaus. Aber, wie ich finde, immer noch wenig Playdates am Nachmittag oder Wochenende, im Gegensatz zu anderen Kindern. Für meine Tochter ist das gar nicht so schlimm: Nach sechs Stunden Unterricht ist sie froh, wenn sie die Ruhe in ihrem Zimmer genießen kann. Sie bastelt und malt, spielt mit ihren Barbies oder hört Toniebox. Ich schaue dann immer wieder in ihr Zimmer und frage, ob sie sich einsam fühlt.

„In den Sommerferien pustet sich meine Sorge, das Kind könnte sich alleine fühlen, wie ein schwimmendes Einhorn auf.“ -

Zwei Wochen nur mit uns Eltern – das ist doch kein geiler Urlaub für ein kleines Mädchen, denke ich. In den Winterferien hätte ich beinahe einen mittleren fünfstelligen Betrag für eine Woche in einem Familienhotel mit kinderfreundlichem Spa, Kreativ-Werkstatt und Ponyreitstall investiert – und dann doch einen anderen Trip gebucht, weil eine befreundete Familie gefragt hat, ob wir mit ihnen Ski fahren wollen. Gott, ich war so dankbar.
Ann Layborn, Wissenschaftlerin an der Universität in Glasgow und Autorin von „Only Child: Myths & Reality”, hat in einer Langzeitstudie 400 Einzelkinder mit 2.000 Geschwisterkindern verglichen. Sie konnte keinerlei Unterschiede in Bezug auf Verhaltensbesonderheiten feststellen, wenn Eltern von Anfang an bewusst dem „Einzelkindschicksal“ entgegensteuern. Ja, hallo! Genau das versuche ich am Strand, wenn ich morgens um 9 Uhr fremden Familien übertrieben fröhlich zuwinke und kurz darauf einer Horde grölender Kids grün-blaue Slushies spendiere.
Trotz vieler positiver Studienergebnisse bleibt das negative Bild vom Einzelkind bestehen. Vor allem in den Köpfen der Eltern. Viele Paare bekommen alleine deshalb ein zweites Kind, damit ihr Erstgeborenes nicht ohne Geschwister aufwachsen muss. Die sogenannte Entthronung gilt als wichtiger Schritt für die gesunde Entwicklung eines erstgeborenen Kindes. Die Soziologin Toni Falbo von der Universität in Austin, Texas forscht seit über dreißig Jahren zu dem Thema Einzelkinder und kommt zu dem Ergebnis: alles Bullshit. Das Bildungsniveau und der finanzielle Status der Familie, die Werte und der Erziehungsstil der Eltern sind für die Zukunft des Kindes viel wichtiger als die Familiengröße.
Vor allem Akademiker*innen und Selbstständige haben oft nur ein Kind, bieten dafür aber ein Umfeld, das von Bildung und Wohlstand bestimmt ist. Tatsächlich war es auch für uns leichter, Beruf und Familie mit nur einem Kind zu vereinbaren. Ich weiß nicht, ob wir noch ein Paar wären, wenn wir mehr Kinder bekommen hätten. Mein Mann sagt definitiv Nein.
Nicht nur unsere Ehe hat also davon profitiert. Auch Einzelkinder haben eine besonders intensive Beziehung zu den Eltern. Sie müssen also gar nicht bemitleidet oder beneidet werden, nur weil sie keine Geschwister haben. Die Frage ist nur: Kommt das auch bei mir als Mutter an?
Natürlich habe ich erkannt, dass ich mir nicht nur Sorgen um mein Kind mache.

„Was mich schmerzt, ist die Wertung, der ich mich als Mutter immer wieder ausgeliefert fühle.“ -

In unserem Ort und Freundeskreis wissen die meisten von unserer Familiensituation. Wir sind aus medizinischen Gründen eine Ein-Kind-Familie, weniger aus ökonomischen. Das ist das Stigma, das ich als Mutter alleine trage. Andere Familien kommen uns am Strand oder auf der Promenade entgegen; sie beobachten uns, wenn wir in Restaurants oder zum Supermarkt kommen. Ich kann ihre Gedanken lesen: „Ach guck, nur ein Kind“, „Mehr hat wohl nicht geklappt“ oder „Wie egoistisch von ihr: arbeitet lieber, statt noch ein Kind zu bekommen“.
Solche Situationen triggern das Trauma meiner Kinderwunschbehandlung. Das Loslassen des zweiten Kinderwunsches, das ich mir mit meiner Yogapraxis und Coachings Atemzug für Atemzug erarbeitet habe, fängt dann an zu bröckeln.
Ich fühlte mich herabgesetzt, als ich damals im Wartezimmer der Kinderwunschpraxis saß, keine natürliche Geburt hatte und mein Kind nicht stillen konnte. Minderwertig, weil ich als Frau nicht so funktionierte, wie es die Gesellschaft vorsieht. Überhaupt werden Mütter für viele Entscheidungen, die sie in Bezug auf ihr Kind treffen, verurteilt: sei es die Geburt, Erziehung oder Ernährung, wie und ob sie ihre „Babypfunde“ loswerden, wann und ob sie wieder arbeiten oder in welche Windeln das Kind kackt. Mom-Shaming nennt man das.

„Was ich jedoch zusätzlich betreibe, ist inneres Mom-Shaming. Mein Kind ist meine Prinzessin. Und meine Achillesferse.“ -

Anna Hofer kommt aus Köln und ist Eltern- und Paarberaterin. Sie ist selbst sowohl Einzelkind als auch Einzelkindmama und weiß: Nichts trifft Ein-Kind-Eltern so sehr wie dieser Satz: „Typisch Einzelkind!“ Viele kennen so wie ich den Druck, sich immer wieder erklären und rechtfertigen zu müssen.
Mit ihrem Buch „Mein fabelhaftes Einzelkind – Warum Kinder auch ohne Geschwister glücklich groß werden“ (Kösel) will sie das Einzelkind-Klischee weiter entkräften. Der Titel erscheint im Oktober und ich durfte vor unserem Urlaub reinlesen, was mich für die nächsten Wochen sehr entspannt hat.
„Gemeinsam schaffen wir es, den Klischees zu entkommen, wenn wir uns in einem ersten Schritt zu unserem Einzelkind bekennen, ohne seinen Status selbst in Zweifel zu ziehen: Unser Kind ist gut, so wie es ist“, schreibt Hofer. Nicht nur da gilt es, Selbstbewusstsein aufzubauen. „Kinder sind nicht wie Chips, man kann nämlich nach einem aufhören“, bestätigt in dem Buch auch Hofers Kollegin, die Pädagogin Barbara Weber-Eisenmann.
Den Spruch merke ich mir und begegne übergriffigen Kommentaren oder neugierigen Fragen jetzt anders. Denn: „Wir schulden niemandem ein Kind. Auch nicht unserem Kind, sollte es danach fragen. Wir allein tragen die Konsequenzen der Entscheidung, wenn wir zum ersten Mal Eltern werden, und genauso, wenn wir uns für ein weiteres Kind entscheiden – oder eben nicht”, so Hofer.
Starke Bindungen kann man ihrer Erfahrung nach ebenso außerhalb der Familie aufbauen, was wir mit unserem Berliner und Brandenburger Freundeskreis durch gegenseitige Besuche, Grillabende und gemeinsame Ausflüge versuchen. „Freunde kann man wählen, Geschwister nicht – das kann man auch als Vorteil verstehen“, sagt Hofer. „Wenn unsere Kinder ein Netz aus Kontakten knüpfen können – seien es nun Freunde aus dem Kindergarten, Nachbarn, nahe oder auch ferne Verwandte –, haben sie alle Möglichkeiten des Austauschs, die sie brauchen.“ Ihr Resümee: „Ob und wie gut sich die sozialen Fähigkeiten unserer Kinder entwickeln, ist abhängig von vielen unterschiedlichen Faktoren: dem ökonomischen Status der Familie, der emotionalen Verfügbarkeit und Belastbarkeit der Eltern und dem erweiterten Familien- und Bekanntenkreis.“

„Ich glaube, in der Vergangenheit habe ich mir als Mutter insgeheim zu wenig zugetraut.“ -

Nämlich, dass ich das nicht kann: ein Einzelkind so großzuziehen, dass es irgendwann auch ohne mich klarkommt. Denn darum geht es uns Müttern doch eigentlich: Wir möchten unsere Kinder bestmöglich versorgt wissen, zumal wir oft so viel in Bewegung setzen müssen, damit wir sie überhaupt bekommen können.
Aber mein Kind kommt klar. Das sehe ich jeden Tag, mit dem es wächst, ein wenig mehr. Und so widme ich mich in diesem Urlaub weniger des Freund*innen-Castings, sondern beobachte meine Tochter, von der ich offensichtlich eine Menge lernen kann. Ist sie im Umgang mit anderen egoistisch? Nein, sie kümmert sich gut um sich selbst und achtet auf ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse. Vor allem sagt sie oft laut und deutlich „Nein.“ Statt mich für dieses Verhalten zu schämen, muss ich jetzt laut lachen. Vieles, was ich mir als Erwachsene mühsam antrainieren muss, macht meine Tochter von ganz alleine richtig. Egoistisches Einzelkind? Nein. Ich würde sagen: starke, junge Frau.

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