Fünf Jahre hatten mein Mann und ich keinen Sex. Es waren fünf verdammt lange Jahre. Ich hätte nie gedacht, dass ich ein Mensch bin, dem so etwas einmal passiert. Bis ich heiratete, schwanger wurde, ein Kind bekam. Unsere Liebe verschwand fast zeitgleich mit der Geburt unseres Sohnes, wir quälten uns noch ein paar Jahre, dachten, es würde besser, taten es fürs Kind. Wir hatten Angst vor Einsamkeit. Und eben keinen Sex. Es war eine dieser verfahrenen Situationen, die man nur verstehen kann, wenn man sie selbst erlebt hat.
Als ich meinen Mann dann endlich verließ, machte ich mir einen Plan. Ich war ziemlich am Boden und überlegte, was mir nach der Trennung seelisch und körperlich guttun würde: gesunde Ernährung, Freund*innen treffen, Sport machen – und Sex haben. Es war nicht so, dass ich auf Letzteres auch nur in entferntester Weise Lust gehabt hätte. Ich sehnte mich nach Schutz, Ruhe, Erholung. Und das habe ich mir auch gegönnt. Aber nach einer Weile wusste ich: Wenn ich wieder glücklich und ganz werden will, muss ich den Sex zurück in mein Leben holen. Ich ging also ziemlich pragmatisch an die Sache ran.
Als Erstes fiel mein Blick auf meinen Körper. Obwohl ich durch die Trennung ein paar Kilo verloren habe, ist er nicht mehr wie vorher. Ganz ehrlich: Es gibt Tage, da trauere ich meinem 20-jährigen Körper sehr hinterher. Egal wie selbstbewusst, feministisch und unabhängig ich mittlerweile denke. Aber vor dem Spiegel stehen und trauern brachte mich – Überraschung – nicht viel weiter.
„Mir wurde ziemlich schnell klar: Wenn ich wieder Sex haben wollte, hatte ich dafür nur diesen einen Körper.“ -
Das musste ich akzeptieren. Geholfen hat mir am Ende ein ganz einfacher gedanklicher Trick: Ich nahm mir vor, es nur ein einziges Mal auszuprobieren. Einmal überwinden. Sobald mich ein Mann danach ein zweites Mal treffen wollen würde, ist mein Körper für ihn wahrscheinlich absolut okay gewesen. Spoiler: Bis jetzt wollte mich nach dem ersten Mal jeder der Männer wieder treffen. Mehr Gedanken mache ich mir um die Sache seitdem nicht mehr.
Mein Körper und ich waren also bereit. Als Nächstes brauchte ich einen Mann. Wenn man Sex sucht – und keine Liebe –, gibt es dafür Plattformen (z.B. Joyclub). Dort meldete ich mich an. Ich erstellte ein Profil, schrieb auf, was ich mir im Bett so wünschte, und lud ein anonymes Bild dazu hoch. Dann versank ich für mehrere Wochen in den Tiefen des Internets. Ich sah zu 95 Prozent Männer, auf die ich keine Lust hatte. Aber ich habe ein gutes Gefühl für Menschen, Bilder, Satzbau. Wenig Worte sind kein Problem, aber die sollten gut gewählt sein. Rechtschreibfehler und falsche Kommasetzung ist für mich ein Hinweis auf Lieblosigkeit. Ein schlechtes Foto auch. Kurz: Ich bin mittlerweile ziemlich gut darin, die für mich interessanten Männer herauszufiltern.

Dann fing ich an, mit ein paar von ihnen zu schreiben. Eine Angewohnheit, die ich bis heute beibehalten habe. Ich konzentriere mich nie nur auf einen einzigen Mann. Zu schnell verschwinden sie von der Bildfläche, schreiben etwas Dummes, verlieben sich. Dass ich mit mehreren Männern schreibe und auch mehrere Männer date, bildet so etwas wie ein Sicherheitsnetz für meine Psyche: Ich falle nicht tief, falls ich mal fallen gelassen werde.
„Der absolute Gamechanger allerdings im Bereich Männersuche war die Tatsache, dass ich nicht mehr DEN EINEN suchte.“ -
Niemanden, der ein potenzieller Heiratskandidat oder Vater meines Kindes wäre. Niemanden, mit dem ich mich stundenlang unterhalten können muss. Und auch niemanden, den ich meiner Familie oder meinen Freund*innen vorstelle. Ich suche lediglich jemanden, der mich auf genau die Art und Weise fickt, die ich mir wünsche. Das ändert das Portfolio an Männern und Möglichkeiten enorm.
Mir ist auch das Aussehen ziemlich unwichtig geworden. Natürlich möchte ich die Männer, mit denen ich schlafe, attraktiv finden. Aber ich messe diese Attraktivität nicht mehr an den alten Parametern. So habe ich übrigens einen Mann kennengelernt, mit dem ich seit nun fast einem Jahr regelmäßig schlafe. Sein Aussehen, seine Klamotten, sein Beruf, die Themen in seinem Leben – er befindet sich vollkommen außerhalb der Bubble, in der ich mich normalerweise bewege. Aber im Bett macht er genau das, worauf ich stehe – und ist der Einzige, der mich regelmäßig zum Kommen bringt.
Neben diesem einen Mann gibt es seit sechs Monaten noch einen anderen. Bis auf die Tatsache, dass er 15 Jahre älter ist als ich, würde er sogar ganz gut in meine Bubble passen. Zufall. Auch, dass wir seit einer Weile nicht mehr nur fantastisch ficken, sondern auch ziemlich viel reden, war so nicht geplant. Das Schöne ist, dass wir nun eben nicht in den Pärchenmodus verfallen, sondern dem anderen seine Abenteuer gönnen und ab und zu gemeinsam den kinky Lifestyle zelebrieren, also auch mal auf eine entsprechende „Party“ gehen. Als ich neulich
einen Vierer hatte, war er der Erste, dem ich davon erzählt habe.
Ja, ein Vierer. Ich. Wenn ich so darüber spreche, kann ich es manchmal selbst nicht glauben. Aber seit ich einmal damit angefangen habe, Sex aktiv in mein Leben zu holen, ist es immer leichter geworden. Mein Leitsatz dabei:
„Wenn ich tue, was ich immer getan habe, werde ich erleben, was ich immer erlebt habe.“ -
Und ich will ja Aufregung in meinem Leben. Trotzdem ignoriere ich niemals mein Bauchgefühl. Im Gegenteil. Nichts ist so kostbar wie das Wissen, dass ich jetzt, in meinen Vierzigern, bedenkenlos auf meinen Bauch vertrauen kann. Schon beim kleinsten unguten Gefühl breche ich ab. Ein falscher Satz und du bist raus, mein Kind. Denn ein schlechtes Gefühl bei einer Affäre ist wie ein Loch in einer Feinstrumpfhose. Du kannst eventuell eine Weile damit leben. Aber irgendwann dehnt es sich aus und erreicht unangenehme Ausmaße.
Auch wenn ich momentan ganz gut versorgt bin: Ich schreibe und treffe weiterhin Männer. Manchmal einfach, weil ich es kann. Weil es sich so wahnsinnig nach Freiheit anfühlt. Weil ich noch so viel ausprobieren will. Und weil es mich fasziniert, wie unterschiedlich Sex sein kann – obwohl ich doch immer dieselbe bin. Insgesamt habe ich seit der Trennung mit vier Männern geschlafen. Und einer Frau. Das Leben fühlt sich ziemlich gut an gerade und ich plane nicht, daran irgendetwas zu ändern. Sollte ich mich doch mal wieder verlieben, wird das eher ein Versehen sein. Und mich wahrscheinlich nicht davon abhalten, genauso weiterzuleben wie jetzt.