Verreisen & Natur
Hoch hinaus
Wandern auf 3000 Metern Höhe? Elisabeth hat sich überwunden und verrät die wichtigsten Einsteiger*innen-Tipps, die beste Ausstattung und Routen-Hacks.
von Elisabeth Krainer - 01.07.2024
Reinhold Messner und ich haben Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel kommen wir beide aus Österreich. Naja, also fast. Er kommt aus Südtirol. Dies ist das Ende der Liste. Natürlich fühle ich mich meinem Alpin-Kollegen extrem nah, als ich gemeinsam mit meinem Freund P. meine erste Wandertour auf einen 3000er plane. 3104 Höhenmeter misst der Monte Breva, für die Schweizer*innen Piz la Stretta, den ich für meinen Höhenrausch ausgewählt habe. Er liegt in der Lombardei, entlang des Bergmassivs verläuft die Grenze zwischen Italien und der Schweiz. Warum ausgerechnet der Monte Breva? Weil im lombardischen Gebiet der Alpen angeblich die einfachsten 3000er liegen. Das klingt für mich nach der besten Kombination aus allen Bergwelten: Atemberaubendes Panorama, keine Todesangst auf Klettersteigen und trotzdem die magische Höhengrenze knacken. Los geht’s.
Der Ausgangspunkt für unsere Bergtour ist das Tal Livigno. Bisher eher als Ski-Mekka bekannt, nutzen heute viele das auf etwa 1800 Höhenmetern gelegene Alpental, das an der Schweizer Grenze kratzt, auch für sportliche Sommerausflüge. Etwa 1500 Kilometer lange Wanderwege säumen das Tal. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts war Livigno jedoch fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten – die Passstraße wird erst seit 1951 ganzjährig geräumt, der Tunnel Munt la Schera nach Graubünden erst 1968 eröffnet.
Bis dahin war das Leben in Livigno entbehrlich – dafür hat sich die Bodenständigkeit der Livignaschi bis heute bewahrt. In der Abgeschiedenheit haben die Bewohner*innen gelernt, sich selbst zu versorgen. Selten wird in Wintersportorten so unverfälscht italienische Kulinarik serviert, das Essen ist traditionell Italienisch. Der perfekte Ausgangspunkt also, damit P. und ich uns vorab stärken und hinterher belohnen können, während wir stolz auf den Gipfel des Monte Breva schauen.
Als wir über die gewundene Passstraße fahren und ins Tal rollen, begrüßen uns spontan Regen und fünf Grad Außentemperatur. Ende Juli. Lektion Nummer eins lautet also:

„Das Wetter bestimmt, ob wir Höhenluft schnuppern werden oder nicht.“ -

Was ich mir wochenlang im Voraus überlegt habe, ist schnurzegal – bei Blitzen, die das ganze Tal schlagartig erleuchten, möchte niemand auf über 3000 Höhenmetern stehen und nicht sicher sein, ob man ohne Felsrutsch absteigen kann und dabei vielleicht vom Blitz erschlagen wird. Unsere erste Amtshandlung als offizielle Messner-Nachfolger*innen ist also: Webcams checken, Wetterwarnungen ernst nehmen, warten. Meine Kondition entspricht dabei der einer Fünfjährigen.
Vorbereitung: Am nächsten Morgen haben wir mehr Glück. Es hat zwar klirrende drei Grad, als der Wecker klingelt, der Himmel ist aber klarer, in der Ferne lassen sich die Berggipfel erahnen. Also zwänge ich mich in die insgesamt fünf Schichten Funktionskleidung, die uns die Wintertemperaturen bescheren: einen dünnen Baselayer aus Merino, der mich trocken hält, ein kurzes Top, ein langes Sweatshirt, eine dünne Daunenweste, eine wasserdichte Jacke.
In den Rucksack kommen eine Fleecejacke, ein langärmliges und ein kurzärmeliges Wechsel-Shirt. Dazu eine Thermo-Wanderhose, dicke Wollsocken, Sporthandschuhe, Sonnenbrille und Stirnband. Mein Look ist genauso sexy, wie er klingt. Am allerwichtigsten sind ordentliche Schuhe und Socken – schließlich müssen sie mich etwa 1300 Höhenmeter nach oben und wieder hinunter tragen. Lektion Nummer zwei:

„Niemals ungetragene Socken oder Wanderschuhe zu intensiven Wandertouren tragen.“ -

Meine Fersen haben hohes Lehrgeld in den bayerischen Alpen für diese Erkenntnis gezahlt. Rutschende Socken oder drückende Goiserer haben auf 3000 Metern Seehöhe nichts verloren.
Sobald P. und ich alle Schichten übergezogen haben, widmen wir uns dem Proviant. Wanderungen fordern den Körper. Es ist superwichtig, nie in eine Unterversorgung zu rutschen – weder mit Flüssigkeiten, noch mit Zucker und Nährstoffen. Außerdem weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie mein Körper auf die Höhe reagiert, wenn ich ihn selbst hochschleppe.
Vom Skifahren kenne ich, dass ich nicht besonders anfällig für die Höhenkrankheit bin. Aber mit einer Gondel elegant Höhenmeter für Höhenmeter gen Himmel zu schweben, macht das ganze ein bisschen leichter. Also bereiten wir uns auf mehrere Schwächeanfälle vor: Wir nehmen Äpfel, Bananen, Obstriegel, Vollkornkekse und Käse mit auf den Berg. Dazu zwei große Thermosflaschen Wasser. Tee oder Isostar gehen auch. Schmeckt zwar, als würde man an einer zart rostenden Eisenstange lecken, versorgt den Körper aber mit ausreichend Elektrolyten. Spätestens jetzt verstehe ich meinen Bergbruder im Geiste, Reinhold, wenn er von den Entbehrungen am Gipfel spricht.
1800 Höhenmeter. Wir starten über einen mäßig steilen Forstweg Richtung Gipfel, der Himmel klart auf, schnell erstreckt sich ein traumhaftes Tal vor uns: ein wilder Gebirgsbach, gesäumt von sattgrünen Wiesen. Dank der App Komoot und dem Tourismusverband im Tal wissen wir relativ genau, was uns auf der Route erwartet. Das ist wichtig für eine zuverlässige Planung: Wie sind die Wege beschaffen, wie steil und lang ist die Route, müssen wir unterwegs Schneefelder oder Klettersteige meistern?
Die Wege auf dem Monte Breva werden zwar steil, erfordern aber keine Profi-Wandertechnik. Wir gehen und gehen, der Himmel gaukelt uns Sommerstimmung vor. Mit jedem Schritt erkennen wir die am Himmelszelt kratzenden Berggipfel besser, die einzelnen Wolken umhüllen sie wie Watte. Das Beste: Außer uns bewegt sich keine Menschenseele Richtung Gipfel. Während sich in den bayerischen Alpen die Wandernden wie Ameisen über die Pfade schieben, haben wir hier absolute Ruhe. Wir hören den rauschenden Bach, vereinzelt schreiende Murmeltiere (googeln lohnt sich). Ansonsten: Stille.
2600 Höhenmeter. Wir schleppen uns Schritt für Schritt weiter Richtung Gipfel. Der Puls steigt, die Wege werden steiler. Nach etwa 800 Höhenmetern erreichen wir den Lago del Monte, einen kleinen Bergsee, der eingekesselt zwischen steilen Hängen still vor uns liegt. Hätten wir heute nicht noch Großes vor, würden wir jetzt in der Schutzhütte (Baitel genannt) Halt machen und vielleicht eine Nacht hier verbringen. Die Schutzhütten in Livigno waren früher Unterkünfte für Schäfer, heute bieten sie Wandernden, Rad- oder Skifahrer*innen basic Hüttenkomfort (Infos über den Tourismus- oder Alpenverband). Wir legen eine kurze Pause ein, kühlen unsere Hände im See und gehen weiter. Denn das Außergewöhnliche an dieser Tour ist, dass man sie mit guter Kondition auch an einem Tag schaffen kann. Wir gehen weiter. Die Temperatur sinkt gefühlt mit jedem Höhenmeter.
2800 Höhenmeter. Ich muss an Reinhold denken. Mein Hirn ist im Tunnel. Langsam wird die Luft dünn. Ich lerne: Akklimatisieren is a thing – in den Bergen sollte man sich ab etwa 2500 Höhenmeter Zeit nehmen, damit der Körper sich an die Gegebenheiten anpassen kann. Ansonsten riskiert man die berüchtigte Höhenkrankheit. Schwindel, Übelkeit, Sehprobleme sind klare Anzeichen.
Bis 2800 Höhenmeter hat mein Körper die dünne Luft ohne Probleme weggesteckt. Jetzt startet der Verfall. Ich fühle mich wie an einem dieser Samstagnachmittage, an denen man den ersten Aperol Spritz ein bisschen zu euphorisch inhaliert. Ich werde müde und dizzy. Das heißt: Tempo reduzieren, viele Pausen, viel trinken. Als plötzlich vier wilde Berggämse an uns vorbeiflitzen, bin ich nicht sicher, ob ich sie wirklich sehe oder bloß träume. Für die letzten 300 Höhenmeter brauchen wir doppelt so lang wie geplant. Aus sattgrünen Wiesen wird triste Marslandschaft, die Wegmarkierungen verschwimmen mit dem sandfarbenen Geröll.
3104 Höhenmeter. Als wir uns die letzten Meter nach oben schleppen, geht mir fast die Luft aus. An der 3000er-Schallmauer machen wir einen Slow-Mo-Freudentanz in der Marslandschaft. Der Gedanke an die Aussicht auf die Bernina- und die Ortlergruppe trägt mich noch 100 Höhenmeter weiter. Der Gipfel ist karg, drauf eine andere Person, die einheimisch sein muss –  nur Menschen, die seit Kindheitstagen auf diesen Gipfeln kraxeln, stehen hier so entspannt rum, lassen sich weder vom peitschenden Wind, noch von den Minusgraden beeindrucken.
Die Aussicht auf die Schweizer und Südtiroler Alpenketten ist unfassbar, der Himmel zeichnet dramatische Wolkentürme um die Gletschergipfel. Die Höhe macht mich stolz und wehmütig zugleich – die schrumpfenden Gletscherzungen liegen wie verwundet vor uns, als wollten sie uns warnen: Wenn wir die Nummer mit der Klimakatastrophe nicht bald auf die Reihe kriegen, wird’s eng.
Umso wichtiger sind klare Regeln am Berg: Müll wird ausnahmslos immer wieder ins Tal transportiert, gewandert wird nur auf ausgewiesenen Wegen, die Natur soll so wenig wie möglich unter meinen kleinen, irdischen Vergnügen leiden. Ich fühle mich riesig und winzig klein zugleich. P. und ich suchen uns eine windgeschützte Stelle, setzen uns und essen alles, was unsere Rucksäcke hergeben, bevor der Wind uns die Wärme aus den Gliedern zieht.
Der Abstieg. Wir wechseln unsere durchgeschwitzten Klamotten und ziehen zum Abstieg noch eine Fleecejacke zusätzlich an. Dann geht’s bergab. Mein Hirn funktioniert nur im Höhen-Autopilot, ich stapfe halb unkontrolliert P. hinterher und spüre, dass mein Körper nicht daran gewöhnt ist, sich selbst in solche Höhen zu manövrieren. Umso wichtiger ist die Stärkung am Gipfel.

„Denn der Abstieg ist für viele sogar eine größere Challenge als der Aufstieg.“ -

Ich konzentriere mich auf die richtige Gehtechnik: Bei steilen Geröllhängen gehe ich so muskulär wie möglich, um die Gelenke zu entlasten, Gewicht nach hinten, mit den Fersen auftreten. Für lange Touren lohnen sich Trekkingstöcke. Während ich bergab stapfe, ruhen meine Stöcke im Hotelzimmer 1300 Höhenmeter unter mir. Reinhold Messner braucht schließlich auch keine. Ich muss mich stark konzentrieren, um bergab nicht die Kontrolle über meine Gliedmaßen zu verlieren. Niemals hätte ich gedacht, dass mich der Abstieg stärker fordern würde als der Aufstieg. Meine Sinne schärfen sich wieder, als wir unter 2500 Höhenmeter gelangen.
Der Aufstieg auf den Gipfel fühlt sich an wie ein unfassbar schöner Fiebertraum. Meine Muskeln sind müde, aber nicht völlig am Ende, weil wir unsere Reserven regelmäßig aufgefüllt haben. Das geht leichter, wenn man mindestens zu zweit unterwegs ist und gegenseitig aufeinander achtet – im Notfall kann das lebensrettend sein. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte sich zusätzlich zum Wanderequipment ein GPS-Gerät organisieren, falls Hilfe nötig ist.
Und das ist wohl das Wichtigste, was ich auf meiner ersten 3000er-Tour gelernt habe: Egal wie gut die Pläne sind, der Berg kann anderer Meinung sein. Wenn das Wetter oder der Körper nein sagen, dann gibt es keine Alternative. Der Berg gibt mir ein bisschen Ruhe zurück und zwingt mich, mein Bedürfnis nach Kontrolle zu lockern. Ich habe nicht alles in der Hand – und das ist ok so. Am Berg genauso wie im Alltag.

Abo abschließen, um Artikel weiterzulesen

Endlich Ich - Abo

6,90€

Alle Artikel lesen, alle Podcasts hören

4 Wochen Laufzeit, monatlich kündbar
Digitaler Goodie-Bag mit exklusiven Rabatten
min. 2 Live-Kurse pro Woche (Pilates, Workouts, etc.)
Bereits Abonnent? Login