Rezepte & Ernährung
Was tut sie da?
Über den Versuch, mich gesund zu ernähren. Zuckerfrei, clean eating und so. Oder: Das schmeckt ja gar nicht so kacke wie es aussieht!
von Stefanie Luxat - 23.04.2018
Es begann im Winter letzten Jahres. Es blieb einfach weg, dieses befriedigende Gefühl, wenn ich mir zum Frühstück ein Marzipancroissant mit Schokoladenfüllung und Milchkaffee reinzog. Gegen elf Uhr dann den ersten Schokoriegel, nach dem Mittagessen ein Dessert, nachmittags Kuchen, abends Chips und noch mehr Schokolade vorm Fernseher plus ein Glas Wein. Nichts davon kickte mich wirklich. Es war, als wären meine Geschmacksknospen mit irgendetwas belegt, zugeschneit vom Zucker?
Hinzu kam, dass ich mich immer öfter dabei erwischte, dass ich die Sachen nicht nur aß oder trank, weil ich Lust darauf hatte, sondern, um damit anderes zu kompensieren. Ohne groß darüber nachgedacht zu haben, schien ich zu glauben, der Zucker würde mich schon irgendwie durch den Tag bringen, wenn die Nächte wieder schlaflos endeten dank der Kinder. Aber meine selbst gewählte Droge verweigerte mir irgendwann die Hochs. Da bekam ich Junkie schlechte Laune und dachte: Was, wenn ich mich von dir trenne?
Ich hielt es für unmöglich, dies zu schaffen. Ich bin die Tochter eines Vaters, der ständig Süßes isst, aufgewachsen in Ostfriesland mit täglicher Tee- und Kuchenzeremonie, mit Zuckerbrocken, die wie Berge aus dem Tee ragen und Riesenklecksen Schlagsahne auf dem Kuchen. Bei uns Zuhause gab es kein Mittagessen ohne anschließendes Dessert und in der Speisekammer immer eine Naschiecke. Verbunden wurden die zuckerreichen Speisen mit dem Gefühl, sich etwas zu gönnen, es sich gut gehen zu lassen. Mich von diesem großen Gefühl zu trennen? Undenkbar.
Ernährungsexpertin und Kolumnistin Lynn Hoefer empfahl mir das Buch „Goodbye Zucker – Zuckerfrei glücklich in 8 Wochen“ der Australierin Sarah Wilson. Ihre Theorie: Sechs Wochen kein Zucker und auch keine Fructose aka kein Obst. Ihrer Meinung nach, braucht der Körper so lange für die Entgiftung und der Kopf, um sich neu zu programmieren.
Bevor ich loslegte fragte ich meinen Freund und Personal Trainer Arlow Pienak, der sich seit Jahrzehnten zuckerfrei ernährt, wie lange ich antriebslos sein würde durch den Entzug, ich müsse im Januar voll fit sein für diverse wichtige Job-Projekte. Als er sagte: „Du wirst nicht schlapp sein, im Gegenteil, du wirst dich wundern, woher all die Energie plötzlich kommt“ legte ich los. Ich wartete nicht bis zum 1. Januar, wenn alle sich mit neuen Vorsätzen quälen, sondern begann bereits am 27. Dezember 2017 mit dem Entzug. Ich dachte, dann hab ich schon mal etwas Vorsprung und lasse mich von anderen nicht irritieren.

„Hatte ich schlechte Laune. Mein armer Mann.“ -

Die Woche bis Silvester und danach war ich zwar hochmotiviert, was den Entzug anging, aber oh boy, meine Laune sank zwischendurch so ab, dass ich zum ersten Mal in zehn Jahren Beziehung meinen Mann vor mir flüchten sah.
Es war gar nicht schlimm, plötzlich keine Kekse mehr zu essen oder den Kindern Schokolade reichen zu müssen, während ich selbst keine durfte. Schwierig war nur, erst ein Mal Ersatznahrung zu finden. Dinge, die ich essen durfte. Schließlich, und das wurde mir erst durch den Entzug bewusst, ist ja mittlerweile überall Zucker drin. Überall. Sogar im dollsten Bio-Naturjoghurt. Ich begann Produkte beim Einkaufen endlich mal umzudrehen und mir anzuschauen, was eigentlich genau enthalten ist und erschrak. Aus Wilsons Buch hatte ich mir gemerkt, dass die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, von der täglichen Energiezufuhr sollten nur fünf Prozent Zucker (ca. 20 g) sein. Das sind sechs bis acht Teelöffel Zucker, was irre schnell erreicht ist, vor allem mit versteckten Zuckern.
Um motiviert zu bleiben, schaute ich während des Entzugs viele Dokumentationen zum Thema und las viel darüber. Jamie Oliver kämpft seit Jahren gegen Zucker und zeigt die Folgen in der Dokumentation „Sugar Rush“. Zu sehen wie Kindern durch zu viel Zuckerkonsum Zähne heraus operiert und Erwachsenen Gliedmaßen amputiert werden, überzeugt dann doch sehr, dass das Thema Zucker in vielen Bereichen aus dem Ruder läuft.
Dies mal schnell eingeschoben: Was mir ganz wichtig ist - ich möchte hier niemanden belehren. Ich finde, wenn man seine Ernährungsform gefunden hat, die einem gut tut, ist das doch spitze, egal, wie sie aussieht. Ich erzähle hier nur von meinem Selbstversuch, weil so viele danach fragten und wer weiß, vielleicht tut es ja noch jemandem gut. Das ist meine einzige Motivation, es hier aufzuschreiben. Mich sogar eventueller Kritik auszusetzen. Das Thema Ernährung ist so irre persönlich, auch dazu habe ich während des Entzugs viel gelernt. Ich ahnte es schon, Sarah Wilson warnte in ihrem Buch aber auch noch mal vor mit einem Arthur Schopenhauer-Zitat: „Jede Wahrheit durchläuft drei Phasen. In der ersten wird sie verlacht, in der zweiten wird sie wild bekämpft, und in der dritten wird sie als Selbstverständlichkeit akzeptiert.“
Genau das passierte. Ich erzählte zunächst niemanden von meinem Vorhaben, mein Mann war eingeweiht, mein Freund Arlow, Lynn, meine Work Wife Kathrin, das war’s.

„Obwohl man es gar nicht will, macht es so viel mit dem Gegenüber, sobald er erfährt, dass man gerade auf Zucker verzichtet.“ -

Sofort findet eine Selbstüberprüfung statt – sollte ich das auch tun? Mache ich etwas falsch? Macht sie alles richtig? Muss ich sie jetzt noch mögen? Sollte ich es vielleicht auch mal probieren? Aber ist das nicht alles kacke? Es passierte sogar mit Freundinnen, die genau wie Wilson es vorausgesagt hatten, sich lustig machten, wenn ich statt Alkohol Wasser bestellte. Wenn ich keinen Kuchen nahm, dafür eine Tüte Nüsse dabei hatte. Ich nahm es mit Humor und blieb ganz bei mir, weil ich spürte, mir tut es gut und es ist nicht wichtig, dass das jemand akzeptiert oder nicht. Mein gutes Gefühl reicht.
Ich schaffte während der sechs Wochen nicht komplett auf Zucker zu verzichten, darum ging es mir auch nicht. Brot und Nudeln, die ja ebenfalls Zucker enthalten, blieben im Programm, wir versuchten auf Vollkorn umzustellen, was uns aber nicht immer gelang. Wie gesagt: es ist schwierig, erst ein Mal genügend neue Lebensmittel und Rezepte zu finden, die auch mit wenig Zucker funktionieren. Wir üben da nach wie vor.
Was mich am meisten bei der Stange hielt war die große Portion Energie, die tatsächlich schnell zum Vorschein kam. Fuhr mein Energiehaushalt vorher ständig Achterbahn, angepeitscht vom Blutzuckerspiegel hochjagen durch die Süßigkeiten, schipperte er jetzt schön gleichmäßig auf einem sehr guten Niveau vor sich hin. Der Rückzug meiner Cellulite hatte durchaus auch motivierende Aspekte. Schon an Tag vier verabschiedete sich ein Teil von ihr. Ganz ohne Cremes oder anderes Gedöns.
Auch diese Nervosität, die ich ab und zu spürte, wurde stetig weniger, gleich im ersten Monat war sie komplett weg. Nach Wilsons Konzept kann man nach den acht Wochen Entzug wieder Obst essen. Was ich auch tue. Nur übertreibe ich es nicht mehr so wie früher. Zu sehr haben sich die Infos, die ich neu über Fructose lernte, in mein Hirn gebrannt: Zu viel von ihr kann zu Adrenalinanstieg, Hyperaktivität, Angstzuständen und Konzentrationsverlust führen. Unser Immunsystem und die Verdauung schwächen und vieles mehr, was man nicht möchte.
Stattdessen esse ich jetzt haufenweise Gemüse, Nüsse, Fisch, aber jetzt zweieinhalb Monate nach dem Entzug mache ich auch kein Drama daraus, wenn ich im Block House die Sour Cream esse oder sonst etwas, bei dem man weiß, das ist jetzt das Gegenteil von gesund. Das war während es Entzugs anders. Da konnte ich quasi in kein Restaurant mehr gehen, weil wirklich überall entweder Zucker oder Frucht dran ist. Asiatisch konnte ich komplett knicken, nachdem ich es ein Mal versucht hatte und die Vietnamesen einen Lachkrampf bekamen, als ich von meinem Versuch erzählte. In der Zeit kochte ich meist selbst, oft nach Lynns Blog-Rezepten oder aus dem Kochbuch „Die grüne Küche für jeden Tag“ von David Frenkiel und Luise Vindahl. Die Rezepte in dem Zuckerfrei-Buch von Wilson haben mich nicht so richtig überzeugt.
Das viele selbst kochen kostete sehr viel Zeit, Restaurantbesuche waren mir aber auch zu anstrengend, ich fühlte mich wirklich aussätzig während der acht Wochen. Glutenfrei, Lactosefrei, all das ist in den Restaurants angekommen mittlerweile, aber zuckerfrei (gar fructosefrei) wird sogar in den Clean Eating-Restaurants zur Herausforderung.

„Meine Geschmacksknospen feierten ihre neue Freiheit: ich schmeckte plötzlich wieder richtig.“ -

Als hätte jemand meine Zunge frei gelegt. Jetzt merkte ich auch wieder wie viel natürliche Süße in vielen Produkten steckte. Ich fühlte mich fast wie eine Betrügerin während des Entzugs, wenn ich Tomatensoße selbstkochte, weil sie so irre süß schmeckte. Statt Schokolade schälte ich mir Karotten und mitten im Entzug passierte dann etwas Lustiges. Ich kam in eine Stresssituation, hatte ein irre nerviges Telefonat überlebt, legte auf und sagte laut: „Auf den Schreck brauche ich erst mal ein Möhrchen!“ Ich war allein Zuhause als ich das sagte. Ich musste selbst so darüber lachen, dass ich Tränen in den Augen hatte. Echt jetzt? Ein Möhrchen? Kein Snickers oder Smartie-Shot wie früher? Irre!
Mein Körper und ich schienen langsam wieder eine Verbindung zueinander aufzubauen. Ich spürte, welche Lebensmittel mir gut taten und bei welchen ich einen Jieper bekam - unbedingt, jetzt sofort mehr davon wollte. Meist entdeckte ich darin dann versteckten Zucker. Ich merkte, was mir wirklich gut tat und so schaltete der Kopf die Synapsen neu in diese Richtung. Und auch wenn ich Silvester noch ins Sofakissen statt einen heiß geliebten Berliner biss, war meine Lust darauf inzwischen einfach weg. Ich kann meinen Kindern mittlerweile Smarties oder anderen Süßkram geben und spüre dabei keinen Verzicht. Nichts, ich vermisse es null, das hätte ich niemals erwartet. Ob das für immer so bleibt? Wer weiß. Jetzt gerade tut`s gut.
Natürlich habe ich im Zuge meiner Ernährungsumstellung auch versucht, die Kinder gesündere Sachen essen zu lassen. Sie essen jetzt auch mehr Nüsse, einfach weil sie sehen, dass wir es tun. Ich habe auch puren Kakao gekauft und versuche, ihnen den statt dem übersüßten unterzujubeln. Aber das klappt nur bedingt. Letztens sagte Ruby, als es um etwas zu essen ging: „.... aber nicht dieses ekelige Zeug von Mama!“
Dabei habe auch ich festgestellt:

„Ganz viel Gesundes schmeckt gar nicht so ekelig wie es aussieht.“ -

Wer mir bei Instagram folgt, hat meine Versuche ja schon mitbekommen. Mein erstes Mal Goldene Milch mit Ingwer und Kurkuma trinken – ich bin ein großer Fan, das ist jetzt meine Einschlafmilch abends. Energy Balls – da gibt es wirklich große geschmackliche Unterschiede, ich suche noch den richtig gut schmeckenden. Chia Pudding – wir werden keine Freunde, schmeckt mir zu glibschig. Dafür nehme ich aber Chia Samen gern mit in die Granola und Co. Ich teste mich durch alles durch, was die Clean-Eating-Community zu bieten hat und schaue, was mir schmeckt. Wie gesagt: Ersatznahrung zu finden ist gar nicht so einfach. Immer nur Gemüse ist ja auch öde.
Mittlerweile gehe ich auch ganz normal wieder in Restaurants, esse Pizza, Gerichte mit Soßen, bei denen ich nicht vorher frage, was drin ist. Ich versuche, nicht wieder in die alten Muster zurück zu fallen und was ich über gesunde Ernährung gelernt habe anzuwenden. Süßigkeiten lasse ich tatsächlich nach wie vor weg, genau wie Soft Drinks. Obst esse ich kontrollierter, Alkohol hatte ich bisher noch keinen, je doller die Sonne scheint, umso größer wird aber mein Jieper auf Rosé. Mal schauen, wie sich das alles entwickelt.
Insgesamt bin ich seit dem Entzug viel ausgeglichener, energiegeladener, habe das Gefühl, mehr Kraft zu haben, noch mehr Lust aufs Leben und viele Glücksgefühle. Nicht ununterbrochen, aber sehr, sehr oft. Meine Hoffnung ist, dass sich durch die gesündere Ernährung vielleicht auch noch mein Heuschnupfen legt. Er ist dieses Jahr zum ersten Mal ertragbar. Natürlich hoffe ich, dass das schon ein erstes Zeichen ist. Menstruationsbeschwerden lassen sich angeblich durch das Einschränken von Zucker ebenfalls reduzieren. Da tut sich nur sehr langsam was bei mir. Dafür ist die Verdauung jetzt so gut getaktet wie noch nie zuvor. Es ist einfach faszinierend, wie man wieder in Kontakt mit seinem eigenen Körper kommt, wenn man in die Ernährung investiert. In dem Buch „Für immer zuckerfrei“ von Anastasia Zampounidis las ich das Hippokrates-Zitat „Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel, und eure Heilmittel sollen eure Nahrungsmittel sein“. Oder wie Susanne Kaloff in ihrem Buch „Nüchtern betrachtet war’s betrunken nicht so berauschend“ schrieb: „Es ist doch das günstigste Anti-Aging-Mittel der Welt: Weglassen, was dir nicht dient. Hinzufügen, was dich nährt.“
Ich passe jetzt einfach wieder besser auf mich auf. Schaue, dass ich mir von dem guten Zeug so viel wie möglich besorge und wenn es nicht klappt, das später ausgleiche. Mein Körper dankt es mir mit vielen guten Gefühlen. Ich bin lieber zu mir selbst und das ist ein schönes Gefühl, das ich nicht mehr hergeben mag. Nicht mal für einen Berliner.

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