Gefühle & Gedanken
Mutige Entscheidungen
Wie mir klar wurde, dass ich mich trennen muss – erst von meinem Job und dann von meinem Partner. Eva Lohmann erzählt.
von Eva Lohmann - 01.09.2023
Die Audiodatei gibt es hier als Download.
 
Mein wichtigstes Gefühl der Welt.
Vor über zehn Jahren bin ich mal in einer psychosomatischen Klinik gelandet, was im Wesentlichen daran gelegen hat, dass ich ziemlich lange einen Job gemacht habe, den ich furchtbar fand. Obwohl ich diesen Job furchtbar fand, obwohl er mich unglücklich machte, obwohl mein Bauchgefühl mir sagte, ich müsse kündigen – ich hatte nicht den Mut dazu. Irgendwann kam der Klassiker: Zusammenbruch, Burnout, Klinik. Dort, in der Klinik, schrieb ich Tagebuch über diese bis dato schlimmste Zeit in meinem Leben.
Dann nahm das Schicksal eine seltsame Wendung: Mein Tagebuch wurde zum Roman, der Roman wurde veröffentlicht. Plötzlich hatte ich einen neuen Beruf und ging auf Lesereise. Ich habe damals viele Menschen getroffen, die ähnlich unglücklich in ihrem Job waren wie ich zuvor. Die Leute öffneten sich mir, ganz einfach, weil ich mich vorher ihnen geöffnet hatte. Wenn sie mich fragten, was ihnen helfen könnte in ihrem Unglück, antwortete ich, was ich gelernt hatte:

„„Aufs Bauchgefühl hören, es lügt nicht. Es sagt einem hart und ehrlich, was falsch und was richtig ist.““ -

Und was meinen Job angeht, habe ich diesen Ratschlag seitdem tatsächlich befolgt. Ich bin nie wieder zurückgegangen in mein früheres Arbeitsverhältnis, habe angefangen professionell zu schreiben und liebe meine neue Arbeit.
Hört sich toll an, oder? Hört sich angekommen an und aufgeräumt, selbstbewusst und frei. Eine schöne Geschichte, die gut ausgegangen ist. Die Sache hat nur einen Haken. Es gab da nämlich einen Lebensbereich, in dem ich mein Bauchgefühl einfach weiterhin wahnsinnig gut ignoriert habe. Und das war meine Beziehung. In meiner Beziehung habe ausgerechnet ich, die so selbstbewusst gepredigt hat, wie wichtig es sei, auf seinen Bauch zu hören, genau das nicht geschafft. Und zwar verdammt viele Jahre lang. Es gab einfach zu vieles, von dem ich dachte, es hätte mehr Bedeutung als mein Bauchgefühl.
Ein zusammen entwickelter Traum.
Ein Eheversprechen.
Eine gemeinsame Wohnung.
Ein geteiltes Bankkonto.
Ein Kind.
Das mit dem Kind war am seltsamsten. Mein Mann und ich hatten so lange davon geträumt, eine Familie zu sein. Aber als das Kind dann endlich kam, war es vorbei mit den Träumen. Es war das Gegenteil von allem, was ich mir zuvor ausgemalt hatte. Natürlich war das Baby anstrengend, aber das war nicht, was mich so fertigmachte. Was mich fertigmachte, war, dass wir diese Anstrengung nicht gemeinsam überwältigen konnten. Dass wir nicht zusammen lachen konnten über Windelberge und Wachstumsschübe und durchschriene Nächte. Dass wir stattdessen anfingen, uns auch noch gegenseitig anzuschreien.

„Als das langersehnte Baby da war, wurde klar: Er und ich, wir waren kein Team mehr.“ -

Mein Bauchgefühl hätte nicht deutlicher werden können. Befanden mein Mann und ich uns im gleichen Raum, war ich angespannt und ängstlich. Ging er, fühlte ich mich sofort besser. Trotzdem wollte ich keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Es kam mir egoistisch vor, unsere kleine Familie zu zerreißen, nur weil ich ein paar Monate nicht glücklich war. Wir machten eine Paartherapie, führten endlose Gespräche. Sie endeten fast immer in Tränen. Wir ließen die Jahre vergehen, hofften auf weniger stressige Zeiten. Als Gespräche, Urlaube, Therapie nichts nützten, begann ich an mir selbst zu zweifeln. Vielleicht hatte ich mich nur noch nicht hart genug angestrengt. Vielleicht könnte ich, wenn ich nur stark genug an mir arbeitete, die Frau werden, die mein Mann sich wünschte. Als letzten Versuch begann ich, alles an mir zu hinterfragen, modifizierte meine Antworten, versuchte zu sagen, was er hören wollte.
Überlegte lange, bevor ich etwas tat oder sagte.
Versuchte, die Stimmung nach oben zu drücken.
Verbog mich.
Es funktionierte nicht.
Und irgendwann sagte mir mein Bauchgefühl:

„Du kannst es nicht richtig machen, egal was du tust. Die Sache ist vorbei.“ -

Ich hatte alles versucht und würde nie, niemals das bekommen, was ich mir wünschte. Eine kleine glückliche Familie, in der man voller Liebe miteinander umgeht. Die Erkenntnis war gleichermaßen schrecklich und erleichternd.
Denn plötzlich erschien es mir nicht mehr egoistisch, dass ich mich trennen wollte. Es schien egoistisch, es nicht zu tun. Was meine Tochter wirklich brauchte, war keine unglückliche kleine Familie. Sondern eine Mutter, die zeigte, dass man sich aus schlechten Situationen befreien kann. Dass man gehen kann, wenn die Liebe weg ist. Dass man tote Träume loslassen kann. Und dann schauen, was das Leben noch so für einen bereithält. Und genau das tat ich.
Heute, wenn ich unglückliche Paare sehe, danke ich meinem Bauch, dass er mich da rausgeholt hat. Ich habe die Trennung keine Sekunde bereut. Ich bin eine erleichterte, glückliche Frau. Das Kind ist mal bei mir und mal beim Vater, was mir den großen Luxus gewährt, Zeit für meine Tochter und Zeit für das Schreiben gleichermaßen zu haben.
Manchmal aber sehe ich auch glückliche Familien. Und hey, das tut tatsächlich kurz weh. Dann hilft mir ein einfacher Satz. Ich habe keine Ahnung, woher dieser Satz kommt, irgendwann war er einfach da.
Er lautet: „Es war mir nicht vergönnt.“ Und er fasst alle Gefühle dieser Trennung zusammen:
Dass es schön gewesen wäre.
Dass ich es wirklich und lange versucht habe.
Dass es einen Punkt gab, an dem ich merkte, es wird niemals klappen.
Dass ich den Mut hatte, loszulassen.
Und dass das Leben weitergeht. Anders als geplant, aber auch gut.
Seitdem ich getrennt bin, habe ich nie wieder leichtsinnig den Satz  „Dann verlass ihn doch einfach“ zu einer Frau gesagt. Jede von uns hat ihre eigene Geschichte und keiner kennt die genauen Umstände. Aber ich ermutige nach wie vor alle, die versuchen wollen, auf ihr Bauchgefühl zu hören. Denn dieses Gefühl kennt die Wahrheit über das, was wir im Innersten brauchen. Es ist unser wertvollster Schatz und wird tollerweise besser, je älter wir werden.
Und vielleicht deswegen tat ich auch dieses Mal, was ich schon öfter getan habe, wenn das Leben mir so richtig zugesetzt hat. Ich schrieb einen Roman darüber. Wie schon bei meinem ersten Buch merkte ich: Wenn man sich selbst öffnet und über Dinge spricht, öffnen sich andere Menschen auch. Letzte Woche bekam ich die E-Mail einer Buchhändlerin, sie hatte gerade „Das leise Platzen unserer Träume“ gelesen. Es war eine sehr intime E-Mail über die unglückliche Beziehung, in der sie steckte. Am Ende ihrer Nachricht schrieb sie: „Vielleicht schaffe ich es nicht, die Sache heute oder morgen zu beenden. Aber dieses Buch hat mir die Angst davor genommen, es irgendwann zu tun.“

Abo abschließen, um Artikel weiterzulesen

Endlich Ich - Abo

6,90€

Alle Artikel lesen, alle Podcasts hören

4 Wochen Laufzeit, monatlich kündbar
Digitaler Goodie-Bag mit exklusiven Rabatten
min. 2 Live-Kurse pro Woche (Pilates, Workouts, etc.)
Bereits Abonnent? Login