Liebe, Beziehung & Sex
Mut zur Trennung
Sich trennen, während alle anderen heiraten. Und die Frage: Wer bin ich ohne ihn? Svenja Napp hat eine schöne Antwort gefunden.
von Svenja Napp - 01.07.2023
Hier gibt es die Audiodatei als Download.
  
Er läuft durch dieses Viertel und für die allermeisten ist er nur ein Jemand, mit leuchtend roter Jacke und seinem blauen Rad. Aber für mich ist er ein ganzes Leben, das ich leben wollte und das es jetzt nicht mehr gibt. Wie lange braucht es, bis es nicht mehr zwickt, wenn ich ihn auch nur von hinten sehe? Mit seinen schlenderigen Schritten und dem etwas wirren Haar. Was ist die angebrachte Zeit, um jemanden loszulassen? Manche Freund*innen rechnen. Die Hälfte der Zeit, die ihr zusammen wart, sagen sie. Aber mein Herz rechnet nicht. Es braucht so lange, wie es braucht, und sicher braucht es länger als mein Verstand, der schon seit Monaten weiß, was vorbei ist und was bleibt. Was vorbei ist, das ist eine Liebe, das ist Vertrauen und vor allem sind es tausend Träume, die geplatzt sind.

„Was bleibt, das bin ich. Und die große Frage, wer bin ich eigentlich, wenn er nicht mehr da ist?“ -

Wir hatten große Wünsche zusammen. Solche, die wir mit vielen Paaren in unserem Alter geteilt haben. Ein gemeinsames Zuhause, vielleicht irgendwann ein eigenes, genug Geld, gemeinsame Reisen, eigene Kinder. Als ich vor etwas mehr als einem Jahr 30 wurde, hat mich diese Zahl nicht erschrocken. Er war ja da, wir hatten alles im Griff. Alles in geordneten Bahnen, alles, wie es sich gehört. Über die Kinder haben wir zuletzt viel gesprochen, manchmal auch gestritten. Über das Haus. Er lieber auf dem Land, ich lieber in der Stadt. 
Als ich vor ein paar Monaten 31 wurde, hat mich diese Zahl plötzlich erschrocken. Er war ja nicht mehr da und mit ihm ist auch dieses Leben gegangen, das ich mir schon so sorgfältig ausgemalt hatte. Und jetzt bin ich 31, aber ich werde nicht bald Mutter und ich werde nicht über Häuser nachdenken und keine gemeinsamen Konten eröffnen. Und irgendetwas in mir atmet laut auf, weil ich mir nie ganz sicher war, dass ich dieses Leben wollte, und weil jetzt wieder alles möglich ist. Aber die andere Seite denkt nur, scheiße, was bleibt denn ohne diese Träume? Welches Leben möchte ich denn stattdessen?
Ich habe früher immer gesagt, dass ich diesen Druck nicht nachvollziehen kann, den Frauen ab 30 empfinden, wenn sie allein sind. Rückblickend etwas naiv. Da kann ich auch noch so Freigeist sein, modern und selbstbestimmt; es macht etwas mit mir, dass meine engsten Freund*innen jetzt Kinder bekommen, dass sie Häuser planen und gemeinsame Konten eröffnen. Es macht etwas, obwohl ich mich noch nicht einmal bereit fühle, Mutter zu sein. Wie geht es denn Frauen, die unbedingt Mutter werden möchten? Die nicht 31 sind, sondern Ende 30 oder 40? Es nervt höllisch, dass wir Frauen nicht ewig Zeit für diese Träume haben. Dass mein Vater neulich ganz nebenbei erwähnte, dass ab 30 ja die Geburtsrisiken stark steigen würden. Dass mir meine Bank Werbung für Hauskredite schickt, weil deren Marketingabteilung der Meinung ist, dass ich jetzt in dem richtigen Alter sei. Dass mein Steuerberater mich fragt, ob ich eigentlich schon an meine Rente gedacht habe. Nein, ich habe noch nicht an meine Rente gedacht, ich habe ein leeres Sparkonto, einen 31-jährigen Uterus mit abfallender Produktivität, einen schlecht erzogenen Hund und seit einigen Monaten keinen Partner mehr. Macht mich das jetzt zu einem Mängelexemplar? 
Ich hatte immer den Eindruck, dass ich kein konventionelles Leben führe. Aber jetzt merke ich, dass ich mich in den letzten Jahren in meiner Beziehung ziemlich genau da bewegt habe, wo man es von Frauen in meinem Alter erwartet. Das war dieses beruhigende Gefühl, dazuzugehören – aber es hakte irgendwo.

„Ich wollte wieder frei sein und jetzt, wo ich es bin, spüre ich, wie beängstigend das ist.“ -

Tatsächlich frei zu sein bedeutet auch, dass einen niemand mehr hält. Es bedeutet, Gefühle anzunehmen, sie nicht auf einen Partner zu projizieren. Und es bedeutet, auch das schlimmste aller Gefühle zuzulassen: die Einsamkeit. Diese Art von Einsamkeit, die auch Gesellschaft nicht heilen kann. 
Ein Freund hat mal zu mir gesagt, dass die Einsamkeit eine Freundin der Liebe sei, die von ihr geschickt werde, um zu prüfen, ob man bereit für die Liebe sei. Ich habe diesen Satz damals nicht verstanden, aber heute verstehe ich ihn. Einsamkeit heißt nichts anderes, als mit dir selbst eins zu sein. Die Monate nach meiner Trennung fühlen sich im Nachhinein tatsächlich wie eine Prüfung an: Kann ich allein komplett sein? Kann ich allein mit mir in der Liebe sein? Die Einsamkeit prüft, ob ich mit mir eins sein kann, um schließlich auch andere wieder zu lieben und in dieses wunderschöne Herz zu lassen, das erst einmal ganz vorsichtig wird, wenn die Liebe zu sehr weh getan hat. 
Ich bin dankbar dafür, dass das Leben mich aus diesem geordneten Lebensentwurf geworfen hat – auch wenn es schwierig war.

„Ich kann heute vielleicht zum ersten Mal sagen, dass ich mit mir allein komplett bin.“ -

Wenn ich ihn in diesen Tagen durchs Viertel laufen sehe, tut es nur noch ein bisschen weh. Und das ist okay, weil es mich daran erinnert, dass ich wirklich geliebt habe und in der Liebe mutig war. Ich bin nicht mehr die, die ich mit Mitte 20 war. Die sich nach ihrer Trennung in Ablenkung stürzt und keinen Abend allein verbringen kann. Ich bin jetzt 31 und das ist so wunderschön, weil mir auch die Einsamkeit keine Angst mehr macht. Zumindest für jetzt. Und ich weiß, dass es auch bald nicht mehr zwickt, wenn meine Freund*innen über die Träume sprechen, die ich mal hatte. Weil ich immer mehr in das Leben gehe, das ich führen möchte. Ich weiß noch nicht, was das für ein Leben sein wird. Aber ich weiß, dass es mein eigenes ist und dass, egal was passiert, ich immer weiter wachse.  

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