Gefühle & Gedanken
Paartherapie als Geschwister
Laura hat sich mit ihrer Schwester zusammen eine Therapeutin gesucht. Wie sie damit ihre Beziehung retten, erzählt sie hier.
von Laura Schuster - 01.10.2023
Ich bin die kleine Schwester einer großen Schwester. Eine Rolle, in die ich hineingeboren wurde, ohne dass sie jemals geändert werden kann. Ich liebe meine große Schwester, aber diese natürliche Rollenverteilung macht uns, je älter wir werden, immer mehr Probleme.
Im Laufe unseres Lebens kamen innerhalb der Familie weitere Rollen dazu, die uns aufoktroyiert wurden: Ich bin die Laute, die Emotionale, die manchmal Störende, die, die sich einfach nimmt, was sie braucht, die, mit der man nicht reden kann, weil sie sonst ausflippt, der man nicht sagen kann, wie es richtig und wie es anders geht. Und so wie ich hat natürlich auch meine Schwester ihre zugewiesenen Eigenschaften: die Große, die Vernünftige, die Harmonische, die Ausgleichende ...

„Je älter wir werden, desto stärker wird uns bewusst, wie sehr diese Rollen einengen.“ -

Ich glaube, das kennt jede*r in irgendeiner Form. Bei den Eltern sowie in der Familie ist man immer ein Kind. Egal, wie alt man ist, egal, was man geleistet und sich aufgebaut hat. Deswegen kracht es auch auf so vielen Familienfesten, weil die Menschen sich an verstaubten, nicht mehr passenden Rollenbildern orientieren, anstatt offen miteinander zu reden und herauszufinden, wer da wirklich gerade vor einem steht.
Unsere Kindheit liegt schon etwas zurück und in unseren Leben hat sich viel getan. Meine Schwester und ich haben beide geheiratet, Kinder gekriegt, uns mit unterschiedlichen Berufen selbstständig gemacht und wurden erwachsen. Und trotzdem wurden wir innerhalb der Familie immer als das gesehen, was wir ihrer Meinung nach vor vielen Jahren gewesen waren.
Das wirkte sich auch auf unsere Schwesternbeziehung aus: Unser früher sehr enger und tiefer Kontakt wurde lockerer. Die Punkte, an denen wir extrem aneinandergerieten, vergrößerten sich und die Streits wurden heftiger.
Zwei Versuche, uns externe Hilfe zu holen, um zu verstehen, was da gerade mit uns passiert, scheiterten aus unterschiedlichen Gründen. Wir standen uns beide hilflos gegenüber und konnten einander nicht verstehen. Auch worin die Ursache für all das lag, wussten wir lange nicht.
Und dann starb vor einigen Jahren relativ früh unsere Mutter. Unser Familiengefüge geriet ins Wanken, aber das, worauf wir uns verlassen konnten, waren unsere familieninternen Rollen. Unbewusst begannen wir uns wieder so zu verhalten wie als Kinder, was zu weiteren schlimmen Streitsituationen führte. Obwohl wir beide sehr darunter litten und uns alleine mit der Trauer fühlten, schafften wir es nicht, aus diesem Teufelskreis auszubrechen und aufeinander zuzugehen.
Das war der Punkt, an dem uns klar wurde:

„Entweder wir holen uns jetzt Hilfe oder unsere Familie bzw. das, was von ihr übrig ist, zerbricht.“ -

In unserer gemeinsamen Therapie haben wir dann einmal im Monat über eineinhalb Jahre alles ausgesprochen, was uns verletzt, womit wir nicht klarkommen, was uns irritiert. Haben uns angemotzt, die andere nicht verstanden und doch meistens Verständnis füreinander gehabt, haben zusammen geweint, getrennt gelitten und über Wochen außerhalb der Stunden nicht miteinander gesprochen, aus Sorge, das, was langsam am Heilen war, wieder zu zerstören.
Unsere Therapeutin haben wir empfohlen bekommen und sie hat sich schon beim ersten Kennenlerngespräch als für uns passend herausgestellt. Sie hatte uns von Anfang an immer beide im Blick und sich nie auf eine Seite geschlagen. Und sie hat für beide Seiten Verständnis aufbringen können. Ein Vorteil war auch, dass sie schon etwas älter ist und selbst Kinder sowie Enkelkinder hat und daher anders auf uns und unsere Situation schauen konnte.
Von der Therapeutin haben wir keine wirklichen Handlungsempfehlungen oder Tools bekommen, die wir anwenden können. Vielmehr ging es darum, wieder ein gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Das haben wir geschafft, indem wir einander bewusst gemacht haben, wie unterschiedlich unser Aufwachsen in der gleichen Familie war, wie anders unsere Verletzungen ausgesehen und unter welchen Situationen wir gelitten haben. Manchmal zusammen und manchmal für uns allein.

„Und dabei wurde uns klar, dass wir oft nicht als Schwestern miteinander sprechen, sondern aus den zugeschriebenen Rollen miteinander agieren.“ -

Und wie wichtig es ist, diese abzulegen, um wieder frei miteinander umgehen zu können.
Während der Therapie war es manchmal so schmerzhaft, dass wir zweimal dachten, wir schaffen es nicht. Aber nach etwa einem Jahr kam die Ruhe. Nach dem zweiten Mal, an dem wir eigentlich dachten, das war`s, trafen wir nach vier Wochen Schweigen in der Therapie aufeinander und konnten uns auf einmal als Schwestern sehen. Ohne Rollen, sondern als die Menschen, die sich gegenseitig lieben und schätzen. Darum ging`s.
Heute sind wir noch immer dabei, den richtigen Umgang miteinander zu finden, der uns guttut. Das schaffen wir mal besser, mal schlechter. Mal mit viel Nähe und dann wieder mit viel Abstand. Immer ein bisschen die Angst im Hinterkopf, die andere wieder verletzen zu können oder sich selbst zu verlieren im Wunsch, es für die eigene Schwester richtig zu machen. Es ist ein Prozess, der vielleicht auch nie aufhören wird.

„Aber wir schaffen es jetzt, uns schnell zu sagen, wenn wir irritiert sind oder uns etwas verletzt.“ -

Und anders als früher zerstören uns die Diskussionen oder Streits nicht mehr, sondern wir können sie mit Verständnis füreinander lösen. Wir sehen uns wieder als Mensch und nicht als die Rolle, in der wir stecken. Manchmal fühlt sich das noch sehr wackelig und manchmal sehr fest an und doch so viel besser als das, was es war. Und wir haben gelernt uns und unseren Eltern zu verzeihen, die uns die Rollen einst auferlegt haben.
Unser Weg ist sicherlich nicht für alle richtig. Manchmal sind die Fronten so verhärtet, dass man selbst oder die andere Seite keine Lust auf eine Therapie hat. Und es kommt noch hinzu, dass das Wort Therapie in Deutschland so negativ besetzt ist. Oft gilt: Wer eine Therapie macht, hat einen psychischen Knacks, mit der*dem stimmt etwas nicht. So ein Quatsch.

„Ich bezeichne es lieber als Wellness für die Seele.“ -

Auch da kann es genau wie in den Schultern wehtun und Verspannungen lockern wir ja auch gern bei der Massage, warum dann nicht auch seelische Verspannungen lösen? Wir haben unsere Sitzungen deswegen als Paartherapie bezeichnet, weil es genau das war. Wir haben uns als Geschwisterpaar dafür entschieden an uns und mit uns zu arbeiten. In welcher Konstellation man das macht, ist letztlich egal – als Freund*innen, Brüder, als Liebespaar – alles geht.
Was man noch wissen sollte: Eine Paartherapie wird nicht von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen, sondern man muss die Kosten selbst tragen. Deshalb sollte man vor dem Start unbedingt miteinander absprechen, wie die Kosten aufgeteilt werden, damit es im Nachhinein keinen Streit gibt.
Ich bin der Meinung, dass man mit allen Menschen, die einem im Leben wichtig sind und mit denen es im Umgang knirscht, eine Paartherapie machen kann – wenn beide Seiten dafür offen sind. Ich bereue es nicht und bin so glücklich darüber, dass meine Schwester und ich an unserer Beziehung kontinuierlich arbeiten, es lohnt sich.
Eure
Laura

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