Elternsein & Geburt
Mamas, entspannt euch:
Warum stillende Frauen, die sich am Smartphone vergnügen, unsere volle Unterstützung haben.
von Marie Kahle - 05.08.2019
„Sie werden Ihr Kind noch umbringen", schrie mir eine wildfremde Frau auf der Straße entgegen. Sie war wohl der Annahme, dass ich mit Handy in der Hand unmöglich ein schlafendes Baby im Kinderwagen nach Hause schieben könne. Wenn die nur wüsste wie multitasking wir Mütter sein können, pah.
Ich wurde nur beim Spazieren mit Telefon in der Hand abgestraft – Mütter beim Stillen müssen sich auf eine noch strengere Peitsche gefasst machen. Mit Kind an der Brust seinen Instagram-Feed zu checken, gilt als absolutes No-Go und ich bin mir sicher, dass nach "Ich möchte eine gute Mutter sein" auf der Vorhabensliste gleich "Ich möchte meine Aufmerksamkeit beim Stillen ausschließlich meinem Kind schenken" folgt.
Punkt zwei ist jedoch genau wie die meisten Silvestervorsätze nur schwer mit der Realität vereinbar. Kinder trinken nämlich gefühlt 100 Mal am Tag und das Handy wirkt wie eine kleine Unterhaltungs-Insel, auf die man sich aus dem schwammigen Zustand der Stilldemenz retten kann. Doch das Gewissen straft einen schnell als Rabenmutter ab, die sich lieber mit Instagram beschäftigt, als mit ihrem selbsterzeugten Wunderwerk der Natur.
Diese Stimme im Kopf dürfen wir aber ruhig überhören und uns entspannen.
So sieht das auch Autorin, Erziehungsexpertin und Vierfach-Mama Nora Imlau, die in dem nigelnagelneuen Mütter-Ratgeber von Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim "Wow Mom: Der Mama-Mutmacher fürs erste Jahr mit Kind" ein Essay zu dem Thema veröffentlicht hat, das wir hier exklusiv veröffentlichen. Sie plädiert: Schlaf- und Stillzeiten sollten Mütter ruhig für ihre sozialen Kontakte nutzen, sich austauschen und etwas für sich tun. So können beide ihr Akku aufladen: Mutter und Kind.
Viel Spaß beim Lesen! Mit Baby an der Brust oder ohne.
Herzliche Grüße,
Marie
P.S.: Wir werden nicht für diese Geschichte bezahlt. Weil wir aber das Buch nennen, aus dem der Text ist, müssen wir Werbung drüber schreiben. 
»Bevor ich selbst Mutter wurde, stellte ich mir Stillen unglaublich romantisch vor: Mein Baby und ich, innig verbunden, gemütlich aufs Sofa gekuschelt, einander anlächelnd. Wie man das eben so in der Werbung sieht. Umso überraschter war ich von der Still-Wirklichkeit nach der Geburt meines ersten Kindes. Allein, wie viel Zeit die ständigen Stillmahlzeiten kosteten! Gefühlt stand ich den halben Tag als Milchbar zur Verfügung und die andere Hälfte des Tages am Wickeltisch oder trug meine kleine Tochter im Tragetuch herum. Zeit für mich? Hatte ich kaum.
Und die Momente inniger Verbundenheit beim Stillen gab es zwar, aber nicht ständig. Meist hatte mein Baby beim Trinken die Augen geschlossen, und mein liebevoller Blick wanderte sehnsüchtig zur ungelesenen Tageszeitung neben mir. Doch sobald ich sie in die Hand nahm, dockte meine Kleine ab und weinte, gestört vom Rascheln des Zeitungspapiers. Oft wartete ich ungeduldig und genervt darauf, wann mein Kind endlich von der Brust ablassen würde, und so manches Mal beendete ich eine Stillmahlzeit selbst, obwohl meine Kleine gern noch länger getrunken hätte – ich hielt das stundenlange Genuckel, das mich wie festbetoniert auf dem Sofa gefangen hielt, einfach nicht mehr aus. Trotzdem habe ich meine Tochter lange und im Großen und Ganzen auch gerne gestillt. Doch

„die Zeit für mich fehlte mir sehr.“ -

Die Stillzeit mit meiner zweiten Tochter verlief nicht viel anders – nur, dass ich zusätzlich zu meinem Baby noch ein flinkes Kleinkind um mich herumtoben hatte. Also: noch weniger Ruhe. Noch weniger Me-Time. Mein Zeitungsabo hatte ich ohnehin schon längst abbestellt. Mein drittes Kind kam dann im Smartphone-Zeitalter zur Welt. In unserer modernen Gegenwart also, in der Hebammen und PolitikerInnen öffentlichkeitswirksam beklagen, dass die jungen Mütter ja nur noch in ihre Handys schauen statt auf ihre Kinder, und in der groß angelegte Plakatkampagnen Smartphone-Eltern ein schlechtes Gewissen machen wollen: »Heute schon mit Ihrem Kind gesprochen?« Mich ärgert diese Verteufelung von Handys in Mütterhänden auch deshalb, weil ich selbst erlebt habe, was für einen Unterschied so ein Smartphone gerade in der Stillzeit machen kann. Denn mein drittes Baby trank nicht weniger gern und viel und lang an meiner Brust als seine großen Geschwister. Doch gelangweilt oder genervt war ich dabei so gut wie nie.
Warum auch? Ich hatte ja mein Handy jederzeit griffbereit in der Hosentasche, und damit einen Schlüssel zu Unterhaltung und Entspannung, wo immer ich auch war. Sogar ein Zeitungsabo schloss ich wieder ab – nur eben diesmal in digitaler Form, so dass ich ohne störendes Papiergeraschel spannende Texte lesen konnte, während mein Kind sich gemütlich an meiner Brust in den Schlaf nuckelte. Ob es dazu eine halbe Stunde brauchte oder eine ganze, war mir ziemlich egal: Ich hatte ja was zu tun. Und: Ich war bei den langen Still-Sessions plötzlich nicht mehr allein.
Denn während ich mich während der Babyjahre meiner ersten beiden Kinder oft ziemlich einsam gefühlt hatte in meinem Mama-Alltag, habe ich mit meinem Handy in der Hand plötzlich meinen ganzen Freundeskreis in Reichweite. Ich konnte Nachrichten schreiben, Fotos verschicken, chatten, scherzen, Frust ablassen. Und über soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Instagram habe ich sogar neue Freundschaften geschlossen, mit anderen Eltern, die ähnlich ticken wie ich. Mit manchen von ihnen treffe ich mich heute noch abends zum virtuellen Lagerfeuer, während wir unsere Kinder in den Schlaf begleiten. Das Handy im Nacht-Modus in der rechten Hand, im linken Arm das müde, kuschelbedürftige Kleinkind – so bekommen alle, was sie brauchen: Verbindung und Nähe, Austausch und Freiheit.
Als Stillberaterin und Mutter kann ich deshalb nur den Kopf schütteln über die pauschale Smartphone-Schelte, die junge Eltern heute durch die Baby- und Kleinkindzeit ihrer Kinder begleitet. Denn meine Erfahrung ist: Kaum eine junge Mutter hält heute den Alltag mit ihrem Baby oder Kleinkind allein zu Hause durch, ohne regelmäßig in ihr Handy zu gucken.Und fast alle haben deshalb Schuldgefühle. Dabei ist es das Natürlichste auf der Welt, sich nach Unterhaltung und Austausch zu sehnen. Ein Smartphone kann ein wunderbares Werkzeug sein, diese Bedürfnisse zu erfüllen.

„Wichtig ist nur, dass unser Handykonsum nicht der Verbindung zu unserem Kind im Weg steht.“ -

Wenn das Baby beim Stillen den Blickkontakt sucht und nur den leeren Gesichtsausdruck seiner Mutter hinter dem Handybildschirm entdeckt, läuft etwas schief. Genauso, wie wenn der Zweijährige auf dem Spielplatz weinend vor seinem Papa steht und der es kaum schafft, sich von seinem Blackberry zu lösen. Doch das ist die Ausnahme, nicht die Regel. Die allermeisten Eltern, die ich im Alltag erlebe, sind unglaublich aufmerksam und liebevoll und zugewandt. Sie spielen und singen und schmusen mit ihren Babys, sie erwidern ihren Blick und spiegeln ihr Lächeln. Und ab und zu, wenn ihr Kleines ohnehin gerade mit sich beschäftigt ist, genießen sie eine kleine Auszeit mit ihren Handys in der Hand.
Beim Stillen ins Smartphone zu gucken mag nicht dem romantischen Bild vom Muttersein entsprechen, das viele von uns in sich tragen. Doch anstatt deshalb Smartphone-Mütter zu verurteilen, ist es vielleicht an der Zeit, dem Bild der guten, liebevollen Mutter ein Update zu verpassen: Wer sich liebevoll um sein Kind kümmern und dabei sich selbst nicht vernachlässigen will, dem hilft in der heutigen Zeit dabei eben manchmal auch ein Smartphone. Das mag gewöhnungsbedürftig sein – falsch oder verwerflich ist es deshalb noch lange nicht. Denn die Liebe, das Vertrauen, die ganz besondere Verbindung zwischen Müttern und ihren Kindern – die nimmt an einer gelegentlichen Selfcare- Auszeit per Smartphone garantiert keinen Schaden."

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