Verreisen & Natur
Die neue Art des Urlaubs:
So war unser Wohnungstausch mit einer Familie aus Palma/Mallorca. Oder: Die Muterweiterung.
von Stefanie Luxat - 19.07.2016
„Nächstes Mal buchen wir wieder ein Hotel!!!“ Zwanzig, wenn nicht dreißig Mal habe ich diesen Satz geflucht. An dem Tag vorm Abflug nach Mallorca. Als ich schweißgebadet mit meiner Freundin und meinem Mann die Wohnung schrubbte. Inklusive Kühlschrank, Badezimmerschränke, Backofen, Balkon und Fenster. Alles, was man im Alltag gern hinten anstellt, aber Fremden auf den ersten Blick gute oder eben nicht so gute Gefühle bereitet.
„Nächstes Mal buchen wir wieder ein Hotel!!!“, fluchte ich auch, als die Spülmaschine plötzlich ihren Geist aufgab, das große Gemüsefach beim eiligen Putzen aus dem Kühlschrank fiel und auf dem Boden zersplitterte. Als mein Mann mit einem Freund Betten quer durchs Viertel trug für die Kinder der Tauschpartner. Bei den Nachbarn der Trockner für uns lief, weil wir vergessen hatten, Bettlaken für die geliehenen Betten zu besorgen und zu waschen. Oma und Opa extra anreisten, um die Kinder zu hüten, damit das, was wir endlich ordentlich hatten, nicht wieder ins Chaos abglitt. Wir mitten in der Nacht unsere Kleider- und Küchenschränke freiräumten für die Sachen der Gäste, die Koffer packten und eine Anleitung schrieben, wie was in unserer Wohnung funktioniert und wo was zu finden ist.
Das mache ich nie wieder, schwor ich mir. Nie, nie wieder!
Heute, eine Woche nach der Rückkehr, weiß ich: Genau so und nicht anders möchte ich in den nächsten Jahren verreisen. Dies war einer der bisher besten Urlaube meines Lebens mit Kindern.

„Aber was, wenn ich mich nachher vor unserer Wohnung ekel, weil hier andere geschlafen, geduscht und gepupst haben?“ -

Was, wenn Dinge, die mir wichtig sind, kaputt gehen oder nicht mehr so schön sind wie vorher? Was, wenn die Tauschpartner Betrüger sind und wir auf Mallorca landen und es gar kein Haus unter der Adresse gibt und sie bereits in Ruhe unsere Bude ausgeräumt haben?
Die Anfrage über die Online-Community für Wohnungs- und Haustausch-Willige und Designliebhaber behomm.com kam recht kurzfristig. Arina, eine Illustratorin und zweifache Mutter, fragte, ob wir Lust hätten, für zwei Wochen oder länger ihre 200qm-Wohnung in Palma/Mallorca mit Garten und Pool gegen unsere Wohnung (100qm) zu tauschen.
Ich hatte mich in der Online-Community angemeldet, als ich für eine Zeitschrift einen Artikel über das Thema schrieb. Ob ich das selbst je wirklich umsetzen würde, so einen Tausch, darüber hatte ich bisher nicht konkret nachgedacht. Ich bin manchmal etwas eigen mit meinen Sachen. Nur wenig ist mir wichtig, aber das dann sehr. Ich ekel mich schnell vor Dingen, mag es gern ordentlich und gut riechend, auch wenn bei uns mit den zwei kleinen Kindern natürlich oft Chaos herrscht. Im Bett von wildfremden Menschen schlafen? Die auf unserer Matratze?
„Aber in einem Hotel sabbern doch viel mehr fremde Menschen in ein einziges Kopfkissen, als wenn ihr mit nur einer Familie tauscht!“, sagte meine Freundin, als ich ihr von meinen Zweifeln erzählte. Sie vermietet häufig ihre Wohnung, wenn sie auf Reisen ist und gab mir wertvolle Tipps. Mein Bettzeug könnte ich ja auch einfach verstecken, den Gästen anderes geben. Dinge, die mir wirklich sehr am Herzen liegen würden, könnte ich doch in einen abschließbaren Raum oder zu Freunden bringen. Und ich sollte einfach immer daran denken, wie viel man sparen würde: mal locker um die zweitausend Euro und mehr.
Ich sagte zu und verdrängte meine Zweifel.

„Ich dachte: sei doch mal wieder mutig. So wird ein stinknormaler Urlaub plötzlich zu einem Abenteuer.“ -

Erst als ich ein paar Wochen später auf Mallorca in der Wohnung der Tauschpartner stand und drei Mal nacheinander sagte: „Oh Gott, ist das schön hier!“, „Oh Gott, ist das toll!“, merkte ich, wie angespannt ich vorher gewesen war. Unsere Tochter Ruby raste in das Kinderzimmer und war im Glück. Sie freute sich über jedes einzelne Spielzeug, den Pool, das große Trampolin im Garten, die Skateboards auf der Terrasse, einfach alles war für sie neu und aufregend. Mein Mann verliebte sich sofort in den Pool, ich mich in die große Küche, wir hatten zum ersten Mal einen „eigenen“ Garten.
Wir spielten Hausbesitzer, von den Mietern über der Wohnung bekam man nichts mit, es fühlte sich an, als hätten wir ein eigenes, kleines Haus und es machte verdammt viel Spaß. Wir fühlten uns nicht im Urlaub, wir fühlten uns Zuhause, von der ersten Sekunde an. Ich schämte mich etwas für meine Horrorszenarien und Gedanken im Kopf vor der Abreise.
„Alles gut bei euch? Wir sind super happy hier!,“ schrieben unsere Tauschpartner, die in unserer Wohnung gelandet waren. Wir antworteten das Gleiche und gingen direkt einkaufen. Dabei mussten wir nicht wie in anderen Urlauben erst durch die Gegend irren und Supermarktschlappen hinnehmen, nein, die Tauschpartner hatten genau wie wir eine Liste mit Best-Of-Tipps für die Umgebung hinterlassen. Wo man einkaufen, frühstücken und Essen bestellen kann. Welche die besten Strände mit Kindern sind, wo sich tolle Spielplätze verstecken. Sie hatten uns sogar ein Reisebett und einen Hochstuhl besorgt, Spielzeug, das für ihre Kinder gar nicht mehr altersgerecht war, für unsere wieder herausgekramt und sie stellten uns eine Flasche Wein hin.
Wir taten das Gleiche. In meinem Stress hatte ich ihnen die einzige Rotweinflasche, die ich auf die Schnelle finden konnte, hingestellt. „Die für 600 Euro?“, fragte mein Mann ganz trocken, als ich ihm auf Mallorca davon erzählte. „Was soll’s, die hat mir ein Mandant für einen besonderen Moment geschenkt, aber den haben wir ja gerade auch.“.
Zu den Regeln bei Behomm gehört, dass die Tauschpartner sich vor Abreise gegenseitig ein Agreement ausfüllen. Darin werden Daten, wer die Schlüssel übergibt et cetera festgehalten, aber auch Punkte wie, welche Dinge einem besonders wichtig sind und auf was geachtet werden sollte. Empfindliche Flächen, zerbrechliches Zeug.

„Der Wohnungstausch kostete mich Mut und ich wurde reichlich belohnt, dass ich mich etwas getraut hatte.“ -

Wie wenn ein Kind sich erst nicht traut, irgendwo runterzuspringen, sich doch überwindet und als Belohnung mit Superheldengefühlen durchflutet wird. Es hatte eine Muterweiterung bei mir stattgefunden, es war plötzlich mehr Platz im Kopf für neue Erfahrungen. Und es kam eine schöne, neue Idee nach der anderen vorbei, wie man den  zusätzlichen Raum füllen könnte.

Das Gute an so einer Seite wie Behomm, bei der sich Menschen mit ähnlichem Geschmack anmelden können, dass man in so vielen Dingen ähnlich tickt. Der Nachteil: nicht jeder darf rein. Man braucht eine Einladung oder kann sich bewerben, Designliebhaber werden genommen, die im Kreativbereich arbeiten. Aber natürlich kann man auch über viele andere Seiten im Netz solche Tauschaktionen organisieren, bei Haustauschferien.com zum Beispiel, da fehlen mir bisher nur noch die Erfahrungswerte. Aber Freunde berichteten Gutes und was ich dort beim kurz vorbeischauen fand, sah auch sehr gut aus.

„Was ebenfalls sehr angenehm war: wir kehrten mit sauberer Wäsche nach Hause zurück.“ -

Kein Koffer voller Dreckwäsche und Wäscheständer in der Wohnung für die nächsten drei Wochen. Wir wuschen einfach immer mal wieder im Urlaub, weil es die Möglichkeit dafür gab und mussten es so nicht mehr Zuhause.
Unsere Tauschpartner kamen spontan einen Tag früher zurück nach Mallorca, weil etwas mit ihren Rückflügen nicht wie angedacht geklappt hatte. Als wir dann abends von einem Ausflug spät wiederkamen, waren sie bereits Zuhause. Und klar, das war für einen Moment etwas seltsam. Wir bewegten uns nicht mehr ganz so frei wie vorher. Aber die Herzlichkeit, mit der sie uns empfingen, mit der Vorfreude der Kinder aufeinander und die Neugierde wie bei einem Blind Date, wurde es eine sehr lange Nacht voller Lachen und lustigen Anekdoten.
Und weil wir die Tauschpartner so mochten, verschwand plötzlich auch meine Sorge vor der Heimkehr. Die Frage, ob ich mich ekeln würde vor meinem eigenen Zuhause, war weg. Ich mochte diese Menschen, ich freute mich, dass sie in unserer Wohnung zu Gast gewesen waren und war ihnen unglaublich dankbar, dass sie uns ebenfalls einen so schönen ermöglicht hatten. Na gut, ich hab trotzdem kurz die Luft angehalten, als ich zurück in unsere Wohnung kam. Aber bereits nach dem ersten Blick war klar, alles in Ordnung. Mission geglückt. Sich etwas zu trauen wird nach wie vor belohnt. Mit Superheldengefühlen und in diesem Fall: neuen Freunden in der Ferne.

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