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Statt für andere zu performen, fordert Alexa von Heyden: ich zuerst!
Jahrelang habe ich sowohl bei Restaurantbesuchen als auch beim Sex den gleichen Fehler gemacht: Ich habe nicht gesagt, wenn’s mir nicht geschmeckt hat. Aus Angst, die Gefühle des Kellners oder des Mannes zu verletzen, zahlte ich die versalzene Pasta oder schlief ohne Orgasmus ein. Es hat lange gedauert, bis ich zumindest an einem Punkt etwas verändert habe.
Als Lifestyle-Journalistin habe ich für Frauenmagazine immer wieder die gleichen Texte geschrieben: wie Frauen es den Männern am besten besorgen. Es ging dabei immer um das Vergnügen der Männer: wie man sie beim Blowjob rasend macht, wie beim Doggy-Style mit dem Finger die Prostata stimuliert werden kann und dass man als Partner*in nicht nur den steifen Penis, sondern ruhig auch mal die Hoden in den Mund nehmen sollte.
Auch ich habe den Orgasmus meines Partners immer an erste Stelle gesetzt. Wenn er gekommen war, war der Sex zu Ende. Fragen wie „Bist du auch gekommen?“ oder „War das schön?“ wimmelte ich mit einem Kuss und „Ja klar“ ab. Als junge Frau fehlte mir die Sprache für das, was mich anmacht. Wie im Restaurant wollte ich niemanden mit meiner Kritik vor den Kopf stoßen und behielt sie deshalb lieber für mich. Vor allem hatte ich Angst, dass am Ende einer hinter meinem Rücken über mich geredet und gesagt hätte, ich sei nicht gut im Bett.
„Bis ich Mitte 20 war, habe ich geglaubt, dass ich beim Sex mit einem Mann einfach nicht kommen kann.“ -
Klar, manche Kerle machten sich schon die Mühe, dass auch bei mir was geht. Aber das war oft an der falschen Stelle, zu grob oder so offensichtlich von Pornos inspiriert, dass ich lieber die Beine breitmachte, als mich lecken zu lassen. Meinen Körper gab ich hin wie ein Mietauto, mein Innerstes blieb aber unberührt.
Als ein neuer Partner mich zuerst befriedigen wollte, war ich perplex. Ich war es nicht gewöhnt, dass nicht nach ein paar Minuten Rummachen gevögelt wurde. „Du zuerst“, sagte er. Ich dachte echt, der Typ will mich verarschen. Ich ließ ihn machen, aber es dauerte ewig, bis ich mich fallen lassen konnte. Er ließ sich nicht davon ablenken und erinnerte mich mit seiner Konzentration und Hingabe an mich selbst, die so viele Male eisern ihre Performance durchgehalten hatte, damit der Mann kommen konnte.
Aber jetzt war ich an der Reihe. Es war Payback-Time und ich schrie vor Lust. Erst nach meinem Orgasmus schliefen wir miteinander. Der Sex war so viel intensiver für mich. Beim nächsten Mal sagte ich gleich vorweg: „Ich zuerst.“ Seitdem mache ich es immer so.
Im Nachhinein ärgere ich mich natürlich, dass ich nicht früher etwas zu den anderen Männern gesagt habe, denn ich bin mir sicher, dass manch einer meine Manöverkritik angenommen hätte. Ich hätte mir so viele Male unbefriedigenden Sex sparen können. Mir, aber auch ihnen.
Unsere Leserin hatte gerade ein Jahr der Leidenschaft. Schlief mit so vielen Männern wie nie zuvor.
Homeoffice – das ist im letzten Jahr für viele zum Alltag geworden. Einer meiner Arbeitstage zuhause hob sich allerdings ab. Der Mann, den ich nicht allzu lange zuvor kennengelernt hatte, schrieb mir pünktlich zur Mittagspause: „Ich komme jetzt. Mach die Haustür einen Spaltbreit auf. Verbinde deine Augen, leg dich aufs Bett und warte.“
Es war unser drittes Date. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt längst, dass er dominant war, und hatte mich bereitwillig darauf eingelassen, seine Sub zu sein, mich ihm also unterzuordnen. Er hatte mir in unseren Nachrichten auf einer Dating-App von seinen Vorlieben erzählt. Ich wurde neugierig und fand die Vorstellung aufregend, BDSM auszuprobieren – nach klaren Regeln und Vorschriften. Das Tempo bestimmte ich, gab mich aber allem hin: den Augenbinden, den Seidentüchern zum Fesseln, dem Vibrator.
„Für diesen Mann war die größte Befriedigung, mich zum Orgasmus zu bringen. Bei unserem zweiten Treffen gleich fünf Mal.“ -
Es war eine vollkommen neue Erfahrung. Elektrisierend. Berauschend. Und doch ist dies kein „Fifty Shades of Grey“ aus der Pandemie. Unsere Liaison endete bald nach diesem Treffen einvernehmlich. Ich wollte mich nicht darauf einlassen, meine Arbeitstage seinen Befehlen unterzuordnen. Für ihn ging damit die Spannung verloren. Ich hatte trotzdem längst gewonnen. Auch an der BDSM-Erfahrung. Was ich 2020 aber vor allem gelernt habe, ist, meine körperlichen Bedürfnisse auszuleben und zu befriedigen. Es war ein Jahr der Leidenschaft: Ich habe mit so vielen Männer geschlafen wie nie zuvor.
Wie ist das inmitten einer Pandemie möglich? Dating hat sich durch Corona tatsächlich verändert. Dazu gleich. Zuvor hatte ich mich aber schon physisch entwickelt – und damit neues Selbstbewusstsein gewonnen. Anfang 2020 war ich frisch getrennt und entschied, meinen Körper zurückzuholen, der mir in einer zweijährigen, destruktiven Beziehung abhandengekommen war. Ich änderte meine Ernährung und trieb regelmäßig Sport, der dann im Lockdown und der Selbstisolation zu meinem Lifesaver wurde. Ich fühlte mich wieder wohl mit mir und damit kam die Lust auf Dating und Sex zurück. Das Kennenlernen in Zeiten von #stayathome gelang dank Tinder und Bumble. Nach gefühlt 3.000 Swipes nach links hatte ich auf einmal drei interessante Matches. Aus denen wurden innerhalb von fünf Tagen fünf Dates mit drei Männern – es war die aufregendste Woche des Jahres. Zur Erklärung: Es war im Spätsommer, als die Infektionszahlen sehr niedrig waren. Außerdem machte und mache ich regelmäßig Coronatests.
Mit den kälteren Temperaturen stiegen die Infektionszahlen und ich traute mich erst einmal nicht mehr, fremde Menschen zu treffen. Aber je länger der zweite Lockdown dauerte, desto mehr sehnte ich mich nach Berührungen und Sex. Ich wusste ja jetzt, was es zu vermissen gab. Also fing ich wieder an zu swipen. (Funfact: Einige Männer hatten in ihren Dating-App-Profilen angegeben, dass sie einen negativen Coronatest haben.)
Dating im Winter ist hart – Dating im Coronawinter ist noch härter. Wohin geht man, wenn alles, wirklich alles geschlossen hat? Erstes Treffen: spazieren gehen. Fast alle meine zweiten Dates fanden bei mir zuhause zum Kochen oder Weintrinken statt. Meist landeten wir nach dem Essen auf meiner Couch.
„Wenn es gut lief: Knutschen, Ausziehen, Fummeln. Wenn das gut lief: Sex.“ -
Corona führte dazu, dass ich deutlich schneller mit Männern geschlafen habe, als ich es früher getan hätte. Dadurch, dass wir uns auf meinem Terrain trafen, fühlte ich mich immer wohl und es fiel mir beim Sex dadurch deutlich leichter, mich fallen zu lassen. Mehr noch als die gewohnte Umgebung gaben mir die Dates die Bestätigung, aus meiner Komfortzone auszutreten: Sie fanden mich begehrenswert. Meine Wirkung auf andere für mich zu nutzen, stellte sich als verdammt sexy heraus.
Bezeichnenderweise fand ich nicht einmal alle der Männer attraktiv, mit denen ich Sex hatte. Meine BDSM-Eroberung etwa, bei dem ich keineswegs dachte: Ach, was bist du toll. Ihn umwerfend zu finden, war nicht entscheidend. Der Sex zwischen uns war eine körperliche Transaktion – mit Gewinn für uns beide.
Das gängige Klischee lautet: Guter Sex ist nur möglich, wenn zwischen den Partner*innen emotionale Nähe besteht. Guter Sex ist aber auch dann möglich, wenn man sich selbst die Nächste ist. Ich weiß schon lange, was passieren muss, damit ich zum Orgasmus komme: zeitgleiche Penetration und äußere Stimulation. Nur hätte ich mich früher nicht sofort getraut, das den Männern auch zu sagen, sondern erst mal abgewartet, ob sie eventuell selbst auf die Idee kommen. Die Intensität der Treffen gab mir den Impuls, nicht lange zu fackeln. Ich führte ihre Hand einfach zu meiner Klitoris oder nahm meine eigene und sorgte selbst für mein Glück. Fast alle Männer fanden diese Selbstbestimmtheit heiß – und haben es beim nächsten Mal automatisch gemacht.
Wenn man das Kennenlernen sofort über Sex definiert, besteht die Chance, oder auch die Gefahr, dass es rein körperlich bleibt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass es mehr wird. Jetzt date ich seit ein paar Wochen jemanden, mit dem ich erst beim dritten Treffen geschlafen habe – der Sex war der Wahnsinn, der Kaffee im Bett am Morgen danach noch besser und auch wenn daraus etwas Komplexeres werden könnte als mit den anderen Männern, höre ich nicht auf zu sagen, worauf ich stehe. Es läuft gut. Mal sehen. Einen Frühling der Leidenschaft kann ich ja vielleicht auch mit ihm erleben.
Steffi befindet sich im Trennungsjahr mit ihrem Vibrator, bringt sich lieber wieder selbst zum Beben.
Meine Klitoris hatte eine Saugverwirrung. Die Mütter unter euch werden jetzt wahrscheinlich wissend mit dem Kopf nicken bei dem Wort. Schnuller, Trinkflaschen – alles außer der Mutterbrust kann (angeblich) bei Kindern zu Verwirrungen führen im Saugverhalten.
Das kann einem mit der Klitoris und Vibratoren auch passieren. In den vergangenen sechs Jahren, als ich so wenig Zeit für Sex und Selbstbefriedigung hatte wie zuvor noch nie in meinem Leben, war ich dankbar über alles, was sich überhaupt in die Richtung anbot. Meist gehörte das eher in die Fast-Food-Ecke als in den Gourmetbereich. Es musste schnell gehen, da ich (oder mein Partner) sonst vorher einschlief oder eins der Kinder dazwischenfunkte.
Als ich also auf dem Höhepunkt der wenigen Zeit für mich war, steckte in der Goodie Bag eines Events ein Womanizer. Bei der Ausgabe der Goodie Bags hatte ich diverse Frauen tuscheln und freudig aufjauchzen gehört, als sie ihn sahen. Also probierte ich ihn direkt im Hotel aus. Und halleluja:
„Dieses Ding saugte tatsächlich so präzise an der Klitoris, dass ich direkt in den Orgasmus-Orbit geschossen wurde.“ -
Wir wurden sehr, sehr gute Freundinnen für die nächsten Wochen, Monate, ach, Jahre. Wann immer sich eine Gelegenheit bot, war ich dankbar für die effiziente Reise und den garantierten, entspannenden Orgasmus. Gern auch in Verbindung mit Partner.
Doch irgendwann, wahrscheinlich hatte ich wieder mehr Zeit zum Nachdenken, vermisste ich etwas. Diese Orbit-Orgasmen waren nett, aber sie waren irgendwie anders als die, die ich früher ohne hatte. Irgendwie waren die ganzheitlicher, tiefer, es ist schwierig zu beschreiben, aber sie waren früher erfüllender. Und es störte mich, dass ich zunehmend abhängig wurde von dem batteriebetriebenen Ding, im Gegenzug die Wirkung aber nachließ, je öfter ich es benutzte. Meine Klitoris schien überreizt.
Also ging ich auf Entzug und wie bei allem, von dem man abhängig geworden ist, war das gar nicht lustig. Ich dachte irgendwann ernsthaft, ich bekäme es nicht mehr hin, ohne dieses Gerät noch eine gute Zeit zu haben. Dabei hatte ich nur vergessen, völlig uneffizient Sex zu haben. Mir wirklich richtig schön viel Zeit zu nehmen, auch mal wieder ganz alleine. Nicht immer nur die Klitoris zu malträtieren, damit auch ja die Aktion nicht ohne Ergebnis blieb. Nein, ich begab mich endlich wieder auf Reisen. So, wie ich es als Single oft auch einfach aus Langeweile getan hatte und dabei die schönsten Stellen entdeckte. Irgendwann war die Verwirrung ade und dieses besondere Gefühl von früher wieder da. Dieses Beben. Dieses Beben, das den ganzen Körper mit großen Wellen durchzieht und einen laut schreien lassen will. Oder glücklich kichern.
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