Job & Finanzen
Quiet Quitting
Nur mit minimalem Einsatz arbeiten wie die Gen Z? Ninia LaGrande hat überlegt, ob das auch etwas für sie wäre.
von Ninia „LaGrande“ Binias - 01.02.2023
Die Audiodatei gibt es hier als Download.
   
„Es ist erstaunlich, mit welchen Forderungen die jungen Leute in den Vorstellungsgesprächen sitzen!“ Als dieser Satz fällt, befinde ich mich nicht in einem Vorstellungsgespräch, sondern bei einem Lunch mit vielen erfolgreichen Frauen. Mir gegenüber trinken eine Managerin und Unternehmensberaterin und die CEO der DACH-Region eines großen deutschen Unternehmens ihre Espressi. Sie unterhalten sich über die Personalsuche, die sich – so viel kann ich raushören – vor allem in den letzten drei Jahren sehr schwierig gestaltet. „Junge Uniabsolventen sitzen vor dir und haben eine Latte an Forderungen: Homeoffice, 30-Stunden-Woche, freie Wochenenden, keine Mails nach Feierabend, Versorgung mit Essen und Getränken am Arbeitsplatz, am besten noch Kinderbetreuung und einen Pool …“, beide Frauen schütteln einvernehmlich den Kopf und rollen die Augen.
Klingt doch gar nicht übel, denke ich. Und erinnere mich an meine ersten Vorstellungsgespräche, in denen ich gefragt wurde, wann ich wieder hohe Schuhe anziehen könne (ich lief zu dem Zeitpunkt nach einer OP an Krücken) und welche Farbe die Wände meines Wohnzimmers hätten. Und ich erinnere mich, wie ich all diese Fragen ernst nahm und beantwortete, nur um – bitte, bitte – diesen Job hier haben zu dürfen. Gen Z, wie die zwischen 1997 und 2012 Geborenen gerne genannt werden, betteln nicht. Sie stellen Ansprüche. Sie sehen sich selbst als das Maß der Dinge.

„Aus „Danke, wir melden uns bei Ihnen!“ ist heute „Ich melde mich bei Ihnen!“ geworden.“ -

Sich nicht mehr, wie die Generationen vor ihnen, für den Arbeitgeber oder das Unternehmen komplett aufzureiben oder die eigene Existenz nicht mehr über die Lohnarbeit zu definieren, ist ein neues Phänomen der Gen Z. Sie können sich aufgrund des Fachkräftemangels aussuchen, für wen und unter welchen Bedingungen sie arbeiten wollen. Und sie sind sehr darauf bedacht, ihr persönliches Leben vom Arbeitsleben zu trennen. Aus Work-Life-Balance oder gar einer Work-Life-Kombi (mit dem Laptop auf den Spielplatz) wird eine strikte Work-Life-Separation.
Nur noch den Anforderungen gemäß zu arbeiten, nur noch die Pflicht zu erfüllen, nur noch – wie sagt man so schön – so hoch zu springen, wie ein gutes Pferd es eben tun muss, das nennen wir heute „Quiet Quitting“. Die stille Kündigung hat wenig mit einer realen Kündigung zu tun. Der Begriff beschreibt vielmehr, wie sich Menschen nicht mehr so stark wie früher mit ihrem Arbeitgeber identifizieren. Sie tun nur das, was sie auch tun müssen.
Nine to five, keine Überstunden, keine Mails nach dem Feierabend oder am Wochenende, kein „Kannst du noch mal schnell?“ nur für die Karriere. Dienst nach Vorschrift – also so, wie wir es schon seit Jahrzehnten aus den alten Witzen über Beamte kennen?!
Den Begriff berühmt gemacht hat der junge Ingenieur Zaid Khan – natürlich mit einem Tiktok, wie es sich für diese Generation gehört. Er sagt: „Du erfüllst immer noch deine Pflichten, aber du folgst nicht mehr der Mentalität der Hustle Culture, dass dein Job dein Leben sein muss.“ Und er sagt auch:

„„Dein Wert bemisst sich nicht an deiner Produktivität.““ -

Autsch! Vor allem der zweite Satz haut bei mir voll rein. Dein Wert bemisst sich nicht an deiner Produktivität. Ich weiß das. Eigentlich. Ich kann trotzdem nur schwer eine halbe Stunde auf dem Sofa sitzen und gar nichts tun. Geschweige denn den ganzen Tag so verbringen und nichts – absolut nichts – Produktives machen. Was also kann ich von Zaid und der Gen Z lernen? Kann ich Quiet Quitting?
Dafür müssen wir uns erst anschauen, wie Quiet Quitting überhaupt ein Ding werden konnte. In den letzten drei Jahren, also während der Pandemie, haben sehr viele Menschen tatsächlich gekündigt, und das nicht nur quiet, sondern ganz real. Laut einer Befragung von Robert Half, einem Anbieter für Personalvermittlung und Talentlösung, kündigen bei jedem fünften Arbeitgeber mehr als vor der Pandemie. In den USA ist die Kündigungswelle so groß, dass sie inzwischen als „The great resignation“ bekannt ist.

„Die große Resignation traf die Leute, als sie zuhause im Homeoffice saßen und sich fragten, ob es das jetzt ist.“ -

Weil ihnen möglicherweise dank der sozialen Kontakte bei der Arbeit nie aufgefallen ist, wie langweilig ihre eigentliche Arbeit ist. Ob sie für immer diesen Job machen wollen, ob dieser Job sie ausmachen soll. Oder ob da irgendwo vielleicht noch etwas anderes wartet. Unter den gleichen Bedingungen in einem anderen Unternehmen arbeiten? Auch das kommt nach solchen Überlegungen nicht mehr infrage.
Moment mal! Ich kenne diese Gedanken. Sie waren der Grund, mich vor vielen Jahren selbstständig zu machen. Vorher war ich angestellt und hauptsächlich im Bereich Social Media und Online-Marketing unterwegs. Und ich war unterfordert. Meine Aufgaben hatte ich täglich innerhalb von zwei, drei Stunden erledigt. Danach schrieb ich prosaische Texte, lief in der Küche herum, stand am Kicker (was für ein Klischee!) und versuchte, die Zeit bis zu meinem Feierabend totzuschlagen.
Denn – und das dachte ich damals – so macht man das. Die Stunden im Arbeitsvertrag müssen abgesessen werden. Wer noch am Schreibtisch sitzt, wenn der Vorletzte das Licht ausmacht, gilt als fleißig – ob er Kampagnen plant oder Solitaire spielt, ist dabei unwichtig. Was hätte ich alles tun können in der Zeit, in der ich mich im Büro heimlich gelangweilt habe! Ein Ehrenamt ausführen, Solitaire zuhause spielen, Romane lesen ... die Möglichkeiten sind unendlich. Also Selbstständigkeit!
Um auf Zaid Khan zurückzukommen, von der Hustle Culture konnte ich mich als Selbstständige nicht verabschieden, im Gegenteil. Das war und ist mir aber auch bewusst. Und es macht mich glücklich, über meine Zeiteinteilung, meine Auftraggeber und meine Arbeitsplätze selbst bestimmen zu können. Ich arbeite jetzt zwar wesentlich mehr als vorher, aber eben auch nur für mich.

„Alles, was ich tue, zahlt auf mein Konto und damit auf ein angenehmes Leben ein.“ -

Ich muss trotzdem immer wieder aufpassen, dass es nicht zu viel wird. Dass ich mich mental und körperlich nicht übernehme. Ich bin meine einzige Mitarbeiterin und um die Gesundheit von Mitarbeiter*innen muss man sich sehr gut kümmern, damit der Laden läuft. Quiet Quitting kommt für mich persönlich aber nicht infrage – ich wäre schön dumm, gegen mich selbst zu rebellieren und nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen (die es in der Selbstständigkeit auch nur von Seiten des Finanzamtes gibt).
Warum ist die Selbstständigkeit für Quiet Quitter also keine Option? Weil es für sie nicht darum geht, sich selbst über die Arbeit zu verwirklichen, sondern überhaupt sie selbst zu sein. Zeit zu haben. Für die Familie, für Hobbys, für Reisen, für Literatur und Theater oder nur dafür, mit einem Podcast auf den Ohren auf einer Parkbank zu sitzen. Die Jüngeren haben im Zweifel gesehen, wie sich ihre Eltern und Großeltern kaputt gearbeitet haben. Sie kennen das Narrativ von der sterbenden Person, die nie als Allerletztes sagen würde: „Hätte ich mal mehr gearbeitet!“ Sie wollen mehr vom Leben, als am Laptop zu sitzen, zwischendurch Kinder abzuholen, Wäsche zu waschen und dann kaputt ins Bett zu fallen. Und ich bin ehrlich – mit einem Podcast auf einer Parkbank zu sitzen, hört sich auch für mich sehr verlockend an.
Außerdem hat die Gen Z nichts mehr von dem Leistungsversprechen, das für die Generation meiner Eltern, der Baby-Boomer, durchaus noch eingelöst wurde: Wer viel arbeitet, hat etwas davon. Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen. Zumindest Ersteres ist für Leute unter dreißig heute kaum noch möglich. Mein Mann und ich sind Doppelverdiener – trotzdem kommen wir im Vergleich nicht an die finanziellen Möglichkeiten meiner Eltern ran, bei denen ganz klassisch nur mein Vater Geld verdient hat. Wir besitzen keine Wohnung, kein Haus, wir haben keine großen Ersparnisse und wir erwarten kein riesiges Erbe. Für die Generation nach uns sieht es aktuell noch düsterer aus. Da kann man sich schon die Frage stellen:

„Warum aufopfern, wenn am Ende eine kalte 45-Quadratmeter-Mietbutze in Berlin dafür rausspringt?“ -

Wichtig dabei ist aber auch: Quiet Quitting ist nicht für alle etwas. Menschen, die in der Pflege, auf dem Bau oder an der Kasse tätig sind, können nicht darüber nachdenken, weniger zu arbeiten oder sich vom Arbeitgeber emanzipieren zu wollen. Dafür sind sie in einem viel zu starken Abhängigkeitsverhältnis. Und das führt uns zu einem weiteren Problem, das Quiet Quitting mit sich bringt: Es ist eine individuelle Lösung. Menschen, die es sich leisten können, ziehen sich zurück und beginnen, über ihre Zeit und ihren Wert selbst zu bestimmen. Dadurch verändern sie zwar ihre eigene Situation – was etwas Gutes ist, keine Frage –, aber sie verändern nicht die Ursachen, die überhaupt dazu führen, dass sie die Regeln des neoliberalen Arbeitsmarktes nicht mehr mitspielen wollen.
So viel muss auch ich als begeisterte Selbstständige zugeben, weniger arbeiten macht immer mehr Spaß. Aber die Miete, die Familie, das Leben an sich funktioniert nur, wenn man sich den Regeln in irgendeiner Form unterwirft. Manche müssen das mehr tun, manche können sich erlauben, es weniger zu tun. Bleibt die Hoffnung, dass das individuelle Quiet Quitting der Geistesarbeiterinnen und Schreibtischtäter irgendwann so viel Druck ausübt, dass auch andere aus diesen Veränderungen einen Nutzen ziehen können.

„Dass der Arbeitsmarkt beginnt, sich den Menschen anzupassen, von denen er profitiert, und nicht andersherum.“ -

Ich weiß noch, dass ein Freund der Familie sich kurz vor der Geburt seines zweiten Kindes für eine Managementposition bei einem bekannten Unternehmen bewarb. Als er sagte, er gehe davon aus, dass er sich bei erledigter Arbeit und mit vollem Verantwortungsbewusstsein auch mal früher verabschieden werde, um für seine Familie da zu sein, wurde ihm entgeistert erklärt, dass es egal sei, was er zu tun habe, Anwesenheit sei für etwa 60 Stunden die Woche verpflichtend, sein Team müsse schließlich sehen, dass er da sei. Ganz ehrlich, mich würde das eher verunsichern, dass dieser Chef bald in den Burnout oder einen hundertjährigen Schlaf fällt, wenn er immer schon da und immer noch da wäre, wenn ich käme und ginge. Diese Generation von Arbeitgebern stirbt aus. Nicht nur, weil sie zum großen Teil sehr alt und mit völlig anderen Voraussetzungen in den Beruf gegangen ist, sondern auch, weil sie keine Leute mehr finden wird, die sich unter diesen Erwartungen für sie aufreibt.
Was mich zurück zum Lunch und den beiden erfolgreichen Ladys bringt. Mit dem größten Respekt vor dem, was sie sich da erarbeitet haben, denke ich mir, dass dieses Verhalten nicht mehr lange funktionieren wird. Ihr könnt euch beschweren, dass niemand mehr nach euren Regeln spielt. Aber wenn ihr euch nicht anpasst und die Unternehmenskultur nicht entsprechend verändert, dann werdet auch ihr bald kein Geld mehr verdienen. Weil ihr keine guten Leute mehr haben werdet, die das für euch erledigen.
Natürlich ist es frustrierend, wenn man selbst jahrelang quasi nur für den Job gelebt hat und dann bemerkt, dass die Jüngeren alles anders machen wollen – und dafür auch noch belohnt werden. Auf der anderen Seite kann man sich von eben diesen Jüngeren auch sehr viel abschauen. Auf sich selbst und die eigene mentale Gesundheit zu achten, beispielsweise. Das so staubig wirkende Wort Hobby wieder ernst zu nehmen und mit Leben zu füllen. Mit Familie und Freund*innen viel Zeit zu verbringen. Denn Freizeit sollte nichts sein, auf das man vierzig Jahre hinarbeitet, um dann – wie mein Großvater – ein halbes Jahr nach Renteneintritt eine tödliche Krankheit diagnostiziert zu bekommen.

„Freizeit sollte etwas sein, das man immer genießen kann.“ -

Genauso wie das Zusammenleben mit der Familie, ehrenamtliche Tätigkeiten und, ja, tatsächlich auch die Lohnarbeit.
Ich habe kürzlich eine Dokumentation gesehen, in der Hundertjährige aus ihrem Leben erzählt haben. Alle von ihnen haben hart gearbeitet, ob in einem Unternehmen, selbstständig oder für die Familie. Keine*r von ihnen – und damit sind wir bei diesem Narrativ – hat sich gewünscht, im Nachhinein mehr gearbeitet zu haben. Für alle waren ihre Ehen, ihre Beziehungen, ihre Reisen, ihre Kinder das Wichtigste, was sie erleben durften. Ist doch toll, dass Gen Z endlich etwas daraus lernt und versucht, das eigene Leben mehr auszubalancieren, der Leistungsgesellschaft leise zu kündigen. Und wenn wir dann etwas von den Jüngeren lernen können, dann auf die Frage: „Was machst du so?“, nicht mehr automatisch mit dem Job zu antworten. Sondern damit, was man wirklich macht. Was einen ausmacht.
Eure

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