Job & Finanzen
Nervt nicht mit eurem Digital-Detox
Sich bei Instagram in den Urlaub verabschieden? Nicht mit Jule Lobo. Hier erzählt sie, warum sie nicht viel von Offline-Pausen hält.
von Jule Lobo - 01.07.2024
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann ist der perfekte Sommertag mit dem Badesee unweit meines Heimatdorfes verbunden. Gleich nach dem Frühstück fuhr ich dort mit dem Fahrrad hin. Auf dem Gepäckträger ein Handtuch und fünf Mark in der Hosentasche. Dort schwamm ich den ganzen Tag, beobachtete Kaulquappen und hörte dem Geräusch der Grillen zu. Unterbrochen wurde dieser Tag maximal von einem Eis oder Pommes.
Während der rote Mohn müde am Wegesrand stand und sich leise im Wind hin und her wog, fuhr ich am späten Nachmittag barfuß auf dem Rad nach Hause, legte mich ins frisch gemähte Gras und aß im Garten meiner Großmutter noch ein paar Erdbeeren, bevor ich am Abend müde und erschöpft vom großen Spaß ins Bett fiel.

„Das war er, mein perfekter Sommertag. Ohne Smartphone, MP3-Player, ohne Buch oder Zeitung.“ -

Irgendwie reichte damals alles. Ich habe an solchen Tagen nichts vermisst oder mich gelangweilt. Heute denke ich manchmal an diese Tage und frage mich, warum ich das nicht mehr mache, obwohl ich doch so glücklich damit war.
Wir sind fünf Minuten vom nächsten Sommer entfernt und spätestens dann beginnen auch wieder unsere Erwartungen an unsere perfekten Sommertage. Im Mittelpunkt dieser Vorstellungen steht erstaunlich oft die Abwesenheit sozialer Medien und Smartphones, obwohl wir im 21. Jahrhundert leben und die Digitalisierung nahezu alles besser, leichter und interessanter macht.
Unser Alltag läuft in doppelter Geschwindigkeit, aber im Urlaub soll dann runtergefahren werden, natürlich ohne Handy. Mit steigender Temperatur nehmen auch wieder all die digitalen Abwesenheitsankündigungen, Abmeldungen und Entschuldigungen zu. Als wären die sozialen Medien ein Arbeitsplatz mit Stechuhr, auf dem man sich ein- und austragen muss. Urlaub kann beantragt werden, wenn man früh genug Bescheid gibt. Krankheit ist nur in besonders gravierenden Fällen ein Entschuldigungsgrund und sollte ansonsten als Content-Chance verstanden werden.
Mir werden immer wieder entsprechende Statements in die Timeline gespült:
  • „Für uns geht es jetzt in den Urlaub, da werde ich wahrscheinlich keine Storys machen und das Handy weglegen.“
  • „Ich verabschiede mich in eine Social-Media-Pause und werde in dieser Zeit leider keine Nachrichten beantworten.“
  • „Meine Bildschirmzeit ist schon wieder ungesund hoch, ich bin hier erst mal weg.“
Aber warum meldet man sich überhaupt ab? Diese Ankündigungen erinnern mich manchmal an Bandauflösungen, die aufwendig kommuniziert werden, bevor es dann doch ein überraschendes Revival gibt. Natürlich ist es völlig legitim, sich digital eine Auszeit zu gönnen, aber wieso muss das angekündigt und öffentlich gemacht werden?
Und was passiert, wenn man sich das vornimmt und dann trotzdem Lust drauf bekommt? Es ist ja nicht so, dass alle Follower*innen nur darauf warten, endlich eine Erklärung für die unendlich schmerzhafte Abwesenheit zu bekommen, wenn man mal ‘nen Sonntag das Handy zur Seite legt. Ich merke an meinem Nutzungsverhalten, dass ich nur wahrnehme, was gesendet wird. Mir fällt nicht sofort auf, wenn etwas nicht gezeigt wird oder jemand nicht da ist.

„Man könnte wahrscheinlich einfach so gehen, ohne dass es diese Statements bräuchte.“ -

Ich vermute aber, dass diese Ankündigungen auch oft Versprechen an sich selbst sind. Der perfekte Sommertag ist wahrscheinlich in der Vorstellung vieler einer ohne Smartphone.
Man verklärt und romantisiert diese unbeschwerten Kindertage, in denen die meisten von uns kein Smartphone hatten, weil es schlicht und ergreifend noch keine Smartphones gab. Ein Urlaub oder Zeit mit der Familie wird automatisch aufgewertet, wenn das Smartphone abgeschaltet bleibt. In Cafés lese ich immer wieder Sprüche wie „We have no Wifi, talk to each other“.
Ein italienischer Gastronom will seinen Kund*innen sogar eine Flasche Wein spendieren, wenn sie sich dafür entscheiden, ihr Smartphone während des Restaurantbesuchs in der Tasche zu lassen. Wir leben im digitalen Zeitalter des 21. Jahrhunderts, aber alle diese kleinen Regeln und Verbötchen folgen einer Logik aus dem 20. Jahrhundert. In dieser alten Welt ist jedes Gespräch ohne Smartphone eine ehrliche Unterhaltung.
Auf den Bus zu warten und ein Buch in der Hand zu halten, ist irgendwie sympathischer, als das gleiche Buch auf dem Smartphone zu lesen. Eltern, die ihren Kindern im Urlaub das Tablet erlauben, sollten sich aus der Sicht einiger Leute direkt beim Jugendamt melden, und Paare, die bei einem Restaurantbesuch in ihre Handys starren, sind sicher kurz vor der Trennung.
Obwohl wir alle schon in der ein oder anderen Situation mit unseren Smartphones waren, sind wir in einer anderen Welt sozialisiert. Ich glaube, dass diese Sozialisation viele Menschen dazu bringt, sich schlecht zu fühlen, wenn sie an einem tollen Sommertag ins Handy schauen. Manchmal ist es kompliziert, diese beiden Welten ohne Schuldgefühle oder schlechtes Gewissen miteinander zu verbinden. Dieser Wechsel von smartphonefreier Zeit hin zu stundenlanger Nutzung ist anstrengend, deswegen glaube ich, ist es viel sinnvoller, einen neuen, moderaten Umgang mit dem Smartphone zu erlernen.

„Dieser Weg bezieht soziale Medien im besten Fall so in unseren Alltag und die Freizeit mit ein, dass man davon auf Dauer nicht erschöpft ist.“ -

Denn wenn ich ehrlich zu mir bin, habe ich diesen perfekten Sommertag aus meiner Kindheit aus einem einzigen Grund seitdem nicht mehr erlebt: weil es heute schlicht kein perfekter Sommertag mehr für mich ist. Er war für die damalige Zeit perfekt, weil ich damals kein Handy hatte. Aber heute ist nicht damals.
Als ich meinen ersten Mp3-Player bekam, hörte ich auf jeder Fahrradfahrt Musik, statt den Vögeln und der Natur zu lauschen, und die Lieder aus dieser Zeit lösen deswegen bis heute ein warmes Gefühl in mir aus. Hätte ich in meiner Jugend während meiner Sommerseetage ein Smartphone gehabt, dann hätte ich vielleicht zwischen den Pommes und dem nächsten Sprung ins Wasser ein tolles Essay von Susan Sontag gelesen oder auf Instagram ein leckeres Pasta-Rezept für den Abend entdeckt.
Das Handy hätte meine heutigen Erinnerungen nicht weniger schön gemacht, da bin ich sicher. Wenn ich mit meinem Mann beim Essen bin, finde ich es angenehm, kurz auf die Nachricht einer Freundin zu antworten, während er ausgiebig die Weinkarte studiert. Oder dass wir beide mit den Handy-Kalendern und ein paar Insta-Accounts unseren nächsten Urlaub zusammenträumen.
Unseren Kindern auf einer langen Autofahrt das Tablet zu erlauben, hat uns schon einige Male ermöglicht, selbst einen tollen Podcast zu hören oder ein gutes Gespräch zu führen. Ich glaube, man muss für sich selbst, in der Partnerschaft und der Familie Regeln finden, mit denen alle gut klarkommen. Ich fände es lächerlich, wenn diese Regeln nicht auch Bildschirmzeiten als Tagesbestandteil beinhalten
Wir haben zwar für uns als Familie gemerkt, dass das Smartphone während eines gemeinsamen Essens mit den Kindern besser in der Tasche bleibt, weil wir die Zeit zusammen genießen wollen. Trotzdem gibt es auch Zeiten, in denen es uns als Eltern möglich sein muss, das Handy in die Hand zu nehmen und die Nachrichten zu verfolgen, eine Story von Freund*innen zu sehen oder einfach neue Musik zu hören.

„Ich verfolge manche Accounts, die wild zwischen Social-Media-Pausen und 24/7 alles filmen hin und her switchen und manchmal wünsche ich mir, dass es von beidem ein bisschen weniger ist.“ -

Ich ärgere mich inzwischen über diesen Wifi-Café-Spruch, weil er mir die Möglichkeit nimmt, kurz was im Handy nachzusehen, obwohl ich mich gern mit meinem Gegenüber unterhalte. Ich hab keine Lust, mir von Café-Betreibenden, die am Ende vielleicht einfach nur WLAN-Kosten sparen wollen, sagen zu lassen, wann ich mich unterhalten soll. Bitte lasst euer Handy an, wenn es euch damit gut geht und ihr in den Urlaub fahrt. Es gibt so viele spannende, kuriose und wunderbare Dinge im Internet zu entdecken, das kann eine wahre Freude sein. Besonders im Urlaub.
Da ich diese Kolumne gerade im Urlaub in mein Smartphone tippe, während das Meer mir in die Ohren rauscht, kommen hier abschließend noch einige Erkenntnisse, die ich rund um diesen Gedanken hatte. Mein Sommerpausen-Medienkonsum unterscheidet sich sehr vom Gebrauch des Handys im Alltag. Ich nehme mir für Texte oder Dokus Zeit, die ich im Alltag definitiv ausklammern würde.
Ich liebe es, in anderen Ländern in die sozialen Medien des Landes einzutauchen, mich mit Geschichten und Social-Media-Profilen der Menschen vor Ort auseinanderzusetzen, und manchmal daddle ich online sinnlos in irgendwelche Richtungen, ohne ein tatsächliches Ziel zu verfolgen. Oft muss ich mich außerhalb des Urlaubs ermahnen, das Smartphone in der Nacht endlich zur Seite zu legen und zu schlafen, aber im Urlaub ist alles erlaubt.
Zu viel Parmesan auf den Nudeln, der Aperol-Spritz am Nachmittag oder die Extraschleife Social Media in der Nacht. Andersrum gilt das natürlich auch. Ich habe hier einen spektakulären Sonnenuntergang gesehen, von dem ich euch nur berichten kann, weil ich mich dazu entschieden hab, das Handy in der Tasche zu lassen. Dieser neue, moderate Umgang, an den ich mich gewöhnen will, bedeutet ja nur, dass man sich den Gebrauch in alle Richtungen erlaubt. Dieses Erlauben kann eben auch bedeuten, dass man offline geht, wenn einem danach ist. Ihr steht kurz vor einem fabelhaften Sommer, an den ihr euch vielleicht in 20 oder 30 Jahren gerne zurückerinnert. Obwohl oder gerade weil ihr nicht offline wart.
Eure
Jule

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