Diesen Text gibt es auch als Audio-Artikel. Zum Hören ans Ende des Artikels scrollen.
Diva. So nannten mich meine Freund*innen vor zwanzig Jahren auf dem Festival-Campingplatz. Diva, weil ich Campen hasste. Weil ich nur geschminkt morgens aus dem Zelt kroch, mit niemandem sprach und jedes kleine Krabbelvieh so lautstark entfernte, dass auch die Gruppe hinter den letzten Dixies mitbekam, wie beschissen ich die Natur fand. Niemals, nicht annähernd hätte ich geglaubt, dass ich jetzt, mit Ende dreißig, eine wahre Spießerin sein werde, die einen kleinen Blumentopf auf den Campingtisch stellt, mit Socken in die Birkenstock-Schlappen schlüpft und jede*n grüßt, der in fünfzig Metern Entfernung ebenfalls auf einem Klappstuhl hockt.
Ich habe tatsächlich das erste Mal in einem Zelt mit Schlafsack übernachtet, als ich musste – auf einem Festivalgelände. Es war das Übel, das ich in Kauf nahm, um die Bands zu sehen, die ich liebte. Bis dahin hatte ich fast keinerlei Campingerfahrung. Meine Eltern sind einmal mit meiner Schwester und mir und einem gemieteten Camper nach München gefahren – dort standen wir dann vor dem Haus eines befreundeten Paares. Bei dem einen Ausflug, den wir machen wollten, ist mein Vater beim Einparken so weit zurückgefahren, dass sich ein dicker Ast durch die Hinterwand des Mobils gebohrt hat und auf der anderen Seite den Spiegel im Badezimmer hat zerspringen lassen. Naja, das ist die Campingerfahrung meiner Familie.
Inzwischen liebe ich Camping. So sehr, dass ich mit meinem Mann zusammen ein großes, rotes Auto gekauft habe – ein RoadCar, für die Spezialist*innen unter euch – mit dem wir seit zwei Jahren Europa erkunden. Nun gut, Dänemark und die Niederlande und dann kam Corona, aber immerhin.
Damit liegen wir total im Trend.
„Wobei ich sagen möchte, wir liegen nicht im Trend, wir sind der Trend.“ -
Denn im Gegensatz zu allen anderen haben wir unser Wohnmobil gekauft als die Pandemie noch nicht in Sicht war und fast ausschließlich Menschen auf den Straßen und Campingplätzen unterwegs waren, die mit ihren Gefährten auch umgehen konnten oder genug Geld für eine Rückfahrkamera hatten. Inzwischen kann man auf großen Plätzen alteingesessene Camper beobachten, die ihren jungen Nachfolger*innen helfen, den Wagen auch vernünftig auf die Parzelle zu stellen.
Auch, wenn meine Generation Camping immer noch mit überfüllten Plätzen, Deutschlandfähnchen und Grillen im Feinrippunterhemd assoziiert wird – das gibt’s natürlich alles, aber inzwischen kann man es sich in der eigenen, jungen Spießigkeit auch ohne all das schön bequem machen. Aber ist es das – spießig? Als Spießer*innen bezeichnen wir im Allgemeinen Leute, die auf Ordnung stehen, sich an Regeln halten und andere gerne daran erinnern, sich bitte ebenfalls an die Regeln zu halten. Abweichungen von der Norm sind nicht erwünscht. Und ja, dann ist das klassische Camping und dann sind wir im Grunde auch richtig spießig. Auf den großen Campingplätzen gibt es nämlich noch sowas wie Mittagspause (dann werden die Zugangsschranken wirklich nicht bewegt und Autofahren ist verboten), die einzelnen Parzellen sind genau abgegrenzt (Profis bringen einen kleinen Zaun mit) und Musik oder andere Geräusche (Kinder!) sind nur zu bestimmten Uhrzeiten erlaubt.
Ich muss zugeben: Je mehr ich mich auf diesen Plätzen bewege, umso mehr gewöhne ich mich an diese Vorgaben – aber umso mehr Spaß macht es auch, sich darüber lustig zu machen.
„Wer komplett das eigene Ding durchziehen möchte, der oder die hat auf einem großen Campingplatz wirklich nichts verloren.“ -
Aber pssst, es gibt auch andere, alternative Möglichkeiten. Und Menschen, die noch spießiger sind als man selbst, die findet man auf jedem Campingplatz – versprochen. Ich sage nur: Dauercamper. Oder wie mein Kind sie liebevoll nennt: die Eingepackten. Weil deren Wagen oft mit einer etwas versifften Plane umzogen ist. Hier gibt’s dann auch tatsächlich den ein oder anderen Gartenzwerg und die obligatorische Flagge vom Lieblingsfußballverein.
„Wir sind jetzt auch auf der Suche nach einem Bulli!“ Den Satz schreiben mir immer mehr Freund*innen und fragen nach Tipps. Der Hashtag #vanlife boomt auf Instagram und nicht zuletzt Corona hatte einen riesigen Impact auf die Branche – wer nicht mehr fliegen kann, der fährt. Unabhängig und wohin ihn das Navi oder die zahlreichen neuen Bücher mit den besten Campertouren führen.
78.055 neue Wohnmobile wurden 2020 in Deutschland laut dem Caravaning Industrie Verband (CIVD) neu zugelassen. Das ist ein Plus von 44,8 Prozent im Vergleich zu 2019. Keine Urlaubsbranche wächst momentan so sehr wie die Campingbranche. Vor allem Vans und Kastenwagen sind beliebt, sie machen fast die Hälfte der Neuzulassungen aus. „Millenials“, also Menschen zwischen Mitte 20 und Mitte 30, sind die neue und stärkste Zielgruppe. Raus aus der engen Großstadt, ab auf die enge Straße. Wenn man sich kein Haus mehr leisten kann, dann vielleicht immerhin mobiles Häuschen. Und wer kann, baut selbst aus. Bringt Muckis und viele Follower auf Instagram.
„Aber wer hat damit eigentlich mal angefangen? Ein Engländer ist schuld.“ -
Gordon Staples erfand 1885 einen Reisewagen mit dem passenden Namen „Wanderer“ – gezogen von Pferden. In Großbritannien entsteht dann auch schon 1908 – kurz nach der Einführung des Automobils – der erste Caravanclub. 1931 ist die Malerin Friedel Edelmann so angenervt davon, dass ihr Verlobter Arist Dethleffs ständig beruflich unterwegs ist, dass er ihr ein so genanntes Wohnauto baut, damit sie und ihr Kind ihn begleiten können. Ende der Geschichte: Noch heute gehört Dethleffs zu den führenden Wohnmobil- und Wohnwagenherstellern der Branche. Ein Wirtschaftszweig – begründet auf Liebeskummer.
Nach dem zweiten Weltkrieg ist Camping die erste und einfachste Möglichkeit wieder Urlaub zu machen. Und 1950 bringt Volkswagen dann den T1, also das Auto, das wir eigentlich meinen, wenn wir „Bulli“ sagen, auf den Markt. Urlaub im Ausland konnten sich die meisten nicht leisten und so erlebte die Campingbranche ihren ersten richten Aufschwung. Was erst recht wild und ohne Infrastruktur begann, wurde im regelverliebten Deutschland in den 60ern dann in seine Bahnen gewiesen – die ersten Campingplätze an der Ostsee entstanden. In den 70ern kamen dann auch Sanitäranlagen und anderes Gedöns dazu. Vor allem in der DDR wurde Camping zur Urlaubsmöglichkeiten derjenigen, die den staatlich organisierten Gewerkschaftsreisen eher abgeneigt waren.
Heute gibt es Campingplätze, die größer und auch vielseitiger sind als das Dorf, in dem mein Mann aufgewachsen ist. Es gibt Supermärkte, Gemeinschaftsangebote, ein, zwei, drei, vier, fünf Pools, Spielplätze, immer ein Restaurant mit Currywurst, Schnitzel oder Hering auf der Karte und eine Mittagspause von 13 bis 15 Uhr. Und ich lieb’s. Niemand schaut dich komisch an, wenn du ungekämmt, ohne BH und in Leggings über die Wiese stapft, um am Waschbecken schweigend spülend nebeneinander ein bisschen zu meditieren. Alle grüßen sich, als wäre man sich wirklich sympathisch. Und „Darf ich mal gucken?“ ist die testosterongeladene Einladung zum Smalltalk, um die Gefährte zu vergleichen und festzustellen, dass die Kühlschranktür im eigenen Modell ja tatsächlich auf der anderen Seite angebracht ist.
„Und das wirklich Allerbeste an dieser Art Urlaub sind die anderen Leute.“ -
Nicht, weil sie alle so tolle Menschen sind – denn zumindest diese Eigenart habe ich mir aus meiner Diva-Periode bewahrt, ich spreche immer noch ungern mit anderen Leuten – nein, weil sie einfach Menschen sind und sich auf dem Platz wie zuhause fühlen. Und wenn Leute sich benehmen als wären sie zuhause, dann wird es eigentlich erst richtig spannend. Neben uns parkte mal ein älteres Ehepaar, das auf den ersten Blick komplett normal erschien, bis wir herausfanden, dass es mit einem Papagei reiste. Einem Papagei, der im Wohnmobil in einen Käfig gesperrt war und ab und an über den Platz krähte.
Mein Kind bekam mal auf einem Campingplatz am Bodensee von der Platznachbarin – einer Dauercamperin, ganz anderer Schlag Mensch! – einen bemalten Stein geschenkt, weil es die letzten drei Tage so schön ruhig gewesen sei. Im kleinen Fenster ihresWohnwagens hatte sie eine Ausstellung mit weiteren bemalten Steinen. Ich warte noch drauf, dass meine Ehe so langweilig wird, das ich anfangen muss, im Urlaub Steine zu bemalen. Verschenken werde ich die dann auf jeden Fall nicht.
Natürlich muss man nicht die großen Campingplätze anfahren. Da wird in diesem Sommer sowieso nichts mehr frei sein, wenn sie denn öffnen dürfen. Es gibt auch die Möglichkeit, auf Bauernhöfen oder anderen, kleinen, verwilderten, aber offiziellen Plätzen zu stehen. Wildcampen ist in Deutschland allerdings verboten – und ich bin immer genervt, wenn Menschen meinen, es wäre eine kleine Rebellion trotzdem irgendwo wild rumstehen zu müssen. Deutschland ist so dicht besiedelt, dass wir die wenigen naturbelassenen Gebiete den Tieren überlassen sollten und nicht dort auch noch Reifen- und Birkenstockspuren hinterlassen müssen. Und wenn, dann nehmt bitte wenigstens euren Müll mit.
Mir gefällt diese Campingplatz-Atmosphäre. Ich stecke gerne meinen Bereich ab. Ich mache gerne Mittagspause und Nachtruhe – vielleicht auch, weil ich das im echten, unspießigen Leben fast nie mache. Das war übrigens mein einziges Must für unser Wohnmobil. Ein eigenes Klo. Nichts hasse ich mehr, als nachts mit Taschenlampe über den Platz zum Klohäuschen zu rennen und dort im Zweifel auch noch von einer Fledermaus überrascht zu werden (alles schon passiert), so naturverliebt bin ich dann doch nicht. Und an jedem Abreisetag treffen sich die Leute am Klo-Automaten, in den man die Campingtoilette reinschiebt, eine Münze einwirft und das komplett saubere Plastikteil wieder herausgeschoben bekommt. Wer nicht auf die großen Plätze fährt, muss den Scheiß wortwörtlich selbst auskippen und da schicke ich im Zweifel immer den Mann vor. Aber ein Automat, der mir das Plumpsklo säubert, das findet selbst das Kind spannend.
Es sind die immer gleichen Abläufe, die andere mit Spießigkeit verbinden und die mir im Urlaub einen absoluten Zustand der Entspannung bescheren. Weil in meinem Leben sonst alles sehr drunter, drüber und aufregend ist. Nicht überlegen zu müssen, was ich anziehe (Top & Shorts), wo ich hinfahre (da, wo Meer und ein Plätzchen frei ist) und wann ich was mache (aufstehen, Ausflug, spülen, spielen, schlafen). Diese Verlässlichkeit auf schlechten Stil (Bucket Hat & Crocs), günstige Übernachtungen und den abendlichen Wein im Konzertbecher, aus dem schon hundert andere vor mir getrunken haben, den ich aber aus melancholischen und Preis-Leistungs-Gründen behalten habe, all das verschafft mir eine Pause vom aufgedrehten Performance-Alltag. Und, wenn das in dem Fall bedeutet, dass ich auf meine alten Tage genau das werde, was die junge Ninia nie sein wollte – eine den Regeln folgende Spießerin, dann soll das so sein. Aber das Deutschland-Fähnchen – das könnt ihr nun wirklich vergessen.
Die Audiodatei gibt es hier zum
Download.