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Die Aufregung war groß diese Woche: Angeblich habe der Konzern Meta angekündigt, dass sie ihre Produkte Facebook und Instagram vom europäischen Markt zurückziehen würden – wenn sich ihre Unternehmensstrategie nicht mit den strengen europäischen Datenschutzgesetzen vereinbaren lasse. Wenn man genauer nachliest, stellt sich schnell heraus: Unsere Accounts werden morgen noch nicht abgestellt. Trotzdem stellt sich mir die Frage: Was wäre, wenn…? Wäre es für mich wirklich so schlimm, wenn Instagram plötzlich nicht mehr da wäre? Mein erster – ehrlicher – Gedanke, als ich die Schlagzeile lese: Ja, bitte. Bitte, schaltet es einfach aus. Dann müssen wir uns auf dieser Plattform nicht mehr darüber unterhalten, warum sie uns nicht guttut – während wir nebenbei durch Kinder in senffarbenen Kleidern, Detox-Tipps und Designertaschen scrollen. Andererseits denke ich: Vielleicht hat sich das auch bald von selbst erledigt. Denn ich spüre nicht nur bei mir einen Rückzug ins Private. Als würde meiner Bubble die Puste ausgehen, als wäre sie den Regeln des Spielplatzes Instagram langsam entwachsen. Ist das so?
Haben wir uns auf Instagram genug ausgetobt?
Oder brauchen wir es gerade jetzt – um den Anstrengungen des Pandemie-Alltags zu entfliehen und in Isolation oder Quarantäne zumindest ein Fenster zur Außenwelt zu haben?
Um das herauszufinden, scrolle ich ganz zurück. Zum 26. April 2012 – da habe ich mein erstes Bild auf Instagram gepostet. Es zeigt den Mann und mich, wie wir uns küssen. Es hat sieben Likes. Mein Mittagessen einen Tag später hat einen Like. Mehr hatten diese Nudeln auch nicht verdient. Es folgen Zeitschriften, die ich gekauft habe und die ersten Outfits, alles überlagert mit einem sonnenstichartigen Nebelfilter. Die minutenlange Wischbewegung meines Daumens hat mich in eine Zeitraffer-Reise in die Vergangenheit geschleudert. Diese eine schöne Reise nach Venedig, und wo ist eigentlich dieses Shirt und warum, zur Hölle, habe ich gedacht, dieser Mikropony sei für mein Gesicht eine besonders gute Idee gewesen?
Fast genau zehn Jahre später trage ich zum Glück keinen Pony mehr, knapp 38.000 Menschen folgen mir und ein bisschen zu oft habe ich das Gefühl: Ich hab’s durchgespielt. Ich bin fertig mit Instagram. Was mir sehr lange sehr viel Spaß beschert hat, reizt mich nicht mehr. Es stresst und langweilt mich gleichzeitig. Das klingt komisch? So fühlt es sich auch an. Mich strengt die massive Lautstärke an. Eine Lautstärke, die ich nicht höre (Stories immer ohne Ton, immer), sondern eine, die ich fühle. Beim Swipen durch die Stories, beim Scrollen, beim Lesen der Captions. So wichtig und politisch das ein oder andere Anliegen ist, so schön dieser Rock oder lecker dieser vegane Käse – ich fühle mich permanent angeschrien. Und gleichzeitig finde ich keine neuen Reize, keine Inspirationen mehr. Alles war schon einmal da, alles schon einmal durchgekaut, alles schon einmal besprochen – ja, alles sogar schon einmal gekauft.
Aber es ist ein bisschen wie mit den Römern bei Asterix und Obelix. Es gibt dieses eine gallische Dorf, meine eigene gemütliche Bubble, aus der ich per Stummschaltung und Blockierung alle ausgeschlossen habe, die keinen Zaubertrank mitbringen. Diese kleine Gruppe an Menschen, die mir den Spaß immer zurückgibt. Die mich aufbaut, wenn ich einen beschissenen Tag hatte – oder zum vierten Mal in Folge mehrere Tage mit Kind in der Quarantäne hänge. Die sich von mir inspirieren lässt und mir Bilder von bunten Röcken im tristen Großstadtgrau schickt. Mit denen ich mich über wirklich private Dinge austausche, die ich nicht in einer Caption oder einer Story erwähnen würde. Einfach, wie es mir hilft, zu wissen – es gibt andere, denen es genauso geht. Die das Kind auch gerade auf’s Sofa setzen, Netflix anschalten und „kurz mal“ auf Toilette gehen, um dort laut zu aggressiver Musik den Krisenfrust abschütteln. Das liebe ich. Und es motiviert mich, doch weiter selbst zu posten. Auch, weil ich sehr oft einfach sehr gut angezogen bin. Wozu dieser Look und wozu dieses Selfie, wenn es niemand sieht? Und, und das gehört zur Wahrheit dazu: Weil ich damit einen inzwischen nicht unwesentlichen Teil meines Einkommens generiere.
Einen Vorteil hätte das Abschalten von Instagram aber in jedem Fall: Mir würden keine ungefragten Tipps mehr von außerhalb meines gallischen Dorfes ins Nachrichtenfach flattern. Das ist eine Dynamik, die in den letzten Jahren so sehr an Fahrt aufgenommen hat, dass ich bei fast jedem Inhalt, den ich poste, dazu schreiben muss, dass ich bitte keine Tipps haben möchte.
Bitte gebt mir keine Tipps! Bitte nicht! Bitte! Ich bin eine erwachsene Person.
Wenn ich was wissen will, dann schreibe ich: Habt ihr vielleicht einen Tipp für mich? Das schreibe ich aber nie, weil mein Postfach dann geflutet wird, mit Informationen, die lieb gemeint sind und niemandem weiterhelfen. Ein Einblick in mein Leben ist keine Einladung dieses – ob nun gutgemeint oder nicht – zu kommentieren. Es mag Menschen geben, die dieses Narrativ vor sich hertragen, dass sie ihre Community so sehr schätzen und wirklich richtig gerne ganz viele Nachrichten bekommen und im Austausch bleiben. Diese Menschen müssen mit Instagram so viel Geld verdienen, dass sie es sich leisten können, jemanden einzustellen, der diese ach so schätzenswerte Kommunikation für sie übernimmt. Anders kann ich mir diese Einstellung nicht erklären. Ich weiß, Paul Watzlawick hat gesagt: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ (Einer der wenigen Sätze, die aus meinem Germanistik-Studium übriggeblieben sind.) Aber: Das wäre mein Traum. Herzchen: Ok. Wütende Emojis: Auch ok. Kleiner Like: Ok. Aber bitte keine Nachrichten mehr. Vor allem keine Tipps.
Wenn ich ein Outfit von mir poste, raten Menschen mir ungefragt, meine Ärmel kürzen zu lassen (manchmal wollen sie es auch gleich selbst machen). Oder sie empfehlen eine andere Farbe der Strumpfhose, der Schuhe, oder der Mütze. Und ich denke: Was glaubst du, warum ich das poste? Weil ich optimiert werden will oder weil ich mich in den Klamotten selbst schon so geil finde, dass ich es anderen zeigen möchte?
Ganz oft werde ich auch dazu aufgefordert, mich zu einer Sachlage in irgendeiner Form zu verhalten. Ich schreibe das zur Sicherheit hier noch einmal schwarz auf weiß: Ich bin kein Nachrichtenportal. Ich bin nicht die dpa. Ich habe am 26. April 2012 keinen Vertrag unterschrieben, mit dem ich mich verpflichten würde, meine Follower regelmäßig über alle Entwicklungen in der Welt da draußen zu unterrichten und meine Meinung dazu zu äußern. Ich bin auch keine Aktivistin. Bloß weil ich kleinwüchsig und der Meinung bin, behinderte Menschen sollten die gleichen Rechte wie Nicht-Behinderte haben, bin ich nicht hauptberuflich Kämpferin für das Gute. Ich bin keine Schleuder für Petitionen, Crowdfundings und Schnappatmer. Je größer die Reichweite wird, umso mehr erheben Follower den Anspruch auf genau diese und versuchen, sich emotional einen Platz darin zu erpressen.
Und hier sind wir wieder beim Schulhof-Setting. Ich schaue mir das vom Rand an und denke: Ich bin dem entwachsen. Ich habe mich ausgetobt. Ich war oft genug wütend über Ungerechtigkeiten. Ich habe gelernt, Menschen rigoros zu blockieren, nicht nur, wenn sie mir ein Dickpic schicken, sondern vor allem, wenn ich merke, dass mir ihre Inhalte nicht guttun. Ich kann Grenzen ziehen.
Ich ruhe mich aus in meiner Gruppe von Gallier*innen, die mir Kraft geben, auch wenn wir uns nur digital kennen.
Und ich suche nach Wegen, diese Plattform für mich beruflich und privat nur noch so zu nutzen, wie sie mir gut tut – ohne dafür zu viel von meinem Leben preiszugeben.
Meine Freundin Laura hat für sich die Lösung gefunden, sich die Anzahl ihrer Likes nicht mehr anzeigen zu lassen. Sie schreibt in ihrer Story, dass die Likes sie auch bei anderen zu sehr beeinflussen würden. Ihre Insights hätten sie sowieso nie groß interessiert, also befreit sie sich von dieser konkreten Zahl unter jedem Posting. Andere wiederum beschließen für sich keine Stories mehr zu posten. Ist doch super, wenn sie wissen, wie sie diese Plattform für sich noch besser nutzen können. Ich zum Beispiel brauche in Zeiten der Krise schöne Looks, schlaue Buchtipps und Einrichtungsideen. Ich schaue Menschen gerne dabei zu, wie sie Häuser bauen, Kuchen backen und Vintage shoppen. Ohne mir ständig parallel dazu strukturelle Systemfragen zu stellen – selbst, wenn ich mir genau wegen dieses Systems viele Dinge, die ich mir anschaue, nicht leisten kann.
In meiner Bubble sind viele dazu übergegangen, wöchentliche Zusammenfassungen zu posten. Eine Karussell-Posting mit lauter Schnappschüssen von dem, was sie erlebt haben. Sie leben ihr Leben und ich bekomme am Wochenende einen kurzen Einblick. Ohne viele Filter, von unaufgeräumten Schreibtischen und Taxifahrten. Sie distanzieren sich von der Erwartung jeden Tag perfekte Bilder zu präsentieren. Vielleicht ist das auch etwas, an dem die Pandemie Schuld ist. Nichts ist mehr perfekt. Captions sind entweder kurz und ohne Botschaften. Oder lang und poetisch. Aber ohne konkreten privaten Einblick. Es gibt nur noch wenig Nährboden für Konflikte, keine Angriffsflächen mehr. Ist das traurig? Im Gegenteil. Mir gefällt das. Niemand ist verpflichtet mir gegenüber sofort sein ganzes Leben auszubreiten. Wer das trotzdem machen möchte, auch um Verbündete zu finden – go for it. Rückzug kann aber immer eine gute Option sein, um zu heilen.
Was passiert also, wenn Mark Zuckerberg uns seine sozialen Netzwerke wirklich wegnimmt? Erinnert ihr euch an den Tag, an dem Instagram, Facebook UND Whatsapp down waren? Innerhalb weniger Stunden hatten zahlreiche Leute ihre Newsletter reaktiviert. Wir können nicht nicht kommunizieren. Wir brauchen unser digitales Dorf. Ob nun zur Selbstbestätigung, um uns zu empowern, dazuzulernen oder einfach nur den neuen Rabattcode einzulösen. Ich bin mir sicher, wir finden eine Lösung. Mein Nutzerinnenverhalten hat sich über die letzten zehn Jahre stark gewandelt. Und auch, wenn ich inzwischen eher eine beobachtende Position einnehme, so schätze ich immer noch die Kraft und Wirkung, die Diskurse und Beziehungen auf Instagram entfalten können. Ich muss ja nicht immer mittendrin sein. Troubadix Baumhaus ist möglicherweise sogar noch erschwinglich – da gibt’s sicher eine gute Aussicht. Und den Briefkasten lasse ich dann einfach weg.
Was passiert, wenn es Instagram auf einmal nicht mehr gibt? Vielleicht würde ich Tiktok dann doch mal eine Chance geben, auch wenn ich mich beim Öffnen dieser App immer noch so fühle wie meine Eltern als sie das erste Mal VIVA gesehen haben. Und gab’s da nicht noch dieses, wie hieß es noch gleich, irgendwas mit Klubhaus? Tumblr soll auch wiederkommen, habe ich gehört. Wer weiß, vielleicht sind wir bald schon alle wieder mit Tom von MySpace befreundet.
Oder – richtig retro – wir schreiben uns Briefe. Ich wette, die Post hat das Comeback von Letternet schon in der Schublade. Denn die Menschen, die uns gut tun, die uns durch Quarantäne, Liebeskummer und persönliche Krise bringen, die uns bestärken und mit Komplimenten überschütten – die bleiben, egal, was Mark so vorhat.
Hallo,
sehr interessanter Artikel. Ich habe bewusst keinen Instagram-Account und finde es schade, dass viele Inhalte auch bei euch ohne Insta gar nicht mehr zugänglich sind.
LG!
Leider gerade Realität bei Kulturinstitutionen, deren Insta-Accounts gehackt und gelöscht wurden. Heute ist dazu auf Monopol-Magazin ein Artikel erschienen. Sind ebenfalls betroffen …alle Posts und Follower, selbst der Accountname für immer weg…und wir haben einfach keine Möglichkeit, diesen zurückzugewinnen…ohne Worte…