Liebe, Beziehung & Sex
Lieber lesbisch
Mirna Funk steht auf Frauen. Sie schläft mit ihnen, nur verliebt hat sie sich leider noch nie.
von Mirna Funk - 01.07.2020
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Ich wünschte, ich wäre lesbisch. Wirklich. Das sage ich, weil ich Frauen liebe. Die meisten jedenfalls. Weil ich mich mit ihnen lieber unterhalte, lieber Zeit verbringe, lieber lache und lieber weine als mit Männern.
Das war schon immer so. Deshalb dachte ich auch sehr früh und für eine lange Zeit, dass ich Frauen nicht nur platonisch, sondern romantisch lieben könnte. Mit 16 Jahren fing es an. Ich hatte ein Auge auf meine damalige Deutschlehrerin geworfen. Sie ging mit ihrer Liebe zu Frauen offen um, war Anfang 40 und eine unfassbar kluge, progressive und tolle Lehrerin. Meine Chancen standen allerdings schlecht, wie der Gesetzgeber an dieser Stelle bestätigen würde. Bis zu meinem Abitur himmelte ich sie ein bisschen von der Schulbank aus an und wurde dann in die Freiheit entlassen.
Es dauerte noch mal fünf Jahre, bis ich das allererste Mal wirklich mit einer Frau schlief. Ich hatte mich von Berlin verabschiedet und entschieden, zwei Monate in Tel Aviv zu verbringen. Es war Sommer. Konstant 35 Grad am Tag und 25 Grad in der Nacht. Eine alte Freundin und ich zogen um die Häuser, bis wir gemeinsam in meiner Wohnung landeten und miteinander schliefen. Unsere Selbstdefinition war bis zu diesem Zeitpunkt heterosexuell gewesen, auch wenn ich in den Jahren zwischen meiner Deutschlehrerin und dem Tel Aviv-Aufenthalt immer wieder betrunken mit irgendwelchen Girls rumknutschte, aber Sex, Sex mit einer Frau hatten weder sie noch ich jemals gehabt. Das mag, rückblickend jedenfalls, auch der Grund sein, warum wir uns so wohl miteinander fühlten, als wir nackt nebeneinander- und aufeinanderlagen. Es gab keinen Erfahrungsvorteil bei keiner von uns beiden. Weder sie noch ich hatten einen Plan.

„Weder sie noch ich wussten, wie man eine Frau oral befriedigt oder fingert, bis sie kommt.“ -

Also erarbeiteten wir uns das gemeinsam, ohne in eine missliche Lage schliddern zu können und uns vor der anderen lächerlich zu machen ob der fehlenden Skills. So ging das ein paar Wochen, bis wir uns eingegroovt hatten und loszogen, um Männer abzuschleppen und Dreier zu veranstalten. Das stellte sich als gar nicht so einfach heraus, wie man möglicherweise denken würde. Die meisten waren von dieser gebündelten Männerfantasie völlig überfordert. Entweder bekamen sie keinen hoch oder sie wussten nicht, was sie mit uns machen sollten und vor allem, mit wem als Erstes.
Als der Herbst begann, flog ich zurück ins stürmische Berlin. Mit im Koffer das Wissen um den weiblichen Körper. Wie man ihn berühren soll, was man mit ihm als Frau alles anstellen kann, wie man sich auf ihn individuell einlässt und warum Sprechen beim Sex und das Äußern von Wünschen so unglaublich wichtig sind.
In den kommenden Jahren schlief ich immer wieder mit Frauen. Manche hatten noch keine Erfahrungen, manche definierten sich als hetero, manche als bi, manche als eindeutig lesbisch, und einige waren schon so weit, dass sie das mit den Labels generell ablehnten. Mit manchen schlief ich nur einmal, mit anderen wieder mehrmals oder manchmal nahmen wir noch einen Mann mit dazu oder eben zwei. Je nach Lage und Angebot. In dieser Zeit lernte ich auch viel über mich. Nämlich zum einen, dass der weibliche Orgasmus bei lesbischem Sex natürlich viel stärker im Zentrum steht und es eigentlich ohne Ausnahme darum geht, ihn jeweils bei der anderen zu erreichen, und zum anderen, dass ich mich nicht verliebte. In keine dieser Frauen. Dass also diese Idee, ich könne mich irgendwann romantisch und langfristig auf eine Frau einlassen, einfach nicht zu realisieren war.
Selbst heute denke ich wehmütig daran zurück. An diese Zeit, in der ich noch glaubte, mir fehle es nur an Mut und Erfahrung, dann würde das vielleicht schon automatisch passieren, mit mir und den Frauen. Seit ich weiß, dass es nicht so ist, hat sich mein sexuelles Interesse an Frauen aber nicht verändert. Lange Zeit habe ich mit keiner mehr geschlafen, was aber vielmehr meinem vollen Terminkalender und den komplexen Lebensumständen geschuldet ist als dem fehlenden Verlangen. Für mich ist und bleibt der weibliche Körper schöner als der männliche. Attraktiver, anziehender und entdeckungswürdiger. Ich bemerke auch, wie sich mein Beuteschema verändert hat, auf welche Frauen ich mittlerweile stehe. Sie sind älter geworden, so wie ich eben auch, und meistens nicht auf der Suche nach der ersten Erfahrung mit einer Frau, wie so viele zuvor, sondern fertig mit ihrem Selbstverständnis.

„Einfach angekommen. Egal, wie man dieses Ankommen bezeichnen würde.“ -

Ich weiß nicht, ob der Zug so völlig abgefahren ist, und ich will, obwohl wissend darum, dass ich mich per se dem männlichen Genital immer noch stärker hingezogen fühle als einer Vulva, die Hoffnung noch nicht völlig aufgeben, dass es nur die richtige Frau braucht, um total verknallt über beide Ohren unter der Chuppa zu stehen und durch ihre Haare zu fahren. Denn das Leben ist lang und man entwickelt sich. In vielen Bereichen bleibt man immer gleich, in einigen kann man seine Position radikal ändern. Für alle Frauen, die sich jedenfalls schon immer gefragt haben, wie das so ist mit einer Frau, die Fantasien hatten, die am liebsten Lesbenpornos schauen und beim Anblick einer Vulva fünfmal hintereinander kommen, kann ich nur raten, über den eigenen Tellerrand zu schauen und es einfach mal auszuprobieren. Vielleicht mit einer Frau, die genauso wenig Erfahrung hat, vielleicht mit einer, die das Skillset in der Sakkotasche trägt.
Foto: Shai Levy

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