Hast du dir schon überlegt, was du im nächsten Jahr beruflich erreichen möchtest? Zum Beispiel: mehr Urlaub, weniger Arbeitszeit, mehr Gehalt, weniger Abstimmungen ... Wie du deine neuen Ziele mit deinen Vorgesetzten verhandelst, dazu hat unsere Karrierekolumnistin Marina Schakarian sich Gedanken gemacht und verrät heute das Einmaleins der Verhandlung. Wie wir uns auf diese Art Gespräche vorbereiten und das bekommen, was wir uns wünschen. Schließlich haben wir alle nichts zu verlieren, sagt Marina. Stimmt!
Na, dann: Los geht’s und viel Spaß mit dem Lunch-Date mit Marina, das es jetzt nicht nur zum Anhören, sondern auch zum Lesen gibt. Den Text findet ihr unter dem Audio-Beitrag.
Herzlich
Das Einmaleins des Verhandelns.
Ich stand auf einem bunten, geschäftigen Basar mitten in Eriwan. An einem Stand entdeckte ich eine wunderschöne, alte Kaffeemühle. Meine Augen leuchteten auf, ich erzählte aufgeregt meiner Tante, wie schön ich sie fände, aber dass sie bestimmt teuer sei. Sie schob mich kurzerhand zur Seite und fragte den Standbetreiber auf der Landessprache, ob das alles sei, was er zu bieten habe – die Mühlen hätten ja einige Jahre auf dem Buckel, sie hätte bei einem anderen Standbetreiber schönere gesehen. Der Standbetreiber reagierte überrascht und etwas angegriffen, es ging kurz hin und her mit dem Preis, meine Tante meinte: „Na gut, dann nicht“, und schob mich weiter. Ich, die nicht wirklich verstand, der Preis hörte sich für mich ganz okay an, drehte mich noch kurz um, ließ mich aber dann enttäuscht weiterschieben. Ein paar Schritte und schon rief uns der Standbetreiber zurück und ging auf unseren Preis ein, schenkte mir sogar noch einen Silberlöffel dazu. Seit diesem Ereignis im Urlaub weiß ich:
„Wer gut verhandeln will, muss bereit sein, wegzugehen.“ -
Und damit herzlich willkommen bei unserem Lunch-Date. Die meisten von uns verhandeln viel zu selten – wenn es hoch kommt, zu Beginn eines Jobs, manchmal lassen sie sich aber das Gehalt lieber diktieren, um nur nicht aufzufallen, sodass sie sich scheinbar komfortabel in ihrem Einkommensnest einnisten können. Allerdings schreitet unser Leben stetig voran, die Bedürfnisse ändern sich und unsere Fähigkeiten entwickeln sich täglich. Was vielleicht vor ein, zwei, drei Jahren angemessen war, passt immer weniger zu uns. Umso wichtiger ist es, selbst im festen Job, nicht aufzuhören zu verhandeln. Vor allem zum Ende eines Jahres kann man Bilanz ziehen: Was hat dieses Jahr Spaß gemacht, was hat Kraft gekostet und was wünscht man sich für nächstes Jahr mehr?

Dabei muss es natürlich nicht immer nur um Geld gehen. Auch eine neue Aufgabe, ein neuer Titel, eine Versetzung, mehr Verantwortung, Urlaub oder weniger Arbeitsstunden und andere Boni können unsere Jobehe wiederbeleben und an unsere aktuellen Lebensbedürfnisse anpassen.
Und davor steht immer eins: die Verhandlung.
Interessanterweise drückt das Wort an sich schon nichts Positives aus: Ver-Handlung, also eine falsche Handlung, ein Vergehen? Selten sehen wir also einer Verhandlung mit einem guten Gefühl entgegen, denn meistens herrscht zum Beispiel bei Gehaltsverhandlungen mit der Chefin oder dem Chef ein klares Machtgefälle. Ähnlich wie beim Pokern können wir nicht im Vorfeld in die Karten des Gegenübers schauen und müssen uns trotzdem irgendwie vorbereiten. Oftmals hat die Chefin oder der Chef eine ganz eigene, versteckte Agenda, die sie bzw. er mit an den Spieltisch bringt. Anweisungen von noch weiter oben, ungefragtes Feedback oder ganz eigene Vorstellungen zum weiteren Verlauf in der Firma. Da wir nur wenig Einfluss darauf haben, was das Gegenüber mit in die Verhandlung bringt, müssen wir bei uns anfangen:
Drei Fragestellungen zur Vorbereitung:
„Was möchte ich?“ -
Um erfolgreich zu verhandeln, musst du wissen, was du willst, und dir zu 100 Prozent sicher sein. Am Stand auf dem Basar wusste ich: Ich will die Kaffeemühle. Wenn ich mit der günstigeren Bronzeschale heimgegangen wäre, hätte mich das nicht glücklich gemacht. Definiere ganz genau, was du brauchst. Schreibe dir dazu eine Liste an Wünschen und gewichte sie von 1 bis 5. Beim Verhandeln geht es natürlich auch um Kompromisse, die du dir am besten vorher überlegen solltest. Vor einer meiner letzten Verhandlungen war mir klar: Entweder beim Geld oder beim Team, das ich zusammenstellen darf, müssen mir meine Vorgesetzten entgegenkommen. Natürlich habe ich beides erst mal eingefordert – schlussendlich war mir für ein Projekt aber die Arbeitsumgebung, also die Teammitglieder, wichtiger als ein Aufstocken des Gehalts. Solche Überlegungen solltest du am besten mit einer vertrauten Person durchspielen, ein paar Wenn-dann-Pfade überlegen. Grundsätzlich sollte das Ziel klar sein: aus der Verhandlung rausgehen und sich angemessen anerkannt fühlen.
„Was ist meine Arbeit wert?“ -
Des Weiteren solltest du dir deinen Wert für das Unternehmen vor Augen führen. Was hast du bisher geleistet und erreicht, was bringst du an Skills und Eigenschaften mit, welche Fähigkeiten wären für das Unternehmen schwierig zu ersetzen? Natürlich definiert unser Gehalt nicht unseren Wert als Mensch, dennoch trägst du, egal in welcher Position du arbeitest, täglich durch deinen Einsatz zum Wohlergehen des Unternehmens und der Kolleg*innen bei. Punkt. Bei der Frage „Was ist meine Arbeit wert?“ geht es darum, dir das konkret vor Augen zu führen. Da unsere eigenen Vorteile oft unser blinder Fleck sind, kannst du dir dafür auch Feedback von Freunden, Familie oder vertrauten Kolleg*innen holen:
Was kannst du besonders gut, was macht dich aus, welche Aufgaben fallen dir leicht? Achte aber darauf, nicht ins Vergleichen abzudriften, sondern deine beruflichen Alleinstellungsmerkmale auszuarbeiten. Du hast kein Problem damit, aus dem Stegreif Telefonate zu führen? Du organisierst immer alle Meetings und trägst zur lockeren Stimmung selbst in angespannten Situationen bei? Du bist eine super Zuhörerin, sodass Kund*innen dir meistens das Herz ausschütten? Was auch helfen kann, ist ein Perspektivwechsel: Denn Studien belegen, dass vor allem wir Frauen für unsere Freunde besser verhandeln als für uns selbst. Versuche dafür, einen Blick von außen zu bekommen, und schreibe dir mal ein paar Komplimente auf. Das alles ist nicht nur Balsam für deine Seele, sondern auch das Fundament für deine Verhandlung. Denn du kannst daraus die Argumente und Begründungen für deine Forderungen machen. Denn es gilt immer: ohne Belege keine Beförderung.
„Wovor habe ich Angst?“ -
Stelle dich deinen Ängsten: Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Wir blicken Verhandlungen ängstlich entgegen, da wir mit der Forderung und dem Ausgang der Verhandlung emotional verbunden sind. Was soll die Chefin oder der Chef bloß von mir denken? Sind die Kolleg*innen sauer, wenn sie von meiner Beförderung erfahren? Sind meine Wünsche überzogen? Die stärkste Verhandlungsposition hast du, wenn du für dich bereit bist, alle Konsequenzen zu tragen. Und im Zweifel, wie meine Tante auf dem Markt, auch wegzugehen. Natürlich nicht Hals über Kopf am Verhandlungstisch schnippisch sagen: „Dann gehe ich halt.“ Sondern ernsthaft in Erwägung ziehen, ob anderswo nicht etwas Passenderes auf dich wartet.
Meistens ist das aber nicht das Schlimmste, was passieren kann. Eventuell ist das Schlimmste in der Situation ein: „Nein, das geht gerade nicht“. Und alles bleibt, wie es war. Nur dass du für dich geschärft hast, was dir wichtig ist, und das auch transparent bei deiner Chefin oder bei deinem Chef angemerkt hast. Die*Der bestenfalls deine Ambitionen ab jetzt auf dem Schirm hat. Was hast du also zu verlieren?
Wenn du jetzt mental vorbereitet und aufgeladen bist, kannst du ran an den Verhandlungstisch. Jede*r von uns muss ihren*seinen eigenen Verhandlungsstil finden, einen, der ihr*ihm abgenommen wird. Das kommt vor allem durch Übung. Deswegen halte ich mich mit irgendwelchen Pseudo-Marketingtipps zurück und möchte dir nur mein kleines Verhandlungs-Einmaleins mit auf den Weg geben:
1. Der Termin:
Bitte deine Chefin oder deinen Chef um einen Termin und sage klar, worum es dir geht, dass du über deine berufliche Zukunft, Feedback, deinen Vertrag et cetera sprechen möchtest. Damit gibst du deinem Gegenüber eine faire Chance, sich vorzubereiten und eventuell zum Beispiel Budgets und Möglichkeiten für dich im Vorfeld abzuklopfen. Bestenfalls machst du bei einer Verhandlung deine Vorgesetzten zu Verbündeten, zu Fans deiner Gehaltserhöhung also. Denn die können in den meisten Fällen auch nicht komplett frei entscheiden, sondern deine Forderungen nur weitertragen. Dafür sollten sie davon selbst überzeugt sein und das erreicht man eben am besten, wenn man sie nicht eiskalt nach dem Mittagessen erwischt, sondern ihnen die Zeit zur Vorbereitung lässt.
2. Die Forderung:
Wie oft habe ich den angsterfüllten Blick bei Verhandlungen auf die Frage „Wie viel haben Sie sich denn vorgestellt?“ gesehen. Dabei müsste es das Bestreben von jedem*jeder Bewerber*in sein, die erste Zahl zu sagen! Denn dann ist klar, wer 60.000 will, kann nicht mehr auf 30.000 runtergehandelt werden.
Außerdem gibt es das Mann-Frau-Phänomen, was sich schlussendlich aufs Gehalt auswirkt: Männer steigen immer zu hoch oder an ihrer höchsten Grenze ein, Frauen irgendwo in der Mitte oder, noch schlimmer, an ihrer untersten Schmerzgrenze – mit einem nach unten gesenkten Blick und den Worten: „Also damit wäre ich zufrieden ...“ Deswegen möchte ich dir mitgeben: Wenn du ein Gehalt oder andere Forderungen im Kopf hast, aber dich noch nicht traust, sie zu verlangen, kann ich dir versichern: In 99 Prozent der Fälle sind sie angemessen.
3. Die Zeit:
Eine Verhandlung ist dazu da, an einen Tisch zu kommen und seine Ansichten und Forderungen auszutauschen, nicht unbedingt, um sich final zu einigen. Das im Hinterkopf nimmt dir vielleicht den Druck, vorschnell zu reagieren und dich eventuell auf etwas einzulassen, was du bei genauer Betrachtung doch nicht so gut findest. Wenn du also merkst, dein Gegenüber geht nicht auf deine Ideen und Forderungen ein, kannst du euch beiden Zeit zum Überlegen geben.
4. Das Auftreten:
Wenn du nun schon beim Gedanken an das Gespräch schwitzige Finger bekommst, solltest du dich auch körperlich vorbereiten. Angst blockiert einen sachlichen Austausch und lässt uns nicht klar denken. Folgende Tipps haben sich bei mir bewährt, um die Angst vor der Tür zu lassen und in ein selbstbewusstes Mindset zu kommen. Vielleicht ist ja das ein oder andere für dich dabei: Deine Körperhaltung spiegelt dir und deinem Gegenüber deinen Zustand wider. Wenn wir an unangenehme Gefühle wie Nervosität, Angst oder Schmerz denken, ziehen wir uns zusammen, machen uns krumm und klein. Wie sitzt du gerade da, während du diese Kolumne liest? Dem zusammensackenden Impuls kann man mechanisch entgegenwirken. So blöd es klingt, ich stimme mich vor wichtigen Gesprächen mit der Powerpose ein: aufrecht hinstellen, Beine fest und breit im Boden verankert, die Hände ausgestreckt in V-Form. So dass du dich so breit und präsent wie möglich machst. Halte diese Pose mindestens zwei Minuten lang. Gerne auch vor dem Spiegel. Wenn du in einem Gespräch merkst, dass du zusammensackst oder plötzlich Kritik einstecken musst, mach dich extra groß: Mache den Rücken gerade, entknote deine Beine, öffne deine Arme oder verschränke sie entspannt hinter deinem Kopf.
Ich habe früher die Schüler*innen belächelt, die bei Klassenarbeiten ihre Glücksbringersammlung vor sich ausgebreitet haben. Allerdings ist das nichts anderes, als positive Ankerpunkte zu setzen, und das können wir auch als Erwachsene in schwierigen Situationen einsetzen. Setze dir bei der oben genannten Vorbereitung Geruchs-, Geschmacks- oder visuelle Anker: Es kann ein Raumduft, ein Parfum sein, ein Bonbon, das du lutschst, ein Foto, Stein oder anderer Talisman, die du dann auch zur Verhandlung mitnimmst. Das alles hat ein Ziel:
„dich möglichst entspannt und selbstbewusst zu stimmen.“ -
Wenn dir solche Anker dabei helfen, nimm sie mit. Wenn sie dich zusätzlich nervös machen, weil du sie in der Hosentasche umklammerst, lass sie lieber zuhause und frag dich, was dir persönlich in der Situation helfen kann, dich zu entspannen.
Ich möchte dir noch eins auf den Weg mitgeben: Eine missglückte Verhandlung darfst du nicht als persönliche Niederlage in der Vita, sondern als Ansporn sehen. Ich möchte dich ermuntern, öfters aus der Komfortzone „lieber nichts verlangen und beim alten Übel bleiben“ rauszukommen, denn dadurch sammelst du nicht nur neue Erfahrungen, sondern hast die Möglichkeit, dir klarzumachen, was du in deiner jetzigen Situation brauchst. Jede gelungene Verhandlung stärkt dir den Rücken und lässt dich zufrieden und stolz darauf schauen, so wie ich bis heute auf meine Kaffeemühle.
Ich hoffe, dieses Lunch-Date hat dir weitergeholfen. Wann hast du eigentlich das letzte Mal verhandelt und wie ist es gelaufen? Erzähle mir das gerne mal in den Kommentaren.
Deine