Finanzen & Sparen
Zwei-Zimmer-Vorsorge
Ist es schlau, eine Kleinstimmobilie als Altersvorsorge anzuschaffen? Experte Gerd Kommer sagt: nicht unbedingt.
von Lena Schindler - 01.08.2020
Viele, die sich kein Haus mit Garten leisten können, denken daran, sich „was Kleines“ zu kaufen, um es zu vermieten oder später mal selbst darin zu leben. Wie clever so ein Modell ist, weiß Gerd Kommer, Finanzexperte und Autor von Ratgebern wie „Kaufen oder Mieten“ oder „Souverän investieren vor und im Ruhestand“ – und ihr kennt ihn sicher schon aus dem Beitrag „Endlich Eigentum“ hier im Abo. Ich habe mit ihm gesprochen und er hat mir alles Wichtige zum Thema Kleinstimmobilien erklärt.
Viel Spaß beim Lesen des Interviews – und falls ihr weitere Fragen habt, stellt sie gerne in den Kommentaren!

Herr Kommer, wer ein bestimmtes Alter erreicht hat und zur Miete wohnt, kriegt oft zu hören: „Dann kauf dir doch eine Zwei-Zimmer-Wohnung als Absicherung für später!“. Aber stimmt es, dass diese Investition so schlau ist, wie alle sagen?

Diese Vermögensbildungsstrategie ist in den angelsächsischen Ländern besonders verbreitet, dort wird sie „Property Laddering“ genannt – und funktioniert so: Ich kaufe mir zunächst die kleinstmögliche Immobilie in einer günstigen Gegend mit einem 90-Prozent-Kredit. Die Hoffnung dahinter ist die, dass die Preise in ein paar Jahren stark gestiegen sein werden, ich bis dahin ein wenig von dem Kredit getilgt habe und mein Einkommen in der Zwischenzeit gestiegen ist. Jetzt verkaufe ich die Immobilie und hole mir aus dem Verkaufserlös ein etwas größeres Objekt, wieder mit einem 90-Prozent-Kredit. Bis ich 60 bin, wiederhole ich das Spiel fünfmal und werde dabei reich …

Aber das geht nicht immer gut, oder?

Nur wenn die Preise wirklich steigen oder das Haushaltseinkommen sich vergrößert, kann so eine Konstruktion funktionieren. Aber in der Finanzkrise vor zwölf Jahren ist Property Laddering in Großbritannien, in den USA, Spanien oder Italien millionenfach schiefgegangen. Diese Haushalte haben 100 Prozent des eigenen Geldes, das sie reingebuttert hatten, verloren und die Immobilie natürlich auch.

Weil der Kredit zu hoch und alles auf Kante genäht war?

Genau. Auch bei uns in Deutschland sind Finanzierungen von bis zu 80 Prozent normal, das kann in Krisenzeiten eng werden, wenn man keinen Puffer eingeplant hat. Denn wenn die Immobilie an Wert verliert, bleibt der Kredit natürlich in voller Höhe stehen. Können die Raten nicht mehr bezahlt werden, schaut sich die Bank das vier, fünf Monate an. Dann hat sie ein Kündigungsrecht und darf das Objekt verwerten. Sprich: Das Ding wird einfach rausgehauen, zwangsversteigert. Die Summen, die dabei erzielt werden, liegen bis zu 40 Prozent unter dem Marktpreis.

Ist das nicht ein sehr düsteres Szenario?

Mag sein. Aber in der großen Finanzkrise, die 2009 ihren Höhepunkt hatte, haben Millionen von Menschen weltweit mit vermeintlich risikoarmen Immobilien ihr gesamtes Vermögen verloren. An den hohen Zinsen, wie man vielleicht meinen könnte, lag das übrigens nicht. Die waren schon damals im historischen Vergleich eher niedrig.

Wenn ich dennoch an meiner Idee festhalten will, so eine kleine Bude für meinen Ruhestand zu haben: Was kann ich tun, damit mir sowas nicht passiert?

Die erste Frage, die man sich beantworten muss, ist: Will ich dort selbst wohnen oder vermieten? Ich persönlich bin der Meinung, dass Vermietung in dem Fall keine gute Idee ist. Als so genannter Kleinvermieter konkurriert man mit den gewerblichen, großen Vermietern, die im Vergleich rund 30 Prozent niedrigere Kosten haben – Immobilienkaufpreis, Zinsmarge der Banken, Maklerkosten, Instandhaltungskosten, Versicherung, Rechtsberatung. Die gewerblichen Vermieter mit ihren viel niedrigeren Kosten bestimmen aber die Mieten. Dagegen stehen Sie dann einfach schlecht da. Das funktioniert wirklich nur in äußerst günstigen Marktphasen, wenn die Immobilienpreise und Mieten steigen wie in den letzten zwölf Jahren, aber selbst dann verdienen sie nicht viel.

Wie sieht es aus, wenn ich vorhabe, selbst mal dort einzuziehen?

Das ist etwas anderes. Damit das aber funktioniert, sollte ich mir sehr sicher sein, dass ich dort mindestens fünf, besser zehn Jahre meines Lebens wohnen werde. Sonst rechnet es sich nicht. Denn Kauf- und Verkaufskosten für Immobilien in Deutschland sind sehr hoch, die durchschnittlichen „Round Trip“-Kosten für Kaufen und Verkaufen liegen bei rund zwölf Prozent des Immobilienwertes. Dazu gehören Grunderwerbsteuer, Maklerkosten, Notargebühren, Grundbuchgebühren. Und wenn Sie nach kurzer Zeit wieder verkaufen, übersteigen sie schnell den Wertzuwachs – falls es einen gibt.

Und wenn meine Lebensplanung noch offen ist?

Dann würde ich abraten. Ich sollte mir aber nicht nur sicher sein, dort selbst zu leben, sondern außerdem mindestens 30 Prozent Eigenkapital und ein einigermaßen sicheres Einkommen haben. Sind diese Voraussetzungen erfüllt und habe ich einfach keine Lust, mich mit Aktien oder Fonds zu beschäftigen, dann kann diese Art der Vermögensbildung schon sinnvoll sein. Aber auch dann gilt:

„Die Ertragschancen sind nicht so gut und das Risiko nicht so niedrig, wie viele glauben.“ -

Viele haben aber dabei die tollen Preissteigerungen der letzten Jahre im Kopf …

Ja, in den letzten zwölf Jahren sind die Immobilienpreise und Mieten in den deutschsprachigen Ländern enorm gestiegen. Dabei muss man aber auch bedenken, dass wir 2008 von einem extrem niedrigen Niveau gestartet sind, da sich die Preise in Deutschland in den 20 Jahren zuvor miserabel entwickelt hatten. Aber jetzt, nach einem ungewöhnlich guten Jahrzehnt, nach diesem statistischen Ausreißer nach oben, glaubt jeder, dass es nun immer weiter nach oben geht. Das ist ohne Einschränkung falsch. Es ist unwahrscheinlich, dass sich das angesichts des nun relativ hohen Preisniveaus und im Hinblick auf möglicherweise steigende Zinsen wiederholen wird.

Dass ich jetzt noch eine Immobilie kaufen kann, die fünf Jahre später das Doppelte wert ist, wie zum Beispiel noch vor ein paar Jahren in Berlin, ist also sehr unwahrscheinlich?

Ja, da müsste meines Erachtens schon ein kleines Wunder geschehen. Übrigens setzen solche Preissteigerungen einen weiteren deutlichen Anstieg der Mieten voraus. Soweit ich weiß, wird die Politik das aber eher nicht tolerieren.

Wie beziehe ich denn Wertsteigerungen oder -verluste überhaupt in meine Planung ein? Ich kann ja nicht immer mit einer Wirtschaftskrise rechnen!

Letzten Endes wird Ihnen kein Mensch, der sich wissenschaftlich und seriös mit dem Thema beschäftigt, diese Frage beantworten können. Für kurz- und mittelfristige Zeiträume, also ein bis fünf Jahre, sind Prognosen über die Entwicklung und Rendite von Vermögenswerten völlig sinnlos. Darum sollte ich eben doch immer auch den Worst Case mit einbeziehen. Ich muss also in der Lage sein, eine Immobilie über die nächsten zehn Jahre zu finanzieren, auch wenn die Preise nicht steigen, die Zinsen merklich anziehen und mein Einkommen in dieser Zeit gleich bleibt oder sogar etwas nach unten geht. Wenn mein „Immobilienkauftraum“ auf dieser Basis nicht funktioniert, ist es nicht klug, ihn trotzdem auf Biegen und Brechen umzusetzen.

Lassen sich denn für längere Zeiträumen Prognosen machen?

Je länger ich in einer Immobilie lebe, ohne sie zu verkaufen, desto eher rechnet sich die Kiste. Aber noch mal: Fast alle Privathaushalte überschätzen die Wertsteigerungen. In den letzten 50 Jahren betrug die inflationsbereinigte Wertsteigerung von Wohnimmobilien in Deutschland durchschnittlich 0,4 Prozent pro Jahr. In den letzten 130 Jahren waren es in den USA 0,5 Prozent pro Jahr. Wenn ich Kunden diese Zahlen nenne, gehen meistens die Augenbrauen hoch. Immobilienwissenschaftler gehen aber davon aus, dass die reine Wertsteigerung exklusive Inflation über sehr lange Zeiträume weltweit zwischen null und einem Prozent liegt. 

So wenig? Das ist ja ernüchternd!

Das überrascht viele, weil wir eben nur die letzten zehn Jahre im Kopf haben. Doch das war nicht normal. Normal ist der Durchschnitt der letzten 50 Jahre.

Viele, die in den nächsten 20 Jahren in Rente gehen werden, wünschen sich trotzdem ein „solides“ Investment wie eine kleine Wohnung oder denken an „mietfrei wohnen im Alter“.

Ja, richtig. Tatsächlich kann aber die Situation für viele Ruheständler, die ihr gesamtes Vermögen in einer Immobilie konzentriert haben, genau deswegen im Alter schwierig werden. Ein Beispiel: Angenommen, wir haben Anna und Maria, beide sind 65 Jahre und leben in zwei identischen Reihenhäuschen. Anna wohnt zur Miete und hat 400.000 Euro in einem Bankdepot. Maria hat ihr Häuschen vor 35 Jahren gekauft und es ist nun schuldenfrei und ebenfalls 400.000 Euro wert. Die beiden Damen haben also das gleiche Vermögen und bekommen die gleiche Rente. Anna erzielt mit ihrem 400.000-Euro-Depot auf der Bank Erträge aus Dividenden, Zinsen und Kurssteigerungen. Maria muss im Gegenzug keine Miete zahlen. Aber beide haben ein kleines Cashdefizit im Monat von 500 Euro, das sie irgendwie decken müssen.

Und nun?

Maria hat dadurch ein Problem, denn ihre Wohnung kann man nicht wie eine Salami aufschneiden und jeden Monat 500 Euro entnehmen. Anna hingegen holt sich das Geld jeden Monat von der Bank. Sie kann sich entspannt zurücklehnen, ohne ihren Lebensstandard reduzieren zu müssen. Maria hingegen muss über unbequeme Lösungen nachdenken, etwa die Immobilie zu verkaufen, sie zu beleihen, einen Untermieter zu suchen oder eben ihren Lebensstandard zu reduzieren. Eigentlich will sie nichts von alledem.

Aber wenn Maria in einer boomenden Stadt wie München oder Frankfurt gekauft hat, dann kann sie doch zumindest immer mit einer satten Wertsteigerung rechnen, oder?

Nicht unbedingt. In den „Big-Seven“-Städten – Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart – sind die Bewertungen aktuell auch einfach zu hoch für weitere deutliche Steigerungen. In der Finanzkrise 2007 bis 2009 sind weltweit auch in angesagten Metropolen wie San Francisco oder Dublin die Preise um bis zu 50 Prozent gefallen. Oft wird angenommen, dass Immobilien in Großstädten kontinuierlicher und stärker an Wert gewinnen als auf dem platten Land. Das mag in den letzten 15 Jahren so gewesen, aber es ist nicht grundsätzlich so. Auch bei uns in München höre ich dauernd, dass die Preise hier „immer nur steigen“. Das ist Quatsch. Von 1992 bis 2007 sind in München die Preise für Zwei-Zimmer-Wohnungen um 40 Prozent gefallen. Ein anderes Beispiel: Es gibt kaum ein Land, das stärker zentralisiert ist als Frankreich, trotzdem war die Wertsteigerung in Paris und im „Rest von Frankreich“ im Durchschnitt der letzten 80 Jahre sehr ähnlich und die Mietrenditen sind auf dem Land üblicherweise sogar höher.

Aber die Preise sind doch viel höher als auf dem Dorf!

Das ist aber zu jedem Zeitpunkt so gewesen, auch schon vor 200 Jahren. Dieses Preisdelta zwischen Stadt und Land war immer schon da, weil die Grundstückspreise in der Stadt viel höher sind. Das hat aber nichts mit der Rendite zu tun.

„Teuer bedeutet nicht automatisch rentabel. Oft bedeutet es das Gegenteil.“ -

Woran liegt es denn, dass einem trotzdem von allen Seiten vermittelt wird, jeder sollte in Immobilien investieren – zumindest in etwas Kleines?

Weil natürlich nur diejenigen, die Glück hatten, bei der Cocktailparty damit angeben. Von denjenigen, bei denen es sich nicht gerechnet hat, hören Sie nichts. Da spielt auch viel Wunschdenken eine Rolle. Und das wird noch durch ein Phänomen bestärkt, das ich „Investmentpornografie“ nenne …

Das müssen Sie erklären!

Dass die Risiken der Investition, ob in Immobilien, Wertpapiere oder Bitcoins, heruntergespielt oder übergangen und die Renditeaussichten überhöht dargestellt werden. Ein Beispiel: Der Untertitel eines Ratgebers lautet „Warum Immobilien so phänomenal lukrativ sind“. Solche Jeder-kann-reich-werden-Versprechungen sind schlüpfriger Denkmüll, eben Finanzpornografie. Wenn Sie zu viel davon konsumieren, kann das böse ausgehen. Denn aus der Forschung wissen wir: Nachdem irgendeine Anlagemöglichkeit – egal ob Gold, Immobilien, Aktien oder Hosenknöpfe – vier oder fünf Jahre stark und kontinuierlich an Wert gewonnen hat, sind viele Leute sehr geneigt, zu kaufen – obwohl es ökonomisch viel schlauer wäre, umgekehrt zu handeln. Da stecken oft ungute Emotionen wie Torschlusspanik, Gier, Neid und natürlich auch Gutgläubigkeit und Naivität dahinter. Viel klüger wäre es, darauf zu warten, dass die Preise fünf Jahre fallen und dann genau deswegen zu kaufen. Das machen aber nur wenige.

Informieren sich die Leute denn nicht supergenau über das, was sie dann 30 Jahre lang abbezahlen?

Die meisten vermutlich nicht. Erstaunlich wenige Privathaushalte habe eine realistische Vorstellung davon, was man mit Immobilien nachhaltig verdienen kann oder welche Voraussetzungen es braucht, um ein erfolgreicher Vermieter zu werden. Das Problem ist, dass es bei Immobilien kaum langfristige Renditedaten in der Public Domain gibt, die objektiv und leicht interpretierbar sind. Bei Kapitalmarktanlagen existiert das natürlich und Sie brauchen nur fünf Minuten zu googeln, dann haben Sie die Zahlen. Die beiden Institutionen, die solche Daten leicht publizieren könnten, die Immobilienbranche und die Banken, tun es jedoch nicht.

Und warum nicht?

Weil das Ergebnis ernüchternd wäre und nicht besonders geschäftsfördernd für  Immobilienhandel und -finanzierung. Wenn die Daten zeigen würden: Immobilien sind die superattraktive Vermögensanlage, risikoarm, die Preise gehen kontinuierlich nach oben und die Renditen sind stattlich, dann wären diese Daten längst öffentlich. Aber vermutlich erzählen sie eben eine etwas andere Geschichte. Schlussendlich gilt aus meiner Sicht: Wer über wenig Eigenkapital verfügt, keine Jobsicherheit mitbringt und sich nicht sicher ist, dass er die nächsten zehn Jahre sicher an diesem einen Ort bleiben wird, der sollte in Sachen Vermögensbildung lieber über ETFs nachdenken. Wer sich das nicht in Eigenregie zutraut, könnte einen Robo-Advisor nutzen.

„Auf gute Beratung von einer konventionellen Filialbank zu hoffen, wäre allerdings auch etwas töricht.“ -

Aber oftmals entscheiden sich doch viele lieber für eine Immobilie, weil es gar nicht nur um ökonomische Dinge geht, oder?

Ja, völlig richtig. Der Kauf einer Wohnimmobilie zur Selbstnutzung ist zu 50 Prozent auch eine Lifestyle-Entscheidung. Der Nutzen des Investments besteht nicht nur in Geld und Altersvorsorge, es sind auch emotionale, nicht quantifizierbare Dinge, wie ein Zugewinn an Selbstwertgefühl und Sozialprestige. Am besten, man berücksichtigt beides gründlich und in allen Szenarien: die emotionale und die wirtschaftliche Seite.

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