Elternsein & Geburt
Ach deshalb!
Der Holiday-Gap. Oder: Wann zur Hölle darf Mama mal entspannen?! Ninia LaGrande über feministischere Urlaube.
von Ninia „LaGrande“ Binias - 29.06.2021
Diesen Text gibt es auch als Audio-Artikel. Zum Hören ans Ende des Artikels scrollen.
      
„Und, wie war’s im Urlaub?“, frage ich meine Freundin Lena, als sie sich auf mein Sofa fallen lässt. „Ach, eigentlich bräuchte ich jetzt nochmal Urlaub vom Urlaub“, lacht sie, „aber war natürlich total schön!“ „Wieso Urlaub vom Urlaub?“ „Na, du weißt schon“, sagt sie, „all die Orga und das Packen für vier Leute, dann noch das ganze Zeug für’s Baby, tagsüber musst du immer aufpassen, dass alle Sonnenhut tragen und genug Snacks am Start sind, damit keiner schlechte Laune bekommt. Schwimmflügel nicht vergessen und sobald ich das Buch aufgeschlagen habe, will der erste Sandburgen bauen...“ „Und was macht Gregor, während du die Reisefachfrau gibst?“, frage ich. „Gregor? Ach der, der darf sich auch mal entspannen im Urlaub.“

„„Im Urlaub darf der Papa sich mal entspannen!“– Na, kommt euch dieser Satz bekannt vor?“ -

Vielleicht von euren Eltern? Oder tatsächlich aus eurer eigenen Beziehung? Ahhh, Urlaub, so schön, was?! Wenn man nicht davor, danach und währenddessen mit Wäsche waschen, Wäsche packen (natürlich für alle Familienmitglieder, nicht nur für sich selbst), Kinder eincremen, Einkaufen, Kochen, Kinder ins Bett bringen, Wäsche wieder waschen, Wohnung putzen (damit es bei der Rückkehr schön sauber ist), Wäsche zurückräumen, abwaschen, Strandtasche ein- und auspacken und tausend weiteren Dingen beschäftigt ist. Warte, habe ich für Luzie eigentlich die Badelatschen eingepackt?
Und – um eine große Kolumnistin unserer Zeit zu zitieren – ich komme nicht umhin mich zu fragen: Wann – zur Hölle – darf Mama sich mal entspannen? Lena ist bei weitem nicht die einzige, bei der das so läuft. Papa arbeitet viel, also darf er sich im Urlaub mal ausruhen. Legitim. Aber – kleiner Servicehinweis – Mama arbeitet auch viel. Nicht nur in der Lohnarbeit, sondern auch zuhause. Und das in der Regel wesentlich mehr als Papa. Laut dem zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung wenden Frauen pro Tag im Durchschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer.

„Und davon kann Mama sich im Urlaub dann nicht erholen – im Gegenteil: vom Gender- Pension- und Data-Gap zum Holiday-Gap.“ -

Auch, wenn ich diese Zahlen kenne, hat mich überrascht, dass meine Freundin Lena sich mehr Gedanken um Schwimmflügel und Apfelspalten macht als um sich selbst. Bei meinem Mann und mir – heterosexuelles Ehepaar mit einem Kind – sind diese Diskussionen nämlich kein Thema. Wie ihr in der letzten Kolumne lesen konntet, sind wir Camper. Bevor es auf eine lange Tour geht, muss also ziemlich viel vorbereitet werden. Wir sind ein eingespieltes Team. Niemand von uns denkt darüber nach, ob wir gleich viel Arbeit in die Vorbereitung reinstecken, oder inwieweit das in irgendeiner Form gerecht ist – wir machen einfach.
Auto, Lebensmittel, Bettwäsche, Tourplanung, Buchungen – macht der Mann. Meine und die Wäsche vom Kind mache ich. Kind und Mann sitzen vorne, ich mache es mir auf der Rückbank bequem (ich besitze zwar einen Führerschein, kann das Wohnmobil aufgrund meiner Körpergröße aber nicht fahren). Das bedeutet: Der Mann fährt und unterhält sich mit dem Kind. Ich höre Podcasts und reiche ab und an Wasser oder Kekse nach vorne. Wenn wir ankommen, bauen das Kind und ich Tisch und Stühle auf – Strom, Wasser, Markise: Mann. Wir ermöglichen uns gegenseitig Pausen, auch im Urlaub. So ist diese intensive Zeit mit meiner Familie für mich so entspannend, dass ich mir nicht im Anschluss, wie manch andere, nochmal einen zweiten Urlaub wünsche. Diese Aufteilung spiegelt sich bei uns auch im Alltag. Wir rechnen nicht auf – sind aber schon ziemlich ausgeglichen am Start, was Care Arbeit und Mental Load angeht. Ganz ehrlich: Anders wäre das Modell, das wir leben, auch nicht machbar. Und anders wäre ein Zusammenleben mit mir auch nicht möglich.
Das klingt als wäre das alles ganz einfach und für jede*n machbar. Natürlich ist das nicht so. Wir sind nicht alleinerziehend. Wir haben ein Kind. Und wir arbeiten beide Vollzeit – bzw. verdienen beide so viel, dass wir trotz Ehe nicht gemeinsam veranlagt werden, weil es sich nicht lohnen würde. Ich bin als selbstständige Moderatorin und Autorin sehr viel unterwegs – und ich war es auch acht Wochen nach der Geburt wieder. Deshalb erübrigt sich bei uns eine Diskussion oder Aufrechnung darüber, wer wie viel macht und mehr machen müsste. Von außen wird an uns trotzdem ab und an die Erwartung traditioneller Rollenaufteilung herangetragen – zum Beispiel, wenn mir jemand versichert, ich könne froh sein, dass mein Mann das alles so gut mitmache. Well, ihn hat noch niemand gefragt, wie gut ich mitmache, dass er irgendwas tut. Oder, dass ich Glück gehabt hätte, so einen Mann zu finden. Ich sage mal so: Jeden anderen hätte ich nicht geheiratet.
Unsere individuelle Situation ändert aber nichts daran, dass es für die meisten heterosexuellen Paare in Deutschland ganz anders aussieht: Laut einer Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben nur 10 Prozent der Frauen zwischen 30 und 50 Jahren ein eigenes Nettoeinkommen über 2.000 Euro. Bei Männern des gleichen Alters sind es 42 Prozent.

„Na, und wenn Papa das Geld nach Hause bringt, dann darf er sich im Urlaub doch auch mal entspannen, oder?“ -

Die überwiegende Mehrheit der Frauen in dieser Generation und Altersphase hat ein geringes Einkommen – weil sie eher Teilzeit arbeiten, weil sie sich eher um die Kinder kümmern. Das führt zu einer finanziellen Abhängigkeit vom meist männlichen Lebenspartner und zu Altersarmut, weil so kaum etwas für die Rente aufgebaut werden kann. Und wer finanziell erstmal abhängig ist, findet nur schwer den Weg raus aus dieser Abhängigkeit – vor allem, so lange diese Verhältnisse durch das Ehegattensplitting immer noch gefördert werden, Alleinerziehende aber in der Regel wie Singles besteuert werden. Mal ganz davon abgesehen, wenn Paare, oder eben Frauen, sich intensiv um pflegebedürftige Personen in der Familie kümmern müssen.
Mit Blick auf diese Lebensverhältnisse fällt es mir schwer, Tipps zu geben, wie man feministischer in den Urlaub fahren könnte. Mein: „Schau mal, wir machen das eben einfach so.“ hilft denjenigen, die sich einen Urlaub gar nicht leisten können, oder sich lieber schnell um alles kümmern als einen Streit vom Zaun zu brechen, nicht wirklich. Was wir stattdessen bräuchten, wäre eine feministische und familienfreundliche (für alle Familienmodelle freundliche) Politik, die Frauen entlastet und ihnen ermöglicht, in wirklich freier Wahl, den Weg zu wählen, den sie gehen möchten. Und eine Politik, die Arbeitgeber*innen in die Pflicht nimmt, vor allem auch Männern ohne Diskussion eine lange Elternzeit zu ermöglichen. Eine 2019 beschlossene EU-Richtlinie sieht zehn Tage Vaterschaftsurlaub für Väter nach der Geburt vor. Die aktuelle Bundesregierung will diese Richtlinie aber nicht umsetzen, weil sie der Meinung ist, die vorhandenen Gesetz würden ausreichen. Nun, ich kenne genug Väter, die sich Urlaub nehmen mussten oder direkt nach der Geburt wieder arbeiten gingen, weil es hieß, dass es in ihrer Firma nicht vorgesehen sei, dass Väter freigestellt werden oder Elternzeit machen. Weniger Arbeitszeit für alle Geschlechter – verpflichtende Elternzeit für beide Elternteile, um das volle Elterngeld zu bekommen (so macht es Island und fördert damit die Gleichberechtigung) – all das wären Grundlagen dafür, dass wir im Urlaub nicht darüber diskutieren müssten, wer sich jetzt wie lange ausruhen darf und all die Mütter cremen, wickeln und kochen als würden sie für ihr Leben gern nichts anderes machen.
Zurück zu meiner Freundin Lena – als sie da so erschöpft vom Urlaub auf meinem Sofa hängt, frage ich sie, ob sie schon mal mit Gregor darüber gesprochen habe, dass es cool und gerecht wäre, wenn sie auf ihrer Sonnenliege auch mal ein paar Stunden waagerecht bleiben könnte. Hat sie nicht. Und auch, wenn ich es mühsam finde, Männer „mitzunehmen“ und Dinge erst ansprechen zu müssen, könnte es sich für Lena lohnen, mal aufzurechnen, was sie da eigentlich den ganzen Tag leistet – in einer Zeit, die eigentlich für alle Familienmitglieder schön und entspannend sein sollte. Und dann einfach mal gar nichts zu machen. Nichts. Und zu schauen, was dann passiert. Spoiler: Nichts.

„Dinge regeln sich manchmal auch von allein, wenn man sich nicht drum kümmert.“ -

Zurück zu unserem individuellen Blickwinkel. Letztes Wochenende musste ich für drei Tage beruflich in eine andere Stadt und der Mann hatte einen Campingausflug auf eine Alpaka-Farm mit dem Kind geplant (Alpakas!). Und als wir zwei, drei Tage vorher gemeinsam einkauften, kam auf einmal folgender Satz aus meinem Mund: „Soll ich dir eigentlich Klamotten für ihn rauslegen, bevor ich losfahre?“ Ich dachte an dem Tag schon auf dieser Kolumne herum und vermutlich hat mein Mund einfach ausgesprochen, was in meinem Kopf vorging. Der Mann schaute mich an, als hätte ich gefragt, ob wir am Abend mal die Kohlenhydrate weglassen sollen. Verständnislos. „Nein“, sagte er, „das kriege ich schon hin.“ Er fühlte sich fast beleidigt, dass ich diese Frage ausgesprochen hatte. Und ganz ehrlich: Ich vergesse immer mehr als er, wenn ich die Mental Load Abteilung unserer Familie leiten muss. Dass das Kind den Mittagsschlaf im Bett statt in einer Trage verbringt, ist mir zu verdanken. Weil ich vergessen hatte, die Trage für den Urlaub einzupacken. Und ja, das war ausnahmsweise wirklich mal meine Aufgabe. Immerhin hatten wir beide dann keine Rückenschmerzen mehr und das kann man ja irgendwie auch als Sorgearbeit betrachten.
Auch, wenn unsere eigenen Urlaube oft sehr harmonisch, gleichberechtigt und entspannend sind.

„Die einzige Option für mich, feministisch in den Urlaub zu fahren, ist alleine in den Urlaub zu fahren.“ -

Für den letzten Herbst hatte ich mir vier Tage in einem Hotel gebucht – auf einem Zimmer mit Whirlpool. Ich wollte niemandem verraten, dass ich in der Stadt sei. Nur lesen, masturbieren, Pasta essen und ins Museum gehen – in dieser Reihenfolge. Und mich einfach mal komplett um mich selbst kümmern. Naja, dann kam das Missmanagement der Coronapandemie, die explodierenden Zahlen in den Herbstferien und ich habe den Solo-Urlaub abgesagt. Nächstes Frühjahr hole ich das nach – in London. So all die Mutanten das zulassen. Denn so sehr ich es liebe, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. So sehr liebe ich auch mich selbst und will für mich sorgen. Denn – und ich glaube, das ist der Kern der Geschichte: Wem es gut geht, der*die kann auch für alle anderen sorgen. Und wenn dann das nächste Mal jemand sagt, der Papa müssen entspannen, weil er so viel gearbeitet habe, einfach mal alles stehen und liegen lassen und fragen, was das Geld heute Abend zum Dinner kocht.
      
Die Audiodatei gibt es hier zum Download.

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