Entspannung & Bewegung
Eine Woche Fastenwandern
Nichts essen, Einläufe machen und sich den ganzen Tag bewegen – tut das wirklich gut? Juliane hat`s ausprobiert.
von Juliane Gringer - 01.02.2023
Die Audiodatei gibt es hier als Download.
   
Eine Woche nichts essen, Darmeinläufe und wandern gehen: Dass ich so eine „Gesundheitsreise“ mal lange vor meiner Pensionierung antreten würde, hätte ich auch nicht gedacht. Aber nachdem ich immer wieder gelesen hatte, wie gut Fasten dem Körper tun soll, musste ich es unbedingt ausprobieren. Meine Bedingungen: Ich wollte es nicht zuhause machen, wo alle anderen essen würden, nur ich nicht. Ich wollte gut abgelenkt und am liebsten mit netten Menschen in der Gruppe unterwegs sein, aber trotzdem viel Zeit für mich haben. Und ich wollte meinen Hund Rudi mitnehmen – in harten Momenten könnte ich dann ja in sein Fell weinen ...
Vor dem Fasten empfiehlt sich immer ein Arztbesuch zum gesundheitlichen Check-up vor dem Start. Dann kann es losgehen, zum Beispiel mit dem Heilfasten nach Dr. Buchinger – einem echten Klassiker. Dabei nimmt man keine feste Nahrung zu sich, nur morgens einen Saft und abends eine Suppe plus am Nachmittag einen kleinen Löffel Honig. Sonst wirklich nichts, außer viel Wasser und Tee. Auf diese Weise kann man alleine zuhause fasten: Anleitungen findet man in Büchern wie „Wie neugeboren durch Fasten“ (GU Verlag), es werden Online-Kurse wie der von Professor Andreas Michalsen angeboten oder Fastenleiter*innen wie Frau Wow führen auch individuelle Coachings durch. Die Kosten reichen von 15 Euro für ein Buch bis 500 Euro für ein Coaching.
Außerdem gibt es Kliniken wie die Buchinger Wilhelmi Klinik am Bodensee, in denen das Fasten unter ärztlicher Leitung durchgeführt wird. Und ich entdeckte, dass es auch geführte Fastenwanderungen gibt, bei denen man sich in einer Gruppe in einer Unterkunft trifft, unter Anleitung fastet und gemeinsam wandern geht, oftmals ergänzt durch Yoga oder andere Bewegungsangebote und Vorträge. Die Range der Unterkünfte reicht von einfacher Berghütte mit Gemeinschaftsbad und Abwaschdienst bis zum Luxushotel. Für rund eine Woche mit Programm muss man mit ca. 700 Euro für Übernachtungen und Verpflegung (ja, doch, die gibt es da ja auch!) rechnen. Der Vorteil: Man ist raus aus dem Alltag, kann viel Verantwortung abgeben und hat mit den Fastenleiter*innen, die zum Beispiel von der Deutschen Fastenakademie ausgebildet werden, immer jemanden dabei, der bei Fragen oder kleinen Kreislaufschwächen zur Stelle ist.
„Du willst Fastenwandern? Da musst du unbedingt zu Carina von „Sunnyside Fasten“, raunte mir eine befreundete Hundebesitzerin aus dem Kiez zu. „Die macht das richtig gut.“ Carina hat eine Top-Karriere beim Fernsehen hingelegt und irgendwann realisiert, dass sie das nicht glücklich macht. Sie zog einen Schlussstrich und mit ihrem Mann von Berlin aufs Land. Da sie selbst das Fasten schon lange für sich entdeckt hatte, begleitet sie nun andere dabei. Gehört, gegoogelt, gebucht: Ende November fuhr ich zu Carina und ihrem Team in die Uckermark.
Mit ganz schön viel Gepäck – unter anderem reichlich warmen Klamotten (beim Fasten friert man schneller), Wanderschuhen und Co., dazu Körperbürste, Zungenschaber und Öl zum Entgiften sowie einem „Reiseirrigator mit flexiblem Darmrohr“. Das ist ein Topf oder Beutel, den man mit Wasser füllt, um damit Darmeinläufe durchzuführen. Ja, dabei läuft warmes Wasser in den Po – während man auf dem Boden liegt, der Topf oder Beutel irgendwo oben platziert ist, damit die Schwerkraft das Wasser in die Eingeweide schiebt. Das macht man, „sooft man mag“, wie Carina mit ihrem mitreißenden Lächeln verkündet, aber mindestens alle zwei Tage.

„Die Verdauung wird schlafen gelegt.“ -

Die Einläufe müssen auch nur noch Reste wegputzen, denn die meiste Arbeit erledigt das „Glaubern“ direkt am ersten Abend: Wir trinken ex eine widerlich schmeckende Salzlösung, die rund eine halbe Stunde später dafür sorgt, dass wir wirklich alles loslassen. Der Hunger ist weg, wenn der Darm richtig entleert ist. Und weil man ja auch nichts kaut, ist die Verdauung quasi ausgesetzt. Das ist der Trick beim „echten Fasten“: Wenn du dich je durch eine Saftkur gequält hast und es sich mies angefühlt hat, kann das daran liegen, dass das System munter weitergearbeitet hat.
Glaubern und Einläufe machen keinen Spaß, sind aber gar nicht schlimm. Wie eigentlich nichts schlimm ist beim Fasten. Außer dass der Kopf manchmal verrückt spielt und Brathähnchen vor deinem inneren Auge tanzen oder du von Dingen fantasierst, die du seit Jahren nicht gegessen hast. Ich habe auch die ganzen sechs Tage über keinen echten Hunger. Nur zu den Zeiten, zu denen ich sonst esse, grummelt es ein bisschen im Magen.
Und ab und zu schießen mir außerdem Bilder von Dingen in den Kopf, die ich lange nicht gegessen habe und sehr mag: Süßkartoffelauflauf! Milchreis! Schnitzel! In solchen Momenten bereue ich kurz, dass ich mich hier in diese Lage manövriert habe: Wieso soll ich denn nichts essen, wozu soll das noch mal gut sein?
Mir kommt auch der Gedanke, dass man wirklich kaum zu schätzen weiß, dass man sonst alles essen kann, was man mag – was für ein Glück! Fasten ist für mich definitiv ein Erlebnis der großen Gefühle.
Von der Aufregung vorher, wie das wohl wird und ob ich das schaffe, über den Ekel beim Trinken der Glaubersalzmischung und die innere Unruhe in den ersten ein, zwei Tagen, in denen der Körper das Essen noch spürbar vermisst, zu dem, was als „Fastenhoch“ beschrieben wird. Ab Tag vier geht es mir richtig gut! Ich bin gut gelaunt und richtig stolz auf mich, die Wanderungen fallen mir überhaupt nicht schwer, ich genieße die freie Zeit am Nachmittag.

„Ich lasse mich voll in das wohlige Gefühl fallen, mal fast keine Verantwortung für gar nichts zu haben.“ -

Wenn man nicht mal essen muss, hat man plötzlich auch viel Zeit fürs Lesen, Saunieren oder einfach Dösen.
Sehr intensiv sind auch die Gespräche, die ich mit den anderen in der Gruppe führe. Es sind ganz unterschiedliche Charaktere mit ganz unterschiedlichen Wünschen an diese Woche: den Kopf frei kriegen, sich über Themen klar werden („Kündigen oder nicht?“, „Trennung oder nicht?“), leichter werden. Neben ganz vielen lustigen Momenten, in denen wir Einlauf-Erfahrungen teilen oder lauthals über Essensfantasien lachen, habe ich mehrmals deepesten Deep Talk, der sich ganz leichtfüßig bei den Wanderungen ergibt. Wir sind sehr schnell sehr vertraut und gleichzeitig ist klar, dass wir nach dieser Woche zurück in unser jeweils eigenes Leben gehen werden. Es wirkt, als seien hier die Kanäle bei allen geöffnet: Wir sind sensibler, nachdenklicher und auch freier als daheim. Und es tut unheimlich gut, sich öffnen zu können und gleichzeitig zu erleben, wie andere ebenfalls ihre Themen teilen. Am Ende der Woche wird es viele ernstgemeinte sehr feste Umarmungen und auch ein paar Tränen geben.
Für mich ist die gesundheitliche Prävention die größte Motivation zum Fasten: Wenn wir keine feste Nahrung zu uns nehmen, regt das die Autophagie an – eine Art Recyclingmodus des Körpers, in dem er seine eigenen Zellen erneuert, sich also quasi selbst verjüngt. Das kann vor Krankheiten schützen. Der Japaner Yoshinori Ohsumi hat 2016 den Nobelpreis für Medizin verliehen bekommen, weil er die Mechanismen dahinter erforscht hat. In der Gruppe ist eine Frau dabei, die Mitte 60 und topfit ist. Sie fastet seit rund 20 Jahren regelmäßig, erzählt sie, und ich denke:

„So möchte ich alt werden!“ -

Außerdem schlafe ich in der Fastenwoche nachts hervorragend – kürzer als zuhause und trotzdem wache ich erholter auf. Wenn der Körper keine Arbeit mit der Verdauung hat, findet er das offenbar gut. Auch im Kopf bin ich klar und aufgeräumt wie lange nicht mehr. Und kann die Gedanken an Job, Familie und Co komplett loslassen. Ich telefoniere nur einmal mit meinem Mann und freue mich, dass mit den Kindern alles gut läuft. Sonst bin ich einfach da und die Welt draußen scheint meilenweit entfernt. Immer wieder staune ich: Das alles geht ohne Essen? Ich kann morgens Frühsport machen, dann zehn Kilometer laufen und danach noch zum Yoga gehen, nur mit etwas Saft und Suppe im Bauch? Yes, so ist es. Und es fühlt sich verdammt gut an.
Die Wanderungen schaffe ich auch ohne Probleme. Die acht bis zehn Kilometer täglich und am letzten Tag sogar 15 sind gar kein Problem für mich, was sich für mich ziemlich unglaublich anfühlt: Wie kann man ohne Nahrung jeden Tag so aktiv sein? Klar, ich bin Gassigehen mit Rudi gewohnt, aber normalerweise mit fester Nahrung im Bauch. Die Routen führen uns durch wunderschöne Natur. Am letzten Tag gehen wir schweigend – und ich kann gar nicht mehr aufhören innerlich zu grinsen, weil ich mich so frei, verbunden und einfach gut fühle wie schon lange nicht mehr.

„Um so tiefenentspannt zu bleiben, muss man sich auch später im Alltag immer wieder Auszeiten nehmen und den Terminkalender entschlacken.“ -

Um Probleme zu lösen, muss man immer wieder hinterfragen und an den richtigen Stellschrauben drehen. Und wie gut eine Nahrungspause tut, zeigt auch, dass man im Alltag den Körper nicht überladen sollte. Eine Diät ist Fasten nicht und sollte auch nicht als solche gesehen werden. Wer nicht aufpasst, hat danach schnell mehr Kilos wieder drauf, als er verloren hat. Deshalb sollte man die fünf Aufbautage nach dem Fasten ernst nehmen, wo Stück für Stück Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette wieder eingeschlichen werden.
Nachdem wir sechs Tage ohne feste Nahrung ausgekommen sind, treffen wir uns am siebten morgens zum gemeinsamen „Fastenbrechen“: Carina serviert uns einen Apfel, den wir achtsam aufschneiden und in kleinen Happen ganz bewusst essen. Er schmeckt fantastisch! Und ich staune dieses Wunder an, das die Natur für uns schafft. Genau das ist der vielleicht schönste Effekt dieser Woche:

„Der Blick für die ganz einfachen Dinge im Leben ist messerscharf, wir sind alle wieder viel sensibler geworden und das fühlt sich toll an.“ -

Als ich nach Hause fahre, bin ich so viel leichter, auch im Bauch, aber vor allem im Kopf. Und in den ersten Tagen bleiben meine Sinne hellwach: Ich genieße jeden Bissen des Essens, das ich Stück für Stück wieder auf den Teller packe. Ich behalte die Rituale wie das Ölziehen am Morgen bei. Und auch wenn sich nach zwei, drei Wochen wieder die ersten Alltagssünden wie Schokolade und Pommes auf meinen Speiseplan schleichen, bleibt ein Bewusstsein dafür, was Nahrung für meinen Körper bedeutet und welche Höchstleistungen dieser täglich vollbringt. Es ist eine Erfahrung, die ich fest abspeichern will. Wer neugierig darauf ist, dem kann ich es nur empfehlen, es auszuprobieren: Keine Angst, du schaffst das! Ich habe schon die nächsten Fastenwanderungen gebucht und werde mir ab jetzt alle sechs Monate so eine Auszeit von Job, Alltag und Essen gönnen. Einfach, weil es so guttut.
Eure
Juliane

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