Wenn jemand mit etwas in seinem Leben hadert oder etwas Schlimmes passiert, dann gibt es zwei Dinge, die er dann auf keinen Fall hören will. Entweder: „Wer weiß, wofür es gut ist!“ Oder: „Du wirst daran wachsen!“ Klar, wer gerade mitten im Schlamassel sitzt, für den klingen solche gut gemeinten Sätze eher zynisch als aufmunternd. Und es muss auch erlaubt sein, mal eine Weile traurig, stinksauer und hoffnungslos zu sein. Aber dann kommt er eben doch oft, dieser Moment, in dem man feststellt: Oh, die hatten ja recht. Aus Tiefschlägen, Krisen oder vermeintlich schlechten Voraussetzungen werden am Ende Glücksfälle. Und negative Erfahrungen kehren sich in etwas Gutes. So wie bei diesen Geschichten hier, von denen ich euch jetzt erzählen werde.
1. Sophie Rosentreter, 44 Jahre, fand durch die Demenz ihrer Großmutter ihre Berufung und stellte sich im Job ganz neu auf.
Als meine geliebte Großmutter Ilse an Demenz erkrankte, sie sich immer mehr aus unserer Welt fortbewegte, war das für mich mit sehr viel Schmerz verbunden. Solange es möglich war, haben wir sie zuhause gepflegt. Als sie schließlich gegangen ist, war da zuerst nur all das Schwere, dieser unendliche Verlust, den der Tod mit sich bringt. Aber es liegen eben auch Möglichkeiten darin.
Ich habe mich schon an ihrem Sterbebett entschieden, mich beruflich zu verändern und Aufklärungsarbeit zu leisten. Tatsächlich habe ich durch diesen Verlust zu meiner Berufung gefunden und einen ganz neuen Lebensweg eingeschlagen. Vorher habe ich als Moderatorin gearbeitet und Reportagen produziert, was sehr viel Spaß gemacht hat, aber mich nicht wirklich erfüllt hat. Von dem Geld, das meine Omi mir vermacht hat, habe ich die Produktionsfirma „Ilses weite Welt“ ins Leben gerufen, ich entwickle heute Beschäftigungskonzepte für demenziell veränderte Menschen, drehe Erinnerungsfilme für Betroffene und Aufklärungsfilme für Pflegende und Angehörige.
„Die Zeit, die ich mit Menschen mit Demenz verbringe, ist eins der größten Geschenke, die ich in meinem Leben erhalten darf.“ -
Wenn es gelingt, bei ihnen eine Tür aufzustoßen, liegt Magie darin, in diesen Momenten werden kleine Dinge ganz groß.
Als meine Großmutter starb, war ich die ganze Nacht bei ihr und habe ihre Hand gehalten. Sie war die erste mir sehr nahestehende Person, die ich verloren habe.
Dadurch habe ich etwas ganz Wichtiges für mich lernen können: Die Liebe stirbt nicht, auch wenn die Menschen gehen. Das zu spüren, ist etwas Wunderschönes. Diese Erkenntnis hat mir Hoffnung gegeben, dass es nach dem Tod weitergeht. Ich fühle mich von ihr heute genauso geliebt wie damals, als sie da war, daran halte ich mich sehr fest.
Ich habe danach auch angefangen, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich selbst sterben möchte. Und was nach dem Tod passiert. Mein Blick auf das Thema hat sich geändert, je mehr ich mich mit ihm befasse. Auch die Angst davor ist kleiner geworden. Heute denke ich: Trauerfeiern dürfen bunt sein! Es ist nicht nur Wut und Verzweiflung in der Trauer zu finden, sondern auch Freude. Wenn man sich traut, sich diesen Themen zu nähern, kann man ganz viel über das Leben lernen.
2. Kristina Diener, 33 Jahre, technische Projektleiterin, haderte lange mit ihren Kurven und wurde dann durch sie als Plus-Size-Model erfolgreich.
Ich war sechs Jahre alt, als ich mit meiner Familie aus Kirgisien nach Deutschland kam. Wir haben damals eine Weile in verschiedenen Auffanglagern verbracht und zu acht in einem Zimmer gewohnt, bis wir eine Wohnung gefunden haben. Ich bin sehr glücklich, dass ich hier meinen Weg gehen und studieren konnte, heute arbeite ich im Management einer IT-Firma. Aber nicht nur. Als ich vor etwa zehn Jahren auf der Straße von der Agentur Curve Model Management angesprochen wurde, kam das für mich vollkommen überraschend, denn ich dachte, dass jemand mit Größe 44/46 niemals als Model arbeiten könnte. Diese Vorstellung war für mich einfach sehr weit weg.
In der Grundschule war ich immer die Pummeligste, auch später gehörte ich meist zu den Kräftigsten. Ich wurde zwar nicht gehänselt oder gemobbt, aber ich hatte schon damit zu kämpfen. Ich fand mich nicht hässlich, aber immer zu dick, habe auch viele Diäten gemacht, war oft frustriert, weil die Klamotten nicht passten oder ich dachte, sie nicht tragen zu können.
„Zu erfahren, dass ich nicht trotz, sondern sogar wegen meiner Figur gefragt bin, hat mich bestärkt.“ -
Als ich dann die ersten Jobs bekam, war das ein krasser Push für mein Selbstbewusstsein. Die Erfahrung, dass es in Ordnung ist, keine Größe 34 zu tragen und es sogar als positiv wahrgenommen wurde, war für mich, die ich immer mit meiner Figur und meinem Gewicht gehadert hatte, unheimlich toll. Der vermeintliche Makel hatte sich in einen Vorteil gekehrt.
Von meiner Mutter habe ich viel Bestätigung erfahren: „Du bist schön, so wie du bist“, hat sie immer gesagt. Aber dadurch, dass sie sich selbst so kritisch im Spiegel betrachtet hat und vieles an sich nicht schön fand, konnte ich ihr nicht so richtig glauben. Als Mutter von zwei Kindern finde ich es darum so wichtig, ihnen nicht zu vermitteln, dass sie abhängig von der Bestätigung durch andere sind, sondern ihnen vorzuleben, dass man sich selbst wertschätzt.
3. Autorin Marie Matisek, 53 Jahre, hat durch die Trennung von ihrem Mann zu sich selbst gefunden.
Als mir mein Mann eröffnete, dass er eine Freundin hat, war das ein Schock. Aber nur sehr kurz, vielleicht eine Woche lang. Ich habe ihn gebeten, eine Mediatorin einzuschalten, weil mir sofort klar war: Ich will keinen bösen Streit! Ich habe sehr, sehr schnell gemerkt, wo nun die Chance liegt: endlich wieder zu spüren, wer ich eigentlich bin. Also ich und nur ich. Nicht ich als Ehefrau, als Teil eines Paares, als Mutter. Das war nach 20 Jahren Ehe bitter nötig und ich habe mich super gefühlt. Ein Energy-Booster.
Dass etwas schiefläuft, habe ich all die Jahre gespürt. Aber letzten Endes bin ich immer wieder darüber hinweggebrettert, habe nicht mal innegehalten und gesagt: Moment, da stimmt was nicht. So eine Familie ist ein Schnellzug – wenn der mal läuft, kann er nicht so einfach aufgehalten werden. Zwei Menschen müssen Geld verdienen und sich um Kinder, Tiere, Haus und Garten kümmern. Alles wird größer, man ist nicht mehr ein Pärchen, man ist plötzlich eine Firma. Da bleibt kaum Zeit, um die Beziehung ständig auf den Prüfstand zu stellen. Der Laden muss am Laufen gehalten werden – und da kommt man schnell unter die Räder.
„Tatsächlich hat sich die Trennung als Glücksfall erwiesen.“ -
Ich bin daran gewachsen, habe zu mir selbst gefunden, bin zu meinen Bedürfnissen zurückgekehrt. Ich habe aber auch ausgemistet – innerlich wie äußerlich. Bin umgezogen, habe eine Wohnung nur für mich, lebe nach meinem eigenen Rhythmus. Ich habe mehr Raum, um in mich hineinzuhorchen, dadurch bin ich ausgeglichener, glücklicher, weniger gestresst.
Heute sind wir tatsächlich wieder zusammen, allerdings mit getrennten Wohnungen und auf Entfernung. Wir haben beide drei Jahre Trennung gebraucht, um zu wissen: Das Problem war nicht, dass wir keine Liebe mehr füreinander empfanden. Sondern, dass wir einfach keine Zeit mehr für uns hatten. Jetzt ist es toll, wir sind ein Pärchen wie früher – nur mit wunderbaren erwachsenen Kindern.
4. Solange Linus Giese, 34 Jahre, in einem Frauenkörper steckte, störte ihn seine Körpergröße. Heute ist er froh, gesehen zu werden.
„Es gibt zwei Dinge, um die Sie alle anderen trans Männer beneiden werden: Ihre Körpergröße und Ihre großen Füße.“ Diesen Satz sagte meine Therapeutin zu mir, nachdem ich ihr erklärt hatte, dass ich ein trans Mann bin. Ein trans Mann ist ein Mann, dem bei der Geburt das falsche Geschlecht zugewiesen wird: Bei meiner Geburt dachten alle, ich sei ein Mädchen. Als Mädchen wahrgenommen zu werden, hat sich nie richtig angefühlt, aber ich hatte viel zu große Angst davor, mein Geschlecht zu hinterfragen. Es hat 31 Jahre lang gedauert, bis ich herausfand, dass ich doch ein Junge bin – oder sollte ich mittlerweile sagen: ein erwachsener Mann?
Lange Zeit habe ich vieles an mir nicht gemocht: Ich hatte oft das Gefühl, zu groß zu sein, zu ungelenk, ich litt darunter, dass nichts so richtig zusammenpasste – und meine Füße erschienen mir fast schon riesig. Ich weiß nicht, ob ich sagen würde, dass sich all das durch mein Coming-out plötzlich in etwas Schönes verwandelt hat, aber ich habe eine neue Beziehung zu mir selbst begonnen: Es ist doch manchmal gar nicht so schlecht, so groß zu sein, zumindest kann ich jetzt problemlos meine Schuhe in der Herrenabteilung kaufen.
Während ich früher immer die Schultern hochzog und wünschte, mich irgendwie verstecken und unsichtbar machen zu können, sehne ich mich jetzt danach, gesehen zu werden. Ich bin ein trans Mann, ich hasse mich nicht mehr dafür, dass ich anders bin – ganz im Gegenteil:
„Ich habe gelernt, mich selbst zu lieben und anzunehmen.“ -
Mittlerweile habe ich fast drei Jahre Zeit gehabt, mich an mein Leben als Mann zu gewöhnen, aber das Glücksgefühl hat nicht nachgelassen, ich staune immer noch täglich über all die kleinen Veränderungen.
Ich wünschte nur, ich hätte damals schon gewusst, dass nichts an mir falsch ist, auch wenn sich das lange Zeit anders anfühlte: Ich bin gut, so wie ich bin, ich bin liebenswert, so wie ich bin – auch als trans Mann, und auch wenn ich mich manchmal zu groß oder zu ungelenk fühle.
5. Balian Buschbaum, 40 Jahre, brachen durch Corona die Jobs weg – doch ein Kater lehrte ihn, wie wertvoll es ist, einfach nur zu sein.

Eigentlich stehe ich als Speaker auf den Bühnen dieser Welt und berichte über Mitarbeitermotivation, wie man Change-Prozesse erfolgreich umsetzt oder über die vielen Vorteile von Diversity. Durch Corona wurde mir, von einen auf den anderen Tag, die Bühne unter den Füßen weggezogen. Keine Aufträge, kein Verdienst, keine Perspektive – und das für mindestens ein Jahr! Was tat ich, als mir dies bewusst wurde? Ich setzte mich auf den Steinboden meiner Terrasse und blickte in die Bäume. Zeitgleich kam der Kater der Nachbarin zu mir und kuschelte sich an mich. Ich bin eigentlich Team Hund und dieser Kater war auf den ersten Blick so etwas von hässlich. Ein Gendefekt ließ ihm nur sporadisch Haare wachsen, sein blindes Auge sah furchteinflößend aus, aber sein Geschnurre und seine Art brachten mich zum Nachdenken und Reflektieren, wie mein Leben bisher verlaufen war. Wer bin ich? Wo stehe ich im Leben? Was ist der wahre Sinn? Viele Jahre war ich auf der Suche nach mir, nach meiner wahren Identität. Als Kind hätte ich mir zum Beispiel niemals vorstellen können, jemals vor Menschen zu sprechen. Ich traute mich damals noch nicht einmal, im Restaurant mein Trinken selbst zu bestellen, und flüsterte es meiner Mama ins Ohr.
In den folgenden drei Monaten wich mir Alonso nicht mehr von der Seite. Es schien, als wäre er mein Seelenkater, der genau wusste, was ich gerade brauche. Klarheit, Gelassenheit und Liebe. Er lehrte mich, die Perspektiven zu verändern. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Mensch im Großen oder Kleinen ein Game Changer ist und uns unser Mut nur nicht auffällt, weil viele Verhaltensweisen und Veränderungen uns selbst normal erscheinen, denn irgendwie muss es ja immer weitergehen. Alonso hingegen ist der wahre Game Changer und pfiff darauf, dass ich Katzen eigentlich nicht mag. Er folgte seiner Intuition und war ganz einfach er.
„Wenngleich so etwas wie eine Pandemie so negativ erscheint, hat sie dennoch etwas Gutes.“ -
Ich hatte endlich Zeit für die wichtigen Dinge im Leben, war nicht mehr ständig unterwegs, konnte mich nach all den Jahren der harten Arbeit wirklich entspannen. Alonso brachte mich sogar dazu, die Situation so hinzunehmen, wie sie ist, ohne den inneren Drang zu haben, etwas tun zu müssen. Zu sein reicht manchmal und Antworten kommen von allein. Ich tue jetzt das, wozu mir die letzten Jahre die Zeit fehlte. Ich schreibe an meinem dritten Buch, ich eröffne eine Fitnessbox und ich streichle den Kater. Letzteres hat Priorität, denn drei Monate Kater streicheln haben meine Welt völlig auf den Kopf gestellt.
6. Dilek Gürsoy, 44 Jahre, war auf ihrem Weg zur „Medizinerin des Jahres 2019“ häufig Konkurrenzkämpfen ausgesetzt – was ihr beibrachte, sich umso mehr aufs Wesentliche zu konzentrieren.
Als ich damals meine erste Stelle als junge Assistenzärztin in Bad Oeynhausen antrat, war ich superstolz und glücklich. Aber dann fiel es mir doch sehr schwer, meinen Platz zu finden. Ich kam mit dem Ton, der dort herrschte, nicht klar. Und mit dem Konkurrenzdenken. Ich sollte kämpfen, Ellenbogen ausfahren. Das war mir unangenehm und ich habe es nie getan.
„Aber es hat letztlich dazu geführt, dass ich mich ganz auf das Wesentliche konzentriert habe.“ -
Ich habe fleißig gearbeitet und auf mein Recht auf eine Weiterbildung im Fach Herzchirurgie gepocht. Statt mich auf Machtspielchen einzulassen, habe ich leidenschaftlich für den Patienten gearbeitet, dann kam mein chirurgisches Talent zum Vorschein, gepaart mit einem Hauch Gelassenheit. Schließlich entpuppte sich diese Klinik für mich als Glücksgriff und machte mich zu dem, was ich heute bin.
7. , Sara Nuru, 31 Jahre, bekam viel Gegenwind, als sie dem Modelbusiness den Rücken kehrte. Doch der bestärkte sie umso mehr darin, ihren Weg zu verfolgen.
Schon während meiner Modelkarriere bin ich immer wieder nach Äthiopien gereist und habe angefangen, mich für die Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“ zu engagieren. Dort wurde ich mit extremer Armut konfrontiert, einer Welt, die nicht gegensätzlicher zu meiner damaligen hätte sein können. Das hat mich sehr in meinem Gefühl bestätigt, nicht länger Teil dieser Scheinwelt sein zu wollen.
Anfangs haben alle den Kopf geschüttelt und nicht verstanden, warum ich das vermeintlich beneidenswerte Glamourleben aufgebe. Das zog sehr viel Kritik und Unverständnis nach sich. Obwohl es ja eine ganz bewusste Entscheidung war, einen anderen Weg zu gehen, hieß es dann: „Noch eine, die es nicht geschafft hat!“
„Anfangs wusste ich gar nicht, wo die Reise genau hingeht, und hatte auch keine Garantie, dass das, was ich vorhatte, wirklich funktioniert.“ -
Heute betreibe ich mit meiner Schwester Sali den Fair-Trade-Kaffeehandel nuruCoffee, außerdem unterstützen wir durch nuruWomen e.V. äthiopische Frauen und bieten ihnen mit Schulungen, Trainingskursen und Mikrokrediten die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Bis das alles Hand und Fuß hatte, war es aber ein Prozess von vier, fünf Jahren. In dieser Zeit musste ich mir oft anhören, ich hätte einen großen Fehler gemacht. Ich habe sehr dagegen angekämpft, das nicht selbst zu verinnerlichen. Aber es hat natürlich schon zu Selbstzweifeln geführt und ich musste mir immer wieder sagen, dass es richtig ist, was ich tue.
Heute denke ich, dass die Kritik von außen und die Unsicherheit, die sie in mir ausgelöst hat, eher dazu beigetragen haben, mich zu erkennen und mir zu zeigen, was ich im Leben möchte.
Denn sie hat mich am Ende vielleicht sogar darin bestärkt, auf mich selbst zu hören und weiter meinen Weg zu verfolgen. Das zu tun, hat sich als die bisher beste Entscheidung meines Lebens erwiesen. Vor allem, weil ich jetzt ein selbstbestimmtes Leben führe und die Dinge selbst in die Hand nehme. Das ist in der Modelbranche ganz anders: Andere entscheiden, ob du gut oder schlecht bist, es liegt nicht in deiner Hand. Jetzt fühle ich mich viel unabhängiger. Was ich außerdem aus dieser Erfahrung gelernt habe: Jeder mutige Schritt und jede Veränderung werden belohnt – auch wenn es immer Leute gibt, die sagen: „Du kannst das nicht!“ Selbst wenn ich gescheitert wäre, hätte ich es nicht bereut.