Liebe, Beziehung & Sex
Dating Mitte 30
Sex-Biene, Midlife-Crisis-Maus und Männer aus der zweiten Runde – Cloudy Zakrocki verrät, was abgeht in den Dating-Apps und sie als Single gelernt hat.
von Cloudy Zakrocki - 01.07.2024
„Ich bin 37 Jahre alt und auf einer Dating-App – genau so habe ich mir mein Leben vorgestellt“ –, so klingt der Satz, den ich in den ersten zehn Minuten mit jeweils geänderten Altersangaben auf einer Dating-App am häufigsten gelesen habe. Und ich gestehe: Ich habe ihn schamlos selbst für mein Profil genutzt, denn erstens war ich einfallslos, und zweitens sagt er doch in wenigen Worten so viel aus.
Seit drei Jahren bin ich nun Single, war zuvor noch nie auf einer Dating-App, sondern immer in Beziehungen. Früher sicherlich auch, weil ich nicht alleine sein konnte. Meistens jedoch, weil ich es schön finde, mein Leben mit jemandem zu teilen. Unter all meinen Boyfriends waren zwei Head-over-heels-Lieben dabei. Meines Erachtens ein ziemlich guter Schnitt, vor allem in Zeiten, in denen große Lieben wie ein Relikt aus 90er-Jahre-RomComs, Jubiläumsglückwünschen von Senioren oder der Liebeselite erscheinen. Sprich, den vier Prozent der Menschen, die moderne Beziehungen mit großer Liebe paaren. Eine Zahl, die ich übrigens selbst in einer Studie innerhalb meines großen Freundes- und Bekanntenkreises erhoben habe.
Meine Eltern gehören sowohl zur Liebeselite, als auch zu denen, denen man zu über 40 Jahren Liebe und Ehe gratulieren kann. Ihre Beziehung ist in vielem ein Vorbild für mich und so schön das auch ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht, ob das (und meine Vorliebe für RomComs) meinem Liebesleben zuträglich ist oder nicht.
Fakt ist aber auch: Ich habe bereits wahrhaftig, innig und ehrlich geliebt – und wie das bei uns Menschen so ist:

„Hat man einmal Blut geleckt, will man mehr von dem Zauberelixier.“ -

Erster Akt: Verzweiflung

Ein Zauber müsste allerdings auch vom Himmel fallen, der den degradierenden Vibe, sich selbst auf einer Dating-App nicht nur auf wenige, dafür möglichst catchy Worte und noch catchyere Bilder herunterreduzieren zu müssen, in ein schönes Erlebnis verwandelt. Mein ganzes Leben lang kämpfe ich dafür, mich nicht in eine Box stecken lassen zu müssen, mein volles Sein zu entfalten, all meine Facetten auszuleben – nur um dann durch mein Handy alles auf sechs Bilder, steckbriefartige Angaben und ein paar catchy Sätze zu quetschen. Aber hey, here I am, schließlich geht es auf diesen Plattformen um nichts anderes außer darum, den Catch zu landen oder selbst gecatcht zu werden.

„Wieso meldet man sich überhaupt auf einer Dating-App an, wenn man sich dabei wie wahlweise ein Fisch oder eine Anglerin fühlt?“ -

Verzweiflung ist womöglich das falsche Wort, aber wer heutzutage noch in freier Wildbahn unterwegs ist, merkt schnell, dass Screens unsere flirty Sexiness abgetötet haben. Von Los Angeles über New York und London bis in die Großstädte Deutschlands klagen Frauen überall über das gleiche Elend: Man wird einfach nicht mehr von Männern angesprochen. Theorien, wieso das so ist, werden derzeit in einigen Studien beackert – worin sich aber alle einig sind, ist, dass das Überangebot für Männer ein entscheidender Faktor ist. Hier zugleich ein wichtiger Einschub: Als in Großstädten lebende Heterofrau beackere ich wiederum dieses Thema aus dieser Perspektive (und hoffe inständig, dass es bei euch Homosexuellen und/oder in ländlichen Gebieten Lebenden anders ist!).

„Heteromänner haben seit Jahren ein ausgiebiges Buffet an Frauen zu Verfügung, das sie per Knopfdruck nach Hause bestellen können.“ -

Klingt hart, ist aber Realität, denn ich habe einige Single-Männer als Freunde und kriege das alles hautnah mit. Ausgiebig ist das Menü deshalb, weil sie keinen Altersfilter brauchen, da von bis alles geht.
Ein 40-jähriger Mann kann sowohl mit einer 20-Jährigen als auch einer 55-Jährigen zusammen sein und für beides Schulterklopfer kassieren. Alles, was nur Spaß bedeutet, wird nochmal lockerer bewertet. Eine 40-jährige Frau, die mit einem 32-jährigen im Gange ist, wird entweder als Sex-Biene oder Midlife-Crisis-Maus angesehen und hat gefühlt nur einen Filterbereich von 37 bis 50 zur Verfügung, bevor es zu augenbrauenhebendem Diskussionsstoff wird – sprich sowieso schon mal 22 Jahre weniger Menü-Flexibilität als der Mann. Wobei hier noch hinzu kommt, dass ältere Männer sehr viel schwerer vom Lonely-Wolf- zum Schmuse-Kater-Dasein zu bewegen sind, sodass mal dahingestellt sei, wie viele männliche 55-Jährige überhaupt noch Lust auf eine feste Beziehung haben. Nie hätte ich gedacht, dass ich eines Tages meine Mathekenntnisse für die Rechnungen des Liebeshorrors auspacken würde, aber hey, here we are! Für alle, die jetzt abgeschaltet haben:
Wir Millennial-Frauen sind im Dating limitiert, sollte das heißen. Ein Zustand, den wir zwar gewohnt sind, der allerdings dennoch schlaucht.
Wie gehörig uns das auf den Keks geht, zeigt der Streaming-Hype um „The Idea Of You“, einer modernen RomCom (yay!) auf Amazon Prime, in der sich eine 40-Jährige (gespielt von einer rattenscharfen Anne Hathaway) und ein 24-jähriger Popstar (gespielt vom ebenfalls rattenscharfen Nicholas Galitzine) ineinander verlieben. 80 Millionen Streams und unzählige Diskussionen darum, wie schockierend oder wieso schockierend der Altersunterschied der beiden doch ist, kann der Film nach drei Wochen verzeichnen. Ich würde zwar eher darüber diskutieren wollen, ob dieses Szenario im realen Leben auch realistisch ist, wenn der 24-jährige Boy kein Multimillionär ist, einen hart arbeitenden Erwachsenen-Lifestyle fährt und superreif und reflektiert ist, aber immerhin zeigt der Film-Hype, dass die ganze Altersthematik genau das ist: Thema!

„Aus Verzweiflung an Angeboten werden mir von Freund*innen mittlerweile die sogenannten Männer der zweiten Runde angeboten.“ -

Also Männer, die bereits verheiratet waren und Väter sind, wofür ich offen bin, denn diese Männer scheinen immerhin schon mal eine Eigenschaft zu haben, die vielen Single-Männern fehlt: keine Angst vor Bindung. Die dazugehörigen Ex-Frauen leben übrigens zumindest in Berlin en masse ihr bestes Anne-Hathaway-Leben und sind mit jüngeren Männern im Gange, was ich mehr als befürworte. Es sind Frauen, die ihre Kinder großgezogen, ihre Partnerschaften zusammengehalten und sich selbst oft nach hinten gestellt haben – und die jetzt mit Männern um die 30 neu aufblühen. You go girls, sage ich da nur! Leichtigkeit, Spaß, Sinnlichkeit und lebendig fühlen – das kann nur gut sein!

Zweiter Akt: Verwunderung

Mein Fall ist jedoch etwas anders: Ich habe noch keine Kinder und wünsche mir einen Partner, mit dem ich mir eine eigene Familie und ein gemeinsames Leben aufbaue. Tja, und da wären wir wieder bei den Dating-Apps. Mein Dating-App-Profil ist also eingerichtet, und nach Verzweiflung (immer noch genutzt aus Mangel an einer anderen Wortalternative) stellt sich Verwunderung ein: Catcht hier überhaupt jemals irgendwen für etwas, das nicht reiner Spaß ist? Wieso fotografieren sich 42-Jährige im Selfie-Modus und enthüllen dabei, dass sie in Rumpelkammer-Wohnungen wohnen? Woher kommt der Fahrradtour- und übermäßige Emoji-Hype? Und wer ist dafür verantwortlich, dass sich Männer über 35 entweder mit gar keinen Worten oder schlechten Witzen vorstellen?
Abgesehen davon, dass ich es energetisch sehr fragwürdig finde, Menschen wegzuswipen (jetzt mal ehrlich: das kann doch nicht gut für’s Karma-Konto und den energetischen Haushalt sein!), ruft bei mir die Masse an unästhetischen Männerfotos ein Gefühl der Abneigung hervor (was natürlich mehr als kontraproduktiv ist) und die digitale Kontaktaufnahme wiederum einen großen Mangel dessen, was meines Erachtens der Grundstein für eine zwischenmenschliche Liebesbeziehung ist: Intimität.

„Digitales Daten fühlt sich heutzutage steril an.“ -

Und obwohl ich Journalistin bin, schaffe ich es nicht, durch die platten Chats auch nur einen Hauch von Intimität zu erreichen. Alles wirkt erzwungen, meistens verlaufen Chats ins Leere, weil die Gegenseite irgendwann nicht zurückschreibt oder weil die Konversation aus Mangel an Interesse gar keine ist.
Ich fühlte mich beim Nutzen von Dating-Apps schlecht und stellte schnell fest, dass es an der konstanten Bewertung und dem daraus resultierenden Druck liegt: Auf der einen Seite führen keine bis wenige Matches oder eingeschlafene Konversationen zu negativer Selbstbewertung, die ordentlich alte und eigentlich verstaut gedachte negative Glaubenssätze zum Vorschein bringen, sowie einer neuen Art von Performance-Druck à la „ich muss anders sein, um zu gefallen“. Auf der anderen Seite führt die dauernde Einkategorisierung der Kandidaten in „potenziell ja“ und „auf jeden Fall nein“ zu einer immer stumpfer werdenden Bewertung der Männer. Und das fühlt sich einfach nicht gut an, denn was wir als Gesellschaft ganz sicherlich nicht brauchen, sind noch mehr Druck und noch mehr Bewertung aufgrund von Äußerlichkeiten.

„„Dating-Apps sind wie eine Rinderfarm“,“ -

sagt die 90-jährige Majo in der neuesten Staffel der Immobilien-Netflix-Serie L’Agence – und ich nicke zustimmend und fühle mich verstanden.
Ich bin mit meiner Verzweiflung und Verwunderung nicht alleine: Bei einer Q&A-Session neulich auf meinem Instagram-Kanal wurde ich gefragt, Dating in Berlin und London, wo ich kürzlich hingezogen war, zu vergleichen, und ich antwortete, dass in Großstädten weltweit Hetero-Singlefrauen über das Gleiche klagen:
  1. Männer haben einen Mangel an Bindungswunsch.
  2. Männer haben einen Mangel an guter Kommunikation.
  3. Männer empfinden eine richtige Partnerschaft aufzubauen als „zu viel Arbeit“.
  4. Sowohl Männer als auch Frauen haben das Gefühl, dass da „jemand noch Besseres“ um die Ecke warten könnte, was wiederum in einem Mangel an Bindungswunsch resultiert.
  5. Es wird keine Zeit, Fokus und Energie mehr darin investiert, Menschen wirklich kennenzulernen.
Ich fügte noch hinzu, dass ich generell und vereinfacht gesprochen Männer in London als höflicher und passionierter empfand und sie mehr interessiert zu sein scheinen, im Leben etwas zu erreichen, während ich deutsche Männer generell und vereinfacht gesprochen als behäbig und leidenschaftslos empfand und vor allem in Berlin einige dem Peter-Pan-Syndrom verfielen. Innerhalb weniger Sekunden explodierte mein Postfach mit Nachrichten von Frauen, die mir zustimmen – was mich zuerst traurig stimmte, mich dann aber zur Selbstreflektion anregte.

Dritter Akt: Selbstverwirklichung

Auch wenn es hier anhand des Status quo nicht den Anschein macht, bin ich nicht gerne jemand, die meckert, sondern jemand, die zu 100 Prozent an Selbstbestimmung glaubt. Dieses Dating-Dilemma gilt es nun für mich zu lösen.

„Ich werde einen Teufel tun und für keine halbgare Menü-Alternative setteln, bei der mir nicht die Herzen aus dem Hintern schießen.“ -

Nach Verzweiflung und Verwunderung kickt nun also endlich die Selbstverwirklichung ein. Das Rätsel „Dating als Millennial-Frau, die sich eine echte Partnerschaft wünscht“, gilt es nun zu lösen und glücklicherweise liebe ich eine Challenge. Und da ich nichts schlimmer als gatekeepen finde, kommen hier sorgfältig zusammengetragene Erkenntnisse von mir und meinem Netzwerk:
Vom Sweet-Spot zum G-Spot:Der Sweet-Spot beim Dating verläuft nach einem ähnlichen Prinzip wie Manifestieren: Es ist wichtig, genau zu wissen, was man will, und gleichzeitig dankbar zu sein für das, was man hat. Zum einen sollte man genau wissen, welche Art von Partner man sich wünscht und zu jedem Nein sagen, der das nicht ist (wichtig hier: sich eher darauf zu fokussieren, wie der Partner einen fühlen lässt, anstatt aufs Optische). Zum anderen darf man aber wieder verinnerlichen, dass Menschen nicht perfekt sind, dass man nicht anhand weniger Fotos wissen kann, ob jemand zu einem passt, und dass man nie weiß, wo die Liebe letztlich hinfällt – daher auch nicht, auf welches Dating-App-Profil.
Von WWW zur IRL:Online-Dating im World Wide Web ist nichts für dich? Dann nutze Apps nur als Kick-off und verabrede dich direkt auf Dates „In Real Life“. So umgeht man ausgelutschte und einschlafende digitale Konversationen und kann direkt einen Vibe-Check von Angesicht zu Angesicht machen.
Selbst ist die Frau:Männer sprechen Frauen weniger an? Dann drehen wir den Spieß einfach um! Ich weiß, ich weiß, es ist ja nicht so, als würden wir nicht in allen anderen Lebensthemen bereits alles selbst in die Hand nehmen müssen (glaubt mir, ich bin davon auch k.o.), aber dann kommt hier eben ein Feld dazu … who is counting anyways? Soll heißen: Als Frau den ersten Schritt wagen und einfach mal mit Männern ins Gespräch kommen.

„Mein Umzug nach London hat mir wieder gezeigt, wie zurückhaltend wir Deutschen generell sind, und das muss nicht sein.“ -

Komplimentiert das Outfit des Mannes an der Bar oder kommentiert den Inhalt des Einkaufskorbs des Mannes im Supermarkt – was kann schon passieren? Im schlechtesten Fall fühlt er sich gesehen, im besten Fall steigt er drauf ein.
Lächeln als Balzsignal:„A smile goes a long way“ sangen schon The Andrews Sisters und aktuelle Recherchen zum fehlenden Ansprechen der Männer gegenüber Frauen zeigen: Ein offenes Lächeln mit direktem Augenkontakt wird von Männern heutzutage sehr dankend angenommen und animiert zur mutigen Ansprache ihrerseits. Und selbst wenn er nicht drauf einsteigt, dann schüttet Lächeln im eigenen Körper Glückshormone aus!
Den Buschfunk aktivieren:Wer nicht fragt, der nicht gewinnt – und wir Frauen fragen sehr ungern nach Hilfe. Wenn aber niemand weiß, dass man gerade datet, dann kann einem auch niemand helfen. Deshalb ist meine Strategie: allen Freund*innen und allen, die ich inspirierend finde, klare Anweisungen zu geben, à la „Hey, ich bin bereit, mich wieder zu verlieben. Kennst du jemanden, der ebenfalls Single ist und mit dem ich mich gut verstehen würde?“. Bislang haben alle Menschen superempathisch darauf reagiert und sich richtig ins Zeug gelegt, helfender Amor zu spielen.
Druck ablassen:… und zwar bei sich selbst. So oft haben Frauen den inneren Druck, dass der Typ, mit dem man sich auf ein Date trifft, direkt „der eine“ sein muss. Ich verstehe das nur zu gut, auch ich ertappe mich immer und immer wieder dabei, so zu denken, und all die Enttäuschung, dass es wieder „nicht geklappt“ hat, hilft nicht dabei. Eine alte Bekannte hatte mir aber einmal den heißen Tipp gegeben, der sich seitdem bei mir eingebrannt hat: „In erster Linie triffst du einfach einen anderen Menschen. Welche Funktion dieser Mensch dann in deinem Leben erfüllt? Das wird sich noch herausstellen. Aber für den Anfang ist es doch einfach interessant, neue Menschen kennenzulernen.“ Hat mir sehr geholfen, mich locker zu machen.
Das Ufer wechseln:Aufgrund von gesellschaftlichen Stigmata halten viele diese Option nicht für möglich, aber:

„Es ist total okay, das Ufer zu wechseln. Und zwar in jedem Alter.“ -

Nur weil man jahrzehntelang happy auf einer Seite war, heißt es nicht, dass man nicht auch mal umziehen kann. Soll heißen: Einige Ü30 in meinem Bekanntenkreis führen oft zum ersten Mal Beziehungen mit Frauen und erfüllen so ihre Bedürfnisse – was sehr wundervoll ist.
Energie lügt nie:„Keep the spirit high“, sagen meine beste Freundin und ich immer zueinander. Und das ist vielleicht der wichtigste Dating-Tipp überhaupt: Das Wichtigste in allem ist, bei positiver Energie zu bleiben, Spaß zu haben und sich gut zu fühlen. Die Energie, die man aussendet, bekommt man auch zurück. Wer Liebe sucht, muss Liebe in sich spüren (für andere Menschen, Dinge, das Umfeld); wer respektiert werden möchte, muss respektieren; wer zum Lachen gebracht werden will, muss offen sein zu lachen. Energie lügt nie – daher auch nicht die eigene.
In diesem Sinne: Let’s keep the spirit high, let’s keep our heart open – and let’s have fun along the way!
Cloudy
Foto: Victoria Kämpfe

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