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Wie kann sie sich das leisten?
Muss sie ihr Geld so zur Schau stellen?
Hat sie das wirklich verdient?
Solche Gedanken hatte ich in der Vergangenheit öfter, als mir lieb ist, wenn ich beim Scrollen auf Instagram an einem exquisit teuren Outfit hängenblieb, ich im wahren Leben von einem frisch gekauften Eigenheim mitbekam, von der Beförderung einer Kollegin las, die ich nicht sofort nachvollziehbar fand. Es waren keine Gedanken, die mich lange beschäftigten. Eher ein kurzes, teuflisches Flackern, das schnell wieder erlosch. Schließlich, so meine Überzeugung, kann ich die Leistungen anderer Frauen anerkennen. Mehr noch, ich feiere und unterstütze ihre Erfolge. Doch auch in meinen flüchtigen Urteilen fühlte ich mich entlarvt, als ich Mitte Januar einen Instagram-Post von Madeleine Alizadeh las. Darin schrieb sie, dass ihr in letzter Zeit häufiger der Vorwurf begegne, sie sei nicht mehr „relatable“, nicht mehr nahbar und greifbar. Man habe den Zugang zu ihr verloren, seit sie Bilder ihrer schön eingerichteten Wohnung teilen würde.
Man muss dazu sagen: ihrer schön selbst bezahlten Wohnung. Madeleine ist erfolgreiche Unternehmerin, wie jeder*jede weiß, der*die in den letzten zehn Jahren Modeblogs verfolgt hat. Zur Erinnerung: Die 31-Jährige stellte auf ihrem Blog Daria Daria zunächst, wie es damals üblich war, schnell mitgemachte Trends vor, entwickelte jedoch bald ein Bewusstsein für fair gemachte Mode, wurde politisch aktiv und engagierte sich für Themen wie Klimaschutz und in der Flüchtlingspolitik. Sie leitet inzwischen ein eigenes, nachhaltiges Modellabel (Dariadéh), moderiert einen Podcast (A mindful mess) und hat einen Spiegel-Beststeller geschrieben („
Starkes weiches Herz“).

Und doch, so sagt sie im Interview, bekam sie immer wieder zu hören, sie würde ja gar nicht richtig arbeiten. „Ich habe sehr viel Neid erfahren. Viele sind zum Beispiel davon ausgegangen, dass ich für die Wohnung Geld von meinen Eltern bekommen habe, was nicht stimmt. Es kommen oft Kommentare wie ‚Such dir doch mal einen richtigen Job‘ oder ‚Dein Beruf ist Selfies zu machen‘. Diese Mutmaßungen sind auch immer ein Infragestellen von Kompetenz. Von Leistung.“
Der Instagram-Post wurde zu einem ihrer meist beachteten. Nicht nur, meint Madeleine, weil sich einige in ihrer Missgunst ertappt fühlten, sondern weil er ansprach, was viele gar nicht wahrnehmen – oder, besser gesagt, wahrnehmen können. „Die Antwort auf die Frage, warum es uns schwerfällt, den Erfolg von Frauen anzuerkennen, ist: Wir haben ein strukturelles Problem. Wir wurden in einer Gesellschaft sozialisiert, die patriarchal geprägt ist. Den Sexismus, den wir in Magazinen sehen, in Rollenvorbildern auf den Bildschirmen, in der Politik, haben wir verinnerlicht, ob wir wollen oder nicht“, sagt sie. „Als Frauen werden wir dazu angeleitet, bodenständig und bescheiden zu sein. Das ist ja auch ein gern gemachtes Kompliment: ‚Du bist auf dem Boden geblieben, du gibst nicht an mit deinen Leistungen, du hältst dich zurück.‘ So lernt man, immer die Außenwirkung zu bedenken, und wird dabei von seinem Inneren getrennt. Viele Frauen stellen sich und ihre Wünsche dann infrage.“
Der Gedanke „Hat sie das verdient?“ wird zur Selbsthinterfragung „Habe ich das verdient?“. Auf Instagram zitierte Madeleine eine Passage aus Glennon Doyles Buch „Ungezähmt“, wo die Autorin schreibt, dass es gesellschaftlich leichter ist, eine Frau zu lieben, die leidet als eine, die glücklich und selbstbewusst ist. Als Steffi vor einigen Monaten Glennon interviewte, hier nachzulesen und -hören, sprachen die beiden auch darüber, dass Frauen eher dazu geneigt sind, die Reaktion der anderen zu bedenken, bevor sie sich fragen, was sie selbst empfinden.
Ich kam in Gedanken auch immer wieder zu einer Anekdote zurück, die Madeleine im Interview erwähnte: Sie habe stets mehr verdient als ihre Partner.
„Einem Ex-Freund habe sie hin und wieder ihre Geldbörse in die Hand gedrückt, sodass es wirkte, als würde er sie einladen.“ -
„Es ist doch verrückt, dass ich meinen Erfolg ihm rübergeschoben habe, damit mir ja keine Aufmerksamkeit entgegenkommt.“
Auch ich verdiene mehr als mein Mann. Im Grunde, seitdem wir vor 14 Jahren ein Paar wurden. Das ist eine Tatsache. Trotzdem kommt es mir vor wie ein Geständnis. Wie etwas, das ich erklären muss, zum Beispiel damit, dass wir eine gute Beziehung haben, er ein unterstützender Partner und Vater ist, er gerade für seine Familie kocht, während ich diesen Text schreibe. Ich erwähne es trotzdem nicht oft, vor allem nicht so öffentlich, wie ich es jetzt mache, weil ich das Gefühl hätte, es könnte ihn verletzen (tut es nicht, wusste ich, habe ihn gerade trotzdem noch mal gefragt).
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem männlichen Freund vor einigen Jahren, in dem er sich nach meinem Mann erkundigte, der damals gerade auf Jobsuche war. „Stell dir mal vor“, sagte dieser Freund, „wie schwer es emotional für deinen Mann sein muss, finanziell auf seine Frau angewiesen zu sein.“ Ich wünschte, ich wäre in dem Moment geistesgegenwärtig genug gewesen, ihm zu antworten: „Würdest du eine Frau fragen, wie schwer es emotional für sie ist, finanziell auf ihren Mann angewiesen zu sein?“ (Da wird schon eher angenommen, die Frau sei nur wegen des Geldes mit dem Mann zusammen oder schlicht nicht emanzipiert. Auch schädliche Klischees.)

Wie stark der Stereotyp des Mannes als Versorger noch ausgeprägt ist, hat auch Milena Glimbovski erfahren. In unserem Telefonat erinnert sie sich an ein Interview, das sie vor einigen Jahren in der ZEIT gab. Sie, die Geschäftsführerin von Original Unverpackt und Mitgründerin von Ein guter Plan, zweier erfolgreicher Unternehmen, war damals hochschwanger und erwähnte, sie habe ihre Arbeitszeit auf 25 Stunden die Woche verkürzt. Keine Einzelreaktion in den Kommentaren: Na ja, das ginge ja wohl nur, weil ein Sugar Daddy sie aushalten würde.
Solche Erlebnisse führen dazu, dass man dann lieber nicht über Geld spricht.
„„Ich habe mich fast nicht getraut, zu kommunizieren, dass ich unser Ferienhaus in Schweden gekauft habe.““ -
„Mir fällt es immer noch schwer, das zu erzählen. Es kommt mir so bonzenhaft und privilegiert vor“, sagt sie am Telefon aus eben jenem Haus in Schweden, in dem sie mit Partner und Kind den letzten Lockdown verbracht hat – ungeplant so lang, aber auch nicht unwillkommen. Das Haus, Milena betont das, war ein gemeinsamer Entschluss mit ihrem Verlobten, sie haben es zusammen gesucht und gefunden. Bezahlt hat sie. Weil sie es konnte. „Wir haben keine Eigentumswohnung in Berlin, das wäre nicht leistbar gewesen. Ich will nicht wirken wie eine Frühstücksdirektorin, die sich im Lockdown nach Schweden abgesetzt hat und dort nichts macht. Ich arbeite, nur eben von hier“, sagt sie. „Es ist ein Glück, dieses Haus zu haben, aber ich habe auch viel dafür getan.“ Die heute 30-Jährige hat mit 22 Jahren gegründet, statt viel auszugehen, ging sie 60 Stunden die Woche ins Büro und erwirtschaftete sich, wie sie sagt, „die Möglichkeit, mir und meiner Familie diesen Wunsch zu erfüllen.“
Disclaimer: Auch ich habe vor einigen Jahren Eigentum erworben – eine Berliner Stadtwohnung. Was möglich war, weil meine Eltern ihr Erbe vorgezogen haben und ich davon die Anzahlung leisten konnte. Die Abzahlung des Darlehens teilen mein Mann und ich uns.

Nicht jede Frau steht so in der Öffentlichkeit oder unter Beobachtung wie Madeleine und Milena, doch gerade das letzte Jahr hat eindringlich gezeigt, wie anders die Verdienste von Frauen wahrgenommen werden. Weibliche Emanzipation ist nur durch wirtschaftliche Emanzipation möglich. Keine neue Erkenntnis, aber eine relevante. So hat eine Befragung der Hans-Böckler-Stiftung, die dem DGB angebunden ist, unter Erwerbstätigen Folgendes ergeben: „Die durchschnittliche Erwerbs-Arbeitszeit von Frauen ist im Zuge der Coronakrise stärker gesunken als die von Männern […] Bei Erwerbstätigen mit betreuungsbedürftigen Kindern lag die Differenz zwischen Männern und Frauen im Herbst bei elf Stunden pro Woche, vor der Krise waren es zehn und während des ersten Lockdowns im Frühjahr zwölf Stunden. Eine Ursache für den während der Krise gewachsenen Abstand dürfte sein, dass vor allem Frauen zusätzliche Sorgearbeit übernommen haben, etwa in Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen, und dafür im Beruf kürzertreten mussten.“
Es wird dauern, die Strukturen aufzulösen, durch die Frauen in traditionelle Rollen zurückfallen oder gar nicht erst aus ihnen rauskommen. Das betrifft, wie unser Arbeitsmarkt aufgebaut ist, berufliche Chancen für junge Frauen, Gleichberechtigung in Familien. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung wurde die Soziologin und Juristin Ute Gerhard, 82, die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen- und Geschlechterforschung an einer deutschen Universität, kürzlich gefragt, ob die Auseinandersetzungen in Sachen Gleichberechtigung härter geworden sind: „[…] Von jungen Studentinnen höre ich meist, dass Diskriminierung eigentlich kein Thema mehr für sie ist. Allerdings haben sie mit 20 Jahren noch nicht die Erfahrung gemacht, dass Diskriminierung heute erst in dem Moment einsetzt, da eine Frau in den Beruf geht und gleichzeitig eine Familie haben möchte. Solange Frauen auch weiterhin 20 Prozent weniger Lohn erhalten als Männer, kann man nun wirklich nicht von ‚Wahlfreiheit‘ sprechen.“ Und weiter: „Es ist einzig und allein an […] den Männern, das umzusetzen, was sich Frauen so mühsam erkämpft haben. Wenn sich Männer auch in künftigen Generationen mehrheitlich weigern, mehr familiäre Verantwortung zu übernehmen und beruflich zurückzustecken, so wird das nichts. Aber ich bleibe optimistisch.“
„Veränderung kann nicht gelingen, indem Frauen bitte alle schön lieb zueinander sind.“ -
Doch wir können damit anfangen, indem wir die „internalisierten Sexismen“, wie Madeleine sagt, hinterfragen und nicht glauben, dass wir davon befreit sind. Indem wir unsere eigenen Schamgefühle erkennen und was sie auslöst. „Ich glaube, es ist ganz wichtig, zu merken, wann man in eine Haltung verfällt, in der man sich selbst unterbuttert, sich weniger zutraut und dadurch weniger vom Leben, weniger Erfolg erwartet“, sagt Madeleine. „Stattdessen sollte man sich öfter selbst loben, stolz sein und offen über die eigenen Erfolge sprechen.“ Auch Milena sagt: „Ich will mich nicht kleinmachen. Nein, ich will ein Vorbild sein.“ Dann empfiehlt sie mir das Buch von Ali Wong, „
Dear Girls“. Darin schreibt die amerikanische Komikerin Briefe an ihre Töchter über alles, was sie im Leben wissen müssen. Den letzten Brief schreibt ihr Mann, Justin Hakuta, der sehr viel weniger verdient als seine Frau. Es gibt einige Sätze, die ich mir rot angestrichen habe, und das ist einer davon: „If I wasn’t the breadwinner, what did that say about me as a man? […] I chose to support our family by offering my time, care, and presence, forcing me to reconcile my prescribed gender roles.“
Und wenn man es auf die weibliche Sicht umdreht, könnte da stehen: Wenn ich die Brötchenverdienerin bin, was sagt das über mich als Frau?
(Psssst, viel Gutes. Weitersagen!)
Das Interview mit Madeleine Alizadeh gibt es hier als Video:
Foto: Madeleine Alizadeh von Maria Noisternig