Job & Finanzen
Conscious Quitting
Wie wäre es, wenn wir das Thema Kündigung entstigmatisieren? Und souverän gehen, wenn ein Job uns nicht mehr glücklich macht? Hier kommen Ideen, wie es klappt.
von Elisabeth Krainer - 01.05.2023
Diese Audiodatei gibt es hier als Download.
Seit ich mich durch die wundersame Welt der Vollzeitarbeit bewege, begleitet mich das Kündigen wie ein Schatten. In meinem ersten Job wurde ich hochkant rausgeworfen, mit mir etwa 30 Kolleg*innen. Betriebsbedingt, dies und das. Die leeren Floskeln des Verlegers habe ich längst vergessen, die Wut ist mittlerweile verdampft. Gekündigt zu werden war trotzdem hart. Mit 26 war ich zwar in einem Alter, in dem „das Beste doch noch komme“, der Imposter in mir hat meinem damaligen Chef trotzdem nie verziehen. Ich habe nicht daran geglaubt, dass überhaupt noch etwas kommt, als ich mit gesenktem Haupt in der Schlange vorm Arbeitsamt stand, um Fremden zu erklären, dass ich offensichtlich versagt hatte.
Durch diese Bruchlandung in den ersten Jahren meines Berufs habe ich schnell gelernt: Manche Dinge kann man nicht beeinflussen (egal, wie spitzenmäßig das Mindset ist) und im Zweifel sind viele Arbeitgeber*innen herzlich wenig an deiner persönlichen Situation interessiert. Dann, ein paar Jahre später, habe ich selbst gekündigt. Ich mochte meinen Job und meine Kolleg*innen, wollte jedoch mehr Selbstbestimmtheit und Freiheit. Die Selbstzweifel standen trotz der bewussten Herangehensweise vor der Tür. So geht es gerade mehreren Menschen in meinem Umfeld: kein Bock mehr auf Überidentifikation mit dem Job, keine Lust darauf, zusätzliche Arbeit zu leisten, die niemand honoriert. Schlaflose Nächte und Selbstzweifel stehen bei ihnen allen im Programm, bei manchen früher, bei anderen später. Immer mehr Menschen ziehen es trotzdem durch.
Um seinen Job frei wählen zu können, muss man leider auf einem großen Haufen Privilegien sitzen. Kündigungen waren bisher jedoch in allen Milieus mit Scham und einem dicken Knick im Selbstbewusstsein verbunden. Gerade deshalb fühlt es sich fast revolutionär an, wie viele Menschen ihren beruflichen Alltag jetzt selbstbestimmt gestalten wollen und die Konsequenzen daraus ziehen. Während vor ein paar Jahren noch Idealismus und Hustle Culture zelebriert wurden, man unbezahlte Überstunden mit „Passion“ verwechselt hat und Gratisobstkörbe als super Benefit galten, geht es heute um völlig andere Maßstäbe. Trotzdem stehen viele vor dem gleichen Problem: Wie kündigt man, ohne die Würde gegen hartnäckige Selbstzweifel einzutauschen?
Lifestyle-Guru Gwyneth Paltrow hätte bestimmt eine Antwort darauf. Vor einigen Jahren hat sie für das Prinzip des „Conscious Uncoupling“ getrommelt, bei dem es darum geht, sich so schonend, aufrichtig und nachhaltig wie möglich von dem*der Partner*in zu trennen, ohne emotionale Narben davonzutragen.

„Wie klappt das schonende Entlieben von dem*der Arbeitgeber*in?“ -

Die Antwort liefert „Conscious Quitting“: Einerseits geht’s darum, Rosenkriege mit Arbeitgeber*innen zu verhindern und unbeschadet aus einer Kündigung rausgehen zu können. Andererseits meint der Begriff, dass Arbeitnehmer*innen mehr und mehr auf die ethische Praxis von Unternehmen achten: Werden Mitarbeitende fair entlohnt? Ist Chancengleichheit gegeben? Wird nachhaltig gewirtschaftet? Wenn die Antwort „Nein“ lautet und die persönlichen Werte nicht zu denen des Unternehmens passen, entschließen sich laut Studien besonders Millennials und die Gen Z dazu, zu gehen.
Das weiß auch Bianca Jankovska. Die Autorin, Podcasterin und Rechtsexpertin hat 2023 eine Agentur für Kündigungsberatung gegründet. Als mir mein Instagram-Algorithmus vor ein paar Wochen das Logo von thx bye in die Timeline spülte, war mir schnell klar: Das hätte ich gebraucht. „Den Job nicht halten zu können ist nicht cool. Auch nicht unter den coolen Kids. Über Chef*innen meckern gehört zum guten Ton, solange man morgens trotzdem zur Arbeit geht. Gekündigt zu werden oder zu kündigen ist hingegen ein Zeichen von Schwäche. Hinzu kommt das Stigma der Arbeitslosigkeit“, sagt die Expertin. Mit thx bye möchte sie diesen Prozess neu gestalten.
In Zeiten, in denen Arbeitskräfte fehlen, müssen sich Unternehmen etwas einfallen lassen, um dem gestiegenen Werte-Bewusstsein und Trends wie Conscious Quitting entgegenzuwirken. Da wir alle mit den Vorzeichen des Turbo-Kapitalismus ins Rennen gehen, bleibt in der Wirtschaft wenig Platz für Werte und Wohlbefinden. „Es gibt inzwischen jede Menge Buzzwords, mit denen Unternehmen versuchen, ihre fehlende ethische Praxis zu verstecken, von „Employee Experience“ bis „Corporate Purpose“. Diese HR-Trends zielen darauf ab, Bewerber*innen und Angestellten das Gefühl zu geben, es handle sich um ein Unternehmen, das großen Wert auf das persönliche Miteinander, faire Arbeitsbedingungen und nachhaltiges Wirtschaften legt“, sagt Jankovska. „Meiner persönlichen Erfahrung nach können Unternehmen diese Versprechen im leistungsorientierten Alltag absolut nicht halten. Wer es sich leisten kann, kündigt dann.“
Einen pauschalen Fahrplan fürs Kündigen ohne Kollateralschaden gibt es aber nicht. Bianca Jankovska begleitet Klient*innen auf dem Weg von Unzufriedenheit und den ersten Gedanken an die Kündigung bis zum endgültigen Adieu. Sie schneidet die Beratung auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Klient*innen zu: Bei thx bye gibt es Quick Fix Sessions und Beratungen, die über mehrere Wochen laufen. „Bei langfristigen Beratungen liegt die Kündigung noch in vergleichsweise weiter Ferne, da können noch große innere Konflikte bestehen“, sagt Jankovska. „Gerade Klient*innen mit großem Sicherheitsbedürfnis brauchen dann erstmal innere Vorarbeit, Visionen und konkrete Schritte in Form von Hausübungen und Reflexionsaufgaben. Kommt zum Beispiel jemand zu mir und glaubt, nie wieder einen Job zu finden, setzen wir uns konkret mit dem auseinander, was draußen wartet. Wir schauen uns Beispiele von Best-Case-Arbeitgeber*innen an und lösen durch positive Erlebnisse bestehende Ängste.“ Oft hilft die Frage:

„Was ist das Schlimmste, das passieren kann?“ -

Denn Sorgen und Bedenken blasen sich im Vorhinein gerne überdimensional auf. Denkt man sie zu Ende, merkt man häufig: So schlimm ist das ja gar nicht. Auch die gute alte Pro-und-Kontra-Liste kann helfen. Meistens merkt man beim Formulieren der Punkte schon, wohin das Bauchgefühl tendiert, was davon berechtigte Einwände oder irrationale Sorgen sind. Und: Sprich über deine Pläne, Sorgen und Träume. Frage nach Gehaltsklassen, Rechtslagen und tausche dich mit Familie oder Freund*innen über Ideen aus. Der Prozess sieht von Person zu Person anders aus und das ist völlig okay.
Ist der Entschluss zur Kündigung gefasst, empfehlen Expert*innen, sich einen Überblick über die vertraglichen Details zu verschaffen. Dazu gehören Infos wie: Welche Kündigungsfrist steht im Vertrag? Wie viele Urlaubstage müssen noch genommen werden und wie viele Stunden Zeitausgleich stehen noch an? Das erleichtert es Arbeitnehmer*innen, auch mal „Nein“ zu sagen, wenn sie um „diesen einen letzten Gefallen“ gebeten werden. Laut Kündigungsexpertin Jankovska sollte man im Kopf behalten: „Man befindet sich nach einer Kündigung nicht im rechtsfreien Raum. Die Verhältnisse zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in bleiben bis zum letzten Arbeitstag bestehen. Man hat zum Beispiel weiterhin Anspruch auf Bezahlung und Urlaub.“
In manchen Fällen bittet der*die Chef*in darum, Urlaubstage auszubezahlen, damit mehr Zeit für die Übergabe bleibt. Das geht eigentlich nur dann, wenn man sie nicht mehr innerhalb der Kündigungsfrist nehmen kann und ist ein großes Entgegenkommen seitens des*der Arbeitnehmenden. In solchen Situationen ist es wichtig, die eigenen Rechte zu kennen – und Grenzen zu ziehen, falls die andere Seite die Situation ausnutzen will. Das gilt für alle Beteiligten. „Wer die Arbeit verweigert und blockiert, kann immer noch fristlos gekündigt werden, was wiederum Auswirkungen auf die Sperrfrist bei der Arbeitsagentur hat“, sagt Jankovska.
Wie soll man sich zwischen Kündigung und letztem Arbeitstag verhalten? Um der Situation das Eskalationspotenzial zu nehmen, hilft es, nicht bis zum letzten Tag des Monats zu warten, um dann ohne Kommentar die Kündigung in den Briefkasten zu schmeißen (es sei denn, das Unternehmen pfeift ohnehin auf Respekt). Wer den*die Chef*in früher in die Entscheidung einbezieht, vielleicht sogar Sorgen und Bedenken teilt, signalisiert:

„„Hey, ich hatte eine gute Zeit und möchte dir nicht schaden. Für mich geht es hier aber nicht weiter.““ -

Das nimmt einem möglichen Konflikt den Wind aus den Segeln, der*die Chef*in hat mehr Zeit, auf die neue Situation zu reagieren.
Wenn dann nicht direkt der nächste Job in den Startlöchern steht, soll man sich in Deutschland spätestens drei Tage nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses beim Arbeitsamt arbeitssuchend melden. Dadurch bleibt die Sozialversicherung geregelt. Kündigt man selbst, erhält man zusätzlich finanzielle Unterstützung (Arbeitslosengeld I) drei Monate nach Austritt. Auch das hängt stark von der individuellen Situation ab. Die Unterstützung vom Arbeitsamt klingt erstmal drastisch, kann aber akute finanzielle Sorgen abfedern, bis es einen Plan für die Zukunft gibt. Das nimmt Druck raus und verschafft ein bisschen Zeit für Reflexion.
Bis der letzte Tag im Job gekommen ist, steht in vielen Fällen noch das Einarbeiten einer Nachfolge an. Achtung, Trotzreaktion incoming: Die Situation mit der Nachfolge kann triggern. Arbeitgeber*innen sind jedoch auch während der letzten Tage und Wochen noch weisungsbefugt, das gehört im Zweifel also dazu. „Man ist aber nicht dafür zuständig, bei der Suche nach einer Nachfolge zu helfen“, sagt Jankovska. Auch hier gilt:

„Grenzen kennen und wahren, indem man sich vorab überlegt, was man zusätzlich leisten will und was nicht.“ -

Früher oder später steht dann der letzte Arbeitstag vor der Tür: Wie soll man sich verhalten? „Ganz so, wie es dem eigenen Verhalten entspricht“, sagt Jankovska. „Manche bringen Kekse oder Kuchen mit, andere verabschieden sich höflich ohne Tamtam und möchten Kolleg*innen aus Gründen nicht wiedersehen. Das ist vollkommen legitim.“ Oft kommen letzte Arbeitstage jedoch mit gemischten Gefühlen: Kündigen heißt Abschied. Von Menschen, einer Lebensphase, einem Traum oder Wunsch. Auch Abschiedsschmerz darf stattfinden – in einer wertschätzenden Abschiedsmail oder einer gemeinsamen Mittagspause mit jenen, die fehlen werden. Und obwohl der folgende Satz wie eine Satire auf überteuerte Achtsamkeits-Coachings klingt, stimmt er: Dankbarkeit hilft beim Verabschieden. Welche Projekte haben Freude bereitet? Welche Menschen sind zum Teil des eigenen Lebens geworden? Woran ist man persönlich gewachsen?
In Arbeitsverhältnissen, die mehr Schaden als Gutes angerichtet haben, rät Jankosvka dazu, sich zu distanzieren. „Man kann sich ruhig selbst gratulieren: Du hast es durchgezogen und musst kein schlechtes Gewissen haben. Sie kommen ohne dich klar. Und du? Findest etwas Besseres“, sagt Jankovska. Es gibt jedoch Fälle, wo die Kündigung als Notausgang dient. Wer sich dann für die verbleibende Zeit krankschreiben lässt, muss sich nicht schlecht fühlen. „Während die einen ihr Pflichtgefühl bis zum letzten Tag aufrechterhalten, lassen sich andere ab Tag 1 nach der Kündigung krankschreiben. Das ist völlig legal und kann dabei helfen, das Burnout oder Kränkungen bereits früher zu kurieren und aufzuarbeiten“, so Jankovska. Denn wo Arbeit an Identität geknüpft ist, können Kündigungen mit vielseitigen, persönlichen Problemen einhergehen, die man aufarbeiten muss, um langfristig keinen Schaden davonzutragen. Auch wenn die preußische Arbeitsmoral das im ersten Moment vielleicht nicht so cool findet.

„Kein Job der Welt ist es wert, Raubbau an sich selbst zu betreiben.“ -

Wer ein paar Basics beachtet, kann Kündigungen (in einem wertschätzenden Umfeld) zu einem unaufgeregten, fairen Prozess umfunktionieren, der genauso zur Arbeitswelt gehört wie alle anderen Veränderungen auch. Denn früher oder später werden die meisten von uns in einer ähnlichen Situation stecken. Umso wichtiger finde ich den bewussten Umgang mit einem Thema, über das eher hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird, anstatt offen und ehrlich darüber zu sprechen – inklusive Finanz-Struggle, rechtlicher Fragen, Zukunftsängsten und neuer Perspektiven.
Während meiner Kündigung hätte es mir krass geholfen, mit jemandem über Möglichkeiten zu sprechen, der*die sich mit Situationen wie meiner auskennt. Denn das Arbeitsamt ist das Fegefeuer der Bürokratie, die Fallstricke lauern an allen Ecken und durch das Stigma der Arbeitslosigkeit habe ich mich kaum mit anderen darüber ausgetauscht. Ich tat so, als hätte ich meinen Masterplan längst ausgearbeitet. Stimmte natürlich nicht. Ich war heillos überfordert – an meinem Quitting war absolut gar nichts conscious. Manche Entscheidungen habe ich aus Sorge vorschnell gefällt. Das will ich mir in Zukunft von Gwyneth Paltrow abschauen. Dann heißt es vielleicht nicht gleich „Ende gut, alles gut“, aber zumindest kann man bewusster durch schwierige Situationen navigieren.
Alles Liebe

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