Was macht ein richtig gutes Sommerbuch aus? Ist es Spannung, eine Lovestory oder kalter Angstschweiß in der Mittagshitze? Für mich kann es all das sein – am wichtigsten ist, dass ich mit jeder Zeile den Alltag ein Stück weiter von mir wegschieben kann. Eskapismus, aber nicht zwingend realitätsfern, Unterhaltung, aber nicht seicht. Egal, ob ich bei 35 Grad am Strand liege oder mir eine kurze Auszeit auf Balkonien genehmige. Für euch habe ich die besten Pageturner gescannt.
Hier entlang für meine Top Ten im Sommer 2023:
1. „Der Papierpalast“ von Miranda Cowley Heller:
Das Leben von Elle Bishop klingt in „
Der Papierpalast“ nach kleinfamiliärer Idylle. Schnell wird klar: So einfach ist es nicht. Sie kann sich nicht entscheiden, ob sie bei ihrem Mann und den gemeinsamen Kindern bleiben soll oder alles hinschmeißt und mit ihrer Jugendliebe Jonas durchbrennt. Sie haben die Sommermonate ihrer Jugend gemeinsam auf Cape Cod verbracht, wo das Feriencamp ihrer Familie steht, der Papierpalast. Das klingt nach rührseliger Romcom, damit hat der Roman aber nichts am Hut. Die Frauen im Buch sind vielseitig, tiefgründig, lassen sich nicht einfach so in Schubladen stecken. Die Autorin entfaltet die Geschichte von Elle an einem einzigen Tag und blickt zurück auf die letzten Jahrzehnte, bis zu dem Moment, in dem sie sich entscheiden muss: Gehen oder bleiben? Dabei spült sie immer wieder Geheimnisse an die Oberfläche, die die Charaktere in neues Licht rücken. Leider auch 2023 noch bemerkenswert: Eine Protagonistin, die 50 ist und mehr in sich trägt als die bescheuerten Klischees, die Frauen jenseits der 35 immer wieder angedichtet werden. Elle ist eine Frau mit 50, die aussieht wie eine Frau mit 50 und sich verhält wie eine Frau mit 50: Sie liebt, feiert, zweifelt, begehrt.
2.„Große Gefallen“ von Lillian Fishman:
Bisschen Juice gefällig? In „
Große Gefallen“ beendet die queere Eve via Kurzschlussreaktion die eigentlich glückliche Beziehung zu ihrer Freundin Romi. Eher zufällig findet sie sich in einer Dreiecksbeziehung mit dem Heteropaar Olivia und Nathan wieder. Was folgt: viel Verlangen, noch mehr Sex und mindestens genauso viel Unsicherheit. Nathan manipuliert die Frauen, Eve hasst es und findet gleichzeitig Gefallen daran. Sie verliert die Bodenhaftung. Was will sie wirklich, was wünscht sie sich, weil andere es von ihr erwarten? „Große Gefallen“ verhandelt die manchmal verschwommene Linie zwischen Lust und Gewalt, Selbstbestimmung und Manipulation. Die hitzige Geschichte einer Frau, die sich erst selbst verlieren muss, um sich wirklich zu finden.
3. „Spitzenreiterinnen“ von Jovana Reisinger:
Frauen haben etwas gemeinsam: Sie machen grundsätzlich alles falsch. Egal, ob sie reich oder nicht reich, schön oder weniger schön, verheiratet, geschieden oder Single sind. Die brutalen Kommentare von anderen kommen so oder so. Die Frauen in „
Spitzenreiterinnen“ sind allesamt nach einschlägigen Frauenmagazinen benannt und erfüllen auch allerhand Klischees. Bis sie nach und nach ausbrechen, ausrasten, durchdrehen oder eben nicht. Dabei wundert man sich als Leser*in über die Frauen, lacht über absurd komische Situationen und die stereotypischen Kommentare, bis einem das Lachen im Hals stecken bleibt und man sich fragen muss: Wie viel Frauenhass hat man eigentlich selbst auf Lunge inhaliert im Patriarchat?
4. „Fische“ von Melissa Broder:
Wilder Fiebertraum statt Lovestory: In „
Fische“ trennt sich Lucy dramatisch von ihrem Freund Jamie. Die Trennung und die Einsamkeit schmeißen sie aus der Bahn, sie versucht, sich selbst im shiny Venice Beach wiederzufinden. Die großen Fragen des Lebens kicken, genauso wie ihre Depression und die Selbstzweifel. Bis sie nachts leicht angeschickert allein am Strand sitzt und Theo kennenlernt. Zumindest bis zur Hüfte. Denn Theo, der da so geheimnisvoll und oberkörperfrei vor ihr schwimmt, ist eigentlich ein Meermann. Also halb Mensch, halb Fisch. Das klingt erst mal nach kafkaeskem Humor. Melissa Broder schafft es, trotz hohem Schuppenanteil und surrealem Touch, eine hitzige Lovestory zu erzählen, die tief ins Herz der Protagonistin (und vielleicht auch ein bisschen in das der Leser*innen) blicken lässt. Wild, unvorhersehbar und berührend.
5. „Das Flüstern der Feigenbäume“ von Elif Shafak:
Goldene Strände, türkisblaues Wasser, wolkenloser Himmel: In den Erinnerungen der Bewohner*innen ist Zypern ein paradiesisches Stück Erde. Die Geschichte der Insel klingt leider anders. „
Das Flüstern der Feigenbäume“ erzählt von Zypern und dem Schicksal eines Paars, das keines sein sollte. Der Grieche Kostas und die Türkin Defne verlieben sich kurz vor Beginn des zyprischen Bürgerkrieges, Unruhen trennen die beiden. In Großbritannien sucht Kostas ein neues Zuhause. Dort pflanzt er den Steckling eines Feigenbaums, die scheinbar einzige Verbindung zu seiner Vergangenheit. Elif Shafak lässt diesen Baum erzählen, der über hundert Jahre Geschichte in sich trägt und Details kennt, die ohne ihn verloren wären. „Das Flüstern der Feigenbäume“ ist ein zartes, poetisches Buch, das zeigt, wie der Krieg tiefe Furchen durch viele Generationen zieht. Währenddessen bewegen sich Leser*innen auf den sandigen Pfaden der Insel: Die Landschaft, das Essen, die Gerüche, die Pflanzen – Elif Shafak feiert Vielfalt und Kultur des Landes, die das Unglück der Insel auf sinnliche Art nachvollziehbar machen.
6. „Daisy Jones & The Six“ von Taylor Jenkins Reid:
Taylor Jenkins Reid hat in den letzten Jahren einige Pageturner hingelegt. „
Daisy Jones & The Six“ ist einer ihrer besten. Die Autorin begleitet den Weg einer Rockband der wilden 70er Jahre auf dem Weg nach oben – inklusive Intrigen, Affären, Drogen, Persönlichkeitskrisen und einer riesigen Portion 70s-Flair. Die Protagonistin Daisy und Gitarrist Billy, die großes Talent und ein scheinbar magisches Band verbindet, katapultieren die Band an die Spitze, während sie backstage zwischen Liebe und Ablehnung schwanken und die Gruppe vor Zerreißproben stellen. Wer gut aufpasst, erkennt vielleicht Parallelen zur realen Welt: Taylor Jenkins Reid hat sich für die Geschichte von Fleetwood Mac und den komplizierten Beziehungen der Bandmitglieder inspirieren lassen. In Interviewform erzählen die Protagonist*innen ihre Sicht auf die Geschichte, die zeigt, wie unlogisch, kompliziert und gleichzeitig vollkommen die Bindung zwischen Menschen sein kann. Bock auf eine Runde mit dem Tourbus durch die USA der 70er? Schlaghosen, Cordwesten und John-Lennon-Gedächtnis-Brillen inklusive. Und für alle, die längst Fans von Taylor Jenkins Reid sind: Kürzlich erschien ihr neues Buch „Malibu Rising“, ein weiterer heißer Anwärter auf den ersten Platz der großen Sommer-Romane.
7. „Alles, was ich weiß über die Liebe“ von Dolly Alderton:
Memoiren mit 28? Klingt abgefahren, steckt aber voller kluger Gedanken und Lebensweisheit: Die britische Star-Kolumnistin Dolly Alderton hat mit „
Alles, was ich weiß über die Liebe“ eine Art Roman, Memoir und Lebensratgeber in einem geschrieben, der den Sommer selbst an Regentagen warm und einladend wirken lässt. Sie erzählt zum Brüllen komisch von schlechten Dates, beschissenen Partys und der großen Liebe ihres Lebens – ihren Freundinnen, die sie in Krisen unterstützt und für Höhepunkte gefeiert haben. Eine Liebeserklärung an Intimität, Verletzlichkeit und die Höhen und Tiefen, vor denen niemand verschont bleibt. Die moderne, chaotischere Version von Sex and the City, übersetzt in die Welt der Millennials und damit perfekte Begleitung im nächsten Urlaub.
8. „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara:
Vermutlich ist der Titel „
Ein wenig Leben“ die literarische Untertreibung des Jahrzehnts, wenn es um Hanya Yanagiharas Bestseller geht. Denn im Roman findet so viel Leben statt, dass es wehtut. Die Autorin begleitet eine Gruppe Männer, die eine lebenslange Freundschaft verbindet. Sie waren gemeinsam auf dem College, sind Künstler, Schauspieler, kommen aus ganz unterschiedlichen Milieus. Manchmal führen ihre Wege näher zueinander, manchmal voneinander weg. Yanagihara erzählt so packend und einfühlsam von dieser Freundschaft, dass man sich als Leser*in als Teil der Clique fühlt, mitfiebert, weint und trauert. Ein knapp tausend Seiten starker Liebesbrief an lebenslange Freundschaften, der wunderschön und brutal zugleich ist. Besonders geeignet für jene, die nicht vor harten Schicksalen zurückschrecken. Wenn im Koffer für die nächste Reise nur ein einziges Buch Platz hat, sollte es dieses sein.
9. „Such a Fun Age“ von Kiley Reid:
Emiras Leben war schon immer anders als das ihrer Chefin Alix. Die schwarze Babysitterin übernimmt die Care-Arbeit für Alix’ Tochter Briar, während diese jedem noch so platten Girlboss-Klischee hinterherrennt, das ihr die sozialen Medien servieren. Die Beziehung zwischen den beiden war okay, bis zu diesem einen Moment: Emira latscht mit Briar in einen fancy Supermarkt und wird vom Wachmann bezichtigt, das weiße Kind entführt zu haben. Alix ist schockiert – und macht Emira kurzerhand zu ihrem neuen „Projekt“. Sie will ihr helfen, sie vor Rassismus zu schützen, und tappt dabei in jedes Fettnäpfchen, das sich ihr bietet. Geht es ihr wirklich darum, Emiras Leben zu verbessern, oder will sie ihr Ego aufpolieren? Kiley Reid ballert in „
Such a Fun Age“ eine haarsträubende Szene nach der anderen raus, bei denen man sich als Leser*in fast an der eigenen Fremdscham verschluckt. Ein entlarvender Pageturner, der dazu auffordert, die eigenen Motive zu hinterfragen: Wo verläuft die Grenze zwischen Empathie und Egozentrik?
10. „Der große Sommer“ von Ewald Arenz:
Wer nach diesem einen, flirrenden, nostalgischen Sommerroman sucht, ist hier richtig: „
Der große Sommer“ von Ewald Arenz erzählt von Frieder, der zurückblickt auf die unvergesslichen Sommermonate 1981, die er gezwungenermaßen bei seinem Großvater verbrachte. Er hat’s in der Schule verbockt, bleibt sitzen und muss den Sommer lang büffeln. Seine Erwartungen: entsprechend niedrig. Was er erlebt: das flirrende Sommermärchen eines Jugendlichen, der von Versuchungen und Enttäuschungen des Lebens überrascht wird. Eine Geschichte voller Liebe, Freundschaft, Geheimnisse und Sex. Während ich Frieder folge, spüre ich die dampfende Wärme des Asphalts, die Nostalgie der deutschen Kleinstadt der 80er und rieche das Chlor des städtischen Freibads. Mehr Sommer geht nicht.
Ihr habt noch weitere Lieblingsbücher, die ihr gern empfehlen würdet? Dann nennt sie gern in den Kommentaren.
Viel Freude beim Lesen,
eure