Elternsein & Geburt
Meine Beispielwoche
Mein neues Glück im Job: Halb Büro, halb Natur.
von Patricia Sachau - 28.04.2020
Diesen Text gibt es auch als Audio-Artikel. Zum Hören ans Ende des Artikels scrollen.
Moin, ich heiße Patricia und bin 28 Jahre alt. Als nächstes würde nun kommen, was ich beruflich so mache. Nun ja, es gibt eine kreative Ader in mir sowie eine Leidenschaft für Schafe. Ersteres decke ich mit einer Drei-Tages-Woche in einer kleinen Werbeagentur ab, um mir mein Leben sowie Zweiteres zu finanzieren: die von mir gegründete Lykke Sheepfarm. "Lykke" bedeutet Glück auf dänisch – es ist mein persönliches Glück draußen bei meiner Schafsherde mit 130 Tieren plus Lämmern zu sein, die ich züchte und versorge.
Als Tochter eines Schäfers wuchs ich mit Tieren auf. Für mein Kommunikationsdesign-Studium zog ich dann nach Hamburg und arbeitete für verschiedene Werbeagenturen. Als ich meinen Mann Benjamin, ein wahres Küstenkind, der gern in Wind und Wellen unterwegs ist, kennenlernte, merkte ich wieder wie sehr mir die Natur meiner Heimat auch im Alltag fehlte. Genau zu dieser Zeit lag gleichzeitig ein sehr verlockendes (und gut bezahltes) Jobangebot in einer großen Frankfurter Werbeagentur auf meinem Tisch. Ich lehnte es ab, zog zu Benjamin und habe es nie bereut.
Mein neues Leben zeigt mir nämlich, dass man viel weniger braucht, als geglaubt. Nur drei Tage pro Woche zu arbeiten, funktioniert erstaunlicherweise gut – es ermöglicht mir bei meinem Schafen zu sein und ich komme finanziell mit einigen Einschränkungen über die Runden. Meinen Umstieg von Voll- auf Teilzeit betiteln meine Chefs in der Agentur als "Phänomen meiner Generation", die weniger arbeiten und mehr Freizeit haben möchten. Am Mittwoch verabschieden sie mich deshalb oft mit "Schönes Wochenende" – dabei weiß keiner von beiden, dass es für mich kein Wochenende gibt wie ihr gleich in meiner Beispielwoche lesen werdet.
MONTAG
Mein Wecker klingelt um 5 Uhr morgens, manchmal auch früher. Dann startet mein Tag und ich fahre vor der Arbeit noch zu den Schafen. Mit einem Kaffee in der Hand hüpfe ich schnell ins Auto, mit mir meine Border Collie Hündin Lux. Gerade erwarte ich Nachwuchs bei einer Aue und nach meinen Beobachtungen sollte es heute früh so weit sein. Am Stall angekommen, sehe ich schon das in Wehen stehende Schaf. Zur Lammzeit nehme ich mir immer Urlaub, denn hier brauchen die Schafe meine volle Aufmerksamkeit und Betreuung. Diese Tage sind immer sehr intensiv, aber sind gefüllt mit purer Freude. Das Schaf heute hat etwas auf sich warten lassen. Mit etwas Hilfe von meiner Seite sind zwei Lämmer geboren, beide gesund und munter. Alles ist gut und ich kann zur Arbeit fahren.
Vorher ziehe ich mich schnell im Auto um. Die Stiefel und Arbeitskleidung tausche ich gegen bequeme Vans und ein sauberes Outfit. In der Agentur angekommen, husche ich schnell ins Bad, um mir gründlich die Hände zu waschen. Einen meiner zwei Hunde darf ich immer mitnehmen – mich gibt es nämlich nur im Doppelpack, das habe ich meinen Chefs gleich beim Vorstellungsgespräch klar gemacht. Meine andere Hündin Fly bleibt bei meiner Schwiegermutter und genießt die Gassirunden mit ihr, wenn ich in die Agentur muss. Nach diesem Morgen ist das Eintauchen in die Arbeit für mich kein Problem. Ich bin hellwach und im Kopf sprudeln nur so die Ideen. Nach der Arbeit kehre ich noch einmal zu den Schafen zurück, um nach ihnen zu sehen und verbinde es mit einer großen Gassi-Runde mit dem Hund. So schalte ich gleichzeitig von meinem Arbeitstag ab. Zu Hause bekommen erst einmal alle etwas zu essen. Das Abendessen mit meinem Mann ist ein fest eingeplantes Ritual, das fast jeden Abend stattfindet und nicht verschoben werden darf. Benjamin ist so lieb und wartet auf mich – auch wenn ich heute später dran bin als sonst. Er begrüßt mich mit einem selbstgekochten Gericht. Darauf kann ich mich immer freuen.
DIENSTAG
Das gleiche Spiel von vorn. Aufstehen, ab zu den Schafen, rein in den kreativen Agentur-Alltag. Heute Abend ist Benjamin derjenige, der später nach Hause kommt. Dienstags ist er immer mit seinem Freund Lenny, gemeinsam sind sie das DJ-Duo "Artenvielfalt", im Studio und produziert elektronische Musik, die ich auch gern zum Arbeiten höre. Auf der Koppel stehend, genieße ich noch ein Telefonat mit einer Freundin. Die grasende Herde und die Hunde scheinen auch gerade zufrieden zu sein. Ein Glücksmoment.
Am Abend checke ich noch meine Mails, denn neben der Agentur arbeite ich ab und an auch an freien Projekten mit, die es mir finanziell erlauben, mal in den Urlaub zu fahren oder größere Anschaffungen für die Schafe sowie Reparaturkosten zu tätigen. Gemeinsam mit meinen Kunden bespreche ich den genauen Zeitplan, um den Job in meinen vollen Alltag integrieren zu können. Organisation und klare Ansagen sind mir besonders wichtig. In der Kommunikation mit den Kunden erzähle ich ganz ehrlich von meinem Leben mit den Schafen, was für viele Auftraggeber spätestens dann kein Problem mehr ist, wenn ich ihnen eine gute Idee präsentiere, die mir im Grünen bei den Tieren gekommen ist.
MITTWOCH
Juhu, es ist Mittwoch und nach Feierabend in der Agentur freue ich mich darauf, den zweiten Teil meiner Woche zu beginnen. Abends plane ich, wie der Rest der Woche aussieht, welche freien Projekte anstehen und was es bei der Herde zu tun gibt. Da ich mit den Schafen aktuell noch nichts verdiene, aber viele Kosten habe, überlege ich mir oft, wie ich meine gestalterische Ader mit meinem Schäferin-Dasein verbinden kann.

„Welcher Schäfer kann denn schließlich Grafikdesign?“ -

Ich habe viele gute Ideen und werde bald einige davon realisieren. Mir ist es wichtig, alle Kosten im Blick zu behalten – und zwar ganz egal, welches Projekt ich angehen möchte. Zur einer Herde gehört natürlich auch ein fundiertes Grundwissen, was ich mir alles von meinem Vater und anderen Schäfereien, denen ich über die Schulter geschaut habe, aneignete. Ich lerne ständig mehr dazu und habe mir in den letzten zwei Jahren eine große Herde aufgebaut. Mein Leben fühlt sich jetzt viel freier an – auch wenn ich mir bewusst bin, dass ich eine große Verantwortung übernommen habe, die ich nicht mehr so einfach abgeben kann.
DONNERSTAG
Ich stehe wieder früh auf, denn heute gibt es viel zu tun. Auf Wunsch eines Landwirts zäune ich eine Stück Grün ein, damit hier die Schafe die Fläche kurzweilig pflegen können. Mit Plastikphählen laufe ich über weite Wiesen hin- und her. Es muss von außen bestimmt lustig aussehen, irgendwann ähnelt das Ergebnis einer Umzäunung. Mein Auto parke ich immer irgendwo mittendrin und es ist mit allem vollgepackt, was ich für die Schafe brauche. Die Hunde sitzen auf der Rückbank. Inzwischen konnte ich mir einen Pickup leisten, was für eine Erleichterung, denn noch vor kurzer Zeit war ich mit einem kleinen Ford ka unterwegs – erstaunlicherweise hat aber auch das geklappt. Seitdem ich ein anderes Gefährt habe, werde ich lustigerweise auch von den Landwirten ernster genommen, denn ich sehe nun mehr wie eine Schäferin und weniger wie eine Amateurin aus.

„Dann klingelt das Telefon. Es ist ein Kunde, der eine Rückfrage hat. Ein Määäähhh im Hintergrund – der Kunde lacht.“ -

Schafe eintreiben, verladen, geschafft. Doch die Arbeit ist noch nicht getan. Die Batterien der Weidezaungeräte warten darauf, ausgetauscht zu werden. Ich muss das Trinkwasser auffüllen und weitere Aufgaben kommen on top. Plötzlich ist es Abend und mit Einbruch der Dunkelheit bin ich Zuhause. Es klingelt, unser Freund Marc steht mit einer Weinflasche unter dem Arm vor der Tür und wir lassen den Abend ausklingen.
FREITAG
Heute arbeite ich im Home-Office und schmeiße um 7 Uhr den Rechner an. Nach vier Stunden konzentriertem Arbeiten habe ich einiges geschafft und erlaube mir, zur Weide zu fahren. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Schafe süchtig machen, denn ich bin so gerne bei ihnen. Heute steht eine Partie Klauenpflege an. Hier komme ich ordentlich ins Schwitzen. Zuhause wartet Benjamin und der Bus, den wir gerade zum Camper umbauen. Reisen macht uns nämlich beiden viel Spaß. Wenn wir uns genug zusammen gespart haben, fliegen wir gern weit weg – Touren nach Dänemark zum Surfen mit dem Camper sind kostengünstiger, machen uns aber genauso glücklich. Wir bringen noch ein paar Latten an die Wände und sind abends zufrieden mit unserem Ergebnis.
SAMSTAG
Heute ist es windig. Benjamin packt seine Windsurfsachen, ich düse schon mal los zu den Schafen. Aus der Herde kommt ein Lamm angetapert und schaut mich erwartungsvoll an. Ich zücke ein Fläschchen, welches in Kürze verputzt wird. Ein herrliches Bild.

„In diesen Momenten merke ich, dass ich mich richtig entschieden habe, denn ich kann den Augenblick genießen und habe das Gefühl, nichts zu verpassen.“ -

Danach fahre ich auch an die Küste, Benjamin ist schon auf dem Wasser. Ich sehe ihm gern beim Surfen zu. Wenn die Wellen groß genug sind, springe ich auch gern mal selbst ins Wasser mit meinem Longboard und versuche mein Glück. Wir beenden den Tag mit einem gemeinsamen Essen und einem guten Film. Dank der vielen frischen Luft schlafen wir sehr schnell ein.

„“ -

SONNTAG
Das gemeinsame Frühstück entfällt meistens, denn auch am Sonntag wartet die Herde auf mich. Ich verbringe den ganzen Morgen bei den Schafen und trudel nachmittags wieder Zuhause ein. Die letzten Stunden des Tages basteln wir noch an unserem Camper. Benjamin unterstützt mich mit meinen Schafen, ist nie böse, wenn es länger wird. Wenn wir beide zusammen rumwerkeln ist das unsere quality time. Die Woche war anstrengend, doch es hat sich gelohnt. Meine Herde entwickelt sich weiter und gleichzeitig hatten Benjamin und ich schöne Momente miteinander – und das ist gut so.

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