Job & Finanzen
Wir bleiben einfach hier
Stephanie Dettmann verlängerte ihren Amerika-Urlaub spontan mit Homeoffice und -schooling.
von Stephanie Dettmann - 01.02.2022
Es ist kurz nach 7 Uhr, ich schaue über den Rand meines Laptops aufs Meer. Die Palmen wiegen sich im Wind, gleich habe ich meinen ersten Call. Mein Mann Marcel und unsere zwei Kinder schlafen nebenan in Ruhe aus. Heute ist Montag. Eigentlich würden wir uns jetzt in Berlin schon im Nicht-zu-spät-zur-Schule-und-Kita-kommen-Hustle befinden. Doch dahin sind wir nach unserem Mexiko-Urlaub nicht zurückgeflogen, sondern einfach in Miami geblieben. Na ja, ganz so einfach war es nicht, aber der Reihe nach.
Als ich vor ein paar Jahren die Naturkosmetikfirma UND GRETEL mit gründete, schwor ich mir, dass ich immer nach dem Prinzip „Family first“ leben würde. Als Unternehmerin und Mutter muss ich mich fast täglich zwischen Familie oder Business entscheiden. Sei es rechtzeitig nach Hause zum Abendbrot kommen, die Kinder noch ins Bett bringen können, Abholung von der Schule oder Kita und vieles mehr. Ich habe mich sehr oft für mein Unternehmen und gegen die Familie entschieden. Darüber spreche ich viel in Interviews, ganz offen und ehrlich, auch wenn es hart klingt und immer wieder wehtut.
Doch als es jetzt eine wichtige Entscheidung zu treffen galt, habe ich mich zum ersten Mal wirklich an mein „Family first“-Prinzip gehalten. Und Spoiler: Es tut irre gut.
Mitte Dezember 2021 sind wir als Familie in den Flieger nach San Francisco gestiegen, um mit Freund*innen dort ihre Filmpremiere zu feiern. Im Anschluss reisten wir weiter nach Puerto Escondido in Mexiko, wo es dann von Mexico-City am 5. Januar 2022 wieder zurück nach Berlin gehen sollte.
Doch dann kam alles anders als geplant.
Mein Mann ist DJ und Hauptverdiener unserer Familie. Am 28. Dezember 2021 erhielten wir die Nachricht, dass all seine Buchungen für Europa bis auf weiteres wegen der Pandemie gestrichen seien. Wann er wieder auflegen könnte, konnte niemand sagen. In den USA sieht die Situation anders aus: Er bekam das Angebot, in Städten wie Washington DC, LA, Miami, Houston und weiteren eine Tour zu spielen.
Jetzt war die Frage: Sollte ich wie geplant mit den Kids nach Berlin zurückfliegen, und Marcel würde die nächsten Wochen hier allein in den USA bleiben? Oder aber war es nicht genau die Chance, dem ganzen Pandemie-Wahnsinn ein Stück weit zu entfliehen und diese schwere Zeit mit unvergesslichen Erinnerungen für uns und die Kinder zu füllen, gemeinsam zu reisen und Familienzeit zu verbringen, die wir uns so oft gewünscht haben, aber nicht hatten?
Nun war sie also da, diese gefühlte Chance und dieses starke Gefühl, dass genau jetzt die Zeit gekommen ist, mich nach all den Jahren klar für das Wohl meiner Familie entscheiden zu dürfen.

„Seit ich denken kann, versuche ich, es möglichst allen recht zu machen.“ -

Niemanden zu enttäuschen, alle Erwartungen zu erfüllen und dabei stets glücklich zu sein. Meine ganz persönliche Konditionierung. Dass ich meine eigenen Bedürfnisse dabei oft hinten angestellt habe, war mir natürlich bewusst, habe ich aber nie als Problem empfunden. Im Gegenteil, das war schlichtweg Teil der Lösung, dachte ich zumindest.
Durch Kinder und Unternehmensgründung hat sich das alles über die Jahre noch intensiviert – wurde der Kampf um Platz eins zu meiner täglichen Challenge. Und da der Kampf um die ersten Plätze so intensiv war, gelang ich eigentlich meistens gar nicht mehr zu mir. Wenn ich mich für die Firma entschied, hatte ich meiner Familie gegenüber ein schlechtes Gewissen. War ich zuhause, fühlte ich mich schlecht, weil ich nicht in der Firma präsent war. Deshalb war es vermeintlich einfacher, mich für eine Seite zu entscheiden und somit auch nur eine zu enttäuschen.
Und da war sie nun, mitten im COVID-Chaos, die Chance, all das einmal auf den Kopf zu stellen und aus all den Mustern auszubrechen. Mich ganz klar für das zu entscheiden, was ich für mich und meine Familie für das Beste hielt:
Wir entschieden uns, als Familie zusammen in den USA zu bleiben und mit meinem Mann an seine Arbeitsorte zu reisen. Ich formulierte eine lange und ausführliche E-Mail an die Schule, erklärte unsere familiäre Situation und bat um Erlaubnis, unsere zehnjährige Tochter Kalea vorerst im Homeschooling unterrichten zu dürfen. Dann wartete ich auf die Antwort. Als sie kam, klopfte mein Herz bis zum Hals. Unser fünfjähriger Sohn Indigo brauchte schönerweise keine Freigabe von jemandem und war einfach nur glücklich, mit uns allen zusammen zu sein und viel zu erleben.
Die Antwort der Schule kam schnell: In der Nachricht stand, dass sie Verständnis für unsere Situation haben und der Mehrwert dieser Reise das Leben unserer Kinder sehr bereichern würde. Dass sie sich auf unsere Verantwortung als Eltern verlassen und uns so gut es geht unterstützen werden. Ich war so erleichtert und gleichzeitig spürte ich dieses Gefühl von „OMG, die größte Hürde ist genommen, jetzt müssen wir es wirklich durchziehen!“

„Es war ein Gefühl der absoluten Freiheit und gleichzeitig der größten Beklemmung.“ -

Natürlich hatte ich parallel bei mir in der Firma ebenfalls abgeklärt, ob mein verlängerter Aufenthalt in irgendeinem Konflikt stehen würde, aber ganz im Gegenteil – dadurch, dass ohnehin alle im Homeoffice waren, gab es keine spürbare physische Lücke, die ich hinterlassen würde (und wer mich kennt, weiß, dass ich ohnehin immer erreichbar bin, egal in welcher Zeitzone). Einer meiner Lieblingsinvestoren formulierte es sogar so: „Es ist das Beste, was du gerade tun kannst.“ Herrje, das war Musik in meinen Ohren und Balsam für meine Seele. Legitimation: Check! Sollte dieser Traum nun tatsächlich Wirklichkeit werden?
Als alles organisiert war, begann ich es so langsam zu realisieren. Wir werden die kommenden Wochen als Familie Tag und Nacht zusammen sein. Würden wir das überhaupt aushalten, das waren wir doch gar nicht gewohnt?!
Trotz all der Neugier auf unser Familienabenteuer plagte mich das schlechte Gewissen. Ich saß hier im Paradies, während meine Kolleg*innen im tristen, grauen Berlin weilten, in ihren Wohnungen, viele an COVID erkrankt. So versuchte ich in Facetime-Chats und Google-Meetings das Gefühl zu transportieren, dass ich doch da, obgleich ich so weit weg bin. Stand auch für ein Weekly extra um 4 Uhr auf, nur um anwesend zu sein. Verschickte Sprachnachrichten und Sonne, auch wenn ich wusste, sie würden es mir alle von Herzen gönnen, fühlte ich mich, als hätte ich sie im Stich gelassen.
Und als mir dann auch noch über Dritte zugetragen wurde, dass sich einer unserer Investor*innen anhand eines Instagram-Posts von mir in Richtung „eine passende Unterkunft für ihre Familie ist ihr wichtiger als die Firma“ äußerte, waren alle Knöpfe bei mir gedrückt. Doch statt in meine alten Muster zu verfallen, begann ich den Schmerz und die Situation auszuhalten und mir mantraartig immer wieder zu sagen, dass meine Entscheidung richtig war und ich ein Recht darauf hatte, genau so zu handeln.

„Wenn nicht jetzt, wann dann?!“ -

Und siehe da, nach ein paar Tagen wurde es weniger, das schlechte Gewissen. Auch, weil ich so lieben Zuspruch über Instagram bekam, wo ich das Thema in einer Story von mir ebenfalls ansprach. Aber auch seitens Freund*innen, Familie, Kolleg*innen sowie von anderen Investor*innen. Das tat mir gut, es legitimierte und bestätigte meine Entscheidung. Ich konnte aktuell nichts vor Ort ausrichten, ich hatte das Recht, mit meiner Familie hier zu bleiben.
So langsam beginne ich unser neues Leben zu genießen. Ich stehe morgens gegen 7 Uhr auf, habe meist ab 8 Uhr die ersten Meetings. Es ist schön, alle zu sehen. Auch in Sachen Homeschooling grooven wir uns so langsam ein, zeigen unseren Kindern, wo President Biden mit seiner Frau wohnt, erklären ihnen, wer die Mayas waren und wie die Sonnen- und die Mondpyramide entstanden sind.
Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich meine Kinder beobachte, Wesenszüge an ihnen feststelle und einfach nur glücklich bin, sie die ganze Zeit um mich zu haben. Ihr Lachen und ihre Fröhlichkeit, ihre Unbeschwertheit – diese gemeinsame Zeit tut uns allen als Familie einfach unglaublich gut.
Auch in Sachen Koffer ein- und auspacken sind wir inzwischen echte Profis – wobei dieses Lob direkt an meinen Göttergatten geht, der in der Tat jedes Mal alle unsere Koffer packt. So entwickeln wir uns ganz allmählich zu einer Globetrotter-Familie.
Und auch wenn es nach außen oft nach Dauerurlaub aussieht, in Wirklichkeit ist es eben einfach auch Alltag, den nimmt man nämlich mit, wie es Valeska (@mother_of_six_dragons) neulich so treffend zu mir gesagt hat – nur eben an viele schöne, unterschiedliche und vor allem derzeit warme Orte!
Gestern ereilte uns übrigens die Nachricht, dass Berlin bis Ende Februar die Präsenzpflicht an den Schulen aussetzt. Wir haben daraufhin einfach spontan noch einmal entsprechend verlängert. Family first. Jetzt kann ich es langsam.

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