Gefühle & Gedanken
Gute Aussichten
Wie planen wir das neue Jahr? Expert*innen wie Stefanie Stahl kennen Tricks, die Mut machen.
von Alexa von Heyden - 01.01.2021
Die Audiodatei findet ihr am Ende des Textes.
         
2021 ahoi! Lasst uns jungfräuliche Kalender aufschlagen, den schönsten Stift zücken und Pläne schmieden. Früher hätte ich einen Neujahrsartikel sicher so begonnen. Voller Vorfreude und extrem heiß auf Erfolg!
Der 1. Januar 2021 fühlt sich anders an. Pläne machen in Zeiten eines Lockdowns – ähm, ja wozu denn überhaupt? Verschoben, storniert, abgesagt: Durch die Coronapandemie haben wir alle die Erfahrung gemacht, dass wir uns nichts mehr so richtig vornehmen können. Zumindest nicht so, wie wir es früher gewöhnt waren. Selbst ein Kurzurlaub an der Ostsee klingt inzwischen wie die Szene aus einem Science-Fiction-Film.
Gerade weil wir die Privilegien unseres Lebens für sicher hielten, reagieren wir auf das Unkontrollierbare zunehmend genervt. Dem ersten Lockdown konnte ich noch etwas abgewinnen. Es war abenteuerlich, mit Bergen von Klopapier, selbst gebackenem Bananenbrot und cremefarbener Jogginghose im Homeoffice zu sitzen. Beim zweiten Lockdown wurde ich müde und seit der Verlängerung, die aller Voraussicht nach mindestens bis zum 10. Januar gilt, bin ich offen gestanden ziemlich orientierungslos.
Ich habe deshalb drei Expertinnen um Hilfe gebeten und sie gefragt: Wie planen wir das Unplanbare? Wie verlieren wir trotz Corona unsere Ziele nicht aus den Augen? Und wie können wir in der neuen Realität etwas erschaffen, das uns glücklich macht?
Vorher muss ich aber kurz von einem „Aha, okay“-Erlebnis erzählen.
Kurz vor Silvester stand ich am Ufer des Sees, an dem wir wohnen, und starrte auf die eintönige, graublaue Fläche. Es war kalt, aber ich wollte frische Luft tanken. Das Coronajahr würde bald zu Ende sein. Halleluja. „Bitte lass 2021 nicht wieder so ein Miststück werden“, flehte ich leise.
Denn abgesehen davon, dass mein Schwager an Krebs erkrankte, ich nicht bei der Hochzeit meiner Schwester im Dauer-Hotspot NRW dabei sein konnte und sowohl unsere Sommer- als auch Herbstferien storniert wurden, war es vor allem für meinen Mann als Gastronom hart. Der Frust über die Schließung, die Anspannung über die ungewisse Zukunft und die Enttäuschung, dass immer noch keine Soforthilfe auf dem Geschäftskonto eingegangen war, saßen jeden Abend mit bei uns am Tisch. Aus Existenzängsten bewarb ich mich auf drei feste Jobs und bekam drei Absagen.
Meine Lippe bebte. Plötzlich stand Herr Becker, ein weißhaariger Mann, der jeden Tag am See spazieren geht, neben mir, tippte mit seinem krummen Gehstock auf den Boden und sagte:

„„Ich vermisse die Optimisten.““ -

„Boah, ich auch“, antwortete ich.
Tatsächlich blicken nur noch 22 Prozent der 30- bis 59-Jährigen laut der „Generation Mitte“-Studie des Institutes für Demoskopie Allensbach mit Optimismus dem neuen Jahr entgegen. Das sind immerhin 35 Millionen Menschen in Deutschland. Doch Ängste und Verunsicherung haben zugenommen. 72 Prozent von ihnen glauben, dass die Krise noch länger dauert.
Ich kenne alle diese Gefühle zwischen Unzufriedenheit und Ohnmacht. Und trotzdem ist Herr Becker seit unserem Treffen am See mein Guru für hoffnungsvolle Zukunftsvisionen. Denn er meinte mit „Optimisten“ nicht so wie ich gut gelaunte Menschen, denen selbst in Zeiten einer Pandemie die Sonne aus dem Arsch scheint.
Der alte Mann meinte die Optimisten-Jollen, stabile Segelboote mit einem kleinen Segel, mit denen Kinder die Navigation auf dem Wasser üben. Optimisten sind unsinkbar und können mit nur einer Hand gesteuert werden. Schon Siebenjährige sind nach wenigen Kursstunden in der Lage, in einem Optimisten unter Aufsicht selbstständig zu segeln. Und da dachte ich: „Aha, okay – wenn ein Kind allein ein Segelboot steuern kann, dann schaffe ich auch durch unbekannte Gewässer wie 2021 zu kommen.“
Ich muss nur die richtigen Manöver kennen.
Die erste Expertin, mit der ich zoome, ist Stefanie Stahl. Wenn eine Frau in Zeiten wie diesen den richtigen Rat weiß, dann ist es die Psychologin und Bestseller-Autorin („Das Kind in dir muss Heimat finden“ oder „So bin ich eben. Im Job“). Und tatsächlich gibt sie mir einen wichtigen Tipp mit auf den Weg, wie ich erstmal raus aus dem Panikkarussell komme:
„Das Gehirn ist von der Evolution darauf ausgelegt, Probleme zu lösen und uns Menschen so das Überleben zu sichern. Deshalb hat es die lästige Angewohnheit, immer auf das Negative zu gucken. Aber man muss das Gehirn sich ja nicht selbst beim Denken überlassen“, sagt sie.
Stattdessen solle ich raus aus dem Schwächenzoom gehen und auf Weitwinkel stellen. Also auf das konzentrieren, was gut läuft. „Fragen Sie sich: Wo sind meine Stärken? Was kann ich gut? Wo sind meine Ressourcen?“, so Stefanie Stahl. (Das gesamte Interview mit ihr könnt ihr hier hören und euch hier als Video anschauen:)
Das Manöver 1 lautet also: Segel setzen. Wind prüfen, Kurs bestimmen.
Da wir laut Stefanie Stahl unsere Sorgen und Probleme schriftlich besser verarbeiten, kann für die Kursbestimmung ein Dankbarkeitstagebuch helfen. Also jeden Abend fünf Minuten schwarz auf weiß festhalten, was schön an dem Tag war und für was man dankbar sein kann. Das klingt banal, aber der Effekt ist nachhaltig. „Der Blick im Alltag verändert sich“, weiß die Expertin. „Das Gehirn legt dann schon tagsüber mehr den Fokus auf die positiven Erfahrungen.“
Die Psychologin arbeitet in Coronazeiten übrigens weiter in ihrer Praxis und geht für ein neues Buchprojekt mehr in die Konzentration. Abends genießt sie Spaziergänge, auch wenn es kalt und dunkel ist. Früher hatte sie gar keine Zeit dafür.
„Spazieren gehen ist ein guter Weg, um die Energie in Bewegung zu halten und innerlich wach zu bleiben“, bestätigt mir Madhavi Guemoes, ebenfalls Autorin und Expertin für Meditation, Yoga und spirituellen Lifestyle. Sie steht jeden Morgen um halb fünf auf, um zwei Stunden zu meditieren oder Kundalini zu machen, bevor sie anfängt zu arbeiten. Ein von ihr entworfener Kalender beginnt deshalb mit einer Spalte um drei Uhr früh. Sie hat mir diesen Jahresplaner auch geschenkt. Als ich das rosa Buch aufschlage, fällt mir außerdem auf, dass sie das Jahr nicht als einen Block von 365 Tagen am Stück sieht, sondern wie eine Steuererklärung in vier Quartale einteilt: Q1, Q2, Q3 und Q4.
Liegt in der kurzfristigen Planung das Glück für 2021? Ich wähle Madhavi Guemoes Handynummer, denn sie ist witzig und undogmatisch, und genau diese Mischung mag ich an ihr. Ich gestehe ihr, dass ich nicht weiß, wie ich Q1, geschweige denn den Rest des Jahres, anpacken soll. Schon gar nicht um drei Uhr morgens. Sie sagt zu mir:

„„Es ist total okay, wenn du keinen Plan hast. Der Januar ist zum Fühlen da.““ -

Manöver 2: beidrehen. Das Boot liegt ruhig in den Wellen, der Sturm zieht vorbei.
Der Satz von Madhavi Guemoes ist wie Balsam für meine Seele. In den letzten Monaten habe ich wenig gefühlt, denn ich musste wie alle funktionieren: unser Kind betreuen, Geld verdienen, bloss nicht krank werden. Beschwert habe ich mich darüber nicht, denn es gibt viele Leute, denen es weitaus schlechter geht. „Selbstmitgefühl – nicht Mitleid! – ist trotzdem unglaublich wichtig. Du musst akzeptieren, wenn du durchhängst“, sagt Madhavi Guemoes. Um meine Ziele dennoch nicht aus den Augen zu verlieren, empfiehlt sie mir ähnlich wie Stefanie Stahl den Perspektivenwechsel: „Schau dir nicht an, was du loswerden möchtest, sondern wo du wachsen möchtest.“
Ach guck. In den letzten Jahren bestanden meine Listen mit den guten Vorsätzen vor allem aus Verboten („Nie wieder raffinierten Zucker essen.“/„Weniger Alkohol trinken!“) und einer Aufzählung meiner Versäumnisse („Endlich das Exposé abgeben!“/„Noch mal versuchen zu surfen“). Mir in Ruhe zu überlegen, welches Potenzial in mir steckt, und dass ich ein ganzes Jahr dafür Zeit habe, meine Stärken weiter auszubauen: Die Aussicht stimmt mich euphorisch!
Manöver 3: anluven. Segel dicht holen, Gas geben.
Damit ich wachsen kann, rät mir Madhavi Guemoes zu einer Social-Media-Pause. Zumindest morgens. „Wer den Tag nicht damit beginnt, durch den Instagram-Feed zu scrollen, ist mehr bei sich.“ Stattdessen solle ich eine Morgenroutine entwickeln. Mich anziehen, einen Kaffee kochen, danach eine Weile meditieren und mich um meinen eigenen „inneren Garten“ kümmern.
„Und wenn ich dazu gar keine Lust habe?“, fragt der Input-Junkie in mir.
„Dann machst du Katze-Kuh.“ Den Wechsel aus Rundrücken und Rückbeuge kenne ich aus der Yogapraxis. Die Übung mobilisiert nicht nur die Wirbelsäule, sondern löst auch Verspannungen in der Brust und rund um das Herz. Wenn die innerliche Anspannung für diese einfache Übung zu groß ist, empfiehlt mir Madhavi Guemoes die Basic-Version: „Mit dem Rücken auf den Boden legen und drei Minuten tief ein- und ausatmen.“
Das alles solle ich nur bitte nicht im Schlafanzug machen, wie Nora Blum sagt, sondern angezogen. Meine dritte Expertin ist ebenfalls Psychologin und darüber hinaus als eine der Gründerinnen der Onlinetherapie Selfapy unter den Forbes 30 Under 30. Sie weiß sowohl um die aktuelle Krisensituation vieler Menschen als auch um die Versorgungslücke durch fehlende professionelle Ansprechpartner*innen und Therapieplätze. Zu den bereits existierenden 20.000 Kursnutzern kommen seit dem Beginn der Coronakrise jeden Monat tausende hinzu. „Alles, was schlecht für die Psyche ist, ist jetzt vorgeschrieben, zum Beispiel soziale Kontakte beschränken und nicht mehr rausgehen. Außerdem kann es zum Verlust der Tagesstruktur durch Arbeitslosigkeit, Homeoffice oder Kurzarbeit kommen. Dabei ist eine feste Routine das A und O“, so Nora Blum.
Selbst in Zeiten eines Lockdowns sei es wichtig, sich nicht im Schlafanzug vom Bett an den Arbeitsplatz auf dem Sofa zu rollen, sondern sich fertigzumachen, den Arbeitsplatz einzurichten und zwischendurch eine Differenz zwischen Arbeit und Freizeit zu schaffen, indem man rausgeht, etwas Leckeres isst, Sport treibt, Freunde und Familie anruft. Nora Blum nennt das: „... kleine, schöne Highlights in den Alltag einbauen.“
Sie spricht aus Erfahrung, denn auch sie braucht einen Coach und Psychotherapeuten an ihrer Seite. Sie geht offen damit um, vor allem als Gründerin eines Unternehmens: „Es ist immer noch zu sehr mit Scham behaftet und zeugt angeblich von Schwäche. Wir aber sagen: Es ist gut, sich Hilfe zu holen!“
Manöver 4 – wenn nötig: halsen. Kurswechsel, mit dem Heck durch den Wind.
Da liege ich nun am 1. Januar in einer muckeligen Strickjacke und Leggings auf dem Boden, atme ein und aus und frage mich: „Wo will ich wachsen?“ Stefanie Stahl weiß:

„„Das Glück liegt oft im Tun.““ -

Selbst sie muss oft ihre Unlust überwinden oder neue Herausforderungen annehmen, obwohl sie Angst davor hat und sich überfordert fühlt. „Aber ohne eine Frustrationstoleranz können wir uns nicht weiterentwickeln. Weil dann alles nur oberflächlich bleibt und nicht in die Tiefe geht“, sagt die Psychologin.
Und plötzlich höre ich meine innere Stimme, die mir die Antwort auf die Frage gibt: In Q1 will ich darin wachsen, wieder mehr Vertrauen in das Hier und Jetzt zu haben. So wie ein Kind, dass sich in ein Boot setzt, lossegelt und keinen Zweifel darüber hat, dass es alles irgendwie gut geht.
Drei Tipps to go, wenn sich das Panikkarussell dreht:
1. Ätherische Öle mit Lavendel und Zitrusnoten (z.B. „Elevation“ von doTerra) heben die Stimmung und schenken neue Energie. Madhavi Guemoes empfiehlt das Öl auf das Herz (!) zu reiben.
2. Sorgen und Ängste aufschreiben. „Das funktioniert wie eine Einkaufsliste. Das Gehirn wird so entlastet und kann sich wieder mit anderen Dingen beschäftigen“, erklärt Stefanie Stahl.
3. Die Onlinetherapie Selfapy ist ab sofort in der Regelversorgung der Krankenkassen. Wer ein Rezept vom Arzt bekommt, der kann Kurse beispielsweise zu Angst, Depressionen oder Panik kostenlos, anonym und ohne Wartezeit sofort nutzen (oder als Selbstzahler buchen). Eine aktuelle Charité-Studie ergab, dass die Symptomatik einer Depression damit signifikant gelindert werden kann.
Also: Mast - und Schotbruch! Ahoi, ahoi, ahoi!
Fotos: Madhavi Guemoes – Maria Schiffer, Stefanie Stahl – Susanne Wysocki, Selfapy – PR
       
Die Audiodatei gibt es hier als Download.

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