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Es war ein Spätsommertag 2013. Ich stand vor meinem akribisch zusammengetragenen Scherbenhaufen, und ganz oben thronte der niedrige Selbstwert zusammen mit meiner Einsamkeit und der Angst, verlassen zu werden.
Als Mutter von drei kleinen Kindern, verheiratet und nach einem frischen Seitensprung war ich drauf und dran, meine Ehe in den Sand zu setzen. Vollgepackt mit Schuldgefühlen, konnte ich es nicht so unausgesprochen in dieser Ehe aushalten. Ich gestand ihm meine Missetat, und zu aller Überraschung hatte er sich ebenso einen Seitensprung „gegönnt“, zwar unter Gruppenzwang mit Kollegen in einem Laufhaus, aber das Ergebnis war dasselbe.
Wir konnten beide diesen permanenten Zustand der Langeweile, gemischt mit Frust in der Ehe, nicht mehr ertragen. Die Verantwortungen, die wir tagtäglich übernehmen mussten, waren einfach zu viel. Es war kein Platz mehr für unsere Partnerschaft. Kein Essengehen, kein Ausflug nur zu zweit. Und reden gelang uns oft nur zwischen Tür und Angel. Organisatorisches, versteht sich.
„Nach der Geburt von drei Kindern wurde unser regelmäßiges Sexleben sehr oft vernachlässigt.“ -
Wir liebten uns sehr, aber nur die Liebe allein reichte einfach nicht. Einig waren wir uns darin, dass wir uns nicht trennen wollten.
Meine innere Unruhe, die Sehnsucht nach Leichtigkeit und Lockerheit, gepaart mit Interesse an neuen Sexualpraktiken, trieb mich ins Internet. Ich durchforstete einschlägige Seiten, schaute verschiedene Pornos, las in Foren und schließlich registrierte ich mich auf einer Swinger-Website mit dem Ziel, hier gemeinsam verschiedene Erfahrungen im sexuellen Bereich zu sammeln. Mein Mann wurde natürlich eingeweiht und war ebenfalls neugierig, was es da für ihn Neues gab.
Eines Abends, die Kinder waren bei den Großeltern untergebracht, surfte ich wieder mal zufällig auf meiner neuen Lieblingsseite und eine Mail flatterte herein. Ein Typ namens Martin war auf der Suche nach einem Paar, oder einer Frau, für ein aufregendes Erlebnis zu dritt oder zu viert. Heute Abend. Ob wir Lust hätten. Nicht unweit von uns entfernt. Vorher noch gelangweilt, fiel ich jetzt vor Aufregung fast vom Sessel. Aber wenn, dann nur miteinander, sagte mein Mann. Das war unsere erste Vereinbarung ab unserem Fehltritt: Wenn Fremdsex, dann nur gemeinsam.
Nach einem kurzen und leidenschaftlichen Kennenlern-Mailverkehr und dem Austausch der Telefonnummern fuhren wir angefixt von unserer neuen Lust, etwas Neues zu erleben, um 1 Uhr nachts los. Während wir auf der Fahrt sämtliche Gefahren besprachen, die einem so passieren konnten (die Axtmörder-Fantasie war noch harmlos …), legten wir fest, was wir wollten und was nicht. Was wir aushalten könnten und was nicht. Unsere Grenzen wurden neu verhandelt. Wir schlüpften in unsere neuen Rollen als Mr. und Mrs. Swinger.
Dort angekommen wurden wir leise in das Dachgeschoss gebeten. Martin empfang uns frisch geduscht und mit treuherzigem Blick. Kurz überlegte ich,
„ob man uns ansah, dass wir keine Profis auf dem Gebiet waren, unsicher und nervös?“ -
Das killt ja jegliche Erotik. Dann können wir gleich wieder heimfahren, dachte ich.
Angekommen in der kleinen Wohnung, dröhnte mir ein kleiner Radiowecker mit Oldies-Musik entgegen. Der Klang war so verstörend schlecht, dass ich fast aus meiner Rolle fiel. Unsicher berichtete ich Martin und Linda, wie die Fahrt war. Martin war ein lieber, zuvorkommender Gastgeber. Also kein Axtmörder. Linda, seine Swingerfreundin, ebenfalls.
Beide erzählten uns von ihrer Swingerpartnerschaft, die im echten Leben keine ist. Sie kannten sich von der Arbeit, als Kollegen und hatten beide dasselbe Interesse a Sex. Keiner fixen Beziehung. Dass man als Paar leichter jemanden kennenlernt auf der Swingerplattform, war uns neu. Linda berichtete von ihren Erfahrungen als Singlefrau. Man bekam über 100 Anfragen pro Tag, von denen sehr viele unbrauchbar waren. Als Solomann schrieb man sich die Finger wund, ohne Aussicht auf Antwort. Noch dazu musste man Mitglied sein, um Bilder sehen zu können.
Mittendrin im Kennenlernen entwickelte sich durch die Gesprächsthemen über Vorlieben und Erfahrungen auf der sexuellen Ebene eine knisternde Erotik. Die Blicke wurden tiefer, das Lachen wurde lockerer und meine innere Mrs. Swinger war unterhaltsam wie eh und je. Mein Gott, wie sexy ich mich wieder fühlte, dachte ich. Ein Gefühl, das ich liebte wie kein anderes in meinem Leben.
„Wieder mal begehrenswert zu sein war einfach unglaublich. “ -
Martin begann mich vorsichtig zu streicheln, was ich sanft erwiderte. Ein Testkuss, bei dem ich dahinschmolz, ließ meine Zweifel verschwinden. Was war das für ein Film, in den ich da geraten war?
Mein Mann gab sich währenddessen Lindas Verführungskünsten hin oder umgekehrt. So ganz genau konnte man das nicht erkennen. Sie lagen auf alle Fälle auf einer blauen Couch im Wohnzimmer. Beide intensiv miteinander beschäftigt. Ihre Hände auf seinem Körper, seine Hände auf ihrem. Ein kurzer Stich zeigte mir, dass ich eifersüchtig war, was ich dann aber schnell und mit Ausblick auf ein späteres Zusammensein mit meinem Mann wegschieben konnte.
Ich stand auf vom Esstisch. Martin bugsierte mich selbstsicher auf die Tischplatte und zog mir mein Oberteil aus. Das ging mir dann doch etwas zu schnell. Ich spürte den Widerstand in mir. Ein kurzer Schreck übermannte mich. Ich bat ihn zu stoppen, was er mit Lässigkeit hinnahm. Er blickte mich mit seinen sanften braunen Augen an, während er innehielt. Ich ließ mich fallen und schloss die Augen. Danach streichelte er mich vorsichtig am ganzen Oberkörper. Küsste jeden Zentimeter meiner Haut. Danach ging es weiter nach unten.
Als ich realisierte, wie weit ich entkleidet war, ich trug nur noch meinen Slip, verspürte ich plötzlich das Bedürfnis nach einem Ende. Martins Zärtlichkeiten waren zwar wunderschön, jedoch wollte ich fürs erste Mal nicht weitergehen. Außerdem wollte ich nach meinem Mann sehen, weil ich zwischen all der Hingabe bemerkt hatte, dass ich ihn vermisse und ihn auch wieder gern bei mir haben wollte.
Enttäuscht, aber auch überwältigt von unserer Begegnung, respektierte Martin meinen Entschluss. Wir küssten uns noch leidenschaftlich, um dem Moment unserer Intimität Ausdruck zu verleihen.
„Mein Mann war gerade dabei, sich ein Kondom überzustreifen, als ich auftauchte.“ -
Linda bemerkte mein Auftauchen ebenfalls. An meinem Blick und der entschlossenen Mimik konnte er erkennen, dass ich mein sexuelles Spiel mit Martin beendet hatte. Er bewegte seinen nackten, wunderschönen durchtrainierten Körper in meine Richtung, umarmte mich freudig und ließ mich wissen, dass er jederzeit stoppen könnte, wenn ich das wollte. Linda lächelte, bemerkte seine Unsicherheit und fragte mit Augenzwinkern: „Ihr seid noch nicht lange dabei, oder?“ Zärtlich beendeten die beiden ihr gemeinsames Spiel. Ich war dankbar für ihr Verständnis. Langsam merkte ich, wie viel Kraft mich dieses neue Abenteuer kostete. In den Morgenstunden zuhause angekommen entfaltete sich unsere neue Lust vollends und wir schliefen an diesem Morgen und am darauffolgenden Tag noch dreimal miteinander. Beseelt von diesem Erlebnis, spürten wir endlich wieder eine neue Art von Verbundenheit.
Wir hatten noch viele weitere Erlebnisse in dieser Art. Alle zwei Monate nahmen wir uns Zeit zu zweit und machten uns vorher etwas aus mit einem Paar oder fuhren in einen Swingerclub, wo wir uns unserer Lust hingaben.
„Es folgten viele Blowjobs, Dreier, Gangbangs und viel Sex mit Frauen.“ -
Was ich nicht erwartet hatte. Auf unserer Reise in die Swingerwelt entdeckte ich meinen ausgeprägten Bi-Anteil. Den pflegte ich bis heute.
Mein Mann erlag bisexuellen Männern bis heute nicht. Er hat zwar keine Berührungsängste, was ja auch hinderlich wäre bei einem Dreier in der Konstellation, doch sexuell erregt es ihn nicht, mit Männern zu schlafen. In unserem weiteren Swinger-Entwicklungsprozess lernten wir: Grenzen setzen ist wichtig. Alles kann, nichts muss, heißt es in Swingerkreisen. Ebenso: Ein Nein ist ein Nein und muss akzeptiert werden.
Es gab ein unschönes Erlebnis, nachdem wir eine längere Pause einlegten, und zwar, als mein NEIN nicht akzeptiert wurde. Ich hatte scheinbar nicht klar genug kommuniziert, dass ich Analverkehr gerade nicht will, und zack, war es geschehen. Schmerzverzerrt und wütend beendete ich unser Spiel. Es folgte ein kleines Drama, da hier besonders meinem Mann bewusst wurde, wie leicht Grenzen überschritten werden konnten. Wenn es sich dann noch dazu um die Grenzen seiner Frau handelte, fühlte er sich in seiner Rolle als Beschützer gefordert. Der Vorteil, wenn man zu zweit swingt. Man hat immer seinen Beschützer mit, sollte es mal zu einer Überschreitung der eigenen Grenzen kommen.
Es gibt aus meiner Sicht ein bestimmtes Phänomen beim Swingen zu beobachten: Die Frauen sind auffällig oft viel attraktiver als die Männer in der Paarkonstellation. Was dazu führte, dass wir absagen mussten oder mein Anteil dann im Spiel miteinander nicht so hoch war. Ich beschränkte mich dann meistens auf das Zusehen, was mir trotzdem großen Spaß machte. Meinen Mann mit einer anderen schönen Frau zu sehen, war für mich erregend und schmerzhaft zugleich. Ich war noch heißer auf ihn beim Heimkommen zuhause.
„Logischerweise war Eifersucht manchmal Thema.“ -
Mein Mann ist nahezu eifersuchtsfrei. Er kann mir gönnen, hat wenig Verlustängste, die ihn plagen, wenn er mir beim Sex zusieht. Bei mir war sie stärker ausgeprägt, wenn die Frau viel hübscher war als ich. Oder sagen wir so. Wenn sie etwas hatte, was mir an ihr gefiel und an mir selbst gar nicht. Wie ein großer schöner Busen. Meiner wurde von drei Stillkindern zerrockt, was man ihm auch leider ansah.
Aber in den meisten Fällen, wenn ich meine Eifersucht verspürte, war ich umgeben von lieben Menschen, die mich in meiner sichtbaren Not auffingen, streichelten – sowohl seelisch als auch körperlich. Das half mir anfangs sehr, bis ich anfing an mir zu arbeiten, meinen Selbstwert aufpolierte und mein stark abhanden gekommenes Körperbewusstsein wiederherstellte. Jetzt ist das längst kein Thema mehr. Mein Busen ist zwar immer noch klein, aber ich habe gelernt ihn zu mögen und schön in Szene zu setzen.
Die Erlebnisse in der Swingerszene wurden für uns inzwischen immer weniger. Vieles hat sich durch die Pandemie verändert, es passt nicht mehr so richtig zu uns. Wir sind zwar noch von Zeit zu Zeit auf Sexpartys, die von Freund*innen veranstaltet werden, aber eher mehr im Hintergrund.
Würden wir heute unsere Reise in die Swingerwelt beginnen, würde ich mir raten, mich nicht unter Druck setzen zu lassen, sondern mein eigenes Tempo im Erforschen meiner Sexualität umzusetzen. Viel zu schnell prasseln die Reize auf alle Sinne ein, die Zeit brauchen, um verarbeitet zu werden.
„Die Dynamik zwischen Paaren kann unberechenbar werden.“ -
Allen Anfänger*innen würde ich dasselbe raten. Pause machen. Reflektieren. Überlegen, was es braucht, um neue Lust zu entfachen. Was die Beziehung braucht.
Die Swingerplattform Joyclub eignet sich gut, um sich einen ersten Überblick über das Thema zu verschaffen, Kontakte zu knüpfen. Da findet man nahezu alles.
Nach zehn Jahren in der Swingerszene kann ich sagen, die Geschichte mit dem Seitensprung ist erledigt. Wir vertrauen einander, wir tauschen uns oft aus, haben ausreichend Zeit für uns geschaffen und können auch darüber reden, wenn es in der Ehe brenzlig wird. Wir haben unseren Sex miteinander weiterentwickelt, neue Leidenschaften entdeckt und sind gemeinsam daran gewachsen.
Was wir daraus gelernt haben, ist, dass eine Ehe nichts Fixes ist. Sondern genauso einen Entwicklungsprozess durchläuft wie wir selbst. Unsere Bedürfnisse eine eigene Sprache brauchen, um Emotionen zu benennen und Konflikte zu lösen.
Eine offene Beziehung haben wir vor einiger Zeit mal angedacht, bei der sich beide Partner getrennt voneinander mit anderen treffen. Zeit verbringen. Das wäre doch ein nächster Schritt, sagte ich zu meinem Mann. Doch das haben wir schnell wieder verworfen und beschlossen, einfach mal hier zu bleiben. Zu genießen, wie es jetzt ist. Geborgen und wieder vertraut.