Elternsein & Geburt
Nach dem Weg gefragt:
Schauspielerin Jessica Schwarz eröffnet ihr zweites Hotel. Ich habe sie dort besucht und mit ihr über den Tod ihres Vaters, ihre Fehlgeburt und das Weitermachen gesprochen.
von Stefanie Luxat - 08.07.2018
Vergangenen Sommer trafen wir uns auf einer Hochzeit. Jessica war die Tischdame meines Mannes, ihr Mann Markus mein Tischherr. Es war ein lustiger Abend. Wir lachten viel, machten Spässchen. Dass Jessica zu der Zeit gerade viele schlimme Schicksalsschläge zu verdauen hatte, das bisher härteste Jahr ihres Lebens durchmachte, wusste ich damals nicht. Ihr Vater starb nur fünf Wochen nach der Krebs-Diagnose, ihre langjährige Freundin war plötzlich tot, genau wie ihr Schauspielagent nach fünfzehn Jahren Zusammenarbeit. Und dann hatte sie auch noch eine Fehlgeburt.
So ist das, wenn man mit Jessica Zeit verbringt. Mit ihr kann man ganz tiefgründige Gespräche von jetzt auf gleich führen, sie lässt einen so tief in ihr Herz blicken, dass einem schwindelig wird und kurz danach lacht man schon wieder inbrünstig über unsinnige Kleinigkeiten. So erlebe ich sie auch bei meinem zweitägigen Besuch in Michelstadt.
Gemeinsam mit ihrer Schwester Sandra eröffnet die 41-Jährige im August 2018 ihr zweites Boutique-Hotel dort in der Heimatstadt: Das Träum weiter. Die Träumerei, ihr erstes Boutique-Hotel, gibt es seit zehn Jahren. Das Standbein hat sie sich parallel aufgebaut zu der stürmischen Schauspielerei-Branche. Obwohl sie es kaum erwarten konnte, Michelstadt zu verlassen und schon mit 16 Jahren nach München flüchtete, um zu modeln. Später wurde sie VIVA-Moderatorin, heute ist sie Schauspielerin, aktuell in der Amazon Prime-Serie „You are Wanted“ zu sehen. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann Markus und seinen zwei Kindern in Wien und Berlin.
Wir sitzen in Michelstadt viel auf dem Platz, einer Art Biergarten, zwischen ihrem Elternhaus, der Familien-Brauerei und der Träumerei. Essen, trinken, erzählen, ab und zu kommen alte Bekannte auf einen Schnack vorbei, Gäste trauen sich, Jessica anzusprechen. Irgendwann ziehen wir uns zurück ins Hotelzimmer, setzen uns aufs Bett und sprechen über das, was sie alles im letzten Jahr erlebt und daraus gelernt hat. Warum es nötig war, eine einjährige Pause einzulegen. Es fließen Tränen, aber es wird auch viel gelacht. Wie das mit Jessica eben so ist.
Was dir letztes Jahr alles passiert ist, hast du lange für dich behalten und dann plötzlich öffentlich in einem Instagram-Post erzählt.
Um gleich darauf Angst zu bekommen. Es gabe so irre viele Kommentare auf einmal, dass ich nicht wusste, wie ich dem gerecht werden sollte. Aber an dem Tag musste es einfach raus aus mir. Ich stand ganz alleine da oben auf diesem Berg bei Kitzbühl und wollte teilen, was mir alles passiert war. Auch, um dem Kind, das ich in mir getragen hatte, einen Platz zu geben. Wenn ich es bekommen hätte, wäre es ja auch zu sehen gewesen. Also wollte ich ihm diesen Ort widmen.
Ist es die Trauer über eine Fehlgeburt oder das Gefühl, man hätte versagt, obwohl man das ja definitiv nicht hat – was lässt einen nicht darüber sprechen?
Als ich anfing, darüber zu sprechen, war es unglaublich zu sehen, wie viele Menschen ein ähnliches Schicksal bereits erlebt haben. Und wie traumatisch so ein Erlebnis ist.

„Ich habe nach der Fehlgeburt natürlich auch die Schuld bei mir gesucht.“ -

Mir Gedanken gemacht wie: vielleicht habe ich mich während der Schwangerschaft körperlich überfordert. Heute weiß ich: alles Unsinn. Wenn man sieht, was die armen Flüchtlingsfrauen hochschwanger durchmachen, ist unser Alltag lächerlich dagegen. Ein gesundes Kind, und das muss man sich einfach immer wieder sagen, hätte sich so schnell nicht verabschiedet. Es war ein natürliches Ende.
Irgendwie darf man sich anscheinend nie sicher fühlen mit Kindern. Das Leben ist so zerbrechlich, nur vergisst man es immer wieder.
Ja, ich habe unglaublich große Ängste. Wenn unsere Töchter morgens zur Schule fahren, sage ich lieber drei Mal noch: „Pass auf! Fahr bitte auf dem Fahrradweg, bleib an den roten Ampeln stehen!“ Aber dann muss ich mich immer selbst sehr zusammen nehmen, nicht zu vorsichtig zu werden. Ich war früher der größte Wildfang und habe natürlich immer das Gegenteil von dem getan, was meine Mutter sagte.
Markus Töchter nennen dich Bonusmama. Konntest du dich auf die Rolle vorbereiten oder bist du da so reingestolpert?
Wir haben uns kennengelernt, da waren die Kinder zwei und drei Jahre alt. Der Begriff Bonusmutter kommt von Jesper Juul, dem skandinavischen Kinderpsychologen. Ich habe versucht, mich ein bisschen einzulesen, aber natürlich ist das Beste "Learning by doing". Ich habe viele Kinderfilme gedreht und habe drei Neffen, mit denen ich in vielen Familienurlauben war, ihnen Schwimmen beigebracht habe. Ich hatte schon immer viel mit Kindern zu tun, deswegen funktioniert das glaub ich ganz gut. Ich habe auch gemerkt, dass ich streng sein kann und auch sein muss, ich darf mir ja nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Wobei ich das auch gern tue, weil die echt Zucker sind die beiden Mädels.
Du hast dich nach all den Schicksalsschlägen für eine einjährige Pause entschieden.
Ich hatte einen Dreh, bei dem ich wusste: es wird schwierig, da raus zu kommen. Es war dann okay, weil ich das Team gut kenne und viele haben mit mir nächtelang gesprochen, was irre gut getan hat. Schwierig war, dass wir in einem Krankenhaus gedreht haben, was gefühlstechnisch natürlich Chaos für mich bedeutet hat. Danach habe ich dann gemerkt: ich möchte nicht arbeiten. Es gab Anfragen, aber ich habe meiner Agentur gesagt, dass ich nichts davon wissen möchte, ich brauchte einfach Ruhe.
Hast du vorher schon mal jemand Geliebtes verloren?
Meine Großeltern sind ganz früh gestorben und danach gar niemand mehr. Bis zu meinem achtunddreißigstem Lebensjahr war es, als würde so ein Damoklesschwert über mir hängen.

„Ich wusste: irgendwann wird irgendwer sterben und ich werde nicht wissen, was zu tun ist.“ -

Was hast du dann getan, als die Trauer von allen Seiten auf dich einschlug?
Ich war wie in einem Vakuum. Es spielt nichts, aber auch wirklich nichts mehr eine Rolle. Ich habe hier unfassbar viele Nächte gesessen, mit meiner Familie und mit uns gemeinsam sehr viele Freunde. Wir haben geredet und geredet und geredet. Natürlich war ich auch beim Psychologen und beim Therapeuten und habe mit ihnen nach Wegen gesucht, das zu verarbeiten.
Ich hatte eine ganz tolle Frau, die Reiki macht, die versucht hat, meinen Körper zu stärken. Wir haben erst eine Stunde miteinander gesprochen und anschließend eine Stunde Körperarbeit gemacht. Sie sagte, ich sei gerade in einer Art Buddha-Haltung, in der sie mich auch gelassen hat. Ich habe auch ziemlich an Gewicht zugenommen. Es war wie eine Energiezufuhr, wahrscheinlich auch ein bisschen Eat Your Feelings, aber es tat gut, mal nicht über die Figur nachzudenken. Das stand ganz weit hinten an. Ich habe einfach permanent versucht, mir etwas Gutes zu tun.
Wie fühlt sich so eine Trauer an. Ist das wie ein riesiger Kloß, der langsam kleiner wird?
Ich habe mich teilweise gar nicht gefühlt. War total durchlässig. Habe keine Temperaturen mehr mitbekommen. Man erzählte mir, dass es auf der Beerdigung meines Vaters Minus dreizehn Grad waren, ich habe nichts davon mitbekommen. Den ganzen Winter nicht. Ich war wie taub. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich die Trauer weggeweint habe. Stück für Stück.
Wann wird es besser?
Meine Eltern haben uns beigebracht, wie man das Leben in vollen Zügen genießt, alles Schöne aufsaugt. Wie man gut lebt, reist, schöne Orte für sich findet, gute Parties feiert und das Leben genießt. Unsere Freunde haben uns daran erinnert, dass wir jetzt auch so weitermachen müssen, nach dem Tod meines Vaters. Dass das sonst nicht in seinem Sinne wäre. Das hat mein Vater auch gesagt: „Habt ein schönes Leben...“ (fängt an zu weinen)
... dem wirst du doch jetzt sehr gerecht.
Ja, aber es gibt so viele krasse Momente, in denen man merkt: Er fehlt. Und er kommt nicht mehr wieder. Das ist schon heftig. Ich habe ihn vierzig Jahre gehabt. Und jetzt habe ich ihn vielleicht einfach vierzig Jahre nicht. Das ist eine verdammt lange Zeit...
Ist es das Härteste, zu begreifen, dass die Menschen nicht wiederkommen?
Ja. Obwohl er gefühlt ja immer da ist. Ich denke jeden, jeden, jeden Tag an meinen Vater. Der Aberglaube sagt: Wenn welche gehen, dann immer drei. Und mein Vater sagte, wenn man drei schwarze Raben oder Krähen sieht, die sich setzen, wird jemand sterben. Deshalb hat er gleich angefangen zu klatschen, sobald er welche sah. Das habe ich beibehalten.
Sich eine einjährige Pause zu gönnen, ist finanziell nicht so einfach.
Nein, das hat auch bei mir zu einem finanziellen Engpass geführt. Die Selbstständigkeit als Schauspielerin ist ja eh nicht so einfach, man hangelt sich von einem Job zum nächsten.
Hast du immer das Vertrauen gehabt, dass genügend Jobs reinkommen?
Natürlich gab es auch ganz schlimme Zeiten. Da braucht man ein bisschen Erfahrung für, um zu wissen, das schon alles wieder gut wird. Ruhig zu bleiben und auf die Zukunft zu vertrauen. Zu wissen, es kommt doch alles in Wellen und es wird auch wieder. Aber natürlich hat man als Selbstständige auch immer wieder Existenzängste. Gerade wurden mir plötzlich 65 Drehtage abgesagt. Das hat mich schon in ein tiefes Loch gerissen, weil ich mich so darauf gefreut hatte. Plus natürlich die finanzielle Seite.
Wie gehst du dann damit um?
Man darf das auf gar keinen Fall persönlich nehmen, aber natürlich tut man es doch. Ich dachte: Ich bin 41, im besten Alter, ich möchte arbeiten! Ich fühlte mich irgendwie so überflüssig. Also habe ich für Stunden Unkraut gejätet und dachte – alle arbeiten und du sitzt aufm Balkon und zupfst an Pflanzen rum! Das geht doch nicht! Dafür mache ich dann jeden Tag Sport, damit ich wenigstens gut aussehe (lacht laut). Es ist also nicht immer einfach. Der Beruf ist einfach ein großes Auf und Ab. Da hilft wirklich nur, die Ruhe zu bewahren.
Wovon träumst du für deine Zukunft?
Ich habe mir vorgenommen, mich zu fokussieren. Fühlte mich lange sehr unfokussiert. Ich habe enorme Lust, schöne Filme oder Serien zu drehen. Mich um mich zu kümmern. Vielleicht singe ich auch einfach, so wie mein Freund und Kollege Tom Schilling. Er geht mit seiner Band auf Festivals und macht Konzerte. Ich habe Musik immer geliebt...
Kannst du singen?
Ja, aber ich habe früher viel mehr geübt. Trotzdem singe ich heute noch für mein Leben gerne. Ich muss ja auch nicht gleich eine Platte machen. Angebote gab es immer wieder. Dafür braucht es aber Zeit.
Das heißt die Moral von der Geschicht ist, dass du gelernt hast, dich noch mehr dem zu widmen, was dich glücklich macht?
Genau. Weil das Leben so greifbar kurz geworden ist, man merkt, wie wenig Zeit uns gegeben sein kann, vor allen mit den Liebsten. Was nicht heißt, dass ich permanent Harmonie brauche. Ich stachele auch gern mal an, wenn es mir zu harmonisch ist. Dann muss ein bisschen ausgeglichen werden, in dem es unausgeglichen ist. Ich kann auch gut Diskussionen anzetteln, wettern und dann so zu tun, als wäre ich es nicht gewesen. Ich mag es eben nicht zu glatt. Nicht zu viel gute Laune auf ein Mal. Oh man, jetzt habe ich viel mehr erzählt, als ich erzählen wollte.
Das ist ein gutes Zeichen. Ich verstehe aber auch gar nicht, warum wir uns alle immer so in Panzer stecken...
Stimmt total. Mein Manager sagt nur manchmal „... könntest du mich vielleicht vorher wenigstens kurz informieren?“
Und du so: Aber auf dem Berg hatte nur Instagram Empfang!
Genau! Ich konnte nur den Post absenden und dann war das Internet weg. (lacht) Ach, der findet das schon ganz gesund, wie ich das so mache. Ich bin ja auch nahbar. Vielleicht auch dadurch, dass ich hierher komme und ständig mit Menschen in Kontakt bin. Ich hätte manchmal gern so etwas Unnahbares wie eine Marlene Dietrich. Mein Vater hat auch immer gesagt: „Denk doch erstmal, bevor du was sagst!“
Das hat mein Vater früher auch immer gesagt, das habe ich so gehasst!
(lacht laut) Ja, das bin ich einfach als Mensch nicht.
Vielen Dank für deine Offenheit und dieses schöne Gespräch, liebe Jessica.
Diese Geschichte wurde unterstützt von She`s Mercedes. Wenn ihr Lust habt, weitere starke Frauen kennenzulernen, meldet euch für den She`s Mercedes-Newsletter an unter newsletter.shesmercedes.de. Ich gehöre zu den Autorinnen des neuen Newsletters, genau wie Jessica von Journelles, Nora und Susann von Edition F und Julia von Wanderlust. Wir schreiben in dem Newsletter über Themen, die uns bewegen. Treffen starke Frauen, fragen sie, was sie antreibt, was Empowerment für sie bedeutet, welche Karrieretipps sie gerne früher bekommen hätten und vieles mehr. Darüber hinaus gibt es tolle Goodies exklusiv für alle Abonnentinnen. Registrieren kann man sich unter: newsletter.shesmercedes.de
Fotos & Video - Dennis Dirksen

Abo abschließen, um Artikel weiterzulesen

Endlich Ich - Abo

6,90€

Alle Artikel lesen, alle Podcasts hören

4 Wochen Laufzeit, monatlich kündbar
Digitaler Goodie-Bag mit exklusiven Rabatten
min. 2 Live-Kurse pro Woche (Pilates, Workouts, etc.)
Bereits Abonnent? Login