Job & Finanzen
Richtig verkackt
Firmenpleite, Beziehungsaus, Hörsturz – Schmuckdesignerin Guya hat viel vermasselt und ist trotzdem happy.
von Guya Merkle - 01.12.2019
Wann fing dieses Verkacken eigentlich an? Mit 21 Jahren wollte ich die Welt verändern und mich verwirklichen – dann starb mein Vater und ich übernahm seine Firma. Es war ein kleines, feines und gut laufendes Schmuckunternehmen. Damals wusste ich weder wie man Schmuck verkauft, noch wie man ein Unternehmen leitet.
Und so begann Verkackt Nummer 1: Nachdem die Umsätze fielen, die Kosten aber gleich blieben (es gab ja Miete und Gehälter zu zahlen) und ich immer mehr privates Geld in das Unternehmen fließen lies, wurde nach und nach klar, dass das so nicht weitergehen konnte. Aus der Not heraus fiel ich auf viele Angebote herein, die versprachen mich zu beraten. Ein Rebranding sollte Abhilfe schaffen. Ich gab viel zu viel Geld für Agenturen aus, machte ein Shooting in LA, stellte auf der renommierten Basel World aus, doch niemand verstand wirklich den Markt – weder ich noch die Berater.

„Also stand ich da, verfeuerte mein gesamtes Erbe und fühlte mich unverstanden und ausgenutzt.“ -

Ich hatte aber auch nicht das Selbstbewusstsein und die Einsicht zu sagen: "Stop! So geht das nicht." Ich war getrieben, wollte es unbedingt zum Erfolg schaffen und jedem, der mir diese Vision versprach, dem folgte ich.
Bis der Punkt kam, an dem finanziell wie emotional nichts mehr ging. Ich war 25 Jahre alt und so unglücklich wie noch nie in meinem Leben. Da war keine Leichtigkeit, keine Freude, kein Glück. Nur Druck und ein schlechtes Gewissen. Was würde mein Vater nur dazu sagen? Ich wollte erst gar nicht darüber nachdenken. Nach fünf Jahren war klar, dass ich sein Unternehmen gegen die Wand hatte fahren lassen. Und es jetzt auch noch einen Schuldenberg gab. Es war ein Scheißgefühl zu merken, dass ich der Verantwortung und dem Erbe nicht gerecht geworden war.
Die einzige Lösung war ein Schlussstrich. Die Firma schließen. Stille.
Doch mein Interesse für Schmuck und das Geschäftliche blieb. Ich wollte verstehen, warum ich mit dem Unternehmen gescheitert war, wie man es besser machen könnte,  also entschied ich mit 25 Jahren für ein Schmuckkunde-Studium in London. Langsam verstand ich, was Menschen an Schmuck fasziniert und lernte auch, woher die Rohstoffe kommen. Die Einsicht, dass im Kleinbergbau Gold unter schlimmsten Bedingungen abgebaut wurde und ca. 25 bis 30 Millionen Menschen unter unwürdigen Bedingungen Gold schürfen (darunter ca. 1 Million Kinder) und dabei auch noch unsere Umwelt zerstört wird, traf mich hart.
Plötzlich war ich hellwach. Ich buchte mir einen Flug nach Peru, besuchte Goldminen, verlor den Glauben an die Menschheit und beschloss: Das ändere ich! Ich gründete eine Stiftung, um das Thema auf die weltweite Agenda zu bringen, sowie mein eigenes Unternehmen, mit dem ich alles besser machen wollte: VIERI, ein Schmucklabel, das ausschliesslich mit recyceltem Gold arbeitet und darüber hinaus alternative Einkommensquellen in Minenregionen aufbaut, so dass die Menschen vor Ort ein gutes und sicherer Leben führen können.
Um genügend Eigenkapital zu haben, verkaufte ich das Haus meines Vaters und ließ damit auch viele gemeinsame Erinnerungen los. Ich war überzeugt von meinem Vorhaben und sicher, dass mein Vater stolz auf mich sein würde.
Im November 2015 wurde ich schwanger, nicht unbedingt geplant, aber ich freute mich. Das Baby kam, die Umsätze blieben aus. Aber ich hatte noch einen kleinen Geld-Puffer und machte weiter. Immer mit dem unermüdlichen Glauben an die Sache. 2016, 2017: Ein Kampf, Umsätze kamen, Kosten explodierten, Kapital schrumpfte, Baby wollte Bespaßung, Müdigkeit erreichte seinen Höhepunkt und die Überforderung war allgegenwärtig. Nach und nach schlitterte ich also in die zweite Pleite.

„Mache ich jetzt einfach ein Unternehmen nach dem anderen platt? Das darf nicht sein.“ -

Ich bündelte die letzten Kräfte, stellte vom allerletzten Rest Kapital eine Assistentin ein und machte weiter. Die Umsätze stiegen, Kosten explodierten weiter und gleichzeitig machten mir Kunden Mut, die sich darüber freuten, dass es ein Schmuckunternehmen mit einer Vision wie unserer gibt. So richtig abheben wollte das Ganze aber trotzdem nicht.
Verkackt Nummer 2: 2018 kam die Trennung vom Vater meines Kindes! Shit! Ein weiterer Traum war geplatzt und ich hoffte so sehr, dass jetzt nicht auch noch mein Kind ein Trauma bekommt. Wir versuchten das Beste daraus zu machen und trotzdem irgendwie eine Familie zu bleiben. Trotzdem blieb die Überforderung – dann war ganz plötzlich auch noch das Kapital weg. Die Umsätze stiegen zwar, die Kunden wurden mehr, das Feedback war toll, die Presse schrieb fleißig über uns, aber irgendwie war es nicht so wie es eigentlich sein sollte.
Und da passierte Verkackt Nummer 3 – auf einer ganz persönlichen Ebene. Ich wurde plötzlich nachts wach und dachte, dass ich gar nicht das Leben führe, das ich einst leben wollte. Ist es das wirklich wert, andauernd gestresst zu sein, einen Hörsturz zu bekommen, das Kind anzuraunen und meine Freunde nicht mehr zu sehen? Ich schlitterte total unbewusst in eine Sinnkrise, die wahrscheinlich Verkackt Nummer 1 und 2 zu verdanken war, die aber eine positive Wendung nahm.
Zum ersten Mal schaute ich mir mein Leben so richtig in Ruhe an. Ich, die einfach nur noch den Kopf in den Sand stecken und erst in 10 Jahren wieder hervor kommen wollte. Und da – so ganz unten und gefühlt alleine mit all der Verantwortung und dem Leben, in das ich mich reinmanövriert hatte, veränderte sich etwas in mir: Ich lernte mit dem glücklich zu sein, was war. Keine unerreichbaren Ziele und Erfolge mehr anzustreben, sondern mit dem Jetzigen einfach mal zufrieden zu sein. Ich war wieder gesund nach dem Hörsturz und habe ein tolles Kind – das war doch schon so viel.

„Ich begriff: Ich muss finanziell nicht das anstreben, was meine Familie erreicht hatte.“ -

Was bedeutet mir Geld eigentlich? Diese Frage stellte ich mir  zum ersten Mal. Seitdem hat sich meine Beziehung dazu um 360 Grad gedreht. Ich brauche nur so viel, dass ich mein Leben damit bestreiten kann, nicht mehr. Und das gibt mir so viel mehr Sicherheit. Ich habe vor vielem Angst, aber nicht mehr vor finanzieller Not, denn ich hatte die teuerste Ausbildung der Welt. Ich habe feststellen müssen, dass hinter all dem Glanz unendlich viel Druck und Angst steht – ich dem aber nicht ausgeliefert bin, sondern mich auch dagegen entscheiden und alles in meinem eigenen Tempo machen kann.
Und ich lernte, dass es okay ist, um Hilfe zu bitten. Ich hatte immer Angst davor, weil ich mich in einer scheinbar perfekten und sorgenfreien Branche aufhielt. Aber ich merkte, dass es auch hier nicht als Schwäche gilt, wenn man sagt: "Hey, ich hatte da eine Idee und die hat bisher nicht geklappt, aber ich glaube immer noch daran. Kannst du mir bitte helfen?" Das Überraschende ist, dass es ganz viele Menschen da draußen gibt, die einem sehr gerne helfen.
Seit ich das erkannt habe, bin ich sehr dankbar für jedes einzelne Verkacken, denn am Ende hat es mich zu genau dieser Erkenntnis geführt, mit der ich jetzt so viel entspannter lebe.

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