Es scheint widersinnig, mit einem Kleid in einer Ratgeberkolumne einzusteigen, von dem ich mir selbst abraten müsste. Die Ärmel: lassen meine stattlichen Schultern breiter wirken. Das Muster: wechselt an der Hüfte genau dort, wo sie am weitesten ist. Die Länge: endet an einer entschieden uninteressanten Stelle der Wade.
All das, so könnte man in jeder Körpertyp-Übersicht ablesen, ist nicht ideal.
Andererseits: Ich fühle mich in dem Kleid
von Stine Goya so fabelhaft wie ein Hollywoodstar in einem 1940er-Jahre-Musical, kurz davor, schwungvoll in Tanz und Gesang auszubrechen.

Nachdem in der Instagram-Fragerunde viele von euch wissen wollten, wie man das passende Kleid für den jeweiligen Körpertyp findet, und auch, wo es gute Angebote für große Größen gibt, wollte ich mir zunächst die fünf gängigen Typen noch einmal einprägen. Zur Erinnerung: Die Birne hat kräftige Beine und Hüfte, schmale Schultern, wenig Busen und geringen Taillenumfang. Die Karotte: breite Schultern und größere Oberweite, schmale Hüfte und Taille. Apfel: meist lange und schlanke Beine, füllige Brust und runde Körpermitte. Die Sanduhr: wenig Taille, im gleichen Maß Busen und Hüfte. Das Rechteck: Schultern und Hüfte ähnlich breit sowie Oberweite und Taille nicht ausgeprägt. Kommt hinzu, dass es auch noch den vertikalen Körpertyp zu bedenken gäbe. Den ermittelt man, indem man die obere Körperhälfte (Oberkopf bis Hüftknochen) und die untere Körperhälfte (Hüftknochen bis Boden) misst und aus der Relation der Maße zueinander weitere Erkenntnisse über das perfekte Kleidungsstück gewinnt.
Mein Erkenntnisgewinn aus diesen Notizen war, dass ich mir vorkam wie bei einer Rechenaufgabe im Gemüseladen: Wenn Marlene eine Mischung aus Birne und Karotte ist und außerdem dem vertikalen Körpertyp „langer Oberkörper, kurze Beine“ entspricht – wie hoch liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei der Kleidersuche die Lust verliert?
Lösung: bei 100 Prozent.
Denn in dieser Gleichung geht Mode für mich nicht auf.
„Die Frage, wie man Kleidung findet, in der man sich unterstützt und umwerfend fühlt, ist nicht nur interessant, sondern entscheidend.“ -
Es kann dafür hilfreich sein, sich bewusst zu machen, wie sich Schnitte auf die Silhouette auswirken. Auch Leitfäden wie zum Beispiel der, dass Prints betonen, während Unifarben dämpfen, oder dass konturlose Kleider nicht etwa verhüllen, sondern Umfänge hervorheben, können nützlich sein. Bloß basiert das Prinzip, sich gemäß dem Körpertyp anzuziehen, auf der Annahme, dass es bei jedem Körpertyp etwas auszugleichen gilt, um einem Idealbild zu entsprechen. Breite Schultern sollen geschmälert, kurze Beine verlängert, eine füllige Taille kaschiert werden, um die bestmögliche Figur abzugeben.
Ich möchte in meinen Kleidern auch gut aussehen. Aber was wäre denn, wenn das Beste an einem Kleid nicht ist, ob es einen optimiert, sondern zum Beispiel, dass sich ein fließender Schnitt in der Bewegung nach Freiheit anfühlt oder dass ein Stoff Geborgenheit schenkt? Ginge ich lediglich danach, was mich angeblich bestmöglich darstellt, würde ich nur hoch taillierte Hosen tragen (gleichen kurze Beine und breite Hüften aus), auf Puffärmel verzichten (heben das Kreuz hervor) und ausschließlich auf V-Ausschnitte setzen (suggerieren Oberweite). Ich mag aber das standhafte Gefühl, das mir eine tiefergelegte Hose schenkt, die Stattlichkeit betonter Schultern und den Schutz eines Rollkragenpullovers.
„Die zielführende Frage auf dem Weg zum Kleid ist daher weniger, ob man Apfel, Karotte oder Birne ist, sondern was den persönlichen Geschmack trifft.“ -
Mögt ihr es eher romantisch oder sportlich? Girlie oder boyish? Gemustert oder monochrom? Darf es gerne eng anliegend sein oder lieber weit? Und, noch wichtiger, was gefällt euch an euch? Statt darüber nachzudenken, was es zu verbergen oder auszubalancieren gäbe: Hebt hervor, was ihr liebt – in Kleidern, die euch dabei zuarbeiten. Ich habe sechs sommerliche Kleidertypen beziehungsweise Schnitte zusammengestellt, die als Support-Team funktionieren. Denn träumen wir nicht alle gerade davon, etwas mehr zu delegieren?
Der KAFTAN
Was kann der? Ein Kaftan oder eine lange Tunika mit V-Ausschnitt aus einem seidigen Stoff ist das Upgrade des schlichten T-Shirt-Kleids, dabei genauso bequem. Ein V-Ausschnitt kreiert einen Schwerpunkt in der oberen Körperhälfte. Überhaupt lenkt eine elegante Linienführung, wie auch bei einem Sweetheart-Ausschnitt, einem großzügigen Rundhalsausschnitt oder dem aktuell angesagten dreieckigen Ausschnitt, die Aufmerksamkeit nach oben. Eine überschnittene, abfallende Armpartie rundet die Schultern ab. Fließende Stoffe umspielen die Beine. Eine A-Linie, bei der der Saum unterhalb des Knies endet, hebt die Form der Beine hervor.
Collage, von links: Kaftan
von Rodebjer (Onesize), wird jede Saison in neuen Mustern aufgelegt // Tunika in Navy
von Cos (Größe 32 bis 44), auch erhältlich in Khaki // Kleid in Caramel
von Universal Standard (4XS–4XL), auch erhältlich in Schwarz // Kurzes Kleid mit Streifen
von Zizzi (Größe 42 bis 56) // Kleid in Rosa
von EDITED (Größe 34 bis 48)
Das WICKELKLEID
Was kann das? Das Wickelkleid ist ein verbindlicher Partner. Was nicht gerade heiß klingt, in seiner Vielseitigkeit aber doch ziemlich aufregend ist. Ich würde sogar behaupten: Es gibt für jede Vorliebe das passende Wickelkleid. Sitzt der Gürtel nahe des Brustkorbs, betont das den Busen. Schleife, Binde oder auch eine Raffung wie bei dem Kleid von Stine Goya, das ich im Bild rechts trage, auf Höhe der Taille akzentuieren die Körpermitte (und werden daher gerne für Sanduhr-Figuren empfohlen). Wird das Kleid über dem Hüftknochen gewickelt, bekommt diese Körperpartie mehr Kontur.
Nicht nur bei Wickelkleidern möchte ich euch auf
Make Monday Sunday aufmerksam machen, eine nachhaltig produzierende Marke aus Lüneburg, die verschiedene Basisformen von Kleidern, wie Hemd-, T-Shirt- und Wickelkleidern, nach Kund*innenwunsch anpassen. Man kann aus verschiedenen Stoffen auswählen, Details wie Taschen, Krägen oder Knopfleiste mitbestimmen und auch die Ärmellänge nach Wunsch gestalten. Bonus: Die Anfertigung ist von Größe 34 bis 52 möglich.
Mein Look, von links: Dunkelgrünes Wickelkleid von Albus Lumen (alt), gibt’s ähnlich
hier. Geblümtes Kleid mit seitlicher Raffung für einen Wickeleffekt
von Stine Goya
Das MAXIKLEID
Was kann das? In ihrem gloriosen Buch „More Than A Women“ schreibt Caitlin Moran: „All the separate and disparate worries every other piece of clothing gives you [...] disappear when you turn yourself into a tube of pretty polka dot, or chinoiserie. Plus, you can wear any shoes you like underneath a floor-length dress, because: no one can see them. [...] Defend the continuing stylishness of the maxi-dresses as you would defend the future of liberal democracy. Consider marching, if necessary.“
Dem wäre lediglich hinzuzufügen, dass man die Form in alle Geschmacksrichtungen bespielen kann, vom cleanen T-Shirt-Kleid über das wallende Hippie-Dress bis zum Abendkleid (apropos: ewige Heldin im Abendkleid ist natürlich
Frances McDormand in bodenlanger Valentino-Couture-Robe zu Birkenstocks). Wer der, wie Caitlin Moran sagt, „Säule aus Stoff“ mehr Anhaltspunkte für die Augen geben möchte, erzielt das mit Details wie gerafften Ärmeln, Stehkragen oder Schleifen. Übrigens: Kleine verschwinden im Maxikleid nicht unbedingt. Zum Beispiel, indem sie auf körperbetonte Schnitte und/oder ein Kleid mit angesetztem Rock setzen. Ich, 170 cm groß, lasse mir auch oft Säume kürzen. Dem Effekt eines Maxikleides nimmt das nichts.

Collage, von links: Weißes Strandkleid mit Tupfen
von River Island Plus (Größe 44 bis 54) // Cremefarbenes Kleid mit Blumenmuster
von H&M (Größe 32 bis 50) // Kleid mit bauschigen Ärmeln
von Mango (S–L) // Langes T-Shirt-Kleid
von EDITED (Größe 34 bis 42) // Kleid mit abstraktem Blumenmuster
von Asos Edition (Größe 32 bis 46)
Die BALLONÄRMEL
Was können die? Drama, Baby! Von den aufgeplusterten kurzen Puffärmeln bis zu sanft gewölbten 3/4-Ärmeln: Diese Ärmel knipsen den Scheinwerfer an und bringen Arme, Schultern und Busen auf die Bühne. Untenrum eignet sich dazu besonders eine A-Linie oder ein gerader Schnitt, denn bei so viel Volumen an einer Stelle wirkt es proportionaler, es an anderer Stelle wegzulassen. Kühne Prints sind Wirkverstärker. Monochrome Farben dimmen den Effekt.
Collage, von links: Minikleid von
& Other Stories (Größe 32 bis 44) // Lilafarbenes Stufenkleid
von Arket (Größe 34 bis 44) // Blau geblümtes Kleid
von Mango (M–4XL) // Rot kariertes Kleid
von Alba Ray (Größe 36 bis 44), auch erhältlich in Schwarz-Weiß und Blau-Weiß kariert // Schwarzes Kleid mit Beinschlitz
von Mango (S–3XL) // Kleid mit Multicolor-Muschelprint
von Rixo (XS–XL) // Grünes Kleid mit schwarzen und weißen Punkten
von & Other Stories (Größe 32 bis 44), auch erhältlich in Schwarz mit weißen Punkten
Das HEMDKLEID
Was kann das? Ein wenig seltsam ist es schon, dass das Hemdkleid in Figurratgebern kaum eine Rolle spielt. Für mich ist es im Sommer von tragender Bedeutung. Homeoffice? Kann’s! Büro auch. Spielplatz? Sowieso. Restaurant? Aber ja. Dank des schlichten Schnitts als Basis kann mit Mustern und Volumen experimentiert werden. Hier zeige ich zwar zwei vielleicht eher ungewöhnliche Varianten des Hemdkleides, einmal in Leo-Print und einmal mit abstraktem Blumenmuster (ich bin so kurz davor, das Kleid zu kaufen, SO kurz), aber da es typischerweise oft in Blau-Weiß gestreift zu finden ist, ein paar Worte zu Längsstreifen: Sie „längen“, wenn sie in einer Linie bleiben und das Kleidungsstück den Körper eher umspielt, als seiner Form folgt.
Die LOCHSPITZE
Was kann die? Bei Lochspitze denke ich sofort an Südfrankreich, Bastkörbe, Fahrradfahren durch Lavendel. Doch schon die beiden unterschiedlichen Modelle, die ich hier trage, beweisen, dass auch Stoffe mit starken Assoziationen variantenreich sein können und man mit Vorlieben spielen kann. In Form eines weißen Maxikleides wirkt die Lochspitze hochromantisch; als Minikleid zu hohen Absätzen schon weniger lieblich. Bei der kurzen Version erkennt man zudem eine der wenigen Moderegeln, die ich befolge: zu 1/3 entblößt, zu 2/3 bedeckt. Reine Geschmacksache, aber wenn ich beispielsweise die Beine freilege, finde ich es optisch interessanter, die nackte Haut mit einem hochgeschlossenen Kragen und längeren Ärmeln zu kontrastieren.
Die Kleider sind ebenfalls exemplarisch für die Feststellung, dass Details – ob ein Muster wie Lochspitze, aber auch Rüschen, ausgestellte Ärmel oder Kontrastnähte – die Aufmerksamkeit auf die jeweilige Körperpartie lenken. Ist man sich dieser optischen Markierungen bewusst, kann man sie dort platzieren, wo man den Fokus legen möchte. Zwei Beispiele: 1. Bei der Apfelfigur wird gerne zu Empireschnitten geraten – womit man schnell in der „Bridgerton“-Kostümkammer landet. Moderner finde ich einen Schnitt, den ich „erwachsenes Babydoll“ nenne: ein Kleid in A-Linie mit einer Akzentuierung unter dem Busen, etwa mit einer Naht oder einem Bindegürtel – und so variabler Saumlänge, wie man mag. 2. Die seitlich platzierten Rüschen bei dem Modell ganz rechts in der Collage kreieren ein V, das die Schultern hervorhebt, die Taille verdichtet und zum Beispiel eine Option für größere Oberweiten ist – falls man sich mit V-Ausschnitten langweilt.

Meine Looks, von links: Weißes Kleid
von Mango (XS–XL). Sandalen von & Other Stories, wie zuvor. Korbtasche vom Wochenmarkt // Grünes Kleid
von Ivy & Oak (alt), aktuell erhältlich in Weiß, Saphirblau und Schwarz (Größe 32 bis 46)
Ich würde nicht erwarten, dass jemand mitgezählt hat, aber ihr habt mich jetzt in acht sehr unterschiedlichen Kleidern gesehen – von denen übrigens nur die Hälfte sofort nach meinem Geschmack waren. Daran kann man sehen, wie verschieden meine Figur jeweils wirkt. Es kam mir aber vielmehr darauf an, zu demonstrieren: Man kann viel mehr tragen, als man annimmt.
Eure
Porträts: James Castle. Collagen: PR