Neulich war ich bei einer Bekannten auf der Arbeit zu Besuch. Eigentlich ist sie immer gut drauf und wir lachen viel, aber an diesem Tag war sie traurig: Drei Leute aus ihrem Team hatten auf einen Schlag gekündigt. Dabei ist die Frau total nett, wie ich finde. Mit ihr zu arbeiten würde mir Spaß machen, denn sie hat einen schönen Beruf, der Sinn macht und gebraucht wird.
Ihre Ex-Angestellten jedoch fanden, dass Spätschichten von 12 bis 20 Uhr zu anstrengend waren. Sie waren auch der Meinung, dass sie sich zu wenig im Job entfalten konnten. Aufgrund des "psychischen Drucks" reichten alle nach der Kündigung eine Krankschreibung für die nächsten Wochen ein. Wie das Unternehmen in nächster Zeit weiterläuft, ist ihnen anscheinend egal.
Ich war baff über scheinbar so wenig Belastbarkeit und Verantwortungsbewusstsein. Die gekündigt hatten, waren alles junge Leute. Meine Bekannte holte sich Hilfe bei einer Personalberatung und bekam die Bestätigung:
„Diese Generation ist out, bevor sie burnt.“ -
"Ja: SO sind die Millennials!", fühlte ich mich in den Vorurteilen gegenüber den zwischen zirka 1985 und 1999 geborenen Menschen, auch Generation Y und Z genannt, bestätigt. Auch ich, die zur Generation Golf gehört, den Immer-Brennern, habe Kollegen kennengelernt, die pünktlich um 18 Uhr den Stift fallen ließen, egal ob die Hütte brannte oder nicht. Ich lernte junge Menschen kennen, die in Bewerbungsgesprächen selbstverständlich den Wunsch äußerten, viel reisen zu dürfen, monatlich 5.000 Euro Brutto zu verdienen und auf Red-Carpet-Events gehen zu können.
Damals habe ich innerlich gelacht – und mich im nächsten Moment aufgeregt. Was denken die denn, was ihnen als Berufsanfänger zusteht?! Gleichzeitig wurde mir meine eigene Blödheit bewusst. Denn sein wir ehrlich: Ich wollte genau dasselbe, aber bekam vor lauter Pflichtgefühl den Mund nicht auf, sondern machte brav meine Arbeit. Der Job war für mich eine Chance und würde mich weiterbringen. Hoffentlich.
Zu dem Thema passt eine "
Personalfragen"-Kolumne des Journalisten Christian Lindner, der u.a. Mitglied der BamS-Chefredaktion war. Steffi und ich haben früher beide für den gleichen Verlag gearbeitet und wissen: In dieser Firma herrscht großer Druck. Es gibt Menschen, die unter solchen stressigen Bedingungen arbeiten können, aber es werden immer weniger. So stellte Christian Lindner kürzlich fest: "Die Arbeitstiere sterben aus."
Wieder fühlte ich mich angesprochen: Ich habe acht unbezahlte Praktika und zwei Uni-Abschlüsse gemacht. Seit über 20 Jahren arbeite ich als Journalistin. Mein Tagessatz als Berufsanfängerin lag bei 140 Euro. 10-Stunden-Tage sind in einer Redaktion normal. Wenn die anderen Kollegen nicht nachhause gingen, blieb auch ich auf meinem Platz hocken, egal ob mein Freund auf mich wartete oder ich eigentlich lieber zum Yoga wollte.
„Ich traute mich nicht Feierabend zu machen, weil ich Angst hatte, durch jemand anderes ersetzt zu werden.“ -
Und wenn der Chef sonntags arbeitete, kam ich auch. "Wir können leider nicht viel zahlen" oder "Ach, du gehst schon?" sind Sprüche, die ich trotz meines Goodwills oft zuhören bekam. Die Frage ist nicht, ob ich verheizt wurde. Natürlich wurde ich das. Und ich habe dabei mitgemacht, denn ich wollte mir schöne Dinge leisten.
Heute ticken die Uhren anders. "Unsere jungen Kräfte machen – unfreiwillig oder unverhohlen – deutlich, dass ihr Job für sie nur ein Teil ihres Lebens ist. Die neue Generation verlangt von ihrem Beruf neben Abwechslung, Anspruch und Auskommen vor allem eins: Er soll mit ihrem Privatleben kompatibel sein", schreibt Christian Lindner. Die Frage der Work-Life-Balance wandelt sich in die Frage der Life-Work-Balance.
https://www.youtube.com/watch?time_continue=70&v=oMKlrs39tDw
Die 18. Ausgabe der
Shell-Studie stärkt diese These: Für Jugendliche zwischen 12 und 25 Jahren in Deutschland haben nicht nur Freunde und Familie, sondern die Selbstverwirklichung und der Ausgleich zwischen Beruf- und Privatleben oberste Priorität.
"Es hat sich tatsächlich einiges verändert", sagt Nele Schnieder, die in der Werbeagentur Scholz & Friends für Human Resources zuständig ist. "Die jungen Menschen heute stellen viel mehr Forderungen, ohne vorher viel geleistet zu haben. Sie wollen im Job mitbestimmen, gesehen und gehört werden. Sie möchten im Home Office arbeiten und viel Zeit für Privates haben. Oft sind Jobs für sie nur temporäre Stationen."
Auch Christian Lindner schreibt: "Berufung war einmal, jetzt kommt die Job-Ära." Selbst wenn sie zwischendurch doch Influencer oder Vlogger werden wollen, muss diese Altersgruppe selten dramatische Konsequenzen befürchten, anders als meine Generation, in der die Angst vor dem sozialen Abstieg und Altersarmut seit dem 11. September, der Finanz- und Eurokrise wie ein Gespenst umgeht.
"Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt und der Fachkräftemangel ist überall spürbar. Die Millennials können sich ihre Jobs quasi aussuchen.
„"Wir als Unternehmen müssen uns viel mehr um die Leute bemühen"“ -
weiß Nele Schnieder. "Das große Selbstbewusstsein und die vielen Möglichkeiten sind jedoch manchmal auch ein Problem. Diese Generation stellt ständig alles infrage und diese ständige Sinnsuche stresst viele. Im schlimmsten Fall führt das zu Motivationsmangel und Depressionen", so die 38-Jährige.
Die "Working Better Together"-Studie bestätigt die steigende Unzufriedenheit in dieser Altersgruppe. Die dänische Firma Peakon analysiert seit 2014 mithilfe von Algorithmen die Motivation von Mitarbeitern in weltweiten Unternehmen. Die Studie basiert auf 40 Millionen anonymem Mitarbeiterfeedbacks aus 125 Ländern.
Die Erziehung spielt bei dieser Entwicklung eine nicht unwesentliche Rolle: Überfürsorgliche Helikopter-Eltern pampern ihren Nachwuchs und wollen selbst nach dem Abitur alles für ihn regeln. "Es gibt Eltern, die bei uns anrufen, um für ihr 19 Jahre altes Kind nach einem Praktikum zu fragen", erzählt Nele Schnieder.
Das Rund-um-Sorglos-Paket von Mami und Papi ist beneidenswert komfortabel. Aber gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Auch Nele Schnieder findet die Überbehütung eher bedenklich: "So bekommen sie kaum eine Chance zu scheitern. Wenn sich der Job `irgendwie nicht mehr so gut anfühlt", wird schnell alles hingeschmissen, anstatt sich durchzubeißen – was aber eben auch eine wichtige Erfahrung ist", sagt die gebürtige Lübeckerin.
Den Mach-mal-Pause-Millennial und den Immer-Brenner aus der Generation Golf gibt es also wirklich. Warum es da manchmal knallt, ist auch klar. Aber gibt es sogar vielleicht etwas, was wir uns voneinander abgucken können, anstatt nur zu lästern und alle Millennials über einen Kamm zu scheren?
"Auf jeden Fall", findet die Personal-Expertin von Scholz & Friends. "Die Millennials stellen Hierarchien infrage. Das finde ich gut. Ein 50-jähriger Geschäftsführer muss einsehen, dass er auf das Fachwissen der Digital Natives angewiesen ist. Demnach entscheidet heute nicht mehr zwangsläufig die Position über den Teamlead, sondern die Expertise."
"Ja, die Arbeit soll uns in erster Linie Spaß machen und uns persönlich weiter bringen. Das bedeutet aber nicht, dass wir vergessen haben, dass Arbeit Existenz bedeutet, uns unseren Lebensunterhalt und die Zukunft finanziert", sagt Mona Boger.
Die 28-Jährige arbeitet als Beraterin bei der Berliner Media-Agentur RSA und ist damit ebenfalls in einer Branche tätig, in der viel Leistungsbereitschaft erwartet wird. "Selbstverständlich bleiben wir gerne so lange im Büro sitzen, bis die Aufgaben erledigt sind. Vor allem wenn dort ein Team und Vorgesetzte sitzen, die wertschätzen, dass man bleibt und die Bereitschaft nicht als Grundkompetenz für den Job sehen. Letzten Endes wollen wir aber von euch - der älteren Generation - lernen. Es wäre schön, wenn dabei alte Strukturen nicht immer gleich bleiben müssen, sondern ihr offen seid den Weg mit uns zu gestalten."

Ihr Chef Norman Roehlig weiß: "Millennials sind anders, aber nicht alle gleich. Während viele junge Kollegen bei uns ihre Heimat gefunden haben, sind andere schneller raus, als sie reinkamen." Mona beschreibt er als "eine der loyalsten Kolleginnen, die ich habe." Aufgrund ihrer exzellenten Leistungen hat sie sich innerhalb von zwei Jahren vom Trainee zur Beraterin hochgearbeitet.
Wenn Mona hört, wie über ihre Generation abgelästert wird, ist sie geschockt. "Die Freiheiten, die wir uns erkämpfen wollen, sind nicht gegen euch gerichtet. Sie sollten von allen Generationen gelebt werden können und zugleich bedeuten die Forderungen nicht Faulheit auszuleben oder fehlender Wille zu arbeiten, denn auch wir wissen: Von nichts kommt nichts."
Zu ihrem Zitat passt der Titel der Shell-Studie: "Eine Generation meldet sich zu Wort". Die Jungen formulieren ihre Ansprüche nicht nur gegenüber den Arbeitgebern, sondern auch von Politik und Wirtschaft. Die "Fridays for Future"-Bewegung ist nur ein Beispiel dafür. Demnach verändern die Millennials nicht nur die Politik und Gesellschaft, sondern eben auch die Art und Weise, wie wir in Zukunft arbeiten werden.
"Als Führungskraft ist von Dir heute mehr Disziplin gefordert, Du musst effizienter arbeiten und Dein Team effizienter führen, damit die Aufgaben in der normalen Arbeitszeit erledigt werden können. Denn seien wir ehrlich: Ist es wirklich ein Qualitätsmerkmal bis 20 Uhr zu arbeiten – oder kann man ein sehr gutes Ergebnis auch bis 17 Uhr erreichen?", fragt Nele Schnieder.
So gelingt es den Millennials vielleicht nicht nur die Klimakrise zu bewältigen, sondern auch das Burnout auszurotten und den Begriff "Arbeit" neu zu definieren – und zwar im Sinne aller Generationen.