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In Fragen der Gleichberechtigung haben Frauen noch ein gutes Stück Arbeit vor sich, bei der Familienplanung haben sie sich längst emanzipiert. Sie brauchen heute nämlich keinen Partner oder Co-Parent mehr, um sich fortzupflanzen. Das ist mittlerweile per Samenspende möglich und immer mehr Singlefrauen erfüllen sich auf diesem Weg ihren Kinderwunsch.
Auch ich habe mich dazu entschlossen, meinen Traum vom eigenen Kind ohne Mann an meiner Seite zu verwirklichen. Einfach war diese Reise allerdings nicht. Es stellte sich heraus, dass die größte Hürde für mich darin bestand, die Vorstellung vom heteronormativen Familienmodell loszulassen. Auf Anraten meiner Ärztin machte ich vor Beginn meiner Kinderwunschbehandlung ein psychologisches Beratungsgespräch aus. Keine wilde Angelegenheit, dachte ich, bis ich auf der legendären Couch – tatsächlich handelte es sich um einen schwingenden Bauhaus-Stuhl – Platz nahm. Kaum hatte die Psychologin die erste Frage an mich gerichtet, brachen die Tränen mit einer Wucht aus mir heraus, als wäre im innersten meiner Seele gerade ein Damm gebrochen, und ich hörte auch über die angesetzten 90 Minuten meiner Sitzung nicht mehr auf zu weinen.
Ich schämte mich für diesen ungesteuerten Gefühlsausbruch, konnte ich mir die Diagnose „emotional labil“ doch beim besten Willen nicht leisten. Schließlich hatte ich vor, als alleinerziehende Mutter den Alltag mit Kind zu wuppen. Mein Gegenüber hielt mich zu meiner Erleichterung aber für völlig normal und reichte mir mit professioneller Gelassenheit eine Packung Kleenex.
„Sie tragen gerade einen Lebensentwurf zu Grabe, von dem Sie bisher dachten, er sei der einzig mögliche und richtige für Sie – und das muss betrauert werden“, erklärte mir die Psychologin.
„Ich weinte um meine gescheiterten Beziehungen, um meine enttäuschten Hoffnungen und meine unerfüllte Sehnsucht nach einem Kind.“ -
Und tatsächlich hatten die Tränen eine befreiende Wirkung auf mich, so als spülten sie das traditionelle Familienbild von Vater, Mutter und Kind, das tief in meiner DNA verankert war, einfach weg.
Mir ging es eigentlich wie unzähligen anderen Frauen auch. Mit meinem 30. Geburtstag wurde der Wunsch nach Kindern in mir immer stärker. Ich bekam allerdings zunehmend das Gefühl, dass meine Umwelt mich mit Skepsis beäugte – als sei ich eine gezündete Handgranate, die jede Sekunde losgehen könnte. Bei Vorstellungsgesprächen lag ein latentes Misstrauen in der Luft. Auf die Frage nach meinem Kinderwunsch antwortete ich deshalb im beruflichen Rahmen eher vage. Auch beim Dating gaben mir meine Freund*innen den Rat, nicht gleich zu Beginn einer Beziehung mit dem Thema Kinder herauszuplatzen. Ich war verunsichert, wollte ich doch gerade zu Beginn einer Beziehung diese lebenswichtige Entscheidung klären. Ich hatte nun mal nicht unbegrenzt Zeit und mir leuchtete einfach nicht ein, warum ich mich für diesen biologischen Fakt schämen sollte. Für einige Männer schien ich jedoch zu einer Bedrohung geworden zu sein. Als machte mein Kinderwunsch aus mir eine hormongesteuerte Furie, die nur darauf wartete, den richtigen Moment für einen Samenraub abzupassen.
Gleichzeitig spürte ich den gesellschaftlichen Druck auf mir, weil ich eben noch keine Kinder hatte. Jeder Hinz und Kunz fühlte sich zu der Frage berechtigt, wann es bei mir denn nun endlich so weit sei – so als sei es selbstverständlich, dass Frauen sich jenseits der 30 reproduzieren möchten und auch können.
Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass ich die Männerwelt mit meinem ausgeprägten Kinderwunsch abschreckte, die falschen Männer anzog oder einfach nur der Statistik zum Opfer fiel. Denn laut dem „Generations and Gender Survey“ wollen 67 Prozent aller befragten Männer in Deutschland gar keinen Nachwuchs. Fakt ist:
„An meinem 40. Geburtstag wusste ich, dass ich auf den Vater meiner Kinder nicht mehr warten wollte oder besser gesagt nicht mehr warten konnte.“ -
Eine neu gewonnene Freundin empfahl mir das Kinderwunschzentrum an der Gedächtniskirche in Berlin. Hier fühlte ich mich sofort aufgehoben und sicher. Meine Ärztin begegnete mir ohne Vorurteile und mit einer Offenheit, die mich in meiner Entscheidung bestätigte und mir die Skepsis vor einem Familienmodell ohne Vater nahm. Horrorgeschichten von Samenbetrug und die Angst, als einziges Elternteil nicht zu genügen, verblassten in ihrer Obhut. Auch das Wissen darum, dass ich nicht allein war, bekräftigte mich in meinem Vorhaben. So verriet mir meine Ärztin, dass sie viele Patientinnen wie mich betreue und dass die Nachfragen von Singlefrauen stetig steigen. Was folgte, war ein Prozess, der sich von einer herkömmlichen In-vitro-Fertilisation – also der Befruchtung im Glas – nicht unterschied.
Der einzige, aber nicht unwichtige Nachteil, den ich gegenüber verheirateten Paaren hatte? Ich erhielt keine finanzielle Unterstützung von meiner Krankenkasse. Die ist weder für Frauen über vierzig noch für Frauen vorgesehen, die mit einer Samenspende schwanger werden wollen. Mir wurde plötzlich bewusst, dass hinter meiner persönlichen Entscheidung auch ein sehr politisches und feministisches Statement steckte und wie viele Menschen durch ein veraltetes Gesundheitssystem, das seine Regeln fernab der Realität moderner Familienplanung macht, von Leistungen schlichtweg ausgeschlossen werden.

Auf mich kamen also neben den nicht unbeträchtlichen Kosten der In-vitro-Behandlung auch die Kosten für eine Samenspende zu. Die war allerdings angesichts der großen Hoffnungen, die auf ihr lagen, mit 1.200 Euro inklusive Shipping-Gebühren mit einem fairen Preistag ausgezeichnet. Bevor ich aber mit der Suche loslegen konnte, bekam ich von meiner Klinik über einen Link meinen eigenen Account bei der European Sperm Bank zugeteilt. So hatte die Samenbank mit Sitz in Dänemark direkt eine Adresse in Deutschland, an die sie die kostbare Sendung schicken konnte. Ansonsten ist der Kauf einer Samenspende in etwa so einfach wie der einer Designerhandtasche bei Net-à-Porter. Nur ein paar Klicks und meine Kreditkartendetails brachten mich meinem Glück ein bisschen näher. Die Tatsache, dass ich damit den biologischen Vater meines zukünftigen Kindes bestimmte, gab dem Ganzen dann natürlich mehr Gewicht. Für mich kamen nur die Open Donor infrage, was bedeutet, dass es sich hierbei nicht um eine anonyme Spende handelte. Die sind nämlich laut Samenspenderregistergesetz in Deutschland verboten. Hierzulande haben Spenderkinder mit 16 Jahren ein Recht darauf zu erfahren, wer ihr Vater ist. Außerdem entbindet das deutsche Gesetz den Samenspender vom Sorgerecht und Unterhalt.
Jetzt musste ich mich also nur noch entscheiden. Aber wie entscheidet man sich bei einer Samenbank von unzähligen Spendern mit Online-Dossiers, die in etwa der epischen Länge von Moby Dick entsprachen, für den richtigen? Ich verließ mich letztendlich auf mein Bauchgefühl – und vielleicht zog gerade deshalb das Mathegenie gegenüber dem kreativen DJ den Kürzeren.
„Über den Spendervater weiß ich heute mehr als über jeden meiner Ex-Freunde, natürlich ausgenommen seiner Identität.“ -
Ansonsten gibt es wirklich kaum ein Detail, das die Datenbank nicht über den Spender verrät. Ich kenne seine komplette Krankengeschichte, inklusive die der Eltern und Großeltern, seinen wöchentlichen Alkoholkonsum, wie oft er Sport treibt und sogar, was er am liebsten isst. Außerdem habe ich über meinen Account Zugang zu einem Kinderfoto, einer handgeschriebenen Nachricht und einer 15-minütigen Interview-Aufnahme. Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich zunächst einmal nach äußeren Kriterien suchte. Nicht etwa weil ich zukünftige Models in die Welt setzen wollte, sondern weil mir der Spender möglichst ähnlich sehen sollte, soweit man das anhand einer Beschreibung und eines Kinderfotos ausmachen kann. Das sollte meinem Nachwuchs später einfach dabei helfen, sich mit mir als einzigem Elternteil besser zu identifizieren.
Der Rest war eine Frage der Sympathie. Ich mochte die Art, wie der Donor über seine Familie sprach, über seine Zukunftspläne und über das Gefühl, das er hatte, als er das erste Mal verliebt war. Außerdem verriet er, warum er sich zu einer offenen Samenspende bereit erklärt hatte. Eine Studie, laut der es besser für die Entwicklung der Kinder sei, habe ihn dazu bewogen. Mit dieser empathischen Aussage hatte er mich überzeugt und der zukünftige Spendervater meiner Kinder stand fest.
Ich spreche hier von Kindern, da meine Behandlung im zweiten Anlauf erfolgreich war und ich heute glückliche Mutter von eineiigen Zwillingen bin. Zwei Jungs – das ist für mich als Alleinerziehende die bisher größte Herausforderung meines Lebens. Ich muss nicht nur den Spagat zwischen der Betreuung und der finanziellen Versorgung meiner Kinder meistern. Ich fordere außerdem gesellschaftliche, berufliche und politische Strukturen heraus, die es gilt, an neue Familienkonzepte wie meines anzupassen. Angst habe ich vor diesen Hürden nicht mehr. Die habe ich damals auf dem schwingenden Bauhaus-Stuhl gemeinsam mit all meinen Zweifeln in meinen Tränen ertränkt.
Heute rede ich mit meinen Söhnen bereits auf der Wickelkommode über ihren Vater, so wie es mir die Psychologin in meinem Beratungsgespräch empfohlen hatte. Ich erzähle ihnen dann, dass er ein ganz besonderer Mensch für mich ist. Schließlich hat er es möglich gemacht, dass die beiden zu mir finden konnten.
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