Bücher, Serien & Unterhaltung
Das Fazit einer großen Liebe
Ein Resümee, was wirklich wichtig ist nach einem Vierteljahrhundert Beziehung von Bestseller-Autorin Ildikó von Kürthy. Plus: Buch-Verlosung!
von Ildikó von Kürthy - 01.12.2023
Die Audiodatei als Download gibt es hier.
Ildikó von Kürthy schrieb ihren ersten Roman „Mondscheintarif“ vor fünfundzwanzig Jahren. Damals war sie frisch verliebt, rauchte Kette und hielt die Liebe für das größte aller Gefühle. Jetzt erzählt sie die Geschichte von damals in „Eine halbe Ewigkeit“ weiter. Was wird aus der Liebe nach dem Happy End?
Ich bin froh, dass ich endlich doch noch so geworden bin, wie ich nie sein wollte. Ich bin leicht übergewichtig, schwer desillusioniert und halte mein Sofa für einen echten Hotspot. Die junge Frau, die ich einmal war, würde sich für mich schämen. Nicht nur, weil ich bei allen ABBA-Liedern laut mitsinge. Mein dreißigjähriges Ich würde mich eine Verräterin nennen, die ihre Träume und Illusionen auf der Langstrecke des Lebens zurückgelassen hat.
„Was ist aus der großen Liebe geworden?“, würde es mich angriffslustig fragen. Und ich würde schulterzuckend und milde sagen: „Sie ist kleiner geworden. Jetzt kann ich ihr in die Augen schauen.“ Ich würde versuchen, zu erklären, dass der Weg, der hinter mir liegt, genau wegen dieser Illusionen und Träume manchmal unnötig lang und beschwerlich gewesen ist.

„„Illusionen und Träume machen einem das Leben schwer, sie sind die Feinde der Realität und der Liebe“,“ -

würde ich der jungen Frau sagen. „Irgendwann, leider ziemlich spät, wirst du lernen, dass es eine große und vornehme Kunst ist, Hoffnungen zur rechten Zeit aufzugeben. Du kannst doch heilfroh sein, dass deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind. Sonst wärst du jetzt mit Prinz Andrew verheiratet.“
Sie würde mich mit kaum verhohlener Wut und Verachtung anfauchen: „Liebe ist nur tief, wenn sie weh tut. Wie eine Wunde, die immer wieder aufbricht, sich nur kurz beruhigt, eine erste Kruste bildet, um sich darunter wieder aufs Neue zu entzünden. Liebe geht unter die Haut, nicht durch den Magen.
Du glaubst, ein Abendessen mit deiner Familie, ein Spaziergang mit deinem Mann, ein gutes Gespräch, ein Lächeln, ein geteilter Gedanke – das sei Glück!? Mit wie wenig gibst du dich zufrieden!? Wenn es kein Drama ist, dann ist es auch keine Liebe!“ Und dann würde sie erbost rausrauschen, mit der Tür knallen und, gerade frisch verliebt in den Mann, dem sie fünfundzwanzig Jahre später ein Bratenthermometer zum Geburtstag schenken würde, einen Roman mit Happy End schreiben. Er würde „Mondscheintarif“ heißen und ihr Leben verändern.
Er handelt von einer Frau, Cora Hübsch, die auf den Anruf eines Mannes wartet, verzweifelt vor dem Telefonapparat hockt und dabei über die Liebe, das Leben und dessen Problemzonen nachdenkt. Festnetz. Eines dieser anrührenden, bald vergessenen Worte. Wie Kassettenrekorder, MTV, Langspielplatte, Walkman, Raider und Clerasil. Coras Liebesgeschichte begann im letzten Jahrtausend, als es noch Groschen gab und man in Restaurants rauchen durfte.
„Ich heiße Cora Hübsch, bin dreißigdreiviertel und gehöre zu der Mehrheit von Frauen, die sich auch in fortschreitendem Alter hauptsächlich mit einer Problemzone rumschlägt. Freundinnen, lasst es uns so sagen, wie es ist: Die alleraller- allerschlimmste weibliche Problemzone heißt: Mann.“
Wir Frauen aus der Hustinetten-Bär und HB-Männchen-Generation dachten, wir müssten uns in Herzensangelegenheiten an Konventionen halten, wir hatten klare Vorstellungen davon, was männlich, was unweiblich war, was möglich und was unmöglich war. Und ich hatte sehr klare Vorstellung davon, wie die Liebe zu sein hatte.

„Und wie eigentlich immer, wenn man sehr klare Vorstellungen von etwas oder jemandem hat, kann man nur enttäuscht werden.“ -

Die meisten Stars sind kleiner, als man denkt, und nicht ganz so glamourös. Die Liebe gehört dazu.
Im Grunde war ich eine Gefühls-Spießerin, geprägt durch Lyrik, Literatur und Filme, intolerant der Realität gegenüber kämpfte ich gegen die Windmühlen meiner Naivität, verteidigte trotzig meine rosafarbenen Kleinmädchenträume vom Prinzen und immerwährender Glückseligkeit. Dabei hatte ich stets Kurt Tucholsky im Ohr, dessen entsetzliches Gedicht „Liebespaar am Fenster“ ich während meiner Pubertät gelesen und leider nicht vergessen hatte:
Von Kopf zu Kopf umfließt uns ein Strom;
noch sind wir ein Abenteuer.
Eines Tages trennen wir uns, eine andere kommt ... ein neuer ...
Oder wir bleiben für immer zusammen;
dann erlöschen die großen Flammen,
Gewohnheit wird, was Liebe war.
Und nur in seltenen Sekunden blitzt Erinnerung auf an ein schönes Jahr, und an Stunden – an glückliche Stunden.
Ich wusste nicht, dass Tucholsky nicht die geringste Ahnung hatte, wovon er schrieb. Er hatte Zeit seines Lebens nur unglückliche Affären und hat die Liebesgewohnheit, vor der er uns so eindringlich gewarnt hat, selbst nie kennenlernen dürfen. Aber ich glaubte ihm, hielt die Gewohnheit für die größte Feindin der Liebe und versuchte, sie durch Dramatik und regelmäßige Gefühlsausbrüche zu verscheuchen.
Ich nannte mich gerne emotional, dabei war ich in erster Linie anstrengend und realitätsfern. Bis heute bin ich zutiefst dankbar, dass sich dadurch letztendlich weder die Gewohnheit noch mein Mann in die Flucht schlagen ließen.
Ich habe die Liebe und mich selbst zu ernst genommen. In meinen Romanen umkreiste ich das große Gefühl mit Ironie und Humor und beschrieb, das tue ich immer noch, wie im wahrsten Sinne des Wortes herzzerreißend manchmal das innere Chaos ist, das entsteht, wenn man sich gleichzeitig nach Abenteuer und Geborgenheit, nach Leidenschaft und Vertrautheit, nach Liebe und nach Verliebtheit sehnt.
„Was war ich noch? Ach ja, dankbar und glücklich. Eine erwachsene Frau in einer langsam gereiften Beziehung.

„Ich mache mich eben nicht gleich vom Acker, sobald das Glück erste Gebrauchsspuren zeigt.“ -

Oder suche mir einen Geliebten, der mir ein paar Luxusbedürfnisse erfüllt. Ich will eine gemeinsame Vergangenheit haben. Nicht nur den eigenen Haaren beim Grauwerden zuschauen. Je pragmatischer man an eine Ehe herangeht, desto besser sind die Chancen, eine geraume Zeit verheiratet zu bleiben. Und so gesehen, kann ich getrost damit rechnen, vom Tod geschieden zu werden.“
Neulich schickte mir ein alter Freund ein Foto von meinem Mann und mir, aufgenommen vor fast dreißig Jahren in unserer Küche. Ich betrachtete das Bild lange und sehr genau, schaute mir die Gegenstände in dem Regal hinter uns an und die Geräte auf und unter der Arbeitsplatte. Der Mixer hatte schon vor zwei Jahrzehnten seinen Geist aufgegeben, die Spülmaschine haben wir vor sechs Jahren ersetzt. An die Tapete konnte ich mich nicht mehr erinnern, die Bluse, die ich auf dem Foto trug, passt mir lange nicht mehr, den Brotkasten haben wir verschenkt und das Radio ist schon eine halbe Ewigkeit kaputt und entsorgt.
Bloß der Herd und die Liebe, die haben gehalten.
Ich habe die Liebe allmählich, unwillig manchmal, von meinen Illusionen befreit und so vor dem Erstickungstod bewahrt. Heute weiß ich, dass Tucholsky Unrecht hatte und ich auch. Liebe ist Gewohnheit. Liebe bleibt nicht groß und überwältigend. Sie wird wendig und tapfer und zäh, sie behauptet sich im Alltag und in Krisen, sie ist kein Feuerwerk, sie ist ein Kamin mit Funkenschutzgitter und Drosselklappe. Sicherheit, Geborgenheit. Vertraute Schritte auf der Treppe. Zu Hause.

„Wer einen festen Freund hat, braucht keine festen Oberschenkel, darf dafür aber festes Schuhwerk tragen.“ -

„Irgendwann kommt in Beziehungen die Zeit der so genannten gemütlichen Abende. Denn die unerfreuliche Wahrheit über Schuhe ist: Je schlechter du dich darin fühlst, desto besser siehst du darin aus. Im Grunde hältst du die ersten Beziehungsmonate auf hohen Absätzen doch nur aus, um dir die anschließenden Jahrzehnte als Moppel in Hüttenschuhen redlich zu verdienen.“
Jetzt ist mein neuer Roman erschienen. Er erzählt die Geschichte nach dem Happy End. Cora Hübsch zieht Bilanz und muss sich entscheiden. Für die große Liebe oder für die lange Liebe.
Sie sagt: „Ich heiße Cora Hübsch und ich bin vierundfünfzigdreiviertel Jahre alt. Ich stehe vor dem Spiegel und in der Mitte meines Lebens. Grauwerdend und vielfarbig verblühend, gezeichnet, mehrmals gefaltet, lebenserfahren und meist ein wenig müde. Mit Schlupflidern und Zahnkronen, Besenreisern und Hängehintern, voller Narben und voller Demut. Mit vielen Antworten und noch mehr Fragen. Ich stehe an den Gräbern meiner Träume und vor neuen Wegen. Ich bin zu alt für Träume. Ich bin alt genug, um meine Träume durch Ziele zu ersetzen.“
Ich habe das Buch dem Mann gewidmet, mit dem ich auf eine halbe Ewigkeit zurückblicke, auf einen gemeinsamen Brotkasten, eine längst vergessene Tapete und einen Herd, der hält und hält und hält.
Gewinne einen von 100 (!) Romanen „Eine halbe Ewigkeit“ von Ildikó von Kürthy (Rowohlt Verlag): Klicke dafür auf diesen Link, registriere dich und mit etwas Glück wird dir ein Exemplar direkt nach Hause geschickt. Die Teilnehmer*innen werden nicht extra benachrichtigt und der Teilnahmeschluss ist der 31. Dezember 2023. Toi, toi, toi.

Abo abschließen, um Artikel weiterzulesen

Endlich Ich - Abo

6,90€

Alle Artikel lesen, alle Podcasts hören

4 Wochen Laufzeit, monatlich kündbar
Digitaler Goodie-Bag mit exklusiven Rabatten
min. 2 Live-Kurse pro Woche (Pilates, Workouts, etc.)
Bereits Abonnent? Login