Am 21. Dezember 2020 gegen 12 Uhr klingelte mein Telefon. „Hallo!“, sagte die männliche Stimme, „... vielleicht habe ich das Weihnachtswunder, das Sie suchen.“
„Äh, äh, äh, wie bitte?“, das war alles, was ich herausbekam. Ich wäre fast nicht drangegangen. Ich war gedanklich gerade ganz woanders.
„Meine Großmutter ist gestorben“, erzählte der Mann. „Wir verkaufen und ich habe Ihren Brief gefunden. Wollen Sie vorbeikommen?“
Zwei Stunden später hielten wir vor der Tür. Das Haus steht in der Siedlung, in die wir gern ziehen würden. Es ist ein Reihenmittelhaus, was ich nie wollte. Aus Angst, es könnte noch mal so anstrengend mit den Nachbarn werden, wie wir es jetzt gerade haben. Ich dachte: „Wenn es ein Endreihenhaus ist, ist die Gefahr, schwierige Nachbarn zu bekommen, zumindest halbiert.“
Wir schauten uns das Haus in Ruhe an und es hat alles, was wir brauchen. Für jedes Kind ein kleines Zimmer, für mich wäre durch einen Anbau sogar auch eine kleine Schreib- und Yogastube möglich. Es hat eine Holztreppe, zwei sogar. Einen kleinen Garten. Es gäbe einen Hauswirtschaftsraum im Keller (Nie! Wieder! Wäscheständer! Im! Wohnzimmer!). Es wäre sogar möglich, eine Minisauna in den Keller zu setzen. Und einen Ofen ins Wohnzimmer. Ich hätte zum ersten Mal im Leben eine eigene kleine Badewanne.
„Nur eine Sache fehlt: das rundum gute Gefühl. Wir sind uns nicht ganz sicher.“ -
„Das ist ganz normal“, sagte meine Mutter, die, nachdem sie ihren ersten Mann an Krebs verlor, ganz allein mit zwei kleinen Kindern ein Haus baute. „Wäre ja komisch, wenn euch da bei solch großen Summen nicht mulmig werden würde.“
„Das geht allen so, die sich so hoch verschulden“, sagte die Freundin, die sich eine Wohnung kaufte. „... und dann vergisst du die Summe schneller, als du denkst, und zahlst sie sehr glücklich monatlich ab, statt sie weiter Vermietern zu schenken.“
„Was, wenn noch ein besseres kommt?“, fragte ich meinen Mann. Eine Frage, die ich mir nie stellte, als ich ihn traf. Da war klar: Das ist er. Suche beendet. Na gut, bis auf das zweite Date, als er einen knallroten Pullunder anhatte und ich dachte: „Das war’s.“ Und er mich gerade noch rumkriegte mit einem herrlich selbstironischen Witz.
Bei diesem Haus gibt es ein paar Rote-Pullunder-Momente. Es liegt nicht ganz so ruhig, wie wir es uns immer gewünscht haben. Es ist noch viel zu tun. Der Preis ist sehr hoch. Der Garten ist sehr, sehr schmal. Übertrieben gesagt liegt man mit einer Pobacke auf der Gartenliege der Nachbarn. Aber – genau: Es gibt überhaupt einen Garten. Aktuell haben wir nur einen Schrebergarten, der übernächstes Jahr abgerissen wird.
Es gibt Momente, da bin ich mir zu einhundert Prozent sicher, dass wir es wagen sollten. Weil wenn nicht jetzt, wann dann? Warum auf das vermeintlich Perfekte warten, statt der Realität ins Auge zu blicken und zu nehmen, was es jetzt gerade gibt? Und selbst wenn noch etwas Besseres kommen und wir es bekommen sollten, dann könnte man den Kredit ja sogar noch umschichten, haben Freunde auch gemacht. „Spring“, denk ich, „Trau dich – du weißt doch eh nicht, wo du landest und was als Nächstes passiert.“
Und dann denk ich: „Was, wenn du etwas Wichtiges in dir gerade überhörst? Übertönst mit dem dringenden Wunsch, endlich ein eigenes Haus zu besitzen und loszulegen?“ Ich habe NATÜRLICH schon alles eingerichtet. Bei Pinterest gibt’s auf der OhhhMhhh-Pinnwand neue Boards mit „Kleine Gärten gestalten“, „Kleine Badezimmer“, „Schränke in Schrägen“, „Anbau Reihenhaus“ – der Architekt steht bereit, es läuft alles. Ich hätte so, so, so große Lust, mit der Gestaltung zu starten.
„„Wer als Erstes das Geld auf den Tisch legt, bekommt das Haus“,“ -
sagt der Verkäufer. Und weil selbst unser pfiffiger Finanzberater über die Weihnachtstage nicht viel ausrichten konnte bei geschlossenen Banken, wird es jetzt ein Spiel gegen die Zeit. Bekommen wir rechtzeitig die Finanzierung von einer Bank zugesagt? Oder ist jemand anderes, wie bisher immer, schneller als wir und bekommt den Zuschlag? Wir waren nämlich nicht die Ersten, die sich das Haus anschauten. Manche sprangen bereits ab, weil der Preis sehr stolz ist, nur wissen wir mittlerweile auch: Günstiger wird’s nicht, wenn wir in Stadtnähe bleiben und in das Viertel wollen. Und andere, unsere Konkurrenz, sind ebenfalls eilig dran, ihre Finanzierungsfreigabe zu bekommen.
Sollten wir das Haus nicht bekommen: Ärgere ich mich dann über meine arrogante Haltung oder bin ich erleichtert? Wir haben beschlossen: Wir ziehen es durch. Wir gehen alle Schritte mit. Sollten wir beim Notar sitzen und spüren: „Mist, es kommt das finale gute Gefühl nicht“ – dann lassen wir’s (so wie Lorelai kurz vor der Hochzeit mit Max Medina). Allein der Weg bis dorthin war schon sehr lehrreich für uns und wir hätten dann alles zusammen, falls doch noch ein anderes Haus für uns käme.
Was mir aber lieber wäre: dass es käme, dieses sichere Gefühl, es ist genau unseres.
Vielleicht beschützt mich mein Herz aktuell auch nur vor Enttäuschungen. Ein paar Häuser weiter ist das Haus, vor dem ich bei der Besichtigung stand und mir zu einhundert Prozent sicher war: „Du bist es! Du bist mein Haus und alle, die es sich gerade angucken, können abhauen. Das ist meins!“
Da lag ich leider falsch, jemand anderes hatte noch viel mehr als wir geboten. Mein Herz schmerzt bis heute. Weil der Garten weniger einsehbar war. Weil es nur eine Nachbarseite gab und es alles hatte, was ich brauchte. Dachte ich. Es hätte nicht die Möglichkeit gegeben für ein eigenes Zimmer für mich, meine Yogamatte, die mich 2020 so oft gerettet hat vorm Durchdrehen und deren paar Zentimeter ich auch 2021 ganz dringend für mich allein brauchen werde. Es hätte auch keinen Platz für die Beherbergung von Gäst*innen gegeben, was mir ebenfalls sehr wichtig ist. Das alles hat unser jetziges Haus. Ups, habe ich gerade „unser“ geschrieben? Ich wünsch es mir wirklich.
Was würdest du tun? Hast du vielleicht auch ein Haus/eine Wohnung gekauft und im entscheidenden Moment ein mulmiges Gefühl bekommen?
Ich freu mich auf eure Erfahrungen und Tipps!
Herzlich