Je länger ich darüber nachdenke, was ich meinem 20-jährigen Ich damals gern geraten hätte, umso stolzer werde ich, wie ich mich in dem Alter schon durchs Leben manövriert habe: Liebeskummer überlebt, aus der Kleinstadt kommend mich in der Großstadt zurechtgefunden, Jobs ausprobiert, Reisen unternommen und mich von selbst den schlimmsten Gefühlen habe nicht unterkriegen lassen.
Ende dieses Monats werde ich 46 Jahre und manchmal überkommen mich Retrogefühle. Sehe ich mich beim Vorbeifahren in Hamburg an Orten stehen damals: an Ampeln nach One-Night-Stands (waren nur wenige, selten gut), Bars, in denen ich Dates hatte, Gebäude, in denen ich alles gegeben habe im Job (und manchmal weinend aufm Klo saß).
Hätte ich damals dies schon gewusst, wäre manches eventuell leichter gewesen:
1. Die Leute sprechen vor allem über sich, nicht dich.
Diese „Was denken bloß die anderen?!“-Frage ist eigentlich schnell beantwortet. Sie denken an sich. Niemals so viel an dich, wie du denkst. Genau da liegt die Freiheit, an diese anderen gar nicht mehr zu denken und das zu tun, was du wirklich möchtest.
Wenn du andere dabei erwischt, wie sie über dich lästern – na klar schmerzt das, ganz normal, nur, wenn du den ersten Schmerz weggeatmet hast, vielleicht magst du dann folgendes Experiment wagen:
„Was wäre, wenn das von ihnen Gesagte mehr über sie aussagt als über dich?“ -
Wenn das Sichbeschweren über deinen lockeren Umgang mit Jungs in Wahrheit über ihre innere Steifheit erzählt und dabei den großen Wunsch versteckt, viel entspannter zu sein? Wenn das Lästern über deinen Arbeitgeber eigentlich nur die Wunde verdecken soll, dass sie dort nicht genommen wurden? Wenn das Witzereißen über dein neues Hobby aussagt, dass sie sich so gern zugestehen würden, auch mehr auszuprobieren, aber der Mut oder die Möglichkeit fehlt?
Hab Mitgefühl, aber gib diesen anderen nicht deine Energie und Zeit. Nutze diese lieber um zu tun, was du von Herzen gern machen würdest, und um deine echten Freund:innen anzurufen.
2. Es werden viele Menschen versuchen, dir zu erzählen, wie du angeblich zu sein hast.
Glaube ihnen nicht. Glaube dir. Glaube deinem Bauchgefühl. Schau dir Kritik an, überleg dir, ob du davon etwas annehmen magst. Aber versuche sie nicht zu verinnerlichen, bevor du sie für dich nicht überprüft und überlegt hast, was du davon in dein Leben integrieren magst.
Der Musikproduzent und Autor Rick Rubin beschreibt es in seinem (sehr guten) Buch „kreativ, die Kunst zu sein“ so: „Jeder Weg ist einzigartig, nur wir selbst können ihn gehen. Es gibt nicht den einen Weg zur großen Kunst. Das heißt aber nicht, dass du die Weisheit anderer missachten solltest. Geh geschickt damit um, indem du integrierst, was dir nützlich ist, und den Rest loslässt.
„Teste und höre auf dich selbst, um herauszufinden, was für dich funktioniert“ -
– ganz gleich, wie glaubwürdig die Quelle war.“
Such dir Mentor:innen, die du bewunderst und auf deren Meinung du Wert legst, die dich begleiten. Aber auch hier gilt Obiges.
3. Sei deine beste Freundin.
Vielleicht erinnerst du dich noch an den bff-Titelkampf unter Freundinnen in deiner Kindheit. Es durfte nur die eine geben und was, wenn die Verbindung nicht mehr beidseitig war? Dann fiel man in ein endlos tiefes Loch.
Du wirst für immer mit dir selbst zusammen sein und trotzdem behandelst du dich manchmal wie deine schlimmste Feindin. Sprichst mit dir, als wolltest du dich mit Wörtern ermorden. Isst Mist, der deinen Körper belastet, statt zu bereichern. Bewegst dich kaum und träumst als emanzipierte Feministin doch irgendwie ganz schön oft von einem Erlöser, der, äh, angeritten kommt und alles für dich klärt.
Nö.
„Reit dir doch einfach selbst entgegen, rette dich selbst. Immer wieder.“ -
Sei so lieb zu dir, wie du es später zu deinen Kindern sein wirst. Ach so, das Gefühl kennst du ja noch nicht. Sei voller Liebe für dich, so wie für die Stars, die du anschmachtest, für deinen Schwarm, deine Freundinnen. Hab Freundinnen um dich, die aufrichtig an dir und deinem Wohlergehen interessiert sind. Es geht nicht darum, möglichst viele zu haben, lieber weniger, aber die da sind für dich und du für sie. Und sei du für dich da, immer. Nimm dich an die Hand, wenn du nicht weiterweißt, und vertrau dir.
4. Iss den Kuchen.
5. Liebe – spiel keine Spielchen, sag, was du dir wünschst.
Dieser ganze Mist mit „mach dich rar“, „ruf erst nach drei Tagen an“, „sei die beste, hübscheste Version deiner selbst“ – bitte hör nicht darauf. Du musst nichts leisten, damit dich jemand liebt. Jemand wird sich in dich verlieben, einfach so. Weil du liebenswert bist. Du musst der Person das nicht erst beweisen. Und was noch viel schlimmer wäre: dich verändern für die Person oder ihr etwas vormachen. Du bist hübsch genug, schlau genug, lustig genug – von allem genug, mehr als das. Wer das nicht erkennt und sich nicht über deine pure Anwesenheit freut, hat es nicht verdient, mit dir Zeit zu verbringen.
Nimm dir, was du gern möchtest: Sag: „Ich würde dich gern küssen.“ – „Ich weiß auch nicht, was das hier wird, lass es uns ausprobieren.“ – „Es tut mir leid, aber ich brauche mehr als das hier.“
„Probier dich aus. Küss sie, küss ihn, küss beide,“ -
bastle dir deine Liebesbeziehung so, wie du sie gern hättest, und nicht so, wie andere es dir vorgeben. Du bist einzigartig, warum solltest du einen Standard leben, der von eher langweiligen, engstirnigen Menschen vorgegeben wurde? Übernimm nicht die Grenzen der anderen ungeprüft. Du brauchst nicht heiraten, du musst nicht mit dem:der Partner:in deines Kindes zusammenleben, es darf auch jede:r eine eigene Wohnung haben, sogar in unterschiedlichen Städten leben, alles ist möglich. Du darfst natürlich auch den heteronormativen Spießertraum mit Eigenheim und Schaukel im Garten leben. Hauptsache, du triffst für dich die Entscheidung und nicht jemand anderes.
5. Fang früh an zu investieren.
Nutze den Zinseszinseffekt, sogar mit Kleinstbeträgen. Alles, was du früh investierst, wird sich automatisch über die Jahre hinweg vermehren. Google dazu, bis du es verstehst. Lies Bücher und frag andere und beginn genau jetzt damit. Finanzen sind kein Übel, sondern bedeuten deine Freiheit.
„Bist du finanziell gut aufgestellt, kannst du freier entscheiden, wie du leben und wen du lieben möchtest.“ -
Wenn du dich finanziell smart aufstellst, kannst du sogar darüber entscheiden, wie viel du überhaupt arbeiten musst oder möchtest. Arbeite nicht blind vor dich hin. Lies Finanzbücher, u.a. „Rich dad, poor dad“, durchschaue die Wirtschaftswelt, die übrigens absichtlich so tut, als sei sie schwierig zu verstehen. Lies Kostolany, um Börsenwahrheiten zu lernen, Helma Sick „Wenn ich einmal reich wäre“, die bis dato einzige Finanzexpertin, und triff smarte Entscheidungen. Die Welle an Finanzbüchern von Frauen wird es erst geben, wenn du schon viel älter bist, warte bitte nicht darauf.
6. Werde jung Mama. Oder später oder gar nicht, wie du magst.
Nur, wenn du nicht zu lange wartest, bleibt dir nach hinten raus im besten Fall mehr Zeit mit ihnen. Es gibt so viele Stimmen zum Thema Kinderkriegen. Die einen sagen: nicht zu früh, sonst hattest du keine Zeit für dich, deine Ausbildung, das Leben auszuprobieren. Die anderen: nicht zu spät, sonst wird es beschwerlicher, bist du körperlich nicht mehr so fit, macht die Biologie vielleicht auch gar nicht mehr mit. Was dir nie jemand sagen wird, aber wahr ist: Je später du Mama wirst, umso mehr Jahre fehlen dir nachher nach hinten raus. Im besten Fall, wenn du und deine Kinder das Glück haben, alt zu werden. Triffst du noch deine Enkelkinder, siehst sie aufwachsen? Kannst deinem Kind beim Elternsein oder das Lebenmeistern helfen oder auch einfach zuschauen? Seitdem ich Mama bin, macht mir als einziger Gedanke so wirklich Angst, irgendwann keine Zeit mehr mit meinen Kindern verbringen zu können.
„Hätte ich dafür nicht den ein oder anderen Karrierebaustein von vorn nach hinten versetzen können?“ -
Ja. Vielleicht sogar noch erfolgreicher. Weil, das sagt auch niemand so richtig: Kinder bekommen heißt, keine Zeit mehr für Bullshit zu haben. Du wirst genötigt, dich fokussiert aufs Wesentliche zu konzentrieren, deine Zeit ist begrenzt, was sich manchmal furchtbar anfühlt, dich aber im Gegenzug zwingt, hart zu fokussieren, was und wen du wirklich willst in deinem Leben. Wenn du keine Kinder bekommst, übernimmt das Älterwerden diesen Schritt.
7. Tu das Unvernünftige.
8. Vertrau auf deine Kreativität und das Leben.
Während ich dies schreibe steht auf meinem Yogiteeanhänger „Die einzige Konstante ist Veränderung“ und so ist es. Wenig bleibt für immer so. Egal wie sehr wir uns es wünschen, vor allem in ängstlicheren Zeiten. Alles verändert sich. Wir uns ja auch.
Der Trick ist: flexibel zu bleiben. Sortier dich selbst nicht aus, indem du dich vor der Weiterentwicklung versteckst. Versuch, darin das Bereichernde zu sehen. Und auch wenn du dich jetzt gerade noch voll hip und am Puls der Zeit fühlst, wirst du irgendwann merken: bin ich nicht mehr. Aber auch von der zweiten Reihe aus kann man noch gut sehen und ungefähr Bescheid wissen. Das hilft beim Im-Kontakt-Bleiben mit dem Zahn der Zeit, den Kindern und allem, was kommt. Pfleg den Zahn, lass ihn nicht von Karies zerfressen werden.
Vertrau dem Leben, es wird gut für dich sorgen.
„Du brauchst auch nicht den einen großen Plan fürs Leben.“ -
Du kannst Entscheidungen auch auf Sichtweite hin treffen (nur bitte nicht die Finanziellen, siehe Punkt 5), dein Leben Abschnitt für Abschnitt planen. Oder wie Taylor Swift sagen würde: in Eras. Ach so, die kennst du ja noch gar nicht, wie schade.
Du wirst, egal welche Herausforderung kommen wird, einen Weg finden, damit umzugehen. Dieses Selbstvertrauen ist so viel wichtiger und wird dich besser durchs Leben bringen als alle vermeintlichen Statussymbole. Oder wie Taylor, erfolgreichste Sängerin der Welt, später singen wird: „You know you’re good when you can even do it with a broken heart. (…) Try and come for my job.“
9. Es geht nicht darum, die Beste zu sein.
Es geht darum, zu lieben. Dich selbst, deine Liebsten und dein Leben.
10. Leb.
Jetzt erscheint es dir noch endlos, das Leben. Irgendwann weißt du, ist es nicht mehr wegdenkbar, dass es das leider nicht ist. Also leb. Probiere aus, sei wild, hab Spaß und Mut, mach Fehler, lerne immer wieder dazu, reise (vor allem aus deiner Bubble heraus), bereue Dinge und denk daran: Alles, vor allem das, was schieflief, ist später eine saugute Geschichte zu erzählen.
Leb und hab dich lieb.