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Mein Mann Jörg und ich leben in einer Fernehe und pendeln zwischen Berlin und Düsseldorf. Immer wieder sind Menschen erstaunt, wenn sie das hören. Verheiratet, aber nicht zusammenlebend, das passt in vielen Köpfen nicht zusammen.
„Etwa 5 Prozent der Deutschen leben freiwillig in einer bilokalen Beziehung“, zitiert die FAZ den Soziologen Robert Naderi vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, man spricht von LAT-Paaren, Living Apart Together. Beziehungen von Menschen, die nicht zusammenwohnen, seien „weniger stabil als von denen, die einen gemeinsamen Haushalt führen“, heißt es in dem Artikel weiter.
„Dafür hätten getrennt lebende Paare mehr Sex.“ -
Jörg und ich haben im Dezember 2018 geheiratet, nachdem wir beinahe zehn Jahre ein Paar waren. Die meiste Zeit dieser ersten zehn Jahre haben wir in einer Fernbeziehung verbracht und uns zwar vermisst, aber auch immer gerne so gelebt. Wir hatten viel Freiheit und wenn wir uns sahen, hatten wir uns viel zu erzählen.
Nachdem wir uns 2009 Berlin kennengelernt hatten, waren wir abwechselnd an verschiedenen Orten, ich in New York und Paris, er in Wien und Düsseldorf. Zwar vermissten wir uns, aber die Fernbeziehung funktionierte für uns und wenn wir uns sahen, war es immer etwas Besonderes, wie Urlaub in einer anderen Stadt, komplett mit verschiedenen Freundeskreisen. 2014 beschlossen wir, in Düsseldorf zusammenzuziehen. Es lief – bis auf die normalen Streitereien darum, wer wann was saubermacht – sehr harmonisch ab. Für mich der Beweis: Wir können auch zusammenleben. Aber, und das war ein großes Aber, ich war in Düsseldorf unglücklich.
Als Freiberuflerin arbeite ich schon immer im Homeoffice. Er geht morgens ins Büro. Ich war also den ganzen Tag allein. Wenn er nach Hause kam, wollte er entspannen, das Zuhausesein genießen. Ich wollte raus, was anderes sehen als immer dieselben vier Wände. Ich vermisste meine Freund*innen in Berlin. Ein glücklicher Zufall wollte es so, dass uns eine Studiowohnung in Berlin angeboten wurde, ein alter Mietvertrag. Wir sagten gemeinsam ja.
Zuerst blieb ich ab und an eine Woche in Berlin oder mal ein Wochenende, der Lebensmittelpunkt war weiterhin Düsseldorf. Der Berlin-Anteil steigerte sich beständig. 2019, nachdem wir geheiratet hatten, drehten wir den Spieß um. Jörg begann mich öfter in Berlin zu besuchen statt andersherum.
Die Vorteile
Gerade im vergangenen Lockdown-Jahr, in dem sich viele zusammenlebende Paare total auf den Geist gegangen sind, fanden wir beide es super, zum einen die Ausweichmöglichkeit zu haben und zum anderen in Lage zu sein, einen räumlichen Wechsel vorzunehmen, um einander zu besuchen.
Ich fühlte mich in meiner kleinen Wohnung in Berlin wohl, konnte sie komplett nach meinem Geschmack einrichten, mir meine Zeit frei einteilen, ich wartete nicht mehr – bewusst oder unbewusst – darauf, dass endlich mein Partner nach Hause kommt und ich jemanden zum Austausch habe.
„Ich lernte mich selbst besser kennen.“ -
Wie gestalte ich mein Leben, wenn ich auf niemanden „Rücksicht“ nehmen muss? Diese Freiheit, vor allem in den kleinen Dingen – wann ich Lust habe, aufzuräumen, wann ich lesen will, wann ich aufstehe, was ich koche und esse –, ist mir wichtig. Die Kehrseite dessen ist, dass zu viel Freiheit erst einmal lähmt. Ich kann alles machen, also mache ich oft gar nichts. Klar, das alles kann man auch beim Zusammenleben frei entscheiden, aber es ist eben doch immer jemand da, nach dem man sich bewusst oder unterbewusst richtet. Alleine fällt es mir auch leichter, eine Routine mit Sport und guter Ernährung aufrechtzuerhalten. Spazieren gehen, lesen, schreiben, Musik hören – das alles geht mit Partner, aber ohne ist es irgendwie kompromissloser meine eigene Zeit.
Die Nachteile
Der Vorteil ist gleichzeitig auch der Nachteil an der Fernehe: Man ist allein. Ich spüre das, wenn ich mich einfach austauschen will und Jörg nicht da ist. Sowohl bei traurigen als auch bei freudigen Ereignissen. Die Person, die am besten auf mich synchronisiert ist, mich am besten versteht, ist dann nicht da. Wenn ich einfach reden möchte, ohne ein konkretes Anliegen zu haben. Das war aber auch nicht unbedingt anders, als wir zusammenlebten. Mir wurde das im ersten Lockdown klar, als er zuhause war, aber durchgehend in Zoom-Calls. Er war dann trotzdem nicht ansprechbar, wenn ich reden oder etwas loswerden wollte. Wenn man etwas Spannendes liest oder einem jemand etwas Interessantes erzählt, hat man es am Abend oft vergessen. Die abendliche Frage „Wie war dein Tag?“ hat mich regelrecht wütend gemacht.
Wenn wir getrennt sind, haben wir deshalb den Mittwochabend für eine Facetime-Date-Night reserviert, dann kochen wir zusammen und sprechen über die Woche. Ansonsten schreiben wir täglich miteinander. Das ist auch eine Lösung für die Rhythmenproblematik. Ich nehme eine Sprachnachricht auf, wenn ich etwas zu teilen habe, und er antwortet, wenn er dafür Zeit hat.
Jörg kam sich am Anfang schon verlassen vor. Klar, ich hatte ihn in der gemeinsamen Wohnung „sitzengelassen“, ich fehlte. Er schläft schlechter, wenn ich nicht da bin – immer nach einem Abschied –, er hat weniger soziale Kontakte als ich, im Privatleben bin ich die treibende Kraft. Er scheint sie aber auch weniger zu brauchen. Ich habe oft ein schlechtes Gewissen deswegen und versuche, ihn möglichst oft wissen zu lassen, dass ich ihn liebe und vermisse.
„Ich lernte auch, was ich konkret an Jörg vermisse: die kleinen Dinge.“ -
Wie er seinen Arm um mich legt, mir einen Kaffee ans Bett bringt, seinen Geruch. Die körperliche Nähe fehlt uns natürlich. Das Kuscheln, der Sex. Wir leben in einer exklusiven Beziehung und wir haben den Anspruch, treu zu bleiben. Telefonsex haben wir einmal versucht, kamen uns aber beide ziemlich blöd dabei vor.
Mehr Sex als andere Paare haben wir dadurch, dass wir uns etwa im Zwei-Wochen-Rhythmus sehen, vielleicht nicht. Ein gepflegtes Masturbationsleben allerdings schon – etwas, das wir als zusammenlebendes Paar nicht hatten. Wenn wir uns sehen, fühlt sich der Partner immer erst einmal an wie ein Eindringling. Die Körper fremdeln anfangs miteinander, man muss sich jedes Mal wieder aneinander annähern, ich finde das spannend. Es ist wie ein routinierter One-Night-Stand. Wir wissen, was der andere mag, aber wir nehmen uns gegenseitig auch nach 13 Jahren nicht als „selbstverständlich“ wahr. Für mich ist es das Beste aus beiden Welten.
Fazit
Ich denke, ehrlich gesagt, dass ich, seit wir getrennt leben, weniger einsam bin. Manchmal hatte ich in unserer gemeinsamen Wohnung in Düsseldorf dieses Gefühl stärker als allein in Berlin, wo ich jederzeit rausgehen und Freund*innen treffen kann. Ein Mensch kann nicht alles für einen sein, aber genau das habe ich in Düsseldorf von Jörg erwartet.
Man kann natürlich fragen, warum wir überhaupt ein Paar sind, wenn wir nicht zusammenleben.
„Ich finde, wir sind ein verdammt gutes Paar, weil wir uns diesen Raum und diese Freiheit zugestehen können.“ -
Weil wir gemeinsam eine Lösung gefunden haben, in unserer Beziehung glücklich zu sein, abseits einer Klischee-Ehe, die für uns nicht gepasst hat. Gleichzeitig gibt mir unsere Ehe Zugehörigkeit, sie gibt mir die Gewissheit, dass wir uns füreinander entschieden haben, egal, wo wir leben. Mir gibt unsere Beziehung räumliche und zeitliche Freiheit und gleichzeitig Sicherheit und das Wissen, da ist jemand, der mich liebt, der für mich da ist, wenn ich ihn brauche. Ich habe einen Menschen, der mich kennt, mich liebt und auf den ich mich verlassen kann. Er hat, so hoffe ich, das Gleiche in mir.
PS: Das ganze Konstrukt, das ist auch klar, funktioniert nur, weil wir keine Kinder haben. Ich hatte nie einen Kinderwunsch. Das habe ich gleich zu Anfang unserer Beziehung so kommuniziert, Jörg war und ist fein damit.