Immobilien & Wohnen
Goodbye Elternhaus
Wenn die Eltern ins Altersheim umziehen oder sterben, heißt es, ihr Zuhause aufzulösen. Wie man das gut hinbekommt, erklärt Christina Erdmann.
von Christina Erdmann - 01.09.2023
Wo fange ich bloß an? Was kann weg, was darf bleiben? Und: Wie soll ich das nur schaffen? Das denken viele, die ihr Elternhaus oder die Wohnung ihrer Eltern auflösen müssen, denn meist haben wir keine Ahnung davon, wie wir das anstellen sollen.
Ich bin Christina, 58 Jahre alt, und arbeite seit mehr als zwanzig Jahren als Führungskräftecoachin und Beraterin. Vor zwölf Jahren habe ich zusammen mit meinen Eltern und meiner Schwester mein eigenes Elternhaus aufgelöst und in den Jahren danach Freund*innen und Bekannten geholfen, die vor der gleichen Herausforderung standen. Meine Tipps schienen all diesen Menschen immer zu helfen, obwohl die Elternhäuser jeweils ganz unterschiedlich waren. Vor vier Jahren habe dann ich begonnen, mich systematisch mit dem Thema zu beschäftigen, und 2022 Adieu Elternhaus gegründet, die Unterstützung für alle, die ihr Elternhaus auflösen müssen.
Hier zeige ich dir fünf erste Schritte, wie du beim Auflösen deines Elternhauses am besten vorgehst und dir damit viel unnötige Arbeit ersparst.

Tipp 1: Starte bei dir und nicht mit den Dingen deiner Eltern.

Mache dir zuallererst bewusst, welche Erinnerungen dich mit diesem Ort und mit deinen Eltern verbinden. Du musst dein Elternhaus nicht lieben, nur weil deine Eltern dort gelebt haben. Vielleicht hast du schöne Erinnerungen, vielleicht auch nicht. Schreibe sie auf und sei dabei aufrichtig mit dir selbst. Trau dich und beziehe klar Position.

„Notiere auch, was du mit diesem Ort machen würdest, wenn du ganz allein darüber entscheiden könntest – egal, was andere denken und wollen.“ -

Wenn dir später beim Räumen und Aussortieren gefühlt alles über den Kopf wächst, helfen dir diese kleinen Notizen, dich wieder zu konzentrieren und darauf zu fokussieren, was du wirklich willst.

Tipp 2: Sorge für Sicherheit und deinen persönlichen Freiraum, bevor du mit dem Räumen anfängst.

„Sicherheit“ meint: Stelle sicher, dass du wirklich tun darfst, was du tun sollst. Insbesondere, wenn du nicht die einzige Erbin bist, musst du wissen, welche Rechte und Pflichten auf dich beim Auflösen deines Elternhauses zukommen. Das kann dir im Ernstfall helfen, z. B. Auseinandersetzungen mit deinen Geschwistern besser in den Griff zu bekommen. Ein Gespräch mit beispielsweise einer Fachanwältin für Erb- und Familienrecht verschafft dir verlässliche Klarheit. Dagegen reicht selbst eine umfangreiche Internetrecherche meist nicht aus – dazu ist deine persönliche Ausgangslage einfach zu individuell, und die Tipps im Netz sind zu allgemein.
Sorge außerdem für persönlichen Freiraum: Versuche, bevor du mit der Arbeit in deinem Elternhaus startest, so viele alltägliche Aufgaben wie möglich an andere zu delegieren. Bitte z. B. Freund*innen oder deine*n Partner*in, dir eine Zeit lang Dinge abzunehmen, die sonst zu deinen Alltagsroutinen gehören (Kinder hin- und herfahren, Wochenendeinkäufe erledigen usw.). Elternhaus-Auflösen ist eine zeitraubende Angelegenheit, die sich nicht gut neben unzähligen Alltagsverpflichtungen bewerkstelligen lässt.

Tipp 3: Lass deinen Bauch entscheiden, wie du am besten vorgehen solltest.

Möchtest du dein Elternhaus Raum für Raum leer räumen, egal, wie lange du dafür brauchst und wie anstrengend das wird? Oder willst du dich lieber nach und nach immer nur mit einer Art von Gegenständen beschäftigen und entscheiden, was damit passieren soll, sodass du dich schrittweise um immer weniger Themen kümmern musst? Also z. B. erst alle Kunstpflanzen im gesamten Haus bzw. der Wohnung sammeln, entsorgen und dieses Thema damit dann ein für alle Mal vom Tisch haben? Danach vielleicht alle Decken, Sofakissen, Bettwäsche usw. an ein Sozialkaufhaus spenden? Beide Vorgehensweisen haben Vor- und Nachteile. Probiere aus, mit welcher du gut vorankommst, und entscheide, welche sich stimmiger für dich anfühlt. So oder so: Mache dir vorher eine Liste, welche Utensilien (Kartons, Mülltüten, Kreppband, Werkzeug etc.) du brauchst – nichts ist ärgerlicher, als wenn fehlende Materialien deinen Arbeitsfluss behindern.

Tipp 4: Vertritt deine Interessen und beharre nicht auf Positionen.

Mache dich darauf gefasst, dass beim Auflösen deines oder eures Elternhauses alte Geschichten und Gefühle noch einmal hochkommen und tief empfundene Ungerechtigkeiten und Verletzungen erneut spürbar werden können. Manchmal brechen sich in diesen Momenten Habgier, Neid und Missgunst ungehindert Bahn. Vielleicht erlebst du das bei deinen Geschwistern, aber auch bei dir selbst?
Überwinde dich und zeige Größe. Lade deine Geschwister dazu ein, die alten Geschichten bewusst außen vor zu lassen – selbst wenn es schwerfällt:

„Das Beharren auf Positionen bringt niemanden weiter und führt stattdessen nur dazu, dass die alte Verletzung ein weiteres Mal schmerzt.“ -

„Papa hat dich schon immer mehr geliebt als mich, deshalb bin ich jetzt endlich mal dran!“ Lade Bruder und/oder Schwester stattdessen dazu ein, die eigenen Interessen klar zu formulieren: „Ich möchte die rote Vase haben, weil Mama früher dort immer die Blumen hineingestellt hat, die ich ihr gepflückt habe.“ „Mir ist die elektrische Eisenbahn wichtig, weil Papa und ich immer zusammen damit gespielt haben.“ Wenn ihr euch gegenseitig eure Interessen erzählt, rücken dabei sofort auch die dahinterstehenden schönen Erinnerungen in den Blick. Das macht eher eine Einigung möglich, als auf einen Ausgleich für alte Verletzungen zu bestehen.

Tipp 5: Gestalte deinen Abschied vom Elternhaus so, dass er für dich passt.

Fälle die notwendigen Entscheidungen über die Dinge deiner Eltern so, dass sie für dich stimmig sind. Befreie dich von der Idee, aus Loyalitätsgründen möglichst viele ihrer Dinge aufbewahren zu müssen.
Verabschiede dich außerdem von der Hoffnung, dass du für alles, was „doch noch gut“ ist, ein hübsches Sümmchen bekommen könntest. Die meisten Dinge, für die deine Eltern lange gespart haben und die für euch als Familie auch ideell wertvoll sein mögen, lassen sich heute oft nicht mehr verkaufen. Das „gute“ Geschirr oder das Tafelsilber für zwölf Personen sind heute Ladenhüter, so bitter sich das für dich anfühlen mag. Haben deine Eltern also keine klare Entscheidung über das weitere Schicksal dieser Dinge gefällt, entscheide konsequent und in deinem Sinne, was damit jetzt passieren soll: Selbst verwenden, ver- bzw. umarbeiten, verkaufen, verschenken/spenden oder aber vernichten?
Verpasse bei all dem den Moment nicht, in dem du selbst bewusst Abschied von Haus oder Wohnung nimmst. Plane hierfür genug Zeit ein – unabhängig vom Termin für die Rückgabe der Wohnung an den*die Vermieter*in oder die Übergabe des Hauses an den*die Käufer*in. Ob aufwändiges Abschiedsritual, ein stiller, unaufgeregter „Spaziergang“ durch alle Räume voller Dankbarkeit und Wehmut oder auch ein ausgelassener Freudentanz im ehemaligen Wohnzimmer, weil du den alten Kasten endlich los bist: Alles kann richtig sein. Wichtig ist nur, dass du diesen Moment bewusst in deinem Sinne gestaltest. Denke dran: Du kannst ihn nicht mehr nachholen, wenn Wohnung oder Haus „weg“ sind und die neuen Mieter*innen/Besitzer*innen darin wohnen.
 

Zusatztipp an dein zukünftiges Ich bzw. ein Tipp, den du an deine Eltern weiterleiten kannst:  

Liebe Eltern, wenn Sie dazu noch in der Lage sind, ersparen Sie Ihren erwachsenen Kindern und/oder all denen, die sich einst um Ihren Nachlass kümmern müssen, Unklarheiten sowie jede Menge Streit und Ärger.
Egal wie jung oder alt Sie selbst noch sind: Erstellen Sie schon jetzt – oder: jetzt endlich – eine Vorsorgevollmacht inklusive Patientenverfügung und Betreuungsvollmacht sowie ein gültiges Testament. Überwinden Sie Ihre Angst davor, mit Sicherheit sofort zu sterben, sobald Sie diese Dokumente angelegt haben. Schicken Sie diesen weitverbreiteten Aberglauben ein für alle Mal in die Wüste. Übernehmen Sie Verantwortung. Informieren Sie Ihre Kinder bzw. potenziellen Erb*innen darüber, was Sie festlegen werden. Halten Sie Kritik und ggf. auch wütende Reaktionen aus und greifen Sie sinnvolle Anregungen auf. Sind Sie sich unsicher, wie Sie Ihr Testament am besten gestalten sollen, sprechen Sie mit einem Fachanwalt oder einer Fachanwältin für Erbrecht darüber. Das kostet Geld, erspart Ihnen jedoch jede Menge Arbeit und Ärger – ebenso wie später Ihren Erb*innen. Diese werden Ihnen irgendwann für Ihren Mut und Ihre Klarheit dankbar sein.

„Unterlassen Sie es unbedingt, Ihre erwachsenen Kinder durch Nichtstun oder aber im Rahmen Ihres Testaments ein letztes Mal erziehen zu wollen.“ -

Verzichten Sie auch auf den Versuch, Ihre Kinder durch Ihre Verfügungen doch noch zu der lange von Ihnen ersehnten Versöhnung zu bewegen. Vermeiden Sie jede bewusst herbeigeführte Unklarheit oder irgendwelche belehrenden Anweisungen. „Ich brauche kein Testament, ihr werdet euch schon einigen!“ oder „Ich will, dass ihr gerecht teilt, ihr seid doch Geschwister!“ funktioniert nicht. Im Gegenteil: Durch die Entscheidung, nichts oder irgendetwas nur sehr vage festzulegen, sorgen Sie aller Wahrscheinlichkeit nur dafür, dass Streit entsteht oder er vielleicht noch heftiger als bisher weitergeht. Und auch wenn sich Ihre Kinder schon immer wunderbar miteinander verstanden haben und Streit zwischen ihnen völlig unvorstellbar für Sie ist:
Lassen Sie alle Dokumente notariell beglaubigen und hinterlegen Sie Ihr Testament beim örtlichen Nachlassgericht. Sämtliche Vollmachten kann ein*e Notar*in beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer für Sie hinterlegen.
Mit diesen Schritten tun Sie alles, um später Streit zwischen Ihren Kindern bzw. Erb*innen so weit wie möglich zu vermeiden. Mehr können Sie nicht tun – aber das sollten Sie angehen. Machen Sie sich klar: Es ist der größte Liebesdienst, den Sie ihnen erweisen können. Und falls Sie mit Ihren Kindern kein gutes Verhältnis haben sollten, beziehen Sie mit Testament und den erwähnten Vollmachten eine klare Position, an die sich später zunächst einmal alle halten müssen.
Raffen Sie sich also auf – und leben Sie, wenn Sie alles erledigt haben, noch viele Jahre erleichtert und beruhigt weiter.
In meinem gerade erschienenen Ratgeber „Adieu Elternhaus. Elternhaus auflösen: sortieren, wertschätzen, loslassen“ (Rowohlt Verlag) gebe ich dir noch mehr Tipps an die Hand, was du beim Auflösen deines Elternhauses beachten solltest und wie du dir damit viel unnötige Arbeit ersparst. Meine Empfehlungen helfen dir, mit der emotionalen Achterbahnfahrt klarzukommen, die das Auflösen eines Elternhauses meistens bedeutet – und dabei auch die organisatorischen und rechtlichen Probleme in den Griff zu bekommen.
Eine Vorlage für eine Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung sowie Sorgerechtsverfügung für die Kinder findet ihr hier in unserem Artikel zum Superordner kostenlos zum Downloaden. 

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