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Wir lesen „Die Träume anderer Leute“ von Judith Holofernes. Plus: 50 Freiexemplare.
von Marlene Sørensen - 01.09.2022
Sie ist sofort da. Die Stimme, die man vor über 20 Jahren zum ersten Mal hörte und die sich festsetzte, mit dieser leichten und knisternden Art, zu singen. Ab der ersten Seite von „Die Träume anderer Leute“ erinnert man sich, wie besonders einem diese Stimme schon damals vorkam. So unvermittelt und unverstellt, wie sich Judith Holofernes Anfang der 2000er mit der Band Wir sind Helden ins Bewusstsein sang, so klingt sie auch in ihrem Buch. Und man geht direkt mit.

„Wie macht man aus einem Märchen ein echtes Leben?“ -

Mit dieser Frage beginnt Holofernes ihre Erzählung, die zunächst auf die Heldenjahre und den fabelhaften Aufstieg der Band mit Jean-Michel Tourette, Pola Roy und Mark Tavassol zurückblickt, die das scheinbar Unvereinbare vereinte: ernstzunehmend und erfolgreich zu sein, mit schlauen Texten und warmem Sound, als Headliner bei Rock am Ring aufzutreten und gleichzeitig ohne Allüren auszukommen. Wir sind Helden war so rundherum gut, dass man gar nicht anders konnte, als sie zu mögen.
Falls einem nun selbst ganz nostalgisch zumute wird: Judith Holofernes ist es nicht. Ihr Einstieg in das Buch ist das Ende der Band, die sich auflöste, nachdem sie sich von einer der „meistspielenden Bands Deutschlands“ zur „weitermachendsten Band Deutschlands“ entwickelt hatte. „Ich hatte diesen Abschied um Jahre hinausgezögert, weil es mir unerträglich war, nicht nur meine, sondern auch die Träume anderer Leute zu beenden“, schreibt sie über eine Zeit, in der Wir sind Helden dem Weitermachen müde geworden war und in der sie und Schlagzeuger Roy, mit dem sie verheiratet ist, einsehen mussten, dass sich das Familienleben mit zwei kleinen Kindern nicht so mit einem Tourleben vereinbaren ließ, wie sie sich das vorgestellt hatten.
„Ich wusste, dass ich keine Heldin mehr sein wollte“, schreibt sie – und damit beginnt die Geschichte einer Selbstfindung, chronologisch aufbereitet von 2010 bis heute, in der sie versucht herauszufinden, was sie eigentlich will. Und ob das, was sie sich als Solokünstlerin vorstellen kann, im Musikgeschäft überhaupt möglich ist. „Die Träume anderer Leute“ gibt einen Einblick in dieses Business, von Albumaufnahmen über Foto-Shootings bis Nightliner-Fahrten. Hochglanz, wie man es von einer so bekannten Musikerin ja durchaus erwarten könnte, ist daran nur wenig. Sie sucht stattdessen eine tiefe Auseinandersetzung mit dem, was ihr der Beruf abverlangt, von dem sie geträumt hatte, seit sie als kränkliches Kind in Freiburg aufwuchs, und auch mit dem, was sie sich selbst abverlangt. Wie macht man weiter, wenn man ganz jung irrsinnig erfolgreich war? Kann man gleichzeitig Rockstar und Mutter sein? Und, wenn ja, wie lange hat man für so eine Karriere überhaupt Zeit, bevor man zu alt wird?

„Womit ich nicht gerechnet hatte, war das Dazwischen, die uneindeutige, demütigend lange Zeit zwischen Fräulein Wunder und Lebenswerk“ -

heißt es im Buch. Statt sich Pausen zu nehmen, setzt sie sich selbst unter Druck, „stolz darauf, als patent, belastbar und unzimperlich wahrgenommen zu werden“, wird aber auch unter Druck gesetzt, durch sexistische Erwartungen, wie beispielsweise im Popgeschäft ein Frauenkörper auszusehen hat, um akzeptiert zu werden, oder den Fokus auf Profit.
„Die Träume anderer Leute“ ist die Biografie einer Künstlerin, die versucht, zwischen den Erwartungen an ein kreatives Leben und den Anforderungen eines Alltags als Mutter nicht zerrieben zu werden, so nahbar und schonungslos geschrieben, dass man beim Lesen das Gefühl hat, auch im eigenen Erwachsenwerden zu blättern, wenn sie etwa über Ambitionen schreibt: „Bei Mädchen wird der Drang zum Leuchten oder, Gott bewahre, zum Brillieren oder Gewinnen in jedem Bereich sanktioniert, übel genommen, lächerlich gemacht. Ehrgeizige Frauen waren in meiner Kindheit gierig, unattraktiv und subtil würdelos.“ Oder über ihr vermeintliches Scheitern als Partnerin, als ihr Mann einen Burn-out erleidet: „Ich wollte die hingebungsvolle, stoisch liebende Ehefrau sein, die er brauchte, aber ich konnte es nicht. Es ist zu dunkel, dachte ich.“
In dieser Ehrlichkeit, der Poesie, die sie bei allen Herausforderungen immer wieder findet, und der Vehemenz sind Judith Holofernes und ihr Buch wahrlich: Rock ’n’ Roll.
So könnt ihr eines von 50 Exemplaren von „Die Träume anderer Leute“ gewinnen: Schickt bis zum 15. September 2022 eine E-Mail inklusive eurer Adresse an ohhhmhhh@kiwi-verlag.de, der Kiwi Verlag lost die Gewinner*innen aus und benachrichtigt sie. Viel Glück!
Wenn ihr das Buch gelesen habt, dann schreibt doch gerne etwas dazu in die Kommentare. Ich freu mich auf den Austausch mit euch.
Im Oktober 2022 treffen wir Judith Holofernes im Livetalk. Wir geben den Termin bekannt, sobald er feststeht.
Eure

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