„Man kann natürlich nur gut schreiben, wenn man keine Angst hat, am allerwenigsten um sich selbst“, heißt es in einer von Antonia Baums jüngsten Kolumnen für Die ZEIT. An diesen Satz musste ich beim Lesen ihres Romans „Siegfried“ häufiger denken.
Die Figur in ihrer ZEIT-Kolumne „Mein Leben als Frau“ ist zwar fiktiv, wie auch die Erzählerin in „Siegfried“, aber was sie beide doch gemeinsam haben, ist, dass sie einem ganz schön nahekommen. Nähe zu schaffen ist so etwas wie Antonia Baums Markenzeichen. Ob sie für das Feuilleton eine Kritik über ihre Heimat, den Odenwald, verfasst, einen schweren Unfall ihres Vaters in dem autobiografischen Roman „Tony Soprano stirbt nicht“ verarbeitet oder sich in dem Essay „Stillleben“ mit ihrer Mutterschaft auseinandersetzt:
„Sie schont beim Schreiben nicht, schon gar nicht sich selbst.“ -
Mal tut diese Furchtlosigkeit weh, mal ist’s schmerzlich komisch, wie so häufig in ihrer monatlichen Kolumne. Ganz egal, wie viel ich auch nicht schaffe, von der Zeitung zu lesen: „Mein Leben als Frau“ lese ich immer. Über die Herausforderungen in einem Frauenleben erzählt sie nun auch in „Siegfried“: weniger humoristisch, als man es aus der ZEIT kennt, jedoch mit der gleichen Präzision und Schonungslosigkeit.
Es beginnt damit, dass die Erzählerin eines Morgens, nachdem ihr Partner und die kleine Tochter die Wohnung verlassen haben, nicht mit ihrem Alltag weitermacht, sondern in die Psychiatrie fährt. Wie genau sie dort gelandet ist, das fragt sie sich selbst, während sie auf den Termin wartet. Sie weiß nur, dass sie einen so großen Kontrollverlust spürt, dass sie nicht mehr weiß, wohin sonst. In Rückblicken aus dem Wartezimmer erzählt sie von ihrer Kindheit und den zwei prägenden Figuren darin: von ihrem Stiefvater Siegfried und dessen Mutter Hilde und dem Wertesystem, das die beiden ihr mitgegeben haben, in dem Männer die Versorger sind und Frauen entweder untergeben, und wenn schon nicht das, dann stattdessen so hart, kämpferisch und unabhängig wie ein Mann.
Die Erzählerin weiß, wie unzeitgemäß und borniert das ist, und ist gleichzeitig doch nicht in der Lage, sich vollständig davon zu emanzipieren. In ihrer Partnerschaft sind die Rollen zwar umgekehrt – sie ist die Alleinverdienerin –, doch macht ihr nicht nur die Verantwortung zu schaffen, sondern auch die Missachtung, die sie deshalb ihrem Freund, der selbst mit seiner eigenen Vergangenheit zu kämpfen hat, gegenüber empfindet. Am Abend bevor sie in die Psychiatrie fährt, hatten sie wieder einmal gestritten, wie oft über das ewig Gleiche: Sie fühlt sich für alles verantwortlich; er fühlt sich von ihren Ansprüchen überfordert.
Mit „Siegfried“ ist es ein wenig so, wie einem Unfall in Echtzeit zuzugucken:
„Man weiß, dass es gleich gewaltig scheppert, aber man kann nichts dagegen tun.“ -
Ich habe das Buch oft mit angehaltenem Atem gelesen und gelegentlich auch mit einem Seufzen, denn Antonia Baum ist nicht nur so gut darin, Details zu beschreiben – ein Beispiel: „Ich mochte es, [ihm] dabei zuzusehen, wenn er das Auto fuhr, vor allem beim Parken (die Art, wie er schaltete, in den Rückspiegel sah, sich beim Rückwärtsfahren an der Nackenstütze des Beifahrers festhielt).“ –, sondern auch im Betrachten unserer Widersprüche (warum zur Hölle will eine Frau, die es wirklich besser wissen sollte, Männer beeindrucken, die ausgemachte Arschlöcher sind?!).
Ich weiß nicht mehr, was ich erwartet habe, als ich mit dem Buch anfing. Aber ich weiß, was ich dachte, als ich das Buch beendet hatte: Die besten Bücher sind oft die, die einen mit ihrer Wucht überraschen.
Wenn wir Antonia Baum im April zum Liveabend treffen (den Termin geben wir zeitnah bekannt), werden wir vielleicht von ihr hören, was es mit dem Schreiben und der Angst auf sich hat. Sicher wünsche ich mir schon jetzt, dass sie so furchtlos weiterschreibt wie bisher.
Und so könnt ihr eins der 100 Freiexemplare von „Siegfried“ gewinnen: Trage
hier deine Kontaktdaten ein. Der Verlag lost dann die Gewinner*innen aus und lässt ihnen per Post ein Exemplar zukommen. Die Verlosung endet am 15. März 2023. Viel Glück!