Job & Finanzen
Das Beinahe-Burnout
Wie ich fast vergessen hätte, wie wichtig Pausen sind, und mich selbst zu einer zwang.
von Stefanie Luxat - 01.08.2023
Die Audiodatei gibt es hier als Download.
 
In meinem Umfeld häufen sich aktuell die Burnout-Fälle. Vor allem bei Männern. Aber auch von Frauen höre ich vermehrt: „Ich bin so k.o. wie noch nie …“ Ich selbst habe mich auch dabei erwischt, als einer der Freunde sagte, er sei jetzt krankgeschrieben für drei Monate, mache eine Therapie an der Ostsee und viele Entspannungsübungen – dass ich dachte: „... puh, das könnte ich auch gerade gut ...“
Der Unterschied zu meinem Freund mit Burnout ist: Er ist festangestellt. Sagt er „ich kann nicht mehr“ zu seinem Hausarzt, beginnt ein automatisierter Maßnahmen-Standard zu greifen, eine Art Laufband, auf das er sich stellt Richtung Genesung. Das gibt es für Selbstständige so nicht, dieses Laufband, die joggen eher nebenher, wenn sie nicht gut auf sich aufpassen.
Dass ein Burnout keine mal eben schnell wieder geheilte Krankheit ist, es in schweren Fällen sogar Jahre dauern kann für wirkliche Verbesserungen und nicht selten parallel (schwere) Depressionen mit diagnostiziert werden, ist mir klar. Umso wichtiger war es mir, meine Gefühle auf die Ich-bin-krankgeschrieben-Meldungen genau anzuschauen. Es brachte mich zum Nachdenken. Was lief in meinem Leben aktuell schief, dass ich solche Gefühle hatte? Warum war ich so erschöpft und was könnte für neue Energie sorgen? Was könnte ich genau jetzt ändern, auch, um kurz vorm Burnout noch abzubiegen?
Als ich diese Gedanken hatte, waren es noch drei Tage bis zu den sechswöchigen Sommerferien und damit 72 Stunden bis zu unserem ersten Urlaubstag. In den letzten Wochen hatte ich mehrere unvorgesehene private Herausforderungen zu bewältigen, die mich viel Kraft gekostet hatten und im Job ging es auch wild zu. Ein paar Monate vorher hatten wir eine grandios gute Instagram-Beraterin bei uns im Büro, die uns erklärte, wie wir unsere Followerzahlen steigern könnten. Und da ein unglaublich teurer Technik-Relaunch ins Haus steht, waren wir bereit, uns den Regeln zu unterwerfen und den Algorithmus glücklich zu machen. Für unser Team und vor allem mich bedeutete das viel, viel mehr Arbeit, auch am Wochenende, was für mich eigentlich als Regenerationszeit galt bisher. Da sich tatsächlich erste Erfolge einstellten, blieben wir am Ball, doch eine Stimme in mir meldete sich jetzt häufiger und fragte:

„Warum? Lohnt sich das? Ist es das wert?“ -

Zwei Tage vor dem ersten Ferientag beschloss ich: „Nein, so geht es nicht weiter, der Preis ist zu hoch.“ Es war, als setzte sich ein Puzzle an Eindrücken letzter Tage zu meinem Entschluss zusammen: Eine Lehrerin hatte nebenbei bei einem Schulfest erzählt, dass sich das Kollegium am Abend des letzten Schultages traf, um den schönsten Tag des Jahres zu feiern – den Beginn der Sommerferien. Nie wieder würden sie so lang wie an dem Tag sein. Über die Wertschätzung dieses Moments dachte ich viel nach. Ich merkte auch, wie ich neidisch wurde auf die lange Ferienzeit ohne große Störungen der Lehrer*innen von außen, zumindest am Anfang, und tat, was ich immer tue, wenn ich Neidgefühle spüre, ich fragte mich: „Wie kann ich mir dieses Gefühl auch holen? Von außen eine Zeit lang nicht gestört werden …“ Ich verkündete eine zweiwöchige Pause bei Instagram. In der Zeit würden wir verreisen und ich wollte mich voll und ganz auf mich und meine Familie konzentrieren, nicht morgens als Erstes aufs Handy schauen und von den Fragen und Gefühlen anderer geleitet werden.
Für Menschen, die Instagram nicht als Teil ihres Berufes betreiben, scheint das vielleicht lächerlich. Möglicherweise fragen sich viele: „Muss man das überhaupt verkünden?“ Insider*innen wissen: Es wird harte Arbeit, nach vierzehn Tagen den Algorithmus wieder auf das Niveau zu bringen wie vorher. Er wird einen abstrafen, indem er den Follower*innen Beiträge nicht anzeigt, und ja, das wird dann geschäftsschädigend. Und Follower*innen, die keine Antworten auf ihre Fragen bekommen, werden mitunter ungemütlich. Doch was ist die Alternative? Diesen Tamagotchi-Algorithmus füttern, bis man selbst seelisch verhungert?
Am Abend der Auszeitverkündung saß ich schon etwas ruhiger bei einem Kindergeburtstag, mein Handy lag ganz weit unten in meiner Tasche. Die Eltern waren unglaublich entspannt, so sehr, dass ich immer wieder fragte: „Was ist euer Geheimnis?!“ Mir flüsterte später die Frau des Mannes: „Er lässt sich einfach nicht aus der Ruhe bringen, egal, was passiert.“ Vielleicht profan, aber ich klebte ein weiteres Puzzlestück für mich an mein Lösungsbild. Ich erinnerte mich an den von mir als Kind gehassten Satz meines Vaters: In der Ruhe liegt die Kraft. Das Leben hatte mich in den letzten Jahren immer wieder daran erinnert. Hatte ich es zeitweise vergessen oder konnte ich es nur nicht hören, weil es um mich herum so laut geworden war? In der Ruhe liegt die Kraft.

„Gönn dir eine Pause genau dann, wenn du denkst, jetzt geht es gerade nicht. Jetzt wirklich gerade nicht.“ -

Genau dann. Das wusste ich doch eigentlich.
Und auch wenn ich es jetzt am Beispiel Instagram festmache, kann man dieses Szenario durch so vieles ersetzen – für alle, die das Gefühl haben, ihr Leben würde stellenweise entführt werden, sie selbst hätten nicht mehr die eigene Führung in der Hand. Sind wir wirklich ganz da, wo wir sein wollen, oder im Kopf woanders? Haben wir uns viel zu viel aufgebrummt, obwohl es mit weniger auch funktionieren würde? Brauchen wir wirklich all das oder können wir auf etwas verzichten und dafür mehr Luft haben für das, was wir uns wirklich wünschen? Das Lösegeld, um aus dieser Entführung herauszukommen, ist oft so viel geringer, als wir denken.
Ich genoss es, auf dem Kindergeburtstag beim Abholen in Ruhe zu sitzen und den anderen zuzuhören, was sie sich für die Sommerferien Schönes vorgenommen haben. Ich trödelte in der Abendsonne mit den Kindern zurück nach Hause, traf auf dem Weg noch eine weitere Nachbarin, quatschte hier noch und da und dachte: Genau dieses Gefühl ist unbezahlbar, statt ständig am Handy zu hängen. Wie konnte ich es nur vergessen? 
Ich telefonierte mit meiner Coachfrau Miss K. und fragte sie: „Wie kann es sein, dass ich genauestens weiß, wie ich ein entspanntes Leben führe, und mich doch dann wieder verrenne Richtung Stress?“ Sie lachte auf ihre wohlwollende, warme Art, die ich so an ihr mag, die irgendwie schon ohne Worte sagt: „Kenn ich, you are not alone“, und sie antwortete: „Weil unsere Dämonen uns immer wieder einfangen: Was, wenn etwas schiefläuft und ich nicht genügend Geld verdiene, um das Haus abzubezahlen? Nicht mehr die Firma am Laufen halten kann? Und dann steigen wir wieder ein ins Karussell, es schleudert uns in die Luft und wir gehen in den Survivalmodus, wenn das Gegengewicht gerade nicht stark genug ist, uns zu sagen: Das wird schon alles, vertrau dir.“
Wenn es wirklich drauf ankommt, wird dir schon eine Lösung einfallen – an den Satz erinnerte ich mich auch wieder in den darauffolgenden Tagen. Wir würden für uns einen gangbaren Weg mit Instagram finden, wir lieben den Kontakt darüber ja auch, vor allem zu unseren Abonnent*innen, wir müssen nur noch eine Person finden, die uns noch mehr entlastet bei der Aufbereitung unserer Inhalte für diesen Kommunikationskanal.

„Was auch half, dass ich mir klarmachte, was ich jetzt gerade nicht verpassen wollte.“ -

Den Spendenlauf an der Schule, meine Kinder dafür kämpfen zu sehen und sie zu feiern, ihr Abschluss-Feriensingen, diesen aufregenden, neuen Moment, wenn sie das erste bzw. zweite Zeugnis in den Händen hielten, diese unbändige Freude über die Sommerferien am letzten Schultag. All das wollte ich erleben, bewusst, ohne Hand am Handy oder mit dem Kopf in der Instagram-Wolke. Ich wollte da sein, ganz, und den Unterschied, ob ich nur so tue oder es wirklich bin, merkt jedes Kind. Also schaffte ich dafür Raum und genoss es sehr.
Der Druck, alles gleichzeitig bewältigen zu müssen, ist besonders in der Lebensphase der Enddreißiger und Vierziger, der Rushhour des Lebens, ein starker Verführer: Plötzlich taucht bei vielen die Frage auf, ob die Ziele, denen so viele der Gesellschaft hinterher eilen, erreicht wurden – genügend Kinder, genügend großes Haus, genügend aufregende Urlaube, genügend beeindruckende Karriere, genügend Altersvorsorge in die Wege geleitet, genügend gut genutzte Freizeit? Haben wir es geschafft? Sind die Schäfchen im Trockenen? Und oh shit, wie gehen wir mit all dem Unvorhersehbaren wie Scheidungen, Insolvenzen, pflegebedürftigen Partner*innen um? Sind wir damit eigentlich die Einzigen? Für diese Druckbetankung braucht es meist gar nicht den Blick auf Instagram, dafür genügt bei vielen ein Blick in die Nachbarschaft, den Freundeskreis oder zu anderen vermeintlichen Idealen. 

„Bei sich zu bleiben, nicht die Träume der anderen zu übernehmen, sondern auf die eigenen zu setzen, ist eine fortwährende Übung.“ -

Den Dämonen, wenn sie vorbeischauen, zu sagen: „Moin, ihr Süßen! Ich bin total fein mit mir und meinem Weg, fahrt ihr gern eine Runde Karussell, ich setz aus. Ciao Kakao!“ Oder wie Matt Haig es in seinem „The Comfort Book“ so schön schreibt, das ich dann ganz in Ruhe, also bis auf die Unterbrechungen durch „Mamaaa!“-Rufe, im Urlaub am Strand von Bornholm las: „In order to get over a problem it helps to look at it. You can’t climb a mountain that you pretend isn’t there.“
Kurz bevor ich mich bei Instagram in die Pause verabschiedete, bekam ich dort eine Nachricht einer unserer Abonnentinnen. Sie schrieb mir mit großem Dank, dass ich mal in einem Text erwähnt hätte, dass wir uns selbst retten müssten. Es käme niemand, der das für uns tun würde. Dieser Satz hätte zu keinem besseren Zeitpunkt zu mir zurückkommen können. Ich musste weinen und lachen zugleich, als ich ihn las. Denn ja, so ist es. Wir müssen uns selbst retten, und das können wir auch.

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