Die Audiodatei findet ihr am Ende des Textes.
Früher habe ich meiner besten Freundin jeden Pups erzählt. Und manchmal haben wir auch gleichzeitig gepupst. Die Bettdecke, unter der wir oft gemeinsam schliefen, hob sich und mit ihr sich unsere Laune. Es gab nichts, wirklich nichts, was wir nicht miteinander teilten oder uns erzählten. Wir hatten so unendlich viel Zeit und verplemperten sie ganz genüsslich. Wir dachten, alles sei machbar, weil wir uns hatten und uns gemeinsam für unbesiegbar hielten.
Doch irgendwann nahm das Leben Fahrt auf. Wir verließen die Kleinstadt, zogen in unterschiedliche Städte und auch wenn wir alles gaben, um unser enges Band nicht reißen zu lassen, bekam es Risse. Mein erster Job vereinnahmte mich von Kopf bis Fuß, genau wie sie ihr erster Freund. Plötzlich war sie weg, die unendliche Zeit, um alles miteinander teilen zu können. Und irgendwann passierte das, was auch zum Ende der TV-Serie „Friends“ führte – Freund*innen waren nicht mehr länger die Ersatzfamilie, wir begannen selbst eine zu gründen. So sehr wir uns auch schworen, dass das nichts ändern würde, änderte es alles.
Und dann packte noch jemand eine Pandemie obendrauf.
Es gab in den letzten eineinhalb Jahren so viele Momente, in denen ich in meinem Kopf mit meinen Freundinnen sprach, aber keine Kraft mehr hatte, sie tatsächlich anzurufen. Ich weiß, dass das glücklicherweise nichts an unseren Beziehungen ändert, aber es brachte mich immer wieder zum Nachdenken.
„Wann war mein Leben so schnell geworden, so vollgepackt, dass ich das, was ich früher für das Wichtigste der Welt hielt, nicht mehr hinbekam?“ -
Immer wieder sah ich mich mit 16 auf der Wiese liegen mit meiner besten Freundin – Kopf am Baum, Kopf auf Bauch. Das waren die ersten Therapie- oder – weniger dramatisch ausgedrückt – Coachingstunden meines Lebens. Wir besprachen einfach all unsere Gedanken und Sorgen, rückten sie zurecht, bis wir uns leichter fühlten.
Als vor zwei Wochen verkündet wurde, dass der Lockdown langsam aufgehoben würde, passierte bei mir ganz viel im Kopf. Es war, als schien ich mich zu fragen: „Will ich wirklich zurück in mein altes Leben beziehungsweise das neue, noch stressigere? Oder geht das auch anders?“ Ab da sprach ich fast täglich mit meiner Coachfrau Miss K.
Sie erinnerte mich daran, dass ich mit der Frage bereits vor zwei Jahren zu ihr kam. Wir hatten meinen Stress als Selbstständige, Unternehmerin, Chefin, zweifache Mama, Schwester, Ehefrau, Tochter und, und, und auf den Tisch gepackt und auseinandergetüdelt. Es war so schnell klar, was fehlte: Zeit für mich. Keine Breaking News, aber immer wieder der Punkt, an dem alles auseinanderbricht, wenn es sie nicht gibt.
Wir erarbeiteten damals einen Plan, wozu auch gehörte, dass ich Anfang 2020 allein eine Woche in den Urlaub fuhr: St. Peter-Ording. Eine Woche offline sein im Kubatzki. Ich schlief endlich wieder, lief die Strandpromenade hoch und runter. Machte Yoga, aß ganz in Ruhe allein und fand zurück zu mir.
Einen Monat später begann die Pandemie, der Ausnahmezustand. Beruflich und privat. Der Stress, den ich gerade abgeworfen hatte, kam tonnenschwer zurück. Und jetzt liegt er wieder auf dem Tisch.
„Versuch deine beste Freundin zu sein“, riet mir Miss K. vergangene Woche. „Thhh“, dachte ich mir. „Bin ich doch eh. Was für ’ne Binse.“
Ich war’s leider nicht. Ich sah mir dabei zu, wie ich wieder dazu übergegangen war, mich auszubeuten. Mir viel zu viel auf die To-do-Listen zu schreiben, mir selbst vorzumachen, dass ich das schon alles irgendwie schaffen würde.
„Nur sollte es darum eben nicht mehr gehen: das Allesschaffen, ich wollte lieber wieder mehr leben.“ -
Ich wollte zurück auf die Wiese.
Es gibt noch kaum Vorbilder für Frauen, die arbeiten (müssen) und Mutter sein möchten und verrückterweise auch gern noch Zeit für sich und ihre Beziehungen hätten. Es ist für diese Frauen, wie mich, nach wie vor ein ständiges Ausprobieren, um das für sie passende Konzept zu finden. Manche können sich ganz viel Hilfe dazukaufen, andere möchten dies gar nicht oder können es sich auch nicht leisten. Es ist eine höchst persönliche Entscheidung. Und vor allem: ständiges Ausprobieren. Bis sich das eigene Puzzle immer besser zusammensetzen lässt.
Ich überlegte also, was würde ich mir als meiner besten Freundin raten?
Schritt eins: Mach einen realistischen Zeitplan. Schreib alles auf, was diese Woche ansteht. Jedes To-do, betrüg dich nicht selbst – wirklich: jedes. Beruflich, privat, inklusive Haus- und Carearbeit. Setze für jeden einzelnen Punkt eine realistische Zeit ein, eher noch mit Puffer on top. Passt das? Bleibt da noch Zeit für dich?
Schritt zwei: Sortiere aus. Frage dich bei jedem Punkt ganz in Ruhe: „Muss der bleiben oder kann der weg? Lässt sich der (Abgabe-)Termin verschieben? Muss der überhaupt wirklich sein?“ Und falls du denkst: „Nein, mein Gegenüber klammert sich aber daran, als ginge es um Leben und Tod.“ Wie wäre es mit einer Notlüge? Du bist schließlich in (Zeit-)Not.
Schritt drei: Wer kann dich wie unterstützen? Wie kannst du es finanzieren? Wenn du in einer Beziehung lebst und ihr eure Kapazitäten für alle To-dos aufgeteilt habt und immer noch zu viel überbleibt, schau dir genau an, was du für Einnahmen hast (allein oder als Paar), was du für Ausgaben hast und worauf du verzichten könntest, um dir Hilfe zu erkaufen. Eine Reinigungshilfe, Babysitter, freie Mitarbeiter*innen, Arbeitsstundenreduzierung, eine Coachfrau, ein (unbezahlter) Urlaub – du wirst schnell merken, die Energie, die du dadurch gewinnst, lässt dich das dafür ausgegebene Geld schnell wieder reinholen, wenn das nötig ist.
Schritt vier: Tu es! Oder frag dich, was dich abhält. Sabotierst du dich selbst? Hältst du lieber an dem Stress fest, weil du Sorge hast, was sonst an Gefühlen zum Vorschein kommt? Gibt dir die Arbeit die Bestätigung, die du sonst fürchtest nicht zu bekommen? Je ehrlicher du zu dir selbst bist, umso besser kannst du dafür Lösungen finden. Und wenn du merkst, dass du irgendwie aus dem Kreislauf nicht rauskommst – hol dir Hilfe, dafür gibt’s Coachfrauen als Sparringspartnerinnen (siehe unsere Superliste).
Ich habe genau mit diesen vier Punkten die letzten Tage und Wochen geübt, wieder meine eigene beste Freundin zu sein. Ehrlich, liebevoll, aber auch hartnäckig. Es lohnt sich so sehr. Ich habe zu so vielen Anfragen, Projekten und eigenen Ansprüchen Nein gesagt und wurde sofort mit einem besseren Gefühl belohnt. Dieses Vorgehen wird uns allen sehr schwer gemacht, durch Social Media, den gesellschaftlichen Leistungswettbewerb und das ständige Vergleichen. Doch es ist und bleibt so:
„Auf dieses Kräftemessen steigen wir alle nur ein, wenn wir nicht bei uns sind.“ -
Wenn wir die Anerkennung im Außen suchen statt in uns selbst. Wenn wir denken, andere könnten uns geben, was wir uns eigentlich nur selbst zu geben brauchen.
Das vergess ich im Stress auch oft, aber niemals in der Ruhe.
So sitze ich jetzt, während du dies liest, in Glücksburg, kein Scherz, den Ort gibt es wirklich, auf einer Wiese mit Blick aufs Wasser. Mit einem guten Buch, einem Kaffee, angelehnt an den Anwalt. Es ist Dienstagvormittag, es fühlt sich völlig verrückt an. Es fühlt sich nach Leben an.
Trau dich.
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