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Gute Frage
AND JUST LIKE THAT fragt Ninia sich: Hat das Reboot all die Kritik verdient? Und findet: nö.
von Ninia „LaGrande“ Binias - 12.01.2022
Diesen Text gibt es auch als Audio-Artikel. Zum Hören ans Ende des Artikels scrollen.
Ach, was hagelte es nicht alles an Kritik, kaum war die erste Folge des Reboots von Sex and the City ausgestrahlt. Von allen Seiten. Langweilig sei „And just like that...“, zu viele gesellschaftspolitische Themen, die wie mit dem Holzhammer ins Drehbuch geschlagen würden, trotz der gewünschten Diversität zu viele Stereotype und die Protagonistinnen haderten mit ihrem Alter und wirkten wie stehengeblieben, uncool gar! Und dann stirbt auch noch Mr. Big.
Und ich komme nicht umhin, mich zu fragen: Ist es das, wovon wir alle geträumt haben? Sind all diese Einwände und die wütende Ablehnung berechtigt?
Nur bedingt, wenn ihr mich fragt. Denn ich habe mich vor allem gefreut, als es wieder los ging. All die Outfits! Dieses unvergessliche Freundinnen-Gefühl, mit dem man sich schon damals so identifizieren konnte, während bei Bacardi Cola die letzte Knutscherei besprochen wurde – auch wenn es bei mir nur Braunschweig und nicht New York war. All das wollte ich sofort wieder fühlen. Und so schmiss ich mich auf’s Sofa. Mit Tüllrock. Bereit einzutauchen in die Welt, die mein Erwachsenwerden geprägt hat.
Siebzehn Jahre sind seit der letzten Folge vergangen und was habe ich bekommen? Schauen wir mal genauer hin. Über fünfzig sind die Ladies jetzt. Cool, denn in der Regel hört die Frau ab achtundreißig im Fernsehen auf zu altern, oder besser: zu existieren. Umso mehr will ich wissen, wie es meinen Lieblingscharakteren in der Zwischenzeit ergangen ist.

„Mir hätte allerdings ein Hinweis pro Folge gereicht, der deutlich macht, dass hier niemand mehr Mitte dreißig ist.“ -

Alle fünf Minuten erfahre ich, dass es sich hierbei jetzt um ALTE Frauen handelt. Seniorinnen, im Grunde schon vergreist. Diskussionen über das Färben grauer Haare, Hüft-OPs, launige Erinnerungen beim Schönheitschirurgen an ein Gesicht von vor fünfzehn Jahren, alte Männer, die sehr lange pinkeln können und dies als absolute Ausnahmeerscheinung lobpreisen, altersbedingter Hörverlust, viele Brillen – ja, danke, ich glaube, ich weiß es jetzt: In dieser Serie geht es um alte Menschen. Mit Tüllrock. Versteht mich nicht falsch: Ich mag’s, wenn das Altwerden in unserer Gesellschaft so offen und vielfältig thematisiert wird. Aber, Herr im Himmel, diese Frauen sind Anfang/Mitte 50. Und ich lieb’s, in all seiner Varianz. An alle, die sich aufregen, dass wir hier ein unrealistisches Bild präsentiert bekommen: So sehen Freund*innen aus in diesem Alter. Die einen sind geliftet, die anderen nicht. Die einen tragen grau, die anderen nicht. Wir sehen hier eine Gruppe von Frauen, die ich – zumindest optisch – in der Form lange nicht mehr im Fernsehen gesehen habe. Die Serie braucht diese Überbetonung nicht.

„Aber wir brauchen dringend mehr Akzeptanz, was die Selbstbestimmung von Frauen und ihren Umgang mit dem Älterwerden angeht.“ -

Lasst Charlotte doch das ein oder andere Lifting machen – sie ist die Perfektionistin schlechthin, natürlich wirkt sich das auch auf ihren Umgang mit dem Altern aus.
Was zum Älterwerden offenbar auch dazugehört: eine gewissen Unsicherheit mit den Entwicklungen unserer Zeit. Diverser sollte die Serie werden. Gut, weniger divers wäre auch kaum gegangen, wenn man sich die Ursprungsserie von 1998 anschaut. Cynthia Nixon, die Miranda spielt, hat sich erst nach vielen Gesprächen und der Zusicherung, dass die Serie vielfältiger werden würde, überzeugen lassen, doch mitzumachen – nicht nur als Schauspielerin, sie führt in einer Folge auch Regie und ist, wie die anderen beiden Hauptdarstellerinnen, Produzentin der Serie. Ob das, was wir jetzt zu sehen bekommen, das ist, was zumindest Cynthia Nixon sich unter diverser vorgestellt hat, kann ich nicht beurteilen, aber wir kriegen die volle Breitseite vorgeführt. Und mit vorgeführt meine ich: vorgeführt. Der Cast von AJLT ist zwar wesentlich diverser als bei SATC, dennoch tauchen die vermeintlich diversen Darsteller*innen nur als Sidekick und in Nebenrollen auf – im Grunde ausschließlich, um die Überforderungen der Protagonistinnen noch deutlicher hervorzuheben. Zum Beispiel als Charlotte sich verzweifelt auf die Suche nach einem weiteren Schwarzen Paar macht, um es nicht so aussehen zu lassen, als wären sie und ihr Mann ausschließlich mit weißen Menschen befreundet. Oder Mirandas Überperformance als White Savior, als ihre Schwarze Professorin nicht durch die Einlasskontrolle kommt, weil sie ihren Ausweis nicht findet.
Auf der anderen Seite – und das ist gehört bei aller Kritik auch dazu: Die Besetzung der Rollen ist durchaus gelungen – Sara Ramírez, die in AJLT die Komikerin und Podcasterin Che Diaz spielt, identifiziert sich auch im echten Leben als non-binär. Ali Stroker, die in Folge 4 die Chefin des Senders spielt, bei dem Carries Podcast gesendet wird, nutzt tatsächlich einen Rollstuhl. Und ich mag sie alle. Ja, auch Che. Denn: So ist es nun mal im New York der 2020er.
Und auch, dass unsere drei Protagonistinnen nicht ganz mitkommen, finde ich absolut nachvollziehbar. Ganz im Ernst, das schaffe nicht mal ich in meiner deutschsprachigen Instabubble. Im Gegenteil: Es wäre doch unglaubwürdig gewesen, wenn Carrie plötzlich die Ü50-Starinfluencerin gewesen wäre und Charlotte jede unvorhersehbare Veränderung in ihrem Leben einfach so abhaken würde. Was AJLT an der Stelle allerdings verpasst, ist Diversität einfach nur zu feiern und wie selbstverständlich einzubinden, statt sie uns in jeder Szene überdeutlich auf den Bildschirm zu pinnen. Dass das durchaus funktionieren kann, zeigen Serien wie New Amsterdam oder The Bold Type (hier spielt Ali Stroker übrigens auch eine kleine Nebenrolle).
Manchmal rutscht dann doch die ein oder andere Rolle in die Klischeekiste. Wenn Anthony immer noch das Abziehbildchen eines schwulen Mannes spielt, der ausschließlich muskelbepackte Jünglinge (bei denen er auch noch die Vornamen verwechselt) seine französischen Baguettes (Lord!) ausliefern lässt. Oder Miranda, bei der wir in den ersten Folgen wirklich überdeutlich gezeigt bekommen, dass sie möglicherweise, vielleicht, gegebenenfalls ein minikleines Alkoholproblemchen haben könnte! Die meisten haben es vermutlich auch nach den ersten zwei Szenen zu dieser Thematik verstanden. Umso leichter dann ihr Entschluss, einfach alles wegzuschütten und im Park nur noch alkoholfreien Wein zu süppeln – Life is that easy!

„Aber: Eine Sache, die ich bei AJLT herausragend gut finde, ist die Darstellung von Carries Trauer.“ -

Ich wartete auf den totalen Zusammenbruch, die Überinszenierung der traurigen Witwe – was ich aber bekam, war eine Carrie, die weitermachte. Die sich vor der Exfrau ihres Mannes entblößte, indem sie ihr auflauerte und sich mit Kaffee überschüttete. Das soll nicht heißen, dass man sich so benehmen sollte, wenn man jemanden verloren hat – aber, es ist eine Variante von Trauer, die ich bisher nur selten in Serien präsentiert bekommen habe. Was ich bekam, war eine Carrie, die sich logisch weiterentwickelt hatte – und der man aus meiner Sicht nicht vorwerfen kann, dass ihr Social Media Game noch nicht perfekt ist, denn – meine Güte – das muss es doch nicht, egal wie alt sie ist. Über diese ganzen Hüte können wir dann gern an anderer Stelle nochmal sprechen. Und genauso logisch haben sich Charlotte und Miranda weiterentwickelt. Sie sind so, wie sie sind. Wären wir erleichtert gewesen, wenn alle Protagonistinnen glücklich und zufrieden gewesen wären? Was sollten sie uns dann noch erzählen? Komm nach New York und du wirst immer happy sein? Wie langweilig wäre das geworden? (Vielleicht so langweilig wie das Reboot von Gilmore Girls, aber das ist nur eine Vermutung.)
Trotzdem hätte es zumindest eine Protagonistin geben können, die uns ein anderes Bild als der hadernden, gestressten und überforderten Mittfünfzigerin erzählt hätte. Wäre Natasha nicht so oft in Rom, hätte genau sie das sein können. Oder eben Samantha, die dann doch fehlt, wenn es darum geht, Sätze zu sammeln, die für immer hängen bleiben oder in den ein oder anderen Dialog mehr Verve und Leichtigkeit reinzubringen.
Jetzt habe ich doch ein bisschen gemeckert. Aber sind die Kritiken so berechtigt, dass ich lieber wieder ausschalten sollte? Oder will ich es immer noch? Will ich immer noch Carrie sein?
Ja! Die Kritiken zeigen uns, wie aufgeladen die Erwartungen an AJLT waren und wie romantisch-verklärt wir uns vielleicht auch an SATC erinnern – denn hier ging es im Grunde sechs Staffeln lang darum, für jede geeignetes, heterosexuelles und gut betuchtes Heiratsmaterial zu finden.
Aber ich bin so doll wieder drin, Leute. Ich bin so drin, dass ich den Tüllrock und das Karohemd aus der 90er-Ecke im Keller gewühlt habe und mit wippenden Schritten zur Klimpermelodie durch die Straßen von Hannover hüpfe. Wenn ich fest dran glaube, dann fühlt es sich fast an wie New York. Eines der größten Komplimente, das mir mal eine gute Freundin vor wenigen Jahren gemacht hat, lautete: „Du bist sie. Du bist Carrie geworden.“ Wie sehr wollte ich das. Sinnierend und rauchend vor einem Altbaufenster sitzen und eine einzige Kolumne pro Monat schreiben, von der ich mir dann 800-Dollar-Schuhe, Miete und Cocktails leisten könnte. AJLT gibt mir das, was ich das Carrie-Selbstbewusstsein nenne. Diese Leichtigkeit mit einem Outfit, das andere nicht zum Karneval anziehen würden, durch die Straßen zu ziehen. Sich auszuprobieren, wie eine Biene von Wabe zu Wabe zu fliegen und einfach zu genießen, was man bekommt. Sich auf Freundinnen-Dates zu freuen. Wenn das Wichtigste im Leben gerade die Frage ist, warum er nur mit einem Post-It Schluss machen kann oder wieso Mr. Big nicht zurückruft. Und ganz im Ernst:

„Wenn es eine Sache gibt, nach der wir alle uns gerade sehnen, dann ist es doch Leichtigkeit, oder nicht?!“ -

Langeweile, Liftings, Logikfehler und all die anderen Dinge, die den Leuten einfallen, wenn es darum geht, AJLT zu kritisieren. Kann ich nachvollziehen, keine Frage. Aber alles, was ich gerade brauche, ist eine Staffel mit Freundinnen in New York, die an der ein oder anderen Stelle doch kurz wieder diese Leichtigkeit von früher aufblitzen lassen und mir das Gefühl geben, dass – wenn ich jetzt vom Sofa aufstehe – im Grunde alles zu meistern ist. Falten, Eheprobleme oder der Tod – komme, was wolle. Hauptsache, ich trage dabei einen Tüllrock und bin auf dem Weg, meine Freundinnen zu treffen. And just like that... fühle ich mich so carrieesk wie früher.

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