Liebe, Beziehung & Sex
Wann es Zeit ist, zu gehen
Alexa erinnert sich an ihre Trennung und in welchem Moment sie die Kraft fand, endlich den Schlussstrich zu ziehen.
von Alexa von Heyden - 01.12.2023
Diese Audiodatei gibt es hier als Download.
Ein Artikel über Trennungen, kurz vor dem bevorstehenden Fest der Liebe, bei dem die Familie, Kinder und Freund*innen im Mittelpunkt stehen? Ja, unbedingt. Denn einigen wird während der Feiertage klar werden, was oder wen sie nicht mit ins neue Jahr nehmen wollen. Das kann der Job sein, eine Freundschaft oder die Beziehung zu dem Menschen, mit dem man jahrelang Bett und Klobürste geteilt hat.

„Meine Mutter hat sich zu Weihnachten von ihrem ersten Mann tatsächlich die Scheidung gewünscht.“ -

Ich habe an dieser Erzählung immer bewundert, dass sie so klar in dem war, was sie damals für sich wollte. Denn wann weiß man ganz sicher, dass es Zeit ist zu gehen und die Beziehung nicht doch noch eine Chance verdient hat? Eine zweite, dritte, vierte?
Ich persönlich habe mich mit Veränderungen früher oft schwergetan. Aber es gibt ein Zitat von Meghan, Herzogin von Sussex, mit dem man das eigene Innenleben gut überprüfen kann. Es ist zu einem meiner Leitsprüche in Hinblick auf jede Art von Beziehung – sei es Liebe, Freundschaft oder Arbeit – geworden, weil es sauklug ist, was Meghan gesagt hat. In einer TV-Dokumentation sagte sie 2019 über ihr Verhältnis zu der britischen Presse und der Entscheidung, von ihren königlichen Pflichten zurückzutreten und mit ihrer Familie in die USA zu ziehen:

„„Es reicht nicht, einfach nur zu überleben. Das ist nicht der Sinn des Lebens. Du musst gedeihen und dich glücklich fühlen.““ -

Ihre Worte, besonders der Begriff „gedeihen“, hallten in mir nach, beschrieb er doch einen Zustand, den ich lange nicht für mich empfunden hatte. Also dass ich wie ein Baum Jahr für Jahr kräftige junge Triebe habe, tiefere Wurzeln schlage, die mich in stürmischen Zeiten fest im Boden verankern, und ich gelegentlich sogar aufblühe. Ich war damals zwar schon wieder neu verheiratet und überglückliche Mutter einer kleinen Tochter, erholte mich aber immer noch von der Trennung von meinem Ex-Mann.
Die Hälfte der Beziehung dauert es, bis man eine Trennung verarbeitet hat. Sagt man. Ich hatte damals also noch ein paar Jahre des Wundenleckens vor mir und erwischte mich dabei, wie ich in Anwesenheit meiner Familie, Freund*innen und selbst meines neuen Mannes von meinem Ex sprach. Immer wieder kaute ich durch, was ich erlebt hatte, sei es die Trennung auf Probe, in der ich zeitweise im Motel One schlief, der Auszug aus der gemeinsamen Wohnung, das Trennungsjahr und letztendlich der Scheidungstermin beim Familiengericht in Berlin-Pankow, bei dem ich ein schwarzes Etuikleid von Dolce & Gabbana trug. Bis heute ist es mein teuerstes Teil im Schrank, ich habe es nur für diesen Anlass gekauft und nie wieder öffentlich getragen. Es hat sogar einen eigenen Namen: „The Divorce Dress“.

„Für mich war es damals mehr als nur ein Kleid. Es war meine Rüstung für die letzte Schlacht,“ -

auch wenn das pathetisch klingt. Aber so fühlte ich mich.
Die Scheidung war ein Klops, die Zeit davor aber das wahre Trauma. Also all die Jahre, in denen ich dabei zusah, wie meine Beziehung gegen die Wand fuhr, ich aber unfähig war, das zu verhindern oder mich zu trennen. „55 Prozent sagen, die Zeit, bevor sie sich zu Trennung entschlossen haben, hat am meisten Kraft gekostet“, bestätigt die Autorin Sandra Lüpkes. Ihr Trennungsratgeber „Ich verlasse dich. Ein Ratgeber für den, der geht“ bietet Hilfestellung für alle, die vor, während und nach einer Trennung mit Vorwürfen, Zweifeln, Gewissensbissen und Ablehnung kämpfen. So eine Art Buch findet man selten. Die meisten Titel zielen darauf ab, eine Beziehung zu retten, in dem man sich seiner kindlichen Prägungen und unbewussten Glaubenssätze bewusst wird – und darin die wahre Ursache für Beziehungsprobleme findet. Aber nicht jede Beziehung muss gerettet werden.
Für ihr Buch hat Sandra Lüpkes mit zahlreichen Betroffenen gesprochen und eigene Erhebungen gemacht. Zum Beispiel, dass sich 60 Prozent der Menschen nach dem Trennungsgespräch besser fühlten. 15 Prozent sogar sehr gut. In meiner ersten Ehe gab es nie ein sachliches, ausgeruhtes Trennungsgespräch, nur knallende Türen und böse SMS. Die Aussprache haben wir erst viel später geschafft. Rückblickend wissen wir beide, dass wir uns früher hätten trennen sollen. Ich spreche nicht von Monaten, sondern Jahren. Wir gingen uns aus dem Weg, feierten bocklos Weihnachten und fuhren bis zuletzt zusammen in den Urlaub, wo immer heftiger die Fetzen flogen, bis ich mir mit einer Affäre einen Fluchthelfer suchte und mich aus der Beziehung heraussprengte.
Ein Freund von mir, schon eine Weile Single und fein damit, ist dagegen wie meine Mutter ganz klar, als ich ihn frage, wann er in seinen vergangenen Beziehungen wusste, dass es Zeit war, zu gehen: „Wenn es nicht mehr passte“, antwortet er. Er könne noch so verliebt in einen Mann sein, trotzdem würde er sich gegen eine Beziehung entscheiden, wenn sie ihm nicht guttäte.
Ein Schritt, der beiden Seiten meist nicht einfach fällt. „Entgegen landläufiger Meinung leiden bei einer Trennung beide Partner, die Verlassenen – aber auch diejenigen, die den Wunsch verspürt haben, die Beziehung zu beenden“, so Sandra Lüpkes. Nur, warum dauert es manchmal so lange, bis man sich trennen kann, und was geschieht mit einem selbst in der Zwischenzeit? Schlechte Erfahrungen wie Zurückweisung oder Misshandlung, der frühe Tod eines Elternteils, Depressionen, konservative Einstellung bei der Loyalität und Treue können ebenso eine Rolle spielen wie Schuldgefühle, Beschönigung oder Konfliktscheue.
Der Beziehungsexperte Oskar Holzberg erläutert in seinem Buch „Neue Schlüsselsätze der Liebe – Was Beziehungen scheitern und was sie gelingen lässt“ das Phänomen der „inneren Kündigung“, die es nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch in Beziehungen gibt. „Wir bewegen uns nicht mehr frei aufeinander zu, sondern verabschieden uns unmerklich, und manchmal auch durchaus spürbar, aus unserer Liebesbeziehung. Wir sind enttäuscht. Wir bemühen uns vergeblich. Dann resignieren wir. Und letztlich engagieren wir uns nicht mehr für unsere Partnerschaft. Wir lassen sie im Sande verlaufen“, so der Autor. Mit dem nächsten Satz beschreibt er das Leben, das ich Anfang 30 hatte: „Wir führen die Art von Beziehung, die wir niemals führen wollten. Plötzlich sind wir eines jener schweigsamen Ehepaare am Restauranttisch, die wir als Jugendliche ungläubig bestaunten.“
Holzberg vergleicht die Situation mit einem Burnout. Ich erinnere mich so gut daran: Es war das Gegenteil von Gedeihen. „Irgendwann sind Sie selbst gar nicht mehr da. Sie fühlen nichts mehr“, ergänzt Sandra Lüpkes. Ich hatte die Beziehung und damit ein Stück mich selbst aufgegeben, konnte aber weder mit noch ohne meinen Ex-Mann leben. Dachte ich, weil: Was sollte danach kommen? „Das Ende einer langjährigen Partnerschaft bedeutet für beide Seiten das Scheitern des bisherigen Lebensentwurfs. Nichts wird mehr sein, wie es war“, weiß Sandra Lüpkes. Mir machte die Vorstellung, allein zu leben, eine Scheißangst, vor allem, weil ich nicht mehr 25 war und um mich herum alle Wohnungen kauften und Kinder bekamen.
Meine Situation schien lange ohne Ausweg, war sie aber nicht. Der Körper des Menschen ist darauf angelegt, in Angst- und Stresssituationen plötzlich viel Kraft und Energie freizusetzen, um zu überleben. Das galt auch für meine Trennungszeit. Sprich:

„Als ich dachte, ich sei am Ende, ging es los.“ -

Sicherlich ist es cleverer, vorab die Grundlagen für eine Trennung zu schaffen, vor allem, wenn Kinder, Business oder Eigentum mit im Spiel sind, aber bei mir setzte plötzlich ein unaufhaltsamer Selbsterhaltungstrieb ein. Ich konnte nicht länger zuhause, aber auch nicht dauernd im Hotel schlafen. In meiner Mittagspause unterschrieb ich den Mietvertrag für eine 1-Zimmer-Wohnung in Wedding. Nach Feierabend fuhr ich mit einer Freundin zu Ikea und als ich am Abend mit einer Schaummatratze und einer Lampe in mein neues Leben startete, dachte ich: „Fuck, ich bin am Arsch.“ Aber das war alles besser, als in die alte Wohnung zurückzukehren.
48 Prozent haben sich so wie ich getrennt, als sie gemerkt haben, dass es kein Vor und kein Zurück mehr gab, bestätigt Sandra Lüpkes in ihrem Buch. Bei meiner Freundin war es ähnlich. Sie hat eine langjährige Beziehung und eine Trennung mit zwei Kindern hinter sich. Den Kindern gegenüber hat sie bis kurz vor dem Auszug aus dem gemeinsamen Mietshaus so getan, als wäre alles in Ordnung. Sie selbst hat lange versucht, das ebenfalls zu glauben, bis sie in der Corona-Pandemie im Homeoffice arbeitet und die Beziehungsprobleme wie unter einer Lupe sieht. „Ich entfernte mich emotional immer weiter weg von meinem Mann. Aber ich wusste auch lange nicht, wie ich da rauskomme“, erzählt sie.
Das Paar war über 20 Jahre zusammen, erlebte privat und beruflich viele Tiefen, welche die Dynamik in der Beziehung veränderten. „Irgendwann habe ich die Ehe allein geführt. Das war nicht richtig“, erzählt meine Freundin. Als ihr Mann endlich einer Therapie zustimmte, war es für sie längst zu spät. „Das Band war durchgeschnitten. Da war keine Liebe mehr.“ Meine Freundin beschreibt diesen Moment als besonders bitter, dennoch habe sie ab dann nur daran gedacht, was für sie wichtig ist. „Der Drang, die Situation zu ändern, wurde immer größer als die Angst, was kommt.“ Für die Kinder kam die Trennung der Eltern plötzlich, für die Mutter war sie überfällig. „Ich wollte wieder kraftvoll durchs Leben gehen, nicht mehr diesen Dauerstress haben.“
Ein „Conscious uncoupling“ zugunsten der Kinder und eigenen Psyche wie bei Gwyneth Paltrow und ihrem Ex-Mann Chris Martin gab es also weder in dieser Ehe noch in meiner ersten. Entwickelt wurde die Methode des „Bewussten Entpaarens“ übrigens nicht von der Schauspielerin und GOOP-Gründerin, sondern von der amerikanischen Beziehungstherapeutin Katherine Woodward Thomas. Bei der Trennung ohne Rosenkrieg sollen die Ex-Partner*innen lernen, sich respektvoll zu begegnen und der*dem anderen zu verzeihen, um positiv in die Zukunft blicken zu können.
Auch in Deutschland gibt es inzwischen Coach*innen, die eine friedliche Trennung auf Augenhöhe begleiten und dafür sorgen wollen, dass weniger emotionale und finanzielle Schäden entstehen und vor allem Kinder ihr Familiengefühl behalten – wenn sich die Eltern darauf einlassen können. Gwyneth Paltrow und ihr neuer Mann laden den Ex sonntags zum Brunch ein, an den Geburtstagen der Kinder sind alle Eltern dabei.
Das Verhältnis zwischen meiner Freundin und ihrem Ex-Mann bleibt dagegen kompliziert, obwohl beide inzwischen auch neue Partner*innen haben und vor allem meine Freundin so glücklich wie noch nie ist.
Ich habe zehn Jahre nach meiner Trennung wieder ein gutes Verhältnis zu meinem Ex-Mann. Nicht, dass ich auf ein Liebes-Revival hoffe, aber die Gedanken von Esther Perel haben meine Sichtweise auf das Konzept der Ehe so drastisch verändert, dass ich mir die folgenden Erkenntnisse früher für mein Leben gewünscht hätte. Perel ist eine der berühmtesten Paar-Therapeut*innen der Welt. Sie spricht acht Sprachen, ist in Belgien geboren, hat in Israel studiert und arbeitet in den USA. Ihre Ted-Talks „Das Geheimnis des Begehrens in festen Beziehungen“ oder „Untreue überdenken – ein Vortrag für jeden, der jemals geliebt hat“ sind legendär, weil sie eloquent, tabulos und witzig ist.
In ihrem Buch „Was Liebe braucht“ verwendet sie den Begriff „Ehe“ allgemein für langfristige, vertraute Beziehungen und nicht nur im Sinne eines rechtlichen Familienstandes. Sie schreibt: „Historisch betrachtet, war Monogamie eine Rechtsform zur Kontrolle der Fortpflanzung und Erbfolge. (…) Das Treuegebot, eine der Hauptstützen patriarchalischer Gesellschaften, diente vor allem der Besitzstandesregelung und hatte mit Liebe nichts zu tun.“ Und weiter: „Wir wollen viel. Dazu gehört immer noch, was die traditionelle Familie gewährleisten sollte – Sicherheit, Kinder, Wohlstand, Ansehen – nur aber wollen wir auch, dass uns unser Joe liebt, begehrt und interessiert an uns ist.“ Die Frau ist so radikal wie klar in ihren Gedanken, wenn sie sagt: „An dieser Vorstellung halten wir so hartnäckig fest, dass wer enttäuscht ist und sich für eine Scheidung oder einen Seitensprung entscheidet, damit nicht die Institution der Ehe infrage stellt, sondern lieber an seiner Partnerschaft zweifelt.“
Hätte ich ihre Bücher früher gelesen, hätte ich bei meiner Trennung nicht nur weniger Schuldgefühle gehabt, sondern wäre selbstbewusster und nicht so hoffnungslos gewesen. Denn eine Verbindung zu meinem Ex-Mann bestand ja noch, nur die Liebe hatte sich in Freundschaft gewandelt.

„Das war aber nicht unser Fehler, sondern das Leben, das uns passiert ist.“ -

Wann immer ich mir heute also meine Beziehungen anschaue, frage ich mich, ob ich darin gedeihe oder nur überlebe. Ganz sachlich, weil sich nicht nur die Umstände ändern, sondern auch ich.

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