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Ich kann lustig quatschen, aber flirten: Uff, das geht gar nicht. Männer, die ich früher interessant fand, habe ich aus Unsicherheit angepöbelt und damit in die Flucht geschlagen. Online lief es nicht besser: Meine Nachrichten waren schnell zu pushy, sodass mein Objekt der Begierde verstört war und sich nie wieder gemeldet hat. Keine Ahnung, wie ich mir Flori geangelt habe. Ich hatte wohl einfach Glück.
Vielen Menschen geht es ähnlich: Das Spiel der erotischen Spannung, bei dem stets eine bestimmte Frequenz zwischen unverbindlichem Kontakt und offensichtlichem Interesse gehalten werden muss, schüchtert ein. Und als wenn es im Offline-Dating nicht schon kompliziert genug wäre, kommt online die Herausforderung dazu, dass ein großer Teil unserer Kommunikation inzwischen nur noch aus Herzen, Raketen und Daumen hoch besteht. Oder aus Auberginen.
Zwischen all den Unverbindlichkeiten – oder unverschämt direkten Angeboten – die richtigen Zwischentöne rauszulesen, ist für Herz und Nerven aufreibend. Laut Statista lebten im Jahr 2021 rund 23 Millionen Singles in Deutschland. Auch wenn die Ungebundenheit zahlreiche Vorteile bietet, wünschen sich viele davon eine*n feste*n Partner*in. Laut Parship haben rund 43 Prozent der Deutschen deshalb schon einmal Online-Dating bei mindestens einem Anbieter ausprobiert. Apps wie Tinder, Bumble, OkCupid oder Grindr gelten längst nicht mehr als anrüchig – egal, ob man eine feste Beziehung oder animalischen Sex in der Umkleidekabine des Fitnessstudios sucht. Im Alltag – nicht nur in pandemischen Zeiten – ergeben sich schlichtweg zu wenig Gelegenheiten, jemand kennenzulernen.

Die Oberflächen dieser Portale ähneln allerdings oft denen von Onlineshops. Menschen werden wie Kleider in ihre Eigenschaften, Interessen und Charaktere kategorisiert und so das vermeintlich „perfekte Match“ gefunden. Dennoch sind die Enttäuschungen beim Dating-Game im wahren Leben oftmals groß. Ähnlich wie eine Jeans, die im Onlineshop super aussah, stellt man bei einem Treffen schnell fest: Das passt überhaupt nicht. Wenn zwischen Erwartung und Realität eine große Lücke klafft, spricht man von einer „Romance Gap“. Wer einmal diese Erfahrungen gemacht hat, wird unsicher. Selbstzweifel wachsen, der Selbstwert sinkt. Im Freundes- und Familienkreis bekommt man zu hören, man sei zu anspruchsvoll oder noch schlimmer: beziehungsunfähig.
Wer kann weiterhelfen? Eine Dating- und Beziehungscoachin wie Silke Denk. Die 45-Jährige ist die Frau meines Studienfreundes Felix. Die beiden sind seit 13 Jahren verheiratet, haben zwei Söhne und pendeln zwischen einer Wohnung in Berlin und einem Haus am Lubowsee in Brandenburg. Eigentlich ist Silke Werbetexterin. Inzwischen nennt sie sich
Dr. Love und arbeitet als Dating- und Beziehungscoach. Als ich das gehört habe, war klar: Ich will einen Termin bei Dr. Love. Und zwar sofort!
„Liebe war immer mein Thema“, sagt Silke, die im Alter von fünf Jahren das erste Mal verlobt war. Im Laufe ihrer Karriere als Werbetexterin hat sie viele große Kampagnen, darunter für Ikea, Axe oder Levi’s, umgesetzt. „Freiberuflich habe ich aber immer auch schon Liebesgeschichten beraten“, erzählt sie. Vor 20 Jahren war sie zum Beispiel schon Gründungsmitglied des Vereins „Liebende im Praktikum“, der dem Freundeskreis Nachhilfe in Hinblick auf Anbändeln anbot.
Die Nachfrage nach Silkes Liebestipps wurde im Laufe der Jahre nie weniger, im Gegenteil:
„Obwohl oder gerade weil wir darauf getrimmt sind, uns und unsere Lebensabläufe permanent zu optimieren, scheint uns parallel der Sinn für Sinnlichkeit abhandenzukommen.“ -
In ihrem Umfeld wurde Silke immer wieder gebeten, für ihre Freund*innen oder Kolleg*innen WhatsApp-Nachrichten zu verfassen, mit denen sich die Absender*innen beim Dating auf der sicheren Seite wähnen konnten: also knackige Texte zu schreiben, die souverän den Bogen zwischen flirty und witzig spannten, ohne dabei stereotypische Klischees zu bedienen. Silke bemerkte, wie groß die Nachfrage nach Support ist – und welchen Impact ihre Unterstützung auf den weiteren Verlauf einer Beziehung hatte. Sie fasste den Entschluss: „Das möchte ich beruflich machen.“ Dann aber mit dem richtigen Fundament. Immerhin geht es darum, einem Topf zu helfen, fair und gleichberechtigt seinen Deckel zu finden – aber eben nicht irgendeinen.
Silke hob ihre Flirthilfe auf das nächste Level und machte eine Ausbildung bei Nina Deissler, Autorin von Ratgebern wie „Nie mehr schüchtern“ und nach eigenen Angaben „Deutschlands Nr.-1-Expertin für Partnerschaftspotenzial-Entfaltung und Dating-Erfolg“. Mit Dr. Love gibt es nun eine weitere Ansprechpartnerin in der Branche. Silkes Angebot als Dating- und Beziehungscoach umfasst unter anderem, dem Onlineprofil ein Make-over zu verpassen und eigens auf die Kund*innen zugeschnittene erste Sätze („Opener“) und Nachrichten zu texten, die sie auf Tinder, WhatsApp oder Bumble verschicken können.
Haben Werbetexten und Flirten etwas gemeinsam? „Viel!“, erklärt Silke. „Wenn ich weiß, wie ein blaues Sofa im Sale spricht, weiß ich das auch für meine Damen und Herren. Die ersten Sätze oder Absagen schreibe ich so, wie sie zu den Kund*innen passen, etwa schüchtern und introvertiert. Das sieht dann bei jeder*jedem anders aus.“
Beispiele von schüchtern bis mutig: „Danke fürs Date. Leider ist mein Streichholz nicht angegangen. Aber alles Gute für deine Suche nach der Nummer eins.“ Oder „Lieber XXX, dankefürunserTelefondateleiderhastduohnepunktundkommageredet-undeshalbmacheichhiereinenpunktallesliebe.“
Die individuellen Profiltexte schreibt Silke auf Grundlage eines Fragebogens, in dem jede*r Fragen wie diese beantworten muss: „Warum sollte sich jemand in dich verlieben?“, „Hast du erotische Vorlieben?“, „Darüber kann ich lachen“ oder: „Ich bin schrecklich im ...“ Für die erfolgreiche Behandlung von Dr. Love ist jedes kleine und sympathische Detail wichtig. „Ich suche mit viel Liebe nach der Zahnlücke der Persönlichkeit“, sagt Silke. Warum? Je älter wir werden, desto mehr formt sich unsere Persönlichkeit – die Schnittmenge der Menschen, mit denen wir eine erfüllende Beziehung führen, wird dabei automatisch exklusiver. „Hobbys wie Sport, Kino und Reisen sind austauschbar. Es geht um eine zielgerichtete Selbstreflexion“, erklärt Silke. Auf deren Grundlage gelingt es der Liebesexpertin, dass ihre Kund*innen klar und kurssicher kommunizieren.
„Für Silke gehört es deshalb zu ihrem Job dazu, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen, auch wenn es sie selbst viel Überwindung kostet.“ -
Die meisten wünschen sich eine*n Partner*in mit Humor. Viele sind aber selbst gar nicht lustig. „Ich sage dann ehrlich, dass ich in keinem Telefongespräch mit ihnen ein einziges Mal gelacht habe.“ Auch Mund- oder Körpergeruch spricht sie an. „Wenn ich es nicht sage, dann sagt es keine*r“, so Silke.
Manche müssen nicht nur ihr Beuteschema und ihre Körperpflege optimieren, sondern überhaupt erst einmal lernen, sich auf jemanden einzulassen. „Diese Menschen wünschen sich den Status ‚In einer Beziehung‘, kreisen aber nur um den eigenen Bauchnabel.“ Die Frage für Silke ist dann: „Wie bereit sind diese Menschen, sich zu öffnen?“
Die Arbeit mit Dr. Love geht also – wenn man es möchte – ans Eingemachte. Silke Denk wirkt dann während des gesamten Datings im Hintergrund am „Qualitäts- und Emotionsmanagement“ ihrer Kund*innen. Sie übernimmt eine Rolle ähnlich einer Trainerin, die ihre Kund*innen vom Spielfeldrand anfeuert, in der Halbzeit mit einer neuen Taktik versorgt oder nach einer Niederlage wieder aufbaut. Denn im Zeitalter des Online-Datings werden die Profile zur Projektionsfläche ganzer Lebensträume. „Der Mann im lila Sweater wird zum Vater der zukünftigen Kinder erkoren, obwohl man ihn noch nie live gesehen“, sagt Silke. „Disneyfizierung“ nennt sie dieses Phänomen, bei dem ein fremder Mensch in Gedanken zum Märchenprinz oder zur Märchenprinzessin zurechtgefriemelt wird. „Solche Tagträume führen aber nicht ans Ziel. Es geht erst einmal darum zu überlegen, ob man mit dieser Person zwei Stunden Zeit verbringen möchte – nicht gleich das ganze Leben“, weiß Silke. „Ich bin deshalb radikal, gerade bei der Auswahl der Männer“, sagt sie. Das bedeutet: Sie sagt ihren Kund*innen, wenn sie das Gefühl hat, dass der Mann nicht gut für sie ist. „Ich zähle dann die „ICHS“ in einer Nachricht auf oder zeige den Frauen, dass in den Chats nichts drinsteht“, erklärt Silke. Trotzdem gibt es Menschen, die ausgerechnet narzisstische Persönlichkeiten anziehend finden. In so einem Fall rät Silke, ein Gefühlstagebuch zu führen. „Wie fühlst du dich mit dieser Person? Schreib es jeden Tag auf! Viele erkennen dann nachhaltig selbst, dass dieser Kontakt toxisch ist.“
Männer sind bei Dr. Love dagegen meist nur kurze Kunden. „Die wünschen sich einen Profiltext und vier Opener, die sie anwenden können“, erzählt Silke. „Wie eine Gebrauchsanweisung.“ Ihr Anspruch bleibt immer gleich: Dr. Love versorgt ihre Kund*innen mit „customized Messages“, also persönlichen Nachrichten, die sie nach einem bestimmten Rezept formuliert: „Jeder Mensch möchte gesehen werden“, erklärt Silke. „Was fällt dir also an seinem Foto oder Profil auf?“, fragt sie ihre Kund*innen, wenn sie gemeinsam die Matches durchgehen.
Eine erste Nachricht – bei Bumble müssen Frauen die erste Nachricht schreiben – könnte dann so klingen: „Eigentlich mag ich es, wenn Männer den ersten Schritt machen. Aber bei dir mache ich eine Ausnahme.“ oder „Toller xyz (was man im Profil sieht) und wenn dein Tag ein Getränk wäre, wie würdest du es nennen?“
Also ganz ehrlich, ich hätte so etwas nie geschrieben! Eher so etwas wie „Hey Na“ oder „Wie war dein Wochenende?“ „Hey Nas“ gibt es bei Dr. Love aber nicht. „Wenn die Nachricht so belanglos ist, dass du sie auch an deine Tante schicken könntest, dann lass sie weg!“, sagt Silke. Mit einer Frage auf das Profil einzugehen, ist für Dr. Love der allerwichtigste Tipp. Denn oft findet man jemanden gut und weiß nicht, was man schreiben soll.
„„Das Warum ist immer spannender als das Was“,“ -
weiß Silke. Wenn jemand auf seinem Profilbild Erdbeerkuchen isst, dann sollte man ihn fragen, warum er den so gerne isst. Andersherum kann man ein Match, wenn es in den Chats nicht auf die Frage eingeht, gleich wieder aussortieren.
Wenn dann immer noch Unsicherheit besteht, gibt es die Dr. Love Tinder-Ambulanz. Obwohl Dating-Apps auch schnelle, unverbindliche Treffen vermitteln, glaubt Silke vor allem an slow love, also langsame Liebe.
„„Echte Liebe hat Zeit und muss nichts leisten“,“ -
sagt sie. „Viele glauben, dass sie mehr geliebt werden, wenn sie eine tolle Nachricht schreiben oder ein tolles Foto posten. Aber niemand verliebt sich in Perfektion“, weiß Silke. „Man verliebt sich in das Warme.“
Vielleicht ist das der beste Tipp fürs Flirten und Daten: sich trauen, man selbst zu bleiben – ungeachtet dessen, ob man damit dem vermeintlichen Traumprinzen oder der Traumprinzessin gefällt. Auch die US-amerikanische Autorin Brianna Wiest schreibt in ihren „101 Essays, die dein Leben verändern werden“: „Lass andere Menschen an deinem wahren Leben, einem authentischen Moment in deinem Leben, teilhaben. Das ist der einzige Weg, echte Bindungen einzugehen.“
Wer diesem Ratschlag aus Angst vor Enttäuschung misstraut, sollte den Freundeskreis-Check machen: Die besten Freund*innen sind auch oft ganz anders als man selbst – und eben kein perfektes Match. Trotzdem schätzt man sie und verbringt gerne Zeit miteinander, weil sie unser Leben bereichern und authentisch sind. „Stell dir deine Freundin oder den*die Lieblingskolleg*in als Tinderprofil vor. Du hättest sie vermutlich alle weitergewischt“, weiß Silke.
Rückblickend hat auch für mich dieses „You do you“ am besten funktioniert: Als ich Flori kennenlernte, befand ich mich am Anfang meiner
Trennung von meinem ersten Mann. Eigentlich wollte ich keine neue Beziehung, schon gar nicht mit einem zehn Jahre jüngeren Typen, von dem ich glaubte, er sei in einer komplett anderen Lebensphase. Ich weinte, trank viel Alkohol und war überfordert damit, dass mich jemand, trotz all meiner Makel, mochte. Und so nahm diese Liebesgeschichte ihren Lauf ...
Gelegentlich gönnt sich Silke übrigens selbst einen Flirt aus den Matches ihrer Kund*innen. Und was sagt ihr Mann dazu? „Dass es ihm leidtut, dass ich mit ihm verheiratet bin. Weil ich wirklich die Beste auf Tinder bin.“
Das Coaching bei Dr. Love kostet pro Stunde 160 Euro. Für die Tinder-Ambulanz rechnet Silke Denk ihren Zeitaufwand in Minuten ab.