Liebe, Beziehung & Sex
Anfang und Ende
Eine Affäre kann auch eine Chance sein, sagt Alexa von Heyden und erzählt von ihrer.
von Alexa von Heyden - 01.06.2020
Diesen Text gibt es auch als Audio-Artikel, zum Anhören und Downloaden einfach hier klicken.
Eine Freundin erzählte mir neulich, dass sie sich mit einem anderen Mann trifft. Mit ihrem Noch-Ehemann hatte sie bereits reinen Tisch gemacht, aber das blöde Gefühl, diejenige zu sein, die jemand Neues hat, schien sie zu belasten. Von uns Frauen wird sexuelle Correctness erwartet. Als Frau fremdzugehen ist, trotz aller Emanzipation, nach wie vor ein Tabu.
Statt sie in ihren Schuldgefühlen zu bestärken, gab eine lebenserfahrene Psychologin meiner Freundin diese Frage mit auf den Weg: „Überlegen Sie doch mal, warum es in Ihrem Herzen überhaupt Platz für einen anderen Mann gab?“ Auch ich als ihre Freundin verurteilte sie nicht, obwohl ich ihren Mann sehr mag. Aber ich fühlte mit ihr, denn ich ahnte, warum sie in den Armen eines anderen gelandet war.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich in ein Taxi stieg und zu diesem Typen fuhr. Meine Fantasie wurde zur Wirklichkeit, mein nächtliches Kopfkino vor dem Einschlafen ein echter Fick. Ich sage es so deutlich, denn genau darum ging es: sich der Lust hinzugeben, es noch nicht mal mehr in ein Bett oder aufs Sofa zu schaffen, sondern im Flur mit den Hosen auf halb acht hemmungslos zu vögeln.
Meinem Begehren nachzugeben war aufregend und schmerzhaft zugleich. In dem einen Moment spürte ich Schuld, hatte ich doch bei meiner Hochzeit „Treue in guten und in schlechten Tagen, bis dass der Tod uns scheidet“ geschworen. Im nächsten Moment fühlte ich mich so gut wie seit Jahren nicht mehr. Wir trafen uns wieder.

„Und dann war es plötzlich so: Ich hatte eine Affäre.“ -

„Die Qualität unserer Beziehungen bestimmt unsere Lebensqualität“, weiß die belgische Psychotherapeutin Esther Perel, die Bücher wie „Wild Life – Die Rückkehr der Erotik in die Liebe“ und „Die Macht der Affäre Warum wir betrügen und was wir daraus lernen können“ geschrieben hat.
Tatsächlich ist der häufigste Grund, warum Frauen und Männer ihrem/ihrer Lebenspartner*in untreu werden, laut einer Studie die sexuelle Unzufriedenheit. Aber schwingen im Alltag nicht noch andere Gefühle mit? Wie viele Paare kenne ich, zwischen denen die Spannungen nicht nur unerträglich für sie, sondern auch für ihre Familien und Freunde geworden sind? Wie viele Frauen erzählen mir, dass sie sich von ihrem/ihrer Partner*in nicht nur mehr Zärtlichkeit und Zuwendungen wünschen, sondern Verständnis, Zuspruch oder einfach nur ein bisschen mehr Interesse. Flaute im Bett, gemischt mit Einsamkeit und Ablehnung, ist ein fruchtbarer Nährboden für einen Seitensprung.
„Bei vielen Affären geht es weniger um Sex als um Sehnsucht – die Sehnsucht, begehrt zu werden, sich als jemand Besonderes zu fühlen, gesehen zu werden, sich verbunden zu fühlen, Aufmerksamkeit zu bekommen. In all dem liegt eine erotische Spannung, die uns das Gefühl gibt, lebendig, frisch, wie neu aufgeladen zu sein. Es geht mehr um die Energie als um den Akt, mehr um Verzauberung als um Sex“, erklärt Esther Perel.
Trotz dieser versöhnlichen Erklärungsversuche gibt es in den meisten Fällen Ärger, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Für die Paare steht dann oft das ganze Leben auf der Kippe.

„Als mein Seitensprung aufflog, saß ich beschwingt von meinem letzten Orgasmus auf dem Fahrrad, um nachhause zu fahren.“ -

Ich bekam eine SMS von meinem damaligen Mann, der schrieb, dass er Bescheid wisse. „Es ist vorbei. Hol bitte deine Sachen.“ Er schrieb die Nachricht betont emotionslos, deshalb wusste ich, wie hart es ihn traf, dass ich ihn, trotz aller Differenzen in den vergangenen Monaten, hintergangen hatte.
Mein Kreislauf sackte ab. Ich legte mich mitten im Berufsverkehr auf den Mittelstreifen und verweilte in diesem Moment der Stunde null. Ich wusste, dass ich nie wieder in mein altes Leben zurückkann, so wie ich in den letzten Monaten heimlich nachts durch die Tür hineingeschlüpft war und mich geräuschlos ins Bett gelegt hatte, mit den Körperflüssigkeiten eines anderen Mannes in mir. Ich zog ins Hotel.
Enttäuschung, Eifersucht und Rache haben in so einer Situation ihre Berechtigung. Und auch ich musste den Zorn meines Ex-Mannes aushalten. Esther Perel geht in ihrer Praxis einen Schritt weiter: Sie löst das Thema Untreue von dem gesellschaftlichen Tabubruch und ermutigt zu einem Perspektivenwechsel. Sie ist davon überzeugt, dass Untreue einem Paar helfen kann, gemeinsam zu wachsen. Denn obwohl die Erfahrung der Untreue traumatisch ist, geht es den Fremdgeher*innen meist gar nicht um die Suche nach einem neuen Partner*in.

„„Menschen, die betrügen, suchen oftmals nicht nach einem neuen Partner, eher nach einem neuen Ich.““ -

Genau an dieser Stelle kündigt eine – ich gebe es zu – steile These ihre Gültigkeit an: Eine Affäre muss nicht das Ende einer Beziehung bedeuten. Eva-Maria Zurhorst geht in ihrem Selbsthilfe-Bestseller „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ sogar so weit zu behaupten, dass die meisten Scheidungen überflüssig sind. Ihrer Meinung nach müssten 70 Prozent der Ehen nicht geschieden werden, wenn man Spannungen als Wegweiser betrachtet, um einander besser kennenzulernen. Mit dieser Meinung ist die Expertin nicht alleine.„Man kann eine Affäre nutzen, um genau zu schauen, was gefehlt oder was nicht richtig funktioniert hat. Oftmals weiß man durchaus, dass die Beziehung nicht rundläuft, aber aus Bequemlichkeit oder doch noch zu geringem Leidensdruck wurde nicht aktiv an der Veränderung gearbeitet“, bestätigt Birgit Fehst, Paartherapeutin aus Berlin, auf meine Anfrage.
(Halten wir an dieser Stelle der Vollständigkeit halber fest: Das kann nach einem One-Night-Stand oder Liebesabenteuer funktionieren, aber natürlich nicht, wenn jemand jahrelang ein heimliches Doppelleben führt oder den/die Trauzeug*in bumst.)
Was für Außenstehende, egal ob Familie, Nachbarn oder Freunde, schwach oder inkonsequent wirkt, könnte der größte Liebesbeweis überhaupt sein. „Wahre Liebe besteht vor allem aus Vergeben“, betont der Schweizer Philosoph Alain de Botton, der in seinem aktuellen Buch „Der Lauf der Liebe“ die Phasen einer Ehe beschreibt, vom ersten Date bis zur Paartherapie.
Wer jetzt als Betrogene*r vor Wut eine Schaumkrone vor dem Mund hat: Den meisten Menschen gelingt dieser Schritt nur mit professioneller Hilfe. Auch ich begann damals mit einer Therapie und stellte mich den unbequemen Fragen, die meine Untreue aufwarf. Es ging ans Eingemachte. Zum Beispiel: Was hat der Selbstmord meines Vaters mit meiner Beziehung zu Männern zu tun? Wie hat mich meine Kindheit mit einer alleinerziehenden Mutter geprägt? Und will ich eigentlich selbst Kinder haben?
Meine Affäre legte offen, dass mir in meiner Beziehung nicht nur spontaner Sex im Flur, sondern ein leidenschaftlicher Austausch mit meinen Zielen und Wünschen gefehlt hatte. Ich war unglücklich in der Beziehung, ja. Vor allem war ich unglücklich, dass ich nicht weiterkam, weder im Job noch in meiner Beziehung oder was meine Persönlichkeit betraf. Ich langweilte mich, war aber unfähig, mir selbst neue Impulse zu geben.
Nach über 50 Therapiesitzungen hatte ich nicht nur meine Beziehung beendet und eine eigene Wohnung bezogen, sondern meinen damaligen Job in einer Onlineredaktion hingeschmissen. Mein Leben lag in Scherben vor mir.

„Ich konnte nicht mehr zurück – und war so überhaupt erst in der Lage, meine Geschichte neu zu schreiben.“ -

Und zwar erst einmal solo, was mir zuvor lange Angst und die Trennung von meinem Mann so schwer gemacht hat. Aber ich erkannte, was auch Eva-Maria Zurhorst sagt: Eine Partnerschaft kann niemals der Schlüssel zum Glück sein. „Der einzig wahre Partner sind Sie selbst.“ Zur Erklärung beschreibt die Beziehungsberaterin das Boris-Becker-Phänomen: Der ehemalige Tennisprofi fängt immer wieder eine neue Beziehung mit dem gleichen Typ Frau an, weil er sich unter dem Druck seiner öffentlichen Rolle selbst verloren hat und deshalb immer wieder an den gleichen Herausforderungen scheitert. Zum Beispiel daran, echte Nähe zuzulassen.
Meine Affäre hat den Anstoß dazu gegeben, mein Leben auf den Prüfstand zu stellen, mich wieder zu spüren und zu begreifen, dass ich, egal mit wem ich zusammen bin, liebenswert bin. Ich kann nichts dafür, dass mein Vater sterben wollte und meine Mutter einsam war. Weil jeder Mensch für sich selbst verantwortlich ist. Für mich war die Affäre und alles, was danach kam, ein Meilenstein für meine Persönlichkeitsentwicklung.
Inzwischen bin ich seit fünf Jahren geschieden, zum zweiten Mal verheiratet, Mutter einer dreijährigen Tochter und lebe auf dem Land. Ich bin angekommen, wenn auch in einem ganz anderen Hafen als ursprünglich angesteuert. Mit meinem Ex-Mann verbindet mich heute eine innige Freundschaft. Für uns war meine Affäre die Chance, gemeinsam zu wachsen und unsere Beziehung auf das nächste Level zu heben. Das ging aber nicht unter einer Bettdecke.

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